Bundesgerichtshof
Mitteilung der Pressestelle
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Nr. 207/2013 vom 18.12.2013
Bundesgerichtshof zur Vergabe von Stromnetzkonzessionen durch die Gemeinden
Gemeinden müssen den Konzessionär für ihr Stromnetz in einem
diskriminierungsfreien und transparenten Verfahren auswählen. Das gilt
auch im Fall der Übertragung an einen Eigenbetrieb. Das hat der
Kartellsenat des Bundesgerichtshofs in zwei heute verkündeten Urteilen
entschieden.
Die Parteien streiten über Ansprüche auf Übereignung der
Stromversorgungsnetze in schleswig-holsteinischen Gemeinden. Aufgrund
Ende 2008 bis Ende 2012 ausgelaufener Konzessionsverträge war die
Beklagte in diesen Gemeinden Netzbetreiber. Ihre Bewerbung um Abschluss
neuer Konzessionsverträge hatte jeweils keinen Erfolg.
Die Klägerin des Verfahrens KZR 65/12, die Stadt Heiligenhafen,
entschied sich dafür, den Netzbetrieb durch einen Eigenbetrieb selbst zu
übernehmen. Sie verlangt, gestützt auf § 46 Abs. 2 Satz 2 EnWG aF*
sowie eine Regelung des abgelaufenen Konzessionsvertrags
(Endschaftsbestimmung), von der Beklagten die Übereignung des örtlichen
Stromversorgungs-netzes der allgemeinen Versorgung.
Im Verfahren KZR 66/12 haben die 36 Gemeinden der Ämter
Sandesneben-Nusse und Berkenthin einen neuen Konzessionsvertrag mit der
Klägerin abgeschlossen, bei der es sich um eine mittelbare
Tochtergesellschaft dreier anderer Gemeinden handelt. Die Klägerin
verlangt aus § 46 Abs. 2 Satz 2 EnWG aF sowie aus abgetretenem Recht der
Gemeinden die Übereignung des Netzes.
Die Vorinstanzen haben die Klagen abgewiesen. Das Berufungsgericht hat
Ansprüche auf Übertragung des Netzes verneint, weil die Neuvergaben der
Konzessionen jeweils gegen § 46 EnWG aF* und § 20 Abs. 1 GWB aF**
verstießen. Die Gemeinden hätten in einer diskriminierungsfreien
Vergabeentscheidung vorrangig die Ziele des § 1 EnWG aF*** und somit in
erster Linie das Niveau der erreichbaren Netzentgelte sowie die
Effizienz des Bewerbers berücksichtigen müssen. Erst in zweiter Linie
könnten die fiskalischen Interessen der Kommune eine Rolle spielen. Die
Entscheidungen der Gemeinden für eine Rekommunalisierung genügten diesen
Anforderungen nicht. Dies könne die Beklagte den Übertragungsansprüchen
entgegenhalten.
Der Bundesgerichtshof hat die dagegen gerichteten Revisionen zurückgewiesen.
Im Verfahren KZR 65/12 kann die Beklagte den Überlassungsansprüchen
entgegenhalten, dass die Klägerin bei der Neuvergabe des Wegerechts
gegen § 46 Abs. 1 EnWG verstoßen und dadurch die Beklagte im Sinne von §
20 Abs. 1 GWB aF unbillig behindert hat. Die Klägerin hat das
Transparenzgebot nicht beachtet, das bei der Vergabe von Wegerechten für
den Netzbetrieb aus dem Diskriminierungsverbot des § 46 Abs. 1 Satz 1
EnWG folgt. Das Transparenzgebot verlangt, dass den am Netzbetrieb
interessierten Unternehmen die Entscheidungskriterien der Gemeinde und
deren Gewichtung rechtzeitig vor Angebotsabgabe mitgeteilt werden. Das
gilt auch dann, wenn die Gemeinde den Netzbetrieb einem Eigenbetrieb
übertragen will. Gemeinden können sich in diesem Zusammenhang weder auf
ein "Konzernprivileg" noch auf die Grundsätze des im Vergaberecht
anerkannten "In-house-Geschäfts" berufen. Das verfassungsrechtlich
geschützte kommunale Selbstverwaltungsrecht wird dadurch nicht verletzt.
