Montag, 27. April 2020

COVID-19-Maßnahmen auf dem Prüfstand des Unionsrechts

Ein Beitrag von Rechtsanwalt Christoph v. Donat
Spielhallen dürfen derzeit nicht öffnen.
Auch dieser staatliche Eingriff in die Grundrechte und die EU-Grundfreiheiten muss kontinuierlich auf den Prüfstand.

Die anhaltenden COVID-19-Eindämmungsmaßnahmen mögen überwiegend gerechtfertigt gewesen sein, sie bleiben es aber nur so lange, wie es dem Staat objektiv nicht möglich ist, mit milderen Mitteln einen dem gesundheitlichen Risiko angemessenen Schutz der Bevölkerung zu erreichen. Gerade für das Kleine Spiel hatte der EuGH bereits entschieden, dass es bei einer einschränkenden Regelung nicht nur auf die Zielsetzung bei Erlass der Regelung ankommt, sondern auch auf spätere Auswirkungen (EuGH, Urt. v. 30.6.2016, Rs. C-464/15 „Admiral Casinos“, Rn. 30).

Da die Eindämmungsmaßnahmen in den freien Dienstleistungsverkehr und den freien Kapitalverkehr eingreifen, gehören die Maßnahmen auch auf den Prüfstand des Unionsrechts. Das Problem bei der rechtlichen Überprüfung fängt bereits bei den Kenntnissen über die gesundheitlichen Risiken an. Wie hoch ist das Risiko der Inanspruchnahme, Auslastung oder Überlastung der Intensivkapazitäten tatsächlich und wie hoch ist das über die normale Sterblichkeitsrate hinausgehende Mortalitätsrisiko? Welchen gesundheitlichen Risiken ist das medizinische Personal ausgesetzt? Der Staat muss seine Annahmen, die den Beschränkungen zugrunde liegen, offenlegen und mithilfe statistischer Daten belegen. An die Nachweisführung sind höhere Anforderungen zu stellen, je mehr Zeit seit Ausbruch der Pandemie vergangen ist. Ohne „Beweise“ sind die staatlichen Eingriffe von vornherein rechtswidrig (vgl. EuGH, Urt. v. 19.10.2016, Rs. C-148/15 „Deutsche Parkinson Vereinigung“, Rn. 35).

Der Kollege Karpenstein hat in seinem Beitrag vom 14.06.2017 unter Verweis auf die Rechtsprechung des EuGH in der Sache Online Games eindrücklich darauf verwiesen, dass die Verwaltungsgerichte keine Reparaturbetriebe der Verwaltung sind. Das Unionsrecht gebietet, dass die Verwaltung die wissenschaftlichen Nachweise erbringen muss, damit das Gericht prüfen kann, ob die Beschränkungen gerechtfertigt sind. Das Gericht darf nicht anstelle der Verwaltung bzw. des Verordnungsgebers ihm geeignet erscheinende Rechtsfertigungsgründe zusammensuchen. Hier rächt sich, dass die schwerwiegendsten Eingriffe in die EU-Grundfreiheiten, die wir in der Europäischen Union erlebt haben, in Deutschland im Verordnungswege ergehen und Verordnungen in Deutschland, da alles Wesentliche schon im Gesetz geregelt sein sollte, keine gesonderte Begründung erhalten.

Eine Maßnahme ist zudem nur verhältnismäßig, wenn das Ziel kohärent und systematisch verfolgt wird. Die unterschiedliche Behandlung vergleichbarer Sachverhalte kann dazu führen, dass die Eingriffe insgesamt rechtswidrig sind (vgl. EuGH, Urt. v. 6.3.2018, Rs. C-52/16 u. C-113/16 „SEGRO“, Rn. 78). Wieso reichen Sicherheitsabstand und Hygienemaßnahmen in der einen Branche aus, in der anderen nicht? Gerade die Spielhallen mit ihren Einlasskontrollen und den nach § 3 Abs. 2 SpielV erforderlichen Abständen und Sichtblenden verfügen bereits über Grundlagen für ein COVID-19-Hygiene-Konzept.

Sollten die Verordnungsgeber argumentieren, dass Glückspiel als Freizeitaktivität für die Allgemeinheit nicht den Stellenwert des Einzelhandels und der Frisöre habe, müssen sie auch die Frage beantworten, ob sie das Ziel des Glückspielstaatsvertrags ernst nehmen, den natürlichen Spieltrieb der Bevölkerung durch ein geeignetes Angebot zu kanalisieren.
Sollten die Verordnungsgeber an der unterschiedlichen Behandlung gleicher oder jedenfalls vergleichbarer Sachverhalte mit dem Argument festhalten wollen, dass dies notwendig sei, um die Frequenz der Kontakte gering zu halten, wenn Kontakte schon insgesamt nicht zu vermeiden sind, werden einzelnen Branchen Sonderlasten auferlegt, die wiederum zu Ersatzansprüchen gegen den Staat führen können.

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