Sonntag, 26. Mai 2019

EuGH Rs. C-462/16 zur Änderung der Bemessungsgrundlage

Verfahrensgang
FG Rheinland-Pfalz, 24.09.2015 - 6 K 1251/14 s.u.
BFH, 22.06.2016 - V R 42/15 s.u.
Generalanwalt beim EuGH, 11.07.2017 - C-462/16 s.u.
EuGH, 20.12.2017 - C-462/16
BFH, 08.02.2018 - V R 42/15 s.u.


URTEIL DES GERICHTSHOFS (Fünfte Kammer)

20. Dezember 2017(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Steuerwesen – Mehrwertsteuer – Richtlinie 2006/112/EG – Art. 90 Abs. 1 – Preisnachlass unter von den Mitgliedstaaten festgelegten Bedingungen – Minderung der Steuerbemessungsgrundlage – Im Urteil vom 24. Oktober 1996, Elida Gibbs (C‑317/94, EU:C:1996:400), aufgestellte Grundsätze – Den Unternehmen der privaten Krankenversicherung gewährte Abschläge“

In der Rechtssache C‑462/16

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bundesfinanzhof (Deutschland) mit Entscheidung vom 22. Juni 2016, beim Gerichtshof eingegangen am 17. August 2016, in dem Verfahren

Finanzamt Bingen-Alzey

gegen

Boehringer Ingelheim Pharma GmbH & Co. KG

erlässt

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J. L. da Cruz Vilaça, der Richter E. Levits und A. Borg Barthet (Berichterstatter), der Richterin M. Berger und des Richters F. Biltgen,

Generalanwalt: E. Tanchev,


Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        der Boehringer Ingelheim Pharma GmbH & Co. KG, vertreten durch A. Funke, Steuerberater, und Rechtsanwalt H.-H. von Cölln,

–        der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und R. Kanitz als Bevollmächtigte,

–        der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch D. Robertson als Bevollmächtigten im Beistand von P. Mantle, Barrister,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch B.-R. Killmann und R. Lyal als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 11. Juli 2017

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 90 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1, im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie).

2        Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Finanzamt Bingen-Alzey (Deutschland) (im Folgenden: Finanzamt) und dem Pharmaunternehmen Boehringer Ingelheim Pharma GmbH & Co. KG über die Festsetzung des von diesem Unternehmen für das Steuerjahr 2011 geschuldeten Umsatzsteuerbetrags.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

3        Art. 73 der Mehrwertsteuerrichtlinie lautet:

„Bei der Lieferung von Gegenständen und Dienstleistungen, die nicht unter die Artikel 74 bis 77 fallen, umfasst die Steuerbemessungsgrundlage alles, was den Wert der Gegenleistung bildet, die der Lieferer oder Dienstleistungserbringer für diese Umsätze vom Erwerber oder Dienstleistungsempfänger oder einem Dritten erhält oder erhalten soll, einschließlich der unmittelbar mit dem Preis dieser Umsätze zusammenhängenden Subventionen.“

4        In Art. 78 dieser Richtlinie heißt es:

„In die Steuerbemessungsgrundlage sind folgende Elemente einzubeziehen:

a)      Steuern, Zölle, Abschöpfungen und Abgaben mit Ausnahme der Mehrwertsteuer selbst;

…“

5        Art. 79 der Richtlinie bestimmt:

„In die Steuerbemessungsgrundlage sind folgende Elemente nicht einzubeziehen:

a)      Preisnachlässe durch Skonto für Vorauszahlungen;

b)      Rabatte und Rückvergütungen auf den Preis, die dem Erwerber oder Dienstleistungsempfänger eingeräumt werden und die er zu dem Zeitpunkt erhält, zu dem der Umsatz bewirkt wird;

c)      Beträge, die ein Steuerpflichtiger vom Erwerber oder vom Dienstleistungsempfänger als Erstattung der in ihrem Namen und für ihre Rechnung verauslagten Beträge erhält und die in seiner Buchführung als durchlaufende Posten behandelt sind.

Der Steuerpflichtige muss den tatsächlichen Betrag der in Absatz 1 Buchstabe c genannten Auslagen nachweisen und darf die Mehrwertsteuer, die auf diese Auslagen gegebenenfalls erhoben worden ist, nicht als Vorsteuer abziehen.“

6        Art. 90 der Mehrwertsteuerrichtlinie lautet:

„(1)      Im Falle der Annullierung, der Rückgängigmachung, der Auflösung, der vollständigen oder teilweisen Nichtbezahlung oder des Preisnachlasses nach der Bewirkung des Umsatzes wird die Steuerbemessungsgrundlage unter den von den Mitgliedstaaten festgelegten Bedingungen entsprechend vermindert.

(2)      Die Mitgliedstaaten können im Falle der vollständigen oder teilweisen Nichtbezahlung von Absatz 1 abweichen.“

 Deutsches Recht

7        § 10 Abs. 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 21. Februar 2005 (BGBl. 2005 I S. 386) bestimmt:

„Der Umsatz wird bei Lieferungen und sonstigen Leistungen (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1) und bei dem innergemeinschaftlichen Erwerb (§ 1 Abs. 1 Nr. 5) nach dem Entgelt bemessen. Entgelt ist alles, was der Leistungsempfänger aufwendet, um die Leistung zu erhalten, jedoch abzüglich der Umsatzsteuer. Zum Entgelt gehört auch, was ein anderer als der Leistungsempfänger dem Unternehmer für die Leistung gewährt. …“

8        In § 17 („Änderung der Bemessungsgrundlage“) Abs. 1 UStG heißt es:

„Hat sich die Bemessungsgrundlage für einen steuerpflichtigen Umsatz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 geändert, hat der Unternehmer, der diesen Umsatz ausgeführt hat, den dafür geschuldeten Steuerbetrag zu berichtigen. …“

9        Zum Krankenversicherungsschutz über die gesetzlichen Krankenkassen sieht § 2 des Fünften Buchs Sozialgesetzbuch (SGB V) in seiner am 22. Dezember 2010 geänderten Fassung (BGBl. 2010 I S. 2309) vor:

„(1)      Die Krankenkassen stellen den Versicherten die im Dritten Kapitel genannten Leistungen unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots (§ 12) zur Verfügung, soweit diese Leistungen nicht der Eigenverantwortung der Versicherten zugerechnet werden. Behandlungsmethoden, Arznei- und Heilmittel der besonderen Therapierichtungen sind nicht ausgeschlossen. Qualität und Wirksamkeit der Leistungen haben dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen.

(2)      Die Versicherten erhalten die Leistungen als Sach- und Dienstleistungen, soweit dieses oder das Neunte Buch nichts Abweichendes vorsehen. Die Leistungen können auf Antrag auch als Teil eines trägerübergreifenden Persönlichen Budgets erbracht werden; § 17 Abs. 2 bis 4 des Neunten Buches in Verbindung mit der Budgetverordnung und § 159 des Neunten Buches finden Anwendung. Über die Erbringung der Sach- und Dienstleistungen schließen die Krankenkassen nach den Vorschriften des Vierten Kapitels Verträge mit den Leistungserbringern.“

10      § 130a Abs. 1 SGB V bestimmt:

„Die Krankenkassen erhalten von Apotheken für ab dem 1. Januar 2003 zu ihren Lasten abgegebene Arzneimittel einen Abschlag in Höhe von 6 vom Hundert des Abgabepreises des pharmazeutischen Unternehmers ohne Mehrwertsteuer. Pharmazeutische Unternehmer sind verpflichtet, den Apotheken den Abschlag zu erstatten. Soweit pharmazeutische Großhändler nach Absatz 5 bestimmt sind, sind pharmazeutische Unternehmer verpflichtet, den Abschlag den pharmazeutischen Großhändlern zu erstatten. Der Abschlag ist den Apotheken und pharmazeutischen Großhändlern innerhalb von zehn Tagen nach Geltendmachung des Anspruches zu erstatten. …“

11      In Bezug auf privat Krankenversicherte sieht § 192 („Vertragstypische Leistungen des Versicherers“) des Versicherungsvertragsgesetzes in seiner am 23. November 2007 geänderten Fassung (BGBl. 2007 I S. 2631) vor:

„(1)      Bei der Krankheitskostenversicherung ist der Versicherer verpflichtet, im vereinbarten Umfang die Aufwendungen für medizinisch notwendige Heilbehandlung wegen Krankheit oder Unfallfolgen und für sonstige vereinbarte Leistungen einschließlich solcher bei Schwangerschaft und Entbindung sowie für ambulante Vorsorgeuntersuchungen zur Früherkennung von Krankheiten nach gesetzlich eingeführten Programmen zu erstatten.

…“

12      Für Personen mit beamtenrechtlichem Krankheitskostenerstattungsanspruch bestimmt § 80 („Beihilfe in Krankheits-, Pflege- und Geburtsfällen“) des Bundesbeamtengesetzes in seiner am 14. November 2011 geänderten Fassung (BGBl. 2011 I S. 2219):

„(1)      Beihilfe erhalten:

1.      Beamtinnen und Beamte, die Anspruch auf Besoldung haben oder Elternzeit in Anspruch nehmen,



(2)      Beihilfefähig sind grundsätzlich nur notwendige und wirtschaftlich angemessene Aufwendungen

1.      in Krankheits- und Pflegefällen,



(3)      Beihilfe wird als mindestens 50-prozentige Erstattung der beihilfefähigen Aufwendungen gewährt. …

…“

13      § 1 des Gesetzes über Rabatte für Arzneimittel in seiner am 22. Dezember 2010 geänderten Fassung (BGBl. 2010 I S. 2262) lautet:

„Die pharmazeutischen Unternehmer haben den Unternehmen der privaten Krankenversicherung und den Trägern der [entsprechenden Kosten] nach beamtenrechtlichen Vorschriften für verschreibungspflichtige Arzneimittel, deren Kosten diese ganz oder teilweise erstattet haben, nach dem Anteil der Kostentragung Abschläge entsprechend § 130a Absatz 1, 1a, 2, 3, 3a und 3b des Fünften Buches Sozialgesetzbuch zu gewähren. …“

 Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage

14      Boehringer Ingelheim Pharma stellt Arzneimittel her und liefert sie steuerpflichtig über Großhändler an Apotheken.

15      Im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung geben die Apotheken die Arzneimittel an die Versicherten aufgrund eines Rahmenvertrags mit dem Spitzenverband der Krankenkassen ab. Die Arzneimittel werden an die Krankenkassen geliefert und von diesen ihren Versicherten zur Verfügung gestellt. Die Apotheken gewähren den Krankenkassen einen Abschlag auf den Arzneimittelpreis. Boehringer Ingelheim Pharma als pharmazeutisches Unternehmen muss den Apotheken – oder bei Einschaltung von Großhändlern diesen – den Abschlag erstatten. Die Finanzverwaltung behandelt den Abschlag umsatzsteuerrechtlich als Entgeltminderung.

16      Arzneimittel für privat Krankenversicherte geben die Apotheken dagegen aufgrund von Einzelverträgen an diese Personen ab. Das Unternehmen der privaten Krankenversicherung ist nicht Abnehmer der Arzneimittel, sondern erstattet seinen Versicherten lediglich auf Antrag die ihnen entstandenen Kosten. In diesem Fall muss Boehringer Ingelheim Pharma dem Unternehmen der privaten Krankenversicherung einen Abschlag auf den Arzneimittelpreis gewähren. Die Finanzverwaltung erkennt diesen Abschlag umsatzsteuerrechtlich nicht als Entgeltminderung an.

17      Im Jahr 2012 gab Boehringer Ingelheim Pharma eine Umsatzsteuerjahreserklärung für das Steuerjahr 2011 ab, in der u. a. die steuerpflichtigen Umsätze mit ihren Bemessungsgrundlagen ausgewiesen waren.

18      In dieser Erklärung berichtigte Boehringer Ingelheim Pharma hinsichtlich der Umsätze mit Arzneimitteln, die von privat Krankenversicherten erstanden worden waren, die Steuerbemessungsgrundlage durch Abzug der von ihr zu gewährenden Erstattungen.

19      Das Finanzamt sah in Bezug auf die Erstattungen an die Unternehmen der privaten Krankenversicherung keinen Grund für eine Minderung der Steuerbemessungsgrundlage von Boehringer Ingelheim Pharma. Es setzte daher die Umsatzsteuer nach Maßgabe der nicht verminderten Bemessungsgrundlage fest.

20      Gegen den Bescheid des Finanzamts erhob Boehringer Ingelheim Pharma Klage beim Finanzgericht Rheinland-Pfalz (Deutschland), soweit die Erstattungen an die Unternehmen der privaten Krankenversicherung betroffen waren.

21      Sie brachte vor, dass die gesetzliche Krankenkasse oder das Unternehmen der privaten Krankenversicherung am Ende der Umsatzkette stünden, so dass in beiden Fällen die Steuerbemessungsgrundlage zu vermindern sei. Es komme nicht darauf an, ob Erstattungen oder Preisnachlässe gewährt worden seien, da umsatzsteuerrechtlich die gleiche Behandlung geboten sei.

22      Das Finanzgericht Rheinland-Pfalz gab der Klage von Boehringer Ingelheim Pharma statt. Seiner Ansicht nach hatte das Finanzamt zu Unrecht zwischen den Preisnachlässen für die erstandenen Arzneimittel gegenüber den gesetzlichen Krankenkassen und den Erstattungen beim Arzneimittelerwerb im Rahmen der privaten Krankenversicherung unterschieden.

23      Das Finanzamt legte beim Bundesfinanzhof (Deutschland) Revision gegen das Urteil des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz ein.

24      Das vorlegende Gericht führt aus, dass, wenn ein Hersteller eines Erzeugnisses, der zwar nicht vertraglich mit dem Endverbraucher verbunden sei, aber das erste Glied einer zu diesem führenden Kette von Umsätzen bilde, dem Endverbraucher einen Preisnachlass gewähre, die Besteuerungsgrundlage für die Mehrwertsteuer nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs um diesen Nachlass vermindert werden müsse (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 24. Oktober 1996, Elida Gibbs, C‑317/94, EU:C:1996:400, Rn. 28 und 31, und vom 16. Januar 2014, Ibero Tours, C‑300/12, EU:C:2014:8, Rn. 29).

25      Der Gerichtshof habe jedoch eine Minderung der Besteuerungsgrundlage abgelehnt, wenn ein Reisebüro als Vermittler dem Endverbraucher aus eigenem Antrieb und auf eigene Kosten einen Nachlass auf den Preis der vermittelten Leistung gewähre, die von dem Reiseveranstalter erbracht werde (Urteil vom 16. Januar 2014, Ibero Tours, C‑300/12, EU:C:2014:8, Rn. 33). Der Gerichtshof habe dies in jenem Urteil damit begründet, dass das Reisebüro außerhalb einer Leistungskette vom Reiseveranstalter zum Endverbraucher stehe.

26      Die Rechtsprechung des Gerichtshofs versteht das vorlegende Gericht dahin, dass Preisnachlässe, die ein Unternehmen einem Dritten gewähre, der nicht vertraglich mit ihm verbunden sei, die Besteuerungsgrundlage für die Mehrwertsteuer auf die von dem Unternehmen ausgeführte Leistung nur dann minderten, wenn eine Kette von Umsätzen von dem Unternehmen zu dem abschlagsberechtigten Dritten führe. Danach würden im vorliegenden Fall die Abschläge an Unternehmen der privaten Krankenversicherung die Mehrwertsteuerbemessungsgrundlage für die von Boehringer Ingelheim Pharma erbrachten Lieferungen nicht mindern, da die abschlagsberechtigten Unternehmen der privaten Krankenversicherung außerhalb der Leistungskette stünden, die von diesem Unternehmen zum Endverbraucher führe.

27      Das vorlegende Gericht hält es jedoch für unvereinbar mit dem in Art. 20 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vorgesehenen allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz, dass Abschläge an Unternehmen der privaten Krankenversicherung anders als Abschläge im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung die Besteuerungsgrundlage nicht minderten, obwohl der pharmazeutische Unternehmer durch beide Abschläge in gleicher Weise belastet werde. Es handle sich um vergleichbare Sachverhalte, und das vorlegende Gericht fragt sich deshalb nach der objektiven Rechtfertigung für diese Ungleichbehandlung.

28      Es weist auch darauf hin, dass, während ein Verstoß gegen den Grundsatz der steuerlichen Neutralität nur zwischen konkurrierenden Wirtschaftsteilnehmern in Betracht gezogen werden könne, ein Verstoß gegen den allgemeinen Grundsatz der Gleichbehandlung im Steuerbereich durch andere Arten der Diskriminierung gekennzeichnet sein könne, die Wirtschaftsteilnehmer beträfen, die nicht zwangsläufig miteinander konkurrierten, sich aber trotzdem in einer in anderer Beziehung vergleichbaren Situation befänden (Urteile vom 10. April 2008, Marks & Spencer, C‑309/06, EU:C:2008:211, Rn. 49, und vom 25. April 2013, Kommission/Schweden, C‑480/10, EU:C:2013:263, Rn. 17). Daraus folge, dass der Grundsatz der Gleichbehandlung auf dem Gebiet der Steuern nicht mit dem Grundsatz der steuerlichen Neutralität deckungsgleich sei (Urteil vom 25. April 2013, Kommission/Schweden, C‑480/10, EU:C:2013:263, Rn. 18).

29      Unter diesen Umständen hat der Bundesfinanzhof beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Ist ein pharmazeutischer Unternehmer, der Arzneimittel liefert, auf der Grundlage der Rechtsprechung des Gerichtshofs (Urteil vom 24. Oktober 1996, Elida Gibbs, C‑317/94, EU:C:1996:400, Rn. 28 und 31) und unter Berücksichtigung des unionsrechtlichen Grundsatzes der Gleichbehandlung zu einer Minderung der Bemessungsgrundlage nach Art. 90 der Mehrwertsteuerrichtlinie berechtigt, wenn

–        er diese Arzneimittel über Großhändler an Apotheken liefert,

–        die Apotheken steuerpflichtig an privat Krankenversicherte liefern,

–        der Versicherer der Krankheitskostenversicherung (das Unternehmen der privaten Krankenversicherung) seinen Versicherten die Kosten für den Bezug der Arzneimittel erstattet und

–        der pharmazeutische Unternehmer aufgrund einer gesetzlichen Regelung zur Zahlung eines „Abschlags“ an das Unternehmen der privaten Krankenversicherung verpflichtet ist?

 Zur Vorlagefrage

30      Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob im Licht der vom Gerichtshof im Urteil vom 24. Oktober 1996, Elida Gibbs (C-317/94, EU:C:1996:400, Rn. 28 und 31), aufgestellten Grundsätze zur Bestimmung der Mehrwertsteuerbemessungsgrundlage und unter Berücksichtigung des unionsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes Art. 90 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen ist, dass der Abschlag, den ein pharmazeutisches Unternehmen aufgrund einer nationalen Gesetzesregelung einem Unternehmen der privaten Krankenversicherung gewährt, im Sinne dieses Artikels zu einer Minderung der Steuerbemessungsgrundlage für dieses pharmazeutische Unternehmen führt, wenn es Arzneimittel über Großhändler an Apotheken liefert, die die Arzneimittel an privat Krankenversicherte liefern, denen von der privaten Krankenversicherung die Kosten für den Bezug der Arzneimittel erstattet werden.

31      Zur Beantwortung dieser Frage ist zunächst an Art. 73 der Mehrwertsteuerrichtlinie zu erinnern, nach dem die Steuerbemessungsgrundlage bei der Lieferung von Gegenständen und Dienstleistungen alles umfasst, was den Wert der Gegenleistung bildet, die der Lieferer oder Dienstleistungserbringer für diese Umsätze vom Erwerber oder Dienstleistungsempfänger oder einem Dritten erhält oder erhalten soll, einschließlich der unmittelbar mit dem Preis dieser Umsätze zusammenhängenden Subventionen.

32      Sodann ist auch daran zu erinnern, dass Art. 90 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie, der die Fälle der Annullierung, der Rückgängigmachung, der Auflösung, der vollständigen oder teilweisen Nichtbezahlung oder des Preisnachlasses nach der Bewirkung des Umsatzes betrifft, die Mitgliedstaaten verpflichtet, die Steuerbemessungsgrundlage und mithin den Betrag der vom Steuerpflichtigen geschuldeten Mehrwertsteuer immer dann zu vermindern, wenn der Steuerpflichtige nach der Bewirkung eines Umsatzes die gesamte Gegenleistung oder einen Teil davon nicht erhält. Diese Bestimmung ist Ausdruck eines fundamentalen Grundsatzes der Mehrwertsteuerrichtlinie, nach dem Bemessungsgrundlage die tatsächlich erhaltene Gegenleistung ist und aus dem folgt, dass die Steuerverwaltung als Mehrwertsteuer keinen Betrag erheben darf, der den dem Steuerpflichtigen gezahlten übersteigt (Urteil vom 15. Mai 2014, Almos Agrárkülkereskedelmi, C‑337/13, EU:C:2014:328, Rn. 22 und die dort angeführte Rechtsprechung).

33      Schließlich hat der Gerichtshof entschieden, dass eines der Grundprinzipien, auf denen das Mehrwertsteuersystem beruht, die Neutralität in dem Sinne ist, dass gleichartige Waren innerhalb der einzelnen Länder ungeachtet der Länge des Produktions- und Vertriebswegs steuerlich gleich belastet werden (Urteil vom 24. Oktober 1996, Elida Gibbs, C‑317/94, EU:C:1996:400, Rn. 20).

34      Im vorliegenden Fall ergibt sich aus dem Vorlagebeschluss, dass das pharmazeutische Unternehmen den Unternehmen der privaten Krankenversicherung nach dem nationalen Recht für verschreibungspflichtige Arzneimittel, deren Kosten sie ganz oder teilweise erstattet haben, nach dem Anteil der Kostentragung Abschläge entsprechend denjenigen gewähren muss, die für die gesetzlichen Krankenkassen vorgesehen sind. Die Finanzverwaltung erkennt diesen Abschlag nicht als Minderung der Steuerbemessungsgrundlage an.

35      Aufgrund dieser Regelung konnte Boehringer Ingelheim Pharma somit über einen Betrag verfügen, der dem Preis für den Verkauf dieser Arzneimittel an die Apotheken abzüglich des besagten Abschlags entspricht. Es stünde deshalb nicht in Einklang mit der Mehrwertsteuerrichtlinie, wenn der Betrag, der als Bemessungsgrundlage für die von dem pharmazeutischen Unternehmen als Steuerpflichtigem geschuldete Mehrwertsteuer dient, höher wäre als der Betrag, den es letztlich erhalten hat. Andernfalls wäre der Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer gegenüber den Steuerpflichtigen, zu denen das pharmazeutische Unternehmen gehört, nicht gewahrt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 24. Oktober 1996, Elida Gibbs, C‑317/94, EU:C:1996:400, Rn. 28).

36      Folglich muss die Steuerbemessungsgrundlage, die für Boehringer Ingelheim Pharma als Steuerpflichtige zur Anwendung kommt, von dem Betrag gebildet werden, der dem Preis entspricht, zu dem sie die Arzneimittel an die Apotheken verkauft hat, abzüglich des Abschlags, der gegenüber den Unternehmen der privaten Krankenversicherung anfällt, wenn diese ihren Versicherten deren Kosten für den Bezug der Arzneimittel erstattet haben.

37      Zwar hat der Gerichtshof in Rn. 31 des Urteils vom 24. Oktober 1996, Elida Gibbs (C‑317/94, EU:C:1996:400), entschieden, dass Art. 11 Teil C Abs. 1 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. 1977, L 145, S. 1, im Folgenden: Sechste Richtlinie), der Art. 90 der Mehrwertsteuerrichtlinie entspricht, den üblichen Fall vertraglicher Beziehungen betrifft, die unmittelbar zwischen zwei Vertragsparteien zustande kommen und nachträglich eine Änderung erfahren.

38      Insoweit ist jedoch erstens festzustellen, dass der Gerichtshof an genau gleicher Stelle klargestellt hat, dass diese Bestimmung den Grundsatz der Neutralität zum Ausdruck bringt und demzufolge ihre Anwendung nicht die Verwirklichung dieses Grundsatzes beeinträchtigen darf (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 24. Oktober 1996, Elida Gibbs, C‑317/94, EU:C:1996:400, Rn. 31).

39      Zweitens setzt die Anwendbarkeit von Art. 90 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs keine nachträgliche Änderung der Vertragsbeziehungen voraus. Diese Bestimmung verpflichtet die Mitgliedstaaten nämlich grundsätzlich dazu, die Steuerbemessungsgrundlage jedes Mal dann zu vermindern, wenn der Steuerpflichtige nach Bewirkung eines Umsatzes die gesamte Gegenleistung oder einen Teil davon nicht erhält. Außerdem ist nichts dafür ersichtlich, dass der Gerichtshof im Urteil vom 24. Oktober 1996, Elida Gibbs (C‑317/94, EU:C:1996:400), den Anwendungsbereich von Art. 11 Teil C Abs. 1 der Sechsten Richtlinie, der Art. 90 der Mehrwertsteuerrichtlinie entspricht, einschränken wollte. Vielmehr ergibt sich aus dem jener Rechtssache zugrunde liegenden Sachverhalt, dass keine Änderung der vertraglichen Beziehungen erfolgt war. Gleichwohl befand der Gerichtshof, dass Art. 11 Teil C Abs. 1 der Sechsten Richtlinie anwendbar war (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 29. Mai 2001, Freemans, C‑86/99, EU:C:2001:291, Rn. 33).

40      Im Übrigen kann der Umstand, dass im Ausgangsverfahren nicht das Unternehmen der privaten Krankenversicherung, das eine Erstattung an die Versicherten erbringt, sondern die Versicherten selbst unmittelbare Empfänger der fraglichen Arzneimittellieferungen sind, den unmittelbaren Zusammenhang zwischen der getätigten Lieferung von Gegenständen und der empfangenen Gegenleistung nicht beseitigen (vgl. entsprechend Urteil vom 27. März 2014, Le Rayon d’Or, C‑151/13, EU:C:2014:185, Rn. 35).

41      Wie nämlich der Generalanwalt in den Nrn. 44 und 45 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, sind die beim Kauf der Arzneimittel geleisteten Zahlungen als Gegenleistung eines Dritten im Sinne des Art. 73 der Mehrwertsteuerrichtlinie anzusehen, wenn die betreffenden Dritten, also die Versicherten, Erstattung von den Unternehmen der privaten Krankenversicherung begehren und Letztere gemäß der nationalen Regelung den Abschlag erhalten, den ihnen das pharmazeutische Unternehmen gewähren muss. Somit sind die Unternehmen der privaten Krankenversicherung in Anbetracht der Umstände des Ausgangsverfahrens als Endverbraucher einer Lieferung durch ein mehrwertsteuerpflichtiges pharmazeutisches Unternehmen anzusehen, so dass der von der Finanzverwaltung erhobene Betrag den vom Endverbraucher gezahlten Betrag nicht übersteigen darf (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 24. Oktober 1996, Elida Gibbs, C‑317/94, EU:C:1996:400, Rn. 24).

42      Demzufolge ist festzustellen, dass im Ausgangsverfahren tatsächlich ein Preisnachlass nach der Bewirkung des Umsatzes im Sinne des Art. 90 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie gegeben ist, da der Steuerpflichtige wegen des Abschlags, den er den Unternehmen der privaten Krankenversicherung gewährt hat, einen Teil der Gegenleistung nicht erhalten hat.

43      Außerdem ist zu dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Abschlag festzustellen, dass er gesetzlich festgelegt ist und den Unternehmen der privaten Krankenversicherung, die ihren Versicherten deren Kosten für den Bezug von Arzneimitteln erstattet haben, von dem pharmazeutischen Unternehmen zwingend gewährt wird. Wie oben in Rn. 35 festgestellt, konnte das pharmazeutische Unternehmen unter diesen Umständen über den beim Verkauf seiner Erzeugnisse an die Apotheken oder Großhändler eingenommenen Gesamtpreis nicht frei verfügen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. Juli 2012, International Bingo Technology, C‑377/11, EU:C:2012:503, Rn. 31).

44      Der Gerichtshof entschied insoweit in Rn. 28 des Urteils vom 19. Juli 2012, International Bingo Technology (C‑377/11, EU:C:2012:503), in Bezug auf eine gesetzliche Verpflichtung hinsichtlich der bei einem Bingospiel auszuschüttenden Gewinne, dass der Teil des Verkaufspreises der Coupons, der als Gewinne an die Spieler ausgeschüttet wird, soweit er im Vorhinein feststeht und zwingend ist, nicht als Bestandteil der Gegenleistung angesehen werden kann, die der Spielveranstalter für die von ihm erbrachte Leistung erhält.

45      Auch wenn sich die Analyse des Gerichtshofs in jenem Urteil auf die Auslegung von Art. 73 der Mehrwertsteuerrichtlinie bezog, kann die dort gegebene Auslegung des in dieser Bestimmung vorgesehenen Begriffs „Gegenleistung“, wie vom Generalanwalt in Nr. 42 seiner Schlussanträge ausgeführt, auf die in Art. 90 der Mehrwertsteuerrichtlinie gebrauchte Wendung „[i]m Falle … des Preisnachlasses“ übertragen werden, da es in beiden Bestimmungen darum geht, was zur Steuerbemessungsgrundlage gehört.

46      Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass im Licht der vom Gerichtshof im Urteil vom 24. Oktober 1996, Elida Gibbs (C‑317/94, EU:C:1996:400, Rn. 28 und 31), aufgestellten Grundsätze zur Bestimmung der Mehrwertsteuerbemessungsgrundlage und unter Berücksichtigung des unionsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes Art. 90 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen ist, dass der Abschlag, den ein pharmazeutisches Unternehmen aufgrund einer nationalen Gesetzesregelung einem Unternehmen der privaten Krankenversicherung gewährt, im Sinne dieses Artikels zu einer Minderung der Steuerbemessungsgrundlage für dieses pharmazeutische Unternehmen führt, wenn es Arzneimittel über Großhändler an Apotheken liefert, die die Arzneimittel an privat Krankenversicherte liefern, denen von der privaten Krankenversicherung die Kosten für den Bezug der Arzneimittel erstattet werden.

 Kosten

47      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Fünfte Kammer) für Recht erkannt:

Im Licht der vom Gerichtshof der Europäischen Union im Urteil vom 24. Oktober 1996, Elida Gibbs (C‑317/94, EU:C:1996:400, Rn. 28 und 31), aufgestellten Grundsätze zur Bestimmung der Mehrwertsteuerbemessungsgrundlage und unter Berücksichtigung des unionsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes ist Art. 90 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem dahin auszulegen, dass der Abschlag, den ein pharmazeutisches Unternehmen aufgrund einer nationalen Gesetzesregelung einem Unternehmen der privaten Krankenversicherung gewährt, im Sinne dieses Artikels zu einer Minderung der Steuerbemessungsgrundlage für dieses pharmazeutische Unternehmen führt, wenn es Arzneimittel über Großhändler an Apotheken liefert, die die Arzneimittel an privat Krankenversicherte liefern, denen von der privaten Krankenversicherung die Kosten für den Bezug der Arzneimittel erstattet werden.

Da Cruz Vilaça           Levits           Borg Barthet

Berger                                     Biltgen

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 20. Dezember 2017.

Der Kanzler            Der Präsident der Fünften Kammer

A. Calot Escobar                     J. L. da Cruz Vilaça

*      Verfahrenssprache: Deutsch.

---------------------------------------------------------------------


SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

EVGENI TANCHEV

vom 11. Juli 2017(1)

Rechtssache C‑462/16

Finanzamt Bingen-Alzey

gegen

Boehringer Ingelheim Pharma GmbH & Co. KG

(Vorabentscheidungsersuchen des Bundesfinanzhofs [Deutschland])

„Mehrwertsteuer – Lieferung von Arzneimitteln vom Hersteller an Einzelhändler über Großhändler – Art. 73 und 90 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem – Steuerbemessungsgrundlage – Gesetzliche Verpflichtung für den Hersteller, einen an den Verkaufspreis gekoppelten Abschlag zu gewähren – Steuerbehörde eines Mitgliedstaats, die den Abschlag bei Lieferungen, bei denen gesetzliche (öffentlich-rechtliche) Krankenkassen, nicht aber Unternehmen der privaten Krankenversicherung involviert sind, als Preisnachlass behandelt – In der Rechtssache Elida Gibbs, C‑317/94, herausgearbeitete Grundsätze – Grundsatz der Gleichbehandlung“

I.      Einleitung

1.        Die Boehringer Ingelheim Pharma GmbH & Co. KG (im Folgenden: Boehringer) ist ein am Anfang einer Leistungskette stehender Arzneimittelhersteller, der nach deutschem Recht gesetzlich verpflichtet ist, nach der Bewirkung des Umsatzes einen an den Preis seiner Produkte gekoppelten Abschlag zu gewähren. Im Ausgangsverfahren ist zu klären, ob es mit dem Unionsrecht vereinbar ist, wenn das Finanzamt Bingen-Alzey (im Folgenden: Steuerbehörde des Mitgliedstaats) Boehringer bei der Berechnung der Bemessungsgrundlage für Mehrwertsteuerzwecke die Berücksichtigung dieses Preisabschlags bei Arzneimittellieferungen im Kontext gesetzlicher, nicht aber privater Krankenversicherung gestattet.

2.        Dies ist die Frage, die im Vorlagebeschluss des Bundesfinanzhofs (Deutschland) aufgeworfen wird und die eine Auslegung von Art. 90 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem erforderlich macht(2). Nach Ansicht des Bundesfinanzhofs ist das Urteil Elida Gibbs(3)des Gerichtshofs von zentraler Bedeutung für die Entscheidung des Rechtsstreits. Dort wurde entschieden, dass Preisnachlässe, die ein am Anfang einer Leistungskette stehendes Unternehmen dem Endverbraucher seiner Erzeugnisse in der gleichen Leistungskette über ein System gewährte, bei dem der Endverbraucher für einen Teil des Preises Gutscheine vorlegte, die Bemessungsgrundlage für die Mehrwertsteuer auf die von diesem Unternehmen bewirkte Lieferung verminderten, auch wenn es zwischen ihm und dem Endverbraucher keine Vertragsbeziehung gab.

3.        Nach den Ausführungen des nationalen Gerichts, das das Vorabentscheidungsersuchen vorgelegt hat, sind gesetzliche Krankenkassen in der Leistungskette, in der die Arzneimittel von Boehringer weitergereicht werden, Endverbraucher. Unternehmen der privaten Krankenversicherung sind es nicht. Rechtfertigt dieser Unterschied die ablehnende Haltung der Finanzverwaltung des Mitgliedstaats zur Minderung der Steuerbemessungsgrundlage bei der letztgenannten Art von Lieferung?

4.        Ich bin zu dem Ergebnis gekommen, dass dem nicht so ist.

II.    Rechtlicher Rahmen

A.      Unionsrecht

5.        Art. 73 der Richtlinie 2006/112 lautet:

„Bei der Lieferung von Gegenständen und Dienstleistungen, die nicht unter die Artikel 74 bis 77 fallen, umfasst die Steuerbemessungsgrundlage alles, was den Wert der Gegenleistung bildet, die der Lieferer oder Dienstleistungserbringer für diese Umsätze vom Erwerber oder Dienstleistungsempfänger oder einem Dritten erhält oder erhalten soll, einschließlich der unmittelbar mit dem Preis dieser Umsätze zusammenhängenden Subventionen.“

6.        Art. 90 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 bestimmt:

„Im Falle der Annullierung, der Rückgängigmachung, der Auflösung, der vollständigen oder teilweisen Nichtbezahlung oder des Preisnachlasses nach der Bewirkung des Umsatzes wird die Steuerbemessungsgrundlage unter den von den Mitgliedstaaten festgelegten Bedingungen entsprechend vermindert.“

B.      Nationales Recht

1.      Umsatzsteuerrecht

7.        Nach § 10 Abs. 1 Satz 2 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) ist Entgelt alles, was der Leistungsempfänger aufwendet, um die Leistung zu erhalten, jedoch abzüglich der Umsatzsteuer.

8.        Gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 UStG hat der Unternehmer, der den Umsatz ausgeführt hat, wenn sich die Bemessungsgrundlage für einen steuerpflichtigen Umsatz ändert, den dafür geschuldeten Steuerbetrag zu berichtigen.

2.      Krankenversicherungsrecht

9.        Die (gesetzlichen) Krankenkassen stellen nach § 2 Abs. 1 Satz 1 des Fünften Buchs Sozialgesetzbuch (SGB V) ihren Versicherten die gesetzlich vorgesehenen Leistungen zur Verfügung. Nach § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB V erhalten die Versicherten die Leistungen grundsätzlich als Sach- und Dienstleistungen. Über die Erbringung der Sach- und Dienstleistungen schließen die Krankenkassen nach § 2 Abs. 2 Satz 3 SGB V Verträge mit den Leistungserbringern wie Apotheken. Nach § 129 SGB V besteht zwischen dem Spitzenverband der Krankenkassen und dem Spitzenverband der Apotheken ein Rahmenvertrag über die Arzneimittelversorgung.

10.      Die Krankenkassen erhalten nach § 130a Abs. 1 Sätze 1 bis 4 SGB V von Apotheken für zu ihren Lasten abgegebene Arzneimittel einen Abschlag in Höhe von grundsätzlich 7 % des Abgabepreises des pharmazeutischen Unternehmers ohne Mehrwertsteuer. Pharmazeutische Unternehmer wie Boehringer sind verpflichtet, den Apotheken den Abschlag zu erstatten.

11.      Weitere Bestimmungen des § 130a SGB V regeln die Zahlungsfrist sowie die Höhe des Abschlags in Sonderfällen.

12.      Demgegenüber bezahlen Privatversicherte die Arzneimittel von Boehringer in den Apotheken selbst und beantragen dann bei dem Unternehmen der privaten Krankenversicherung, bei dem sie versichert sind, die Erstattung ihrer Kosten.

13.      Für verschreibungspflichtige Arzneimittel müssen pharmazeutische Unternehmer wie Boehringer jedoch den Unternehmen der privaten Krankenversicherung nach § 1 des Gesetzes über Rabatte für Arzneimittel (AMRabG) vom 22. Dezember 2010 einen Abschlag gewähren, wenn diese Unternehmen Privatversicherten die Kosten für solche Arzneimittel ganz oder teilweise erstatten. Ausweislich des Vorlagebeschlusses wird der Abschlag, den Unternehmen der privaten Krankenversicherung von Unternehmen wie Boehringer erhalten, nach dem Anteil der Kostentragung entsprechend § 130a Abs. 1, 1a, 2, 3, 3a und 3b SGB V gewährt.

14.      Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs mindern Abschläge, die Unternehmen wie Boehringer Apotheken und Großhändlern im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung gewähren, die umsatzsteuerrechtliche Bemessungsgrundlage.

III. Sachverhalt des Ausgangsverfahrens und Vorlagefrage

15.      Boehringer ist ein pharmazeutisches Unternehmen, das Arzneimittel herstellt und sie steuerpflichtig über Großhändler an Apotheken liefert. So geschah es auch im Jahr 2011, dem Streitjahr.

16.      In Deutschland geben die Apotheken die Arzneimittel von Boehringer an gesetzlich Krankenversicherte aufgrund eines Rahmenvertrags mit dem Spitzenverband der Krankenkassen ab. Die Arzneimittel werden an die Krankenkassen geliefert und von diesen ihren Versicherten zur Verfügung gestellt. Die Apotheken gewähren den Krankenkassen einen Abschlag auf den Arzneimittelpreis. Diesen Abschlag muss Boehringer als pharmazeutisches Unternehmen den Apotheken – oder bei Einschaltung von Großhändlern diesen – nach § 130a Abs. 1 SGB V erstatten. Die Finanzverwaltung behandelt den Abschlag umsatzsteuerrechtlich als Entgeltminderung.

17.      Arzneimittel für privat Krankenversicherte geben die Apotheken aufgrund von Einzelverträgen mit diesen Versicherten ab. Anders als die Krankenkassen sind Unternehmen der privaten Krankenversicherung nicht selbst Abnehmer der Arzneimittel, sondern erstatten ihren Versicherten lediglich die diesen beim Kauf von Arzneimitteln entstandenen Kosten. Pharmazeutische Unternehmen wie Boehringer müssen dann nach § 1 AMRabG dem Unternehmen der privaten Krankenversicherung einen Abschlag auf den Arzneimittelpreis gewähren. Die Finanzverwaltung erkennt diesen Abschlag umsatzsteuerrechtlich nicht als Entgeltminderung an. Beansprucht ein Privatversicherter keine Erstattung, müssen Unternehmen wie Boehringer auch keinen Abschlag nach § 1 AMRabG in Verbindung mit § 130a SGB V zahlen(4).

18.      Im Jahr 2011 gewährte Boehringer Unternehmen der privaten Krankenversicherung die vorgeschriebenen Abschläge und berücksichtigte sie gleichwohl in ihrer Umsatzsteuererklärung als Änderung der Bemessungsgrundlage für die von ihr ausgeführten Arzneimittellieferungen an Arzneimittelhändler. Die Steuerbehörde des Mitgliedstaats erließ aufgrund einer Umsatzsteuer-Sonderprüfung einen geänderten Umsatzsteuerbescheid, in dem diese Abschläge nicht entgeltmindernd berücksichtigt waren. Ein dagegen von Boehringer eingelegter Einspruch blieb erfolglos.

19.      Boehringer erhob daraufhin Klage beim Finanzgericht. Dieses änderte zur Berücksichtigung des den Unternehmen der privaten Krankenversicherung nach Bewirkung des Umsatzes gewährten Abschlags den Umsatzsteuerbescheid dahin, dass die Umsätze zugunsten von Boehringer gemäß der Umsatzsteuer-Jahreserklärung angesetzt wurden. Die Steuerbehörde des Mitgliedstaats legte gegen das Urteil des Finanzgerichts Revision an den Bundesfinanzhof ein.

20.      Der Fünfte Senat des Bundesfinanzhofs hat die folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Ist ein pharmazeutischer Unternehmer, der Arzneimittel liefert, auf der Grundlage der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (Urteil vom 24. Oktober 1996, Elida Gibbs, C‑317/94, EU:C:1996:400, Rn. 28 und 31) und unter Berücksichtigung des unionsrechtlichen Grundsatzes der Gleichbehandlung zu einer Minderung der Bemessungsgrundlage nach Art. 90 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem berechtigt, wenn

–        er diese Arzneimittel über Großhändler an Apotheken liefert,

–        die Apotheken steuerpflichtig an privat Krankenversicherte liefern,

–        der Versicherer der Krankheitskostenversicherung (das Unternehmen der privaten Krankenversicherung) seinen Versicherten die Kosten für den Bezug der Arzneimittel erstattet und

–        der pharmazeutische Unternehmer aufgrund einer gesetzlichen Regelung zur Zahlung eines „Abschlags“ an das Unternehmen der privaten Krankenversicherung verpflichtet ist?

21.      Schriftliche Erklärungen sind beim Gerichtshof von Boehringer, der deutschen Regierung und der Regierung des Vereinigten Königreichs sowie der Europäischen Kommission eingereicht worden. Eine mündliche Verhandlung hat nicht stattgefunden.

IV.    Zusammenfassung des Vorbringens

A.      Boehringer und Kommission

22.      Boehringer und die Kommission machen einen objektiv nicht gerechtfertigten Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung geltend. Boehringer führt dabei konkret Art. 20 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union an.

23.      Unabhängig davon bringt Boehringer vor, dass sich das gleiche Ergebnis auch aus Art. 73 der Richtlinie 2006/112 in seiner Auslegung im Licht des Urteils Glawe(5) des Gerichtshofs ergebe. In jener Rechtssache entschied der Gerichtshof, dass bei Geldspielautomaten, die aufgrund zwingender gesetzlicher Vorschriften so eingestellt waren, dass durchschnittlich mindestens 60 % der Spieleinsätze als Gewinne ausgezahlt wurden, die vom Betreiber für die Bereitstellung der Automaten tatsächlich erhaltene Gegenleistung im Sinne der Vorgängerbestimmung von Art. 73 der Richtlinie 2006/112(6) nur in dem Teil der Einsätze bestand, über den der Betreiber effektiv selbst verfügen konnte(7).

24.      Für Boehringer bedeutet das, dass ihr Abschlag gegenüber Unternehmen der privaten Krankenversicherung ebenso berücksichtigt werden müsse, da der Rabattbetrag zweifelsfrei sei und von vornherein feststehe und sie nach deutschem Recht einen bestimmten Anteil des Verkaufspreises ihrer Arzneimittel an Unternehmen der privaten Krankenversicherung erstatten müsse.

25.      Boehringer und die Kommission berufen sich auch auf Art. 90 der Richtlinie 2006/112, wie er in der Rechtssache Elida Gibbs ausgelegt worden sei, und treten einer Argumentation, wie sie von Deutschland und dem Vereinigten Königreich in ihren jeweiligen schriftlichen Erklärungen vorgebracht wird, entgegen, wonach gemäß den Entscheidungen in der Rechtssache Elida Gibbs und in nachfolgenden Rechtssachen wie der (nachstehend in den Nrn. 35 bis 39 erörterten) Rechtssache Ibero Tours(8)Zahlungen an ein Rechtssubjekt außerhalb einer Leistungskette – wie ein Unternehmen der privaten Krankenversicherung – nicht als Preisnachlass nach der Bewirkung des Umsatzes im Sinne von Art. 90 der Richtlinie 2006/112 angesehen werden könnten.

26.      Für Boehringer und die Kommission muss das Rechtssubjekt, das dem Endverbraucher den Preisnachlass anbiete, nicht am Anfang der Wertschöpfungskette stehen. Wesentlich für die Bestimmung der Steuerbemessungsgrundlage sei, was der Leistende tatsächlich erhalte, und nicht, was der Leistungsempfänger aufgewendet habe(9). Sowohl Boehringer als auch die Kommission berufen sich auf den Grundsatz der steuerlichen Neutralität(10). Die Kommission stellt fest, dass sich die Unternehmen der privaten Krankenversicherung und die Krankenkassen vom wirtschaftlichen Standpunkt aus betrachtet in keiner unterschiedlichen Position befänden.

27.      Die Kommission trägt auch vor, dass mit dem deutschen Gesetz über Rabatte für Arzneimittel eine Gleichbehandlung von Krankenkassen und von Unternehmen der privaten Krankenversicherung sichergestellt werden solle(11). Dies müsse dann zwangsläufig auch auf die mehrwertsteuerliche Behandlung durchschlagen.

B.      Deutschland und Vereinigtes Königreich

28.      Wie schon erwähnt, sind sowohl Deutschland als auch das Vereinigte Königreich der Ansicht, dass die Elida-Gibbs-Rechtsprechung, wonach sinngemäß zwischen dem Endverbraucher und einem Steuerpflichtigen keine Vertragsbeziehung bestehen muss, damit Preisabschläge des Letzteren gegenüber dem Ersteren bei der Berechnung der Steuerbemessungsgrundlage berücksichtigt werden können, unter dem Vorbehalt stehe, dass der Steuerpflichtige Glied einer Umsatzkette sei, die beim Endverbraucher ende. Deutschland und das Vereinigte Königreich sehen diese Analyse in der Entscheidung des Gerichtshofs in der (nachstehend in den Nrn. 35 bis 39 erörterten) Rechtssache Ibero Tours(12) bestätigt, und das Vereinigte Königreich weist darüber hinaus darauf hin, dass die Grundsätze der Elida-Gibbs-Rechtsprechung in der Rechtssache Kommission/Deutschland(13) bekräftigt worden seien.

29.      Beide weisen darauf hin, dass eine Berücksichtigung nur erfolgen könne, wenn es zwischen den gelieferten Gegenständen und dem erhaltenen Gegenwert einen unmittelbaren Zusammenhang gebe(14). Ein solcher Zusammenhang bestehe im Verhältnis zwischen Boehringer und den Unternehmen der privaten Krankenversicherung nicht. Art. 73 der Richtlinie 2006/112 müsse im Einklang mit dem Grundprinzip ausgelegt werden, dass nur der Endverbraucher durch das Mehrwertsteuersystem belastet werden solle(15). Die Steuerbemessungsgrundlage bestehe aus der vom Steuerpflichtigen tatsächlich erhaltenen Gegenleistung und nicht einem nach objektiven Kriterien geschätzten Wert(16). Deutschland führt aus, dass in Bezug auf die Gegenleistung nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs das Bestehen einer Vereinbarung zwischen den Parteien über einen Austausch gegenseitiger Leistungen entscheidend sei, wobei das Entgelt, das die eine Partei erhalte, den tatsächlichen Gegenwert des der anderen Partei gelieferten Gegenstands darstelle(17). Somit bleibe die von Boehringer erhaltene Gegenleistung bei Lieferungen an Privatversicherte die Summe, die sie von den unmittelbaren Abnehmern in der Leistungskette erhalte, also je nach Fall den Apotheken oder den Großhändlern.

30.      Das Vereinigte Königreich fügt hinzu, dass die Zahlungen von Boehringer nicht als Subventionen im Sinne des Art. 73 der Richtlinie 2006/112 angesehen werden könnten(18) und dass Art. 90 der Richtlinie 2006/112 nicht auf einen Sachverhalt anwendbar sei, bei dem ein Lieferer nach dem nationalen Recht zur Entrichtung von Beiträgen, Gebühren oder Abgaben verpflichtet sei (um z. B. die private Bereitstellung von Krankenversicherung zu unterstützen). Unternehmen der privaten Krankenversicherung seien keine Erwerber oder Dritte. Deutschland weist darauf hin, dass Art. 79 Buchst. b der Richtlinie 2006/112, nach dem Rabatte und Rückvergütungen auf den Preis, die dem Erwerber oder Dienstleistungsempfänger eingeräumt werden und die er zu dem Zeitpunkt erhält, zu dem der Umsatz bewirkt wird, nicht in die Steuerbemessungsgrundlage einzubeziehen sind, für das Ausgangsverfahren nicht einschlägig sei. Das Ausgangsverfahren ähnele Rechtsstreitigkeiten, in denen der Gerichtshof entschieden habe, dass bei Kaufgeschäften, bei denen per Kreditkarte bezahlt werde, Steuerbemessungsgrundlage der volle Kaufpreis bleibe, wenn der Steuerpflichtige vom Kreditinstitut im Gegenzug für die Dienstleistung der Abwicklung über Kreditkarte einen niedrigeren Betrag akzeptiere(19).

31.      Hinsichtlich des in den Raum gestellten Verstoßes gegen das Gleichbehandlungsgebot und die steuerliche Neutralität sind Deutschland und das Vereinigte Königreich der Ansicht, dass der Abschlag, den Boehringer den Apotheken (und gegebenenfalls den Großhändlern) im Zusammenhang mit der Abgabe von Arzneimitteln über die Krankenkassen zahle, nicht mit dem Abschlag vergleichbar sei, den Boehringer an Unternehmen der privaten Krankenversicherung zahle(20). Deutschland fügt hinzu, Wettbewerbsverzerrungen drohten nicht. Arzneimittel, die an gesetzlich Krankenversicherte abgegeben würden, stünden in keinem Wettbewerbsverhältnis zu Arzneimitteln, die an Privatversicherte ausgegeben würden. Da beide Sachverhalte nicht miteinander vergleichbar seien, könne die Frage der objektiven Rechtfertigung dahingestellt bleiben. Das Vereinigte Königreich bringt vor, die Entscheidung, die der Unionsgesetzgeber in der Frage getroffen habe, wie die Lieferungen zu behandeln seien, müsse respektiert werden.

32.      Es fügt hinzu, dass der Grundsatz der steuerlichen Neutralität, der das gemeinsame Mehrwertsteuersystem widerspiegele und auf die Besteuerung nur des Endverbrauchers abziele, keine Regel des Primärrechts sei, anhand deren allein die Steuerbemessungsgrundlage im Sinne der Art. 73 und 90 der Richtlinie 2006/112 bestimmt werden könne(21).

V.      Würdigung

33.      Die Vorlagefrage ist aus folgenden Gründen zu bejahen.

34.      Meiner Ansicht nach liegt die Rechtsfortbildung in der Rechtssache ElidaGibbs im Kern allein in der Feststellung, dass ein Steuerpflichtiger mit dem unmittelbar Rabattbegünstigten nicht vertraglich verbunden sein muss, damit ein Preisnachlass nach der Bewirkung des Umsatzes im Sinne des Art. 90 der Richtlinie 2006/112 gegeben sein kann(22). Dann kommt es im Ausgangsverfahren für die Anwendbarkeit von Art. 90 der Richtlinie 2006/112 aber auch nicht darauf an, dass zwischen Boehringer und den Unternehmen der privaten Krankenversicherung, denen sie gemäß deutschem Recht nach dem Kaufgeschäft einen an den Preis gekoppelten Abschlag gewähren muss, keine Vertragsbeziehung besteht.

35.      Ich kann auch der Entscheidung des Gerichtshofs in der Rechtssache Ibero Tours(23) nicht entnehmen, dass ausdrücklich festgestellt oder zwingend davon ausgegangen worden wäre, dass die in der Rechtssache Elida Gibbs aufgestellte Regel nur dann Anwendung findet, wenn der Rabattempfänger der Endverbraucher in einer Leistungskette ist, an deren Anfang der den Rabatt gewährende Steuerpflichtige steht. In der Tat hat der Gerichtshof festgestellt, dass sich in der Entscheidung in der Rechtssache Elida Gibbs kein Hinweis darauf findet, dass sie eng ausgelegt werden sollte, und dass das Urteil dem Wortlaut von Art. 11 Teil C Abs. 1 der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie (jetzt Art. 90 der Richtlinie 2006/112) folgt(24), der keine nachträgliche Änderung der vertraglichen Beziehungen voraussetzt(25).

36.      Ibero Tours, die Steuerpflichtige in jener Rechtssache, war ein Reisebüro, das Dienstleistungen als Vermittler zwischen Reiseveranstaltern und deren Kunden (im Folgenden: Reisende) erbrachte. Anders als im vorliegenden Fall, in dem eine Leistungskette gegeben ist, war dies mit einer einzigen Leistung verbunden. Ibero Tours erhielt von den Reiseveranstaltern eine Provision für ihre Vermittlungsleistungen im Rahmen dieser einzigen Leistung und setzte einen Teil davon ein, um Reisende praktisch zu bezuschussen, so dass der vom Reiseveranstalter erhaltene Betrag höher war als der von den Reisenden gezahlte. Ibero Tours argumentierte auf der Grundlage der Elida-Gibbs-Rechtsprechung, dass bei der Berechnung der Steuerbemessungsgrundlage für ihre Umsätze die Preisnachlässe, die sie denReisenden gewähre, von der Provision abgezogen werden müssten, die sie von den Reiseveranstaltern erhalte.

37.      Im Wesentlichen wurde die Argumentation von Ibero Tours zurückgewiesen, weil der Gerichtshof befand, dass sie nur Vermittler eines einzigen Umsatzes und nicht Teil einer Umsatzkette war. Der Gerichtshof wies in der Rechtssache Ibero Tours darauf hin, dass die Gegenleistung, die der am Anfang der Leistungskette stehende Steuerpflichtige in der Rechtssache Elida Gibbs erhalten hatte, in der Tat um den Nachlass vermindert wurde, den dieser Steuerpflichtige dem Endverbraucher über ein Gutscheinsystem unmittelbar gewährt hatte(26), während Ibero Tours dem Reiseveranstalter den vereinbarten Preis für seine Reiseleistungen unabhängig von einem etwaigen Rabatt, den sie dem Reisenden zu gewähren beschloss, zahlen musste(27). Eine Auswirkung auf die Gegenleistung, die Ibero Tours für ihre Vermittlungsleistung erhielt, war ebenfalls nicht gegeben. Dementsprechend führte gemäß Art. 11 Teil A Abs. 1 Buchst. a der Sechsten Richtlinie (jetzt Art. 73 der Richtlinie 2006/112) ein solcher Preisnachlass weder bei dem vermittelten Umsatz noch bei der vom Reisebüro erbrachten Dienstleistung zu einer Minderung der Steuerbemessungsgrundlage(28).

38.      Daher verstehe ich die Bezugnahme im Urteil Ibero Tours darauf, dass der Reiseveranstalter „nicht das erste Glied einer Kette von Umsätzen [ist], da er … Dienstleistungen unmittelbar an den Endverbraucher erbringt“, als schlichte Betonung der Tatsache, dass Ibero Tours in jener Rechtssache nur eine Vermittlungsleistung für einen einzigen Umsatz erbrachte(29). Boehringer befindet sich eindeutig in einer anderen Position.

39.      Außerdem wurden weder in der Rechtssache Elida Gibbs noch in der Rechtssache Ibero Tours Preisnachlässe seitens des Steuerpflichtigen infolge einer gesetzlichen Verpflichtung und noch dazu in Koppelung an den Lieferpreis gewährt. Im Fall von Boehringer stellt sich dies nach Aktenlage aber so dar.

40.      Meiner Meinung nach konnte somit entsprechend der Rechtsprechung des Gerichtshofs Boehringer nicht „über sämtliche“ Erlöse aus dem Erstverkauf ihrer Erzeugnisse an Apotheken oder Großhändler „frei verfügen“(30). Boehringer ist allenfalls „bloßer vorübergehender Verwahrer“(31) des Teils des erhaltenen Betrags, den sie später als Abschlag an die Krankenkassen und Unternehmen der privaten Krankenversicherung zahlen muss und der, was von Bedeutung ist, an den Preis der gelieferten Arzneimittel gekoppelt ist.

41.      Der Gerichtshof gelangte in der Rechtssache International Bingo Technology im Zusammenhang mit Rechtsvorschriften über den bei einem Bingospiel als Gewinn auszuzahlenden Betrag zu einem ähnlichen Ergebnis(32). Er befand dort: „Da der Teil des Verkaufspreises der Coupons, der als Gewinne an die Spieler ausgeschüttet wird, im Vorhinein feststeht und zwingend ist, kann er nicht als Bestandteil der Gegenleistung angesehen werden, die der Spielveranstalter für die von ihm erbrachte Leistung erhält“(33).

42.      Da es sowohl in Art. 73 als auch in Art. 90 der Richtlinie 2006/112 darum geht, was zur „Steuerbemessungsgrundlage“ gehört, kann ich keinen Grund erkennen, weshalb die Entscheidung, die in der Rechtssache International Bingo Technology im Zusammenhang mit der Bedeutung des Begriffs „Gegenleistung“ im Sinne des Art. 73 ergangen ist, nicht auf die Auslegung des Begriffs „Preisnachlass“ im Sinne des Art. 90 übertragen werden könnte(34). Es stellt sich auch nicht im Geringsten die Frage, ob Boehringer Zahlungen an Unternehmen der privaten Krankenversicherung als Gegenleistung für irgendeine Art Dienstleistung vornimmt(35). Das ist eindeutig nicht der Fall.

43.      Der Gerichtshof hat zwar befunden, dass es „wohl kaum angebracht [ist], aus der Besteuerung [von Glücksspielumsätzen] allgemeine Schlussfolgerungen zu ziehen, um sie auf die Besteuerung der gewöhnlichen Lieferung von Gegenständen anzuwenden“(36). Meiner Ansicht nach gilt diese Bemerkung jedoch nicht auch für Umstände, unter denen der Steuerpflichtige durch Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats verpflichtet wird, den Preis, den er letztlich für eine Lieferung erhält, durch zwingend vorgeschriebene Zahlungen an entweder den Endverbraucher oder einen Dritten proportional zum Lieferpreis zu verringern. Der Gerichtshof entschied in der Rechtssache Town and County Factors u. a. deshalb, dass bei einem Wettbewerb mit Preisauszahlung Steuerbemessungsgrundlage der volle Betrag der vom Veranstalter des Wettbewerbs eingenommenen Teilnahmegebühren war, weil es keine durch Gesetz zwingend vorgeschriebenen Verpflichtungen dahin gab, dass ein bestimmter Prozentsatz der von den Spielern geleisteten Einsätze auszuschütten war(37).

44.      Privatversicherten und nicht den Unternehmen der privaten Krankenversicherung, bei denen sie versichert sind, die Rolle als Endverbraucher in der Leistungskette zuzuweisen, könnte in der Tat als rechtliche Fiktion angesehen werden, besonders wenn die Mehrwertsteuer, die Privatversicherte an Apotheken zahlen, ihnen als Teil der Erstattung durch die Unternehmen der privaten Krankenversicherung zurückgezahlt wird. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist schließlich „die Berücksichtigung der wirtschaftlichen Realität ein grundlegendes Kriterium für die Anwendung des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems“(38).

45.      Beim Kauf geleistete Zahlungen könnten somit als Gegenleistung eines Dritten im Sinne von Art. 73 der Richtlinie 2006/112 angesehen werden, wenn solche Dritten Erstattung von Unternehmen der privaten Krankenversicherung begehren und Boehringer dann nach deutschem Recht den Abschlag gemäß § 1 AMRabG gewähren muss. Ausgehend von dieser Analyse kann ein Unternehmen der privaten Krankenversicherung als Endverbraucher einer Lieferung von Boehringer als Steuerpflichtiger angesehen werden, so dass der von der Steuerbehörde erhobene Mehrwertsteuerbetrag genau dem Mehrwertsteuerbetrag entspricht, der auf der Rechnung ausgewiesen ist und vom Endverbraucher gezahlt wird(39). Der Umstand, dass ein Unternehmen der privaten Krankenversicherung nicht der unmittelbare Empfänger der von Boehringer gelieferten Arzneimittel ist, unterbricht nicht den unmittelbaren Zusammenhang zwischen der Lieferung dieser Gegenstände und der empfangenen Gegenleistung(40).

46.      Der von mir vertretene Ansatz verhindert, dass die Steuerbehörde einen Betrag erhebt, der den übersteigt, den Boehringer als Steuerpflichtige abführt(41). Darüber hinaus beachtet er das Mehrwertsteuergrundprinzip, dass Bemessungsgrundlage die tatsächlich erhaltene Gegenleistung ist(42), was sich in Bezug auf Art. 90 der Richtlinie 2006/112 in dem Erfordernis niederschlägt, die Steuerbemessungsgrundlage immer dann zu vermindern, wenn der Steuerpflichtige nach der Bewirkung eines Umsatzes die gesamte Gegenleistung oder einen Teil davon nicht erhält(43).

47.      Schließlich spricht für eine Bejahung der Vorlagefrage auch, dass Art. 90 der Richtlinie 2006/112 in Übereinstimmung mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung auszulegen ist, wie er in Art. 20 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union zum Ausdruck kommt. Unabhängig davon, ob bei der Lieferung von über eine gesetzliche Krankenversicherung finanzierten Arzneimitteln und von über eine private Krankenversicherung finanzierten Arzneimitteln ein Wettbewerbsverhältnis gegeben ist oder nicht, beschränkt sich nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs die Gleichbehandlung in Steuerangelegenheiten nicht auf den Grundsatz der steuerlichen Neutralität, wie er zwischen konkurrierenden Wirtschaftsteilnehmern gilt; vielmehr kann ihr auch bei anderen Arten der Diskriminierung nicht Genüge getan sein, die Wirtschaftsteilnehmer betreffen, die nicht zwangsläufig miteinander konkurrieren, aber sich trotzdem in einer anderweitig vergleichbaren Situation befinden(44). Ich halte fest, dass sich nach dem Vorlagebeschluss die beiden Abschläge nur in ihrer technischen Ausgestaltung unterscheiden, während ihre steuerliche Behandlung für Mehrwertsteuerzwecke erheblich differiert.

48.      Im Licht des Gegenstands von Art. 90 der Richtlinie 2006/112 und seines Ziels, sicherzustellen, dass Bemessungsgrundlage für die Mehrwertsteuer die tatsächlich erhaltene Gegenleistung ist, in Verbindung mit den Grundsätzen und Zielen des Mehrwertsteuerrechts(45) bin ich der Ansicht, dass bei der mehrwertsteuerrechtlichen Behandlung von Arzneimittellieferungen an gesetzlich Versicherte bzw. an Privatversicherte vergleichbare Sachverhalte ohne ersichtliche objektive Rechtfertigung ungleich behandelt werden(46).

49.      Abschließend schließe ich mich dem an, dass die Mehrwertsteuer eine vom Endverbraucher getragene indirekte Verbrauchsteuer ist und das steuerpflichtige Unternehmen „nur“ als Steuereinnehmer für Rechnung des Staates handelt(47). Deshalb stimme ich der Ansicht zu, dass im Fall einer sonst unüberbrückbaren Differenz dem Erfordernis, dass der zu erhebende Mehrwertsteuerbetrag dem richtigen Anteil am vom Lieferer letztendlich tatsächlich erhaltenen Wert (und für die gesamte Kette am Endpreis) entsprechen soll, größere Bedeutung zuzumessen ist als strukturellen Erfordernissen. Die Zielerreichung ist mit anderen Worten wichtiger als der Einsatz der Mittel, die zur Erreichung dieses Ziels geschaffen wurden(48).

VI.    Ergebnis

50.      Nach alledem schlage ich folgende Antwort auf die vom Bundesfinanzhof (Deutschland) vorgelegte Frage vor:

Ein pharmazeutischer Unternehmer, der Arzneimittel liefert, ist auf der Grundlage der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (Urteil vom 24. Oktober 1996, Elida Gibbs, C‑317/94, EU:C:1996:400, Rn. 28 und 31) und unter Berücksichtigung des unionsrechtlichen Grundsatzes der Gleichbehandlung zu einer Minderung der Bemessungsgrundlage nach Art. 90 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem berechtigt, wenn

–        er diese Arzneimittel über Großhändler an Apotheken liefert,

–        die Apotheken die Arzneimittel steuerpflichtig an privat Krankenversicherte liefern,

–        der Versicherer der Krankheitskostenversicherung (das Unternehmen der privaten Krankenversicherung) seinen Versicherten die Kosten für den Bezug der Arzneimittel erstattet und

–        der pharmazeutische Unternehmer aufgrund einer gesetzlichen Regelung zur Zahlung eines „Abschlags“ an das Unternehmen der privaten Krankenversicherung verpflichtet ist.

1      Originalsprache: Englisch.

2      ABl. 2006, L 347, S. 1.

3      Urteil vom 24. Oktober 1996, C‑317/94, EU:C:1996:400.

4      Ausweislich der schriftlichen Erklärungen Deutschlands.

5      Urteil vom 5. Mai 1994, C‑38/93, EU:C:1994:188.

6      Nämlich Art. 11 Teil A Abs. 1 Buchst. a der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. 1977, L 145, S. 1) (im Folgenden: Sechste Mehrwertsteuerrichtlinie).

7      Urteil vom 5. Mai 1994, C‑38/93, EU:C:1994:188, Rn. 9. Boehringer nimmt auch auf Rn. 12 desselben Urteils Bezug sowie auf die Urteile vom 17. September 2002, Town & County Factors (C‑498/99,EU:C:2002:494, Rn. 30), vom 27. März 2014, Le Rayon d’Or (C‑151/13, EU:C:2014:185, Rn. 29), und ElidaGibbs, Rn. 27. Im letztgenannten Urteil führte der Gerichtshof aus, dass nach ständiger Rechtsprechung „diese Gegenleistung den ‚subjektiven‘, nämlich im konkreten Fall tatsächlich erhaltenen Wert[,] und nicht einen nach objektiven Maßstäben geschätzten Wert dar[stellt]“.

8      Urteil vom 16. Januar 2014, C‑300/12, EU:C:2014:8.

9      Boehringer nimmt hier auf die Rn. 29 und 35 des Urteils des Gerichtshofs vom 27. März 2014, Le Rayon d’Or (C‑151/13, EU:C:2014:185), und auf Rn. 28 des Urteils Elida Gibbs Bezug. Die Kommission verweist auf die Urteile vom 3. Juli 1997, Goldsmiths (C‑330/95, EU:C:1997:339, Rn. 15), und vom 26. Januar 2012, Kraft FoodsPolska (C‑588/10, EU:C:2012:40, Rn. 20).

10      Die Kommission bezieht sich auf den Beschluss vom 9. Dezember 2011, Connoisseur Belgium (C‑69/11, nicht veröffentlicht, EU:C:2011:825, Rn. 21), und auf das Urteil vom 8. Juni 2006, L.u.P. (C‑106/05, EU:C:2006:380, Rn. 48 und die dort angeführte Rechtsprechung).

11      Die Kommission verweist auf die Bundestagsdrucksache 17/3698, S. 60 und 61 (http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/036/1703698.pdf).

12      Urteil vom 16. Januar 2014, C‑300/12, EU:C:2014:8.

13      Urteil vom 15. Oktober 2002, C‑427/98, EU:C:2002:581.

14      Deutschland führt dafür das Urteil vom 21. November 2013, Dixon’s Retail (C‑494/12, EU:C:2013:758, Rn. 33), an. Das Vereinigte Königreich verweist auf die Urteile vom 5. Februar 1981, Coöperatieve Aardappelenbewaarplaats (154/80, EU:C:1981:38, Rn. 12), vom 23. November 1988, Naturally Yours Cosmetics (230/87, EU:C:1988:508, Rn. 11), und vom 8. März 1988, Apple and Pear Development Council (102/86, EU:C:1988:120, Rn. 11 und 12).

15      Deutschland nimmt insoweit auf das Urteil vom 7. November 2013, Tulică und Plavoşin (C‑249/12 und C‑250/12, EU:C:2013:722, Rn. 34), Bezug.

16      Ebd., Rn. 33.

17      Deutschland verweist auf das Urteil vom 15. Mai 2001, Primback (C‑34/99, EU:C:2001:271, Rn. 25).

18      Das Vereinigte Königreich nimmt auf das Urteil vom 22. November 2001, Office des produits wallons (C‑184/00, EU:C:2001:629, Rn. 18), Bezug.

19      Deutschland bezieht sich auf die Urteile vom 25. Mai 1993, Bally (C‑18/92, EU:C:1993:212, Rn. 16), und vom 15. Mai 2001, Primback (C‑34/99, EU:C:2001:271, Rn. 38).

20      Deutschland beruft sich u. a. auf die Urteile vom 10. April 2008, Marks & Spencer (C‑309/06, EU:C:2008:211, Rn. 49), vom 19. Juli 2012, Lietuvos geležinkeliai (C‑250/11, EU:C:2012:496, Rn. 45), und vom 6. November 2014, Feakins (C‑335/13, EU:C:2014:2343, Rn. 49 und 51).

21      Das Vereinigte Königreich führt dafür die Urteile vom 15. November 2012, Zimmermann (C‑174/11, EU:C:2012:716), und vom 19. Dezember 2012, Grattan (C‑310/11, EU:C:2012:822), an.

22      Vgl. Schlussanträge der Generalanwältin Kokott in der Rechtssache Grattan (C‑310/11, EU:C:2012:568, Nr. 32), wo die Generalanwältin ausführte, dass „der Gerichtshof erstmals in der Rechtssache Elida Gibbs festgestellt [hat], dass eine Reduzierung der Besteuerungsgrundlage unter Umständen auch dann anzunehmen ist, wenn sich die vertraglich festgelegte Gegenleistung gar nicht ändert“. Ich möchte auch anmerken, dass der Gerichtshof, wie in den schriftlichen Erklärungen von Boehringer vorgebracht, der folgenden bedeutsamen Äußerung von Generalanwalt Wathelet in Nr. 29 seiner Schlussanträge in der Rechtssache Ibero Tours (C‑300/12, EU:C:2013:502) damals nicht widersprochen hat: „Der Gerichtshof hat den Steuerpflichtigen zwar als ‚das erste Glied einer … Kette von Umsätzen‘ angesehen; dabei handelt es sich aber um eine Anknüpfung an den Sachverhalt der dem Urteil Elida Gibbs zugrunde liegenden Rechtssache, in der sich der Hersteller, der dem Endverbraucher den Preisnachlass anbot, am Anfang der Wertschöpfungskette befand, und nicht um die Aufstellung einer Voraussetzung für die Minderung der Besteuerungsgrundlage“.

23      Urteil vom 16. Januar 2014, C‑300/12, EU:C:2014:8.

24      Urteil vom 29. Mai 2001, Freemans (C‑86/99, EU:C:2001:291,Rn. 33).

25      Ebd.

26      Urteil des Gerichtshofs vom 16. Januar 2014,Ibero Tours (C‑300/12, EU:C:2014:8, Rn. 29).

27      Ebd., Rn. 31.

28      Ebd., Rn. 32.

29      Ebd., Rn. 30.

30      Urteil vom 19. Juli 2012, International Bingo Technology (C‑377/11, EU:C:2012:503, Rn. 31). Vgl. auch Urteile vom 5. Mai 1994, Glawe (C‑38/93, EU:C:1994:188), und vom 24. Oktober 2013, Metropol Spielstätten (C‑440/12, EU:C:2013:687).

31      Urteil vom 19. Juli 2012, International Bingo Technology (C‑377/11, EU:C:2012:503, Rn. 19). Dieses Bild stammt vom vorlegenden nationalen Gericht in jener Rechtssache.

32      Zu diesem Ergebnis gelangte er im Kontext der Vorgängerbestimmung von Art. 73 der Richtlinie 2006/112, nämlich Art. 11 Teil A Abs. 1 Buchst. a der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie.

33      Urteil vom 19. Juli 2012, International Bingo Technology (C‑377/11, EU:C:2012:503, Rn. 28).

34      Ich stelle auch fest, dass die von Boehringer gezahlten Abschläge nicht unter die in Art. 79 der Richtlinie 2006/112 genannten Posten fallen, die bei der Berechnung der Steuerbemessungsgrundlage außen vor bleiben.

35      Wie es bejaht wurde, wenn es bei einem Kaufgeschäft im Einzelhandel zwischen Kunden und Läden zu Dienstleistungen im Zusammenhang mit Kreditkarten kommt. Siehe z. B. Urteil vom 15. Mai 2001, Primback (C‑34/99, EU:C:2002:271).

36      Urteil vom 29. Mai 2001, Freemans (C‑86/99, EU:C:2001:291, Rn. 30). Vgl. auch Schlussanträge der Generalanwältin Stix-Hackl in der Rechtssache Town and County Factors (C‑498/99, EU:C:2001:494, Nr. 74). Generalanwalt Jacobs stellte in Nr. 16 seiner Schlussanträge in der Rechtssache Glawe (C‑38/93, EU:C:1994:81) fest, dass „Glücksspielumsätze für die Erhebung der Mehrwertsteuer schlecht geeignet sind“.

37      Urteil vom 17. September 2002, Town and CountyFactors (C‑498/99, EU:C:2002:494, Rn. 30). Vgl. auch Schlussanträge der Generalanwältin Kokott in der Rechtssache Grattan (C‑310/11, EU:C:2012:568, Nr. 45).

38      Urteil vom 7. Oktober 2010, Loyalty Management (C–53/09 und C–55/09, EU:C:2010:590).

39      Urteil vom 10. Juli 2008, Koninklijke Ahold (C‑484/06, EU:C:2008:394, Rn. 36), unter Anführung des Urteils Elida Gibbs, Rn. 24.

40      Siehe entsprechend Urteil vom 27. März 2014, Rayon d’Or (C‑151/13, EU:C:2014:815, Rn. 35).

41      Beispielsweise Urteile vom 26. Januar 2012, Kraft Foods Polska (C‑588/10, EU:C:2012:40, Rn. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung), sowie vom 7. November 2013, Tulică und Plavoşin (C‑249/12 und C‑250/12, EU:C:2013:722, Rn. 36).

42      Hervorhebung nur hier. Vgl. z. B. Urteil vom 26. Januar 2012, Kraft Foods Polska (C‑588/10, EU:C:2012:40, Rn. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung).

43      Vgl. Urteil vom 15. Mai 2014, Almos Agrárkülkereskedelmi (C‑337/13, EU:C:2014:328, Rn. 22 und die dort angeführte Rechtsprechung), sowie zur Vorgängerbestimmung von Art. 90 der Richtlinie 2006/112, nämlich Art. 11 Teil C Abs. 1 der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie, Urteil vom 19. Dezember 2012, Grattan (C‑310/11, EU:C:2012:822, Rn. 35).

44      Urteil vom 25. April 2013, Kommission/Schweden (C‑480/10, EU:C:2013:263, Rn. 17 und die dort angeführte Rechtsprechung).

45      Urteil vom 7. März 2017, RPO (C‑390/15, EU:C:2017:174, Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung).

46      Siehe Vorlagebeschluss.

47      Schlussanträge der Generalanwältin Kokott in der Rechtssache Di Maura (C‑246/16, EU:C:2017:440, Nr. 21 und die dort angeführte Rechtsprechung).

48      Siehe Schlussanträge des Generalanwalts Jacobs in der Rechtssache Kommission/Deutschland (C‑427/98, EU:C:2001:457, Nr. 110).

_________________


Gericht:                            Finanzgericht Rheinland-Pfalz 6. Senat
Entscheidungsdatum:              24.09.2015
Streitjahr:                            2011
Aktenzeichen:                            6 K 1251/14
Dokumenttyp:                            Urteil

Normen:                            § 17 UStG 2005, § 10 Abs 1 S 2 UStG 2005, § 1 AMRabG, UStG VZ 2011, Art 11 Teil A                                           Abs 1 Buchst a EWGRL 388/77, Art 73 EGRL 112/2006, § 130a SGB 5, Art 79 EGRL                                                         112/2006, Art 90 EGRL 112/2006

(Minderung der umsatzsteuerlichen Bemessungsgrundlage durch Abschläge nach § 1 AMRabG)

Leitsatz
Abschläge gemäß § 1 AMRabG mindern die Bemessungsgrundlage nach §§ 10, 17 UStG(Rn.44)(Rn.60)(Rn.62).

Fundstellen
Abkürzung Fundstelle EFG 2015, 2242-2245 (red. Leitsatz und Gründe)
Abkürzung Fundstelle MwStR 2016, 80-84 (red. Leitsatz und Gründe)
Abkürzung Fundstelle DStRE 2017, 228-232 (red. Leitsatz und Gründe)

Verfahrensgang ausblendenVerfahrensgang
nachgehend BFH, 22. Juni 2016, Az: V R 42/15, EuGH-Vorlage
nachgehend BFH, 8. Februar 2018, Az: V R 42/15, Urteil

Diese Entscheidung wird zitiert
Literaturnachweise
Robert Prätzler, jurisPR-SteuerR 6/2016 Anm 6 (Anmerkung)
Christian Wüst, MwStR 2016, 84-85 (Anmerkung)
Hermann-Josef Tehler, UVR 2016, 94-96 (Aufsatz)

Diese Entscheidung zitiert
Rechtsprechung
Entgegen Finanzgericht Berlin-Brandenburg, 13. Mai 2015, Az: 7 K 7323/13
Vergleiche EuGH, 27. März 2014, Az: C-151/13
Vergleiche BFH, 30. Januar 2014, Az: V R 1/13
Vergleiche EuGH, 16. Januar 2014, Az: C-300/12
Vergleiche EuGH, 19. Juli 2012, Az: C-377/11
Vergleiche BFH, 11. Februar 2010, Az: V R 2/09
Vergleiche BFH, 17. Dezember 2009, Az: V R 1/09
Vergleiche BFH, 28. Mai 2009, Az: V R 2/08
Vergleiche BFH, 18. September 2008, Az: V R 56/06
Vergleiche BFH, 16. Januar 2003, Az: V R 36/01
Vergleiche EuGH, 21. März 2002, Az: C-174/00
Vergleiche BFH, 19. Oktober 2001, Az: V R 48/00
Vergleiche EuGH, 29. Mai 2001, Az: C-86/99
Vergleiche EuGH, 24. Oktober 1996, Az: C-288/94
Vergleiche EuGH, 24. Oktober 1996, Az: C-317/94
Vergleiche EuGH, 5. Mai 1994, Az: C-38/93
Vergleiche BFH, 20. Februar 1992, Az: V R 107/87

Tenor

I. Der geänderte Umsatzsteuerbescheid 2011 vom 3. Juli 2014 wird dahingehend geändert, dass die Umsätze zum regulären Steuersatz um 3.197.334,91 Euro reduziert werden.

II. Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.

III. Das Urteil ist wegen der von dem Beklagten zu tragenden Kosten zugunsten der Klägerin vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die vorläufige Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der noch festzusetzenden Kosten abwenden, sofern nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leistet.

IV. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1
Streitig ist, ob gesetzlich vorgeschriebene Rabatte der Pharmaunternehmen nach § 1 S. 1 des Gesetzes über Rabatte für Arzneimittel (AMRabG) gegenüber privaten Krankenversicherungen und Trägern der Beihilfe und Heilfürsorge die umsatzsteuerliche Bemessungsgrundlage mindern.

2
Die Klägerin ist Herstellerin und Vertreiberin pharmazeutischer Produkte und als solche unternehmerisch tätig.

3
Die Umsatzsteuerjahreserklärung 2011 ging am 21. November 2012 beim zuständigen Finanzamt ein. Sie stand einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleich. In einem Anschreiben informierte die Klägerin das Finanzamt, dass in den erklärten Lieferungen und sonstigen Leistungen Entgeltminderungen für Rabatte an private Krankenversicherungen gemäß § 1 des Gesetzes über Rabatte für Arzneimittel (AMRabG) enthalten seien (Bl. 5 d. Umsatzsteuerakte). Es handele sich hierbei um einen Bruttobetrag in Höhe von 3.804.828,54 Euro, d.h. netto 3.197.334,91 Euro zzgl. 607.493,63 Euro Umsatzsteuer.

4
Dieser Vorgehensweise erfolgte vor folgendem gesetzlichen Hintergrund:

5
Nach § 130a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) erhalten die gesetzlichen Krankenkassen von Apotheken für zu ihren Lasten abgegebene Arzneimittel einen Abschlag vom Abgabepreis des pharmazeutischen Unternehmens. Pharmazeutische Unternehmen sind verpflichtet, den Apotheken oder ihren Zwischenhändlern diesen Abschlag zu erstatten.

6
Während bis Ende 2010 die Abschläge nur gegenüber den gesetzlichen Krankenversicherungen gesetzlich vorgeschrieben waren, haben seit 1. Januar 2011 nach § 1 des Gesetzes über Rabatte für Arzneimittel (AMRabG) pharmazeutische Unternehmen nunmehr auch den Unternehmen der privaten Krankenversicherung und Heilfürsorge für verschreibungspflichtige Arzneimittel, deren Kosten diese ganz oder teilweise erstatten, nach dem Anteil der Kostentragung Abschläge entsprechend § 130a Abs. 1, 1a, 2, 3, 3a und 3b SGB V zu gewähren. Die privaten Krankenversicherungen machen die Rabatte über die „Zentrale Stelle zur Abrechnung von Arzneimittelrabatten – ZESAR“ gegenüber den Herstellern geltend. Für Selbstzahler bzw. für Privatversicherte, die ihre Arzneimittelrechnung nicht