Im Verfahren KZR 66/12 stehen der Klägerin keine Ansprüche auf
Überlassung der Netze zu, weil sie nicht "neues
Energieversorgungsunternehmen" im Sinn von § 46 Abs. 2 EnWG aF geworden
ist. Voraussetzung dafür wäre jeweils ein wirksamer Konzessionsvertrag
mit den Gemeinden. Die abgeschlossenen Verträge sind jedoch nach § 134
BGB nichtig, weil die Gemeinden bei ihrer Auswahlentscheidung gegen § 20
Abs. 1 GWB aF verstoßen haben. Zwar haben die Gemeinden in diesem Fall
das Transparenzgebot beachtet. Die bei der Auswahlentscheidung
angewandten Kriterien und ihre Gewichtung müssen aber auch inhaltlich
mit dem Diskriminierungsverbot des § 46 Abs. 1 EnWG in Einklang stehen.
Danach ist die Auswahl vorrangig an den Zielen des § 1 EnWG (Effizienz,
Verbraucherfreundlichkeit, preisgünstige und sichere Versorgung,
Umweltverträglichkeit) auszurichten. Im Übrigen bleibt der Gemeinde
überlassen, sachgerechte Auswahlkriterien zu finden und zu gewichten,
die einen Bezug zum Gegenstand des Konzessionsvertrags aufweisen, was
eine zulässige wirtschaftliche Verwertung des Wegerechts umfasst.
Diesem Maßstab genügen die Auswahlentscheidungen zugunsten der Klägerin
nicht. Zwar hat das Berufungsgericht einige Auswahlkriterien wie etwa
den Gemeinderabatt oder eine Folgekostenübernahme zu Unrecht für
unzulässig gehalten. Es hat jedoch zu Recht beanstandet, dass 70 von 170
bei der Angebotsbewertung höchstens erreichbaren Punkten auf Kriterien
zum Geschäftsmodell entfielen, und zwar im Sinne von Möglichkeiten zur
Ausgestaltung einer kommunalen Beteiligung an der Netzgesellschaft.
Außerdem haben die Gemeinden die Ziele des § 1 EnWG nicht hinreichend
berücksichtigt.
Die Zuwiderhandlung gegen § 20 Abs. 1 GWB aF hat die Nichtigkeit der
Konzessionsverträge zur Folge, da andernfalls der vom Gesetzgeber
bezweckte Wettbewerb um das Wegerecht ausgeschlossen wäre. Darauf kann
sich die Beklagte berufen, weil nicht davon ausgegangen werden kann,
dass sich die Klägerin auch bei einer ordnungsgemäßen Bewertung der
Angebote gegenüber ihren Mitbewerbern durchgesetzt hätte.
Ansprüche der Klägerin aufgrund der ihr von den Gemeinden abgetretenen
Rechte aus den vertraglichen Endschaftsbestimmungen scheitern daran,
dass die Beklagte ihnen nach § 404 BGB**** entgegenhalten kann, von den
Gemeinden diskriminiert (§ 46 Abs. 1 EnWG) und unbillig behindert (§ 20
Abs. 1 GWB aF) worden zu sein.
Urteil vom 17. Dezember 2013 – KZR 65/12
LG Kiel – Urteil vom 3. Februar 2012 – 14 O 83/10 Kart
OLG Schleswig – Urteil vom 22. November 2012 – 16 U (Kart) 22/12,
WuW/E DE-R 3746
und
Urteil vom 17. Dezember 2013 - KZR 66/12
LG Kiel - Urteil vom 3. Februar 2012 - 14 O 12/11 Kart, RdE 2012, 263
OLG Schleswig - Urteil vom 22. November 2012 - 16 U (Kart) 21/12,
ZNER 2013, 403
Karlsruhe, den 18. Dezember 2013
* § 46 EnWG aF – Wegenutzungsverträge
(vom 13. Juli 2005 bis 3. August 2011 geltende Fassung)
(1) 1Gemeinden haben ihre öffentlichen Verkehrswege für die Verlegung
und den Betrieb von Leitungen, einschließlich Fernwirkleitungen zur
Netzsteuerung und Zubehör, zur unmittelbaren Versorgung von
Letztverbrauchern im Gemeindegebiet diskriminierungsfrei durch Vertrag
zur Verfügung zu stellen. 2Unbeschadet ihrer Verpflichtungen nach Satz 1
können die Gemeinden den Abschluss von Verträgen ablehnen, solange das
Energieversorgungsunternehmen die Zahlung von Konzessionsabgaben in Höhe
der Höchstsätze nach § 48 Abs. 2 verweigert und eine Einigung über die
Höhe der Konzessionsabgaben noch nicht erzielt ist.
(2) 1Verträge von Energieversorgungsunternehmen mit Gemeinden über die
Nutzung öffentlicher Verkehrswege für die Verlegung und den Betrieb von
Leitungen, die zu einem Energieversorgungsnetz der allgemeinen
Versorgung im Gemeindegebiet gehören, dürfen höchstens für eine Laufzeit
von 20 Jahren abgeschlossen werden. 2Werden solche Verträge nach ihrem
Ablauf nicht verlängert, so ist der bisher Nutzungsberechtigte
verpflichtet, seine für den Betrieb der Netze der allgemeinen Versorgung
im Gemeindegebiet notwendigen Verteilungsanlagen dem neuen
Energieversorgungsunternehmen gegen Zahlung einer wirtschaftlich
angemessenen Vergütung zu überlassen.
(3) 1Die Gemeinden machen spätestens zwei Jahre vor Ablauf von Verträgen
nach Absatz 2 das Vertragsende durch Veröffentlichung im Bundesanzeiger
oder im elek-tronischen Bundesanzeiger bekannt. 2Wenn im Gemeindegebiet
mehr als 100.000 Kunden unmittelbar oder mittelbar an das
Versorgungsnetz angeschlossen sind, hat die Bekanntmachung zusätzlich im
Amtsblatt der Europäischen Union zu erfolgen. …5Sofern sich mehrere
Unternehmen bewerben, macht die Gemeinde bei Neuabschluss oder
Verlängerung von Verträgen nach Absatz 2 ihre Entscheidung unter Angabe
der maßgeblichen Gründe öffentlich bekannt.
(4) Die Absätze 2 und 3 finden für Eigenbetriebe der Gemeinden entsprechende Anwendung.
(5) …
** § 20 GWB aF - Diskriminierungsverbot, Verbot unbilliger Behinderung
(bis 29. Juni 2013 geltende Fassung)
(1) Marktbeherrschende Unternehmen […] dürfen ein anderes Unternehmen in
einem Geschäftsverkehr, der gleichartigen Unternehmen üblicherweise
zugänglich ist, weder unmittelbar noch mittelbar unbillig behindern oder
gegenüber gleichartigen Unternehmen ohne sachlich gerechtfertigten
Grund unmittelbar oder mittelbar unterschiedlich behandeln.
[…]
*** § 1 EnWG aF - Zweck des Gesetzes
(vom 13. Juli 2005 bis 3. August 2011 geltende Fassung)
(1) Zweck des Gesetzes ist eine möglichst sichere, preisgünstige,
verbraucherfreundliche, effiziente und umweltverträgliche
leitungsgebundene Versorgung der Allgemeinheit mit Elektrizität und Gas.
[…]
**** § 404 Einwendungen des Schuldners
Der Schuldner kann dem neuen Gläubiger die Einwendungen entgegensetzen,
die zur Zeit der Abtretung der Forderung gegen den bisherigen Gläubiger
begründet waren.
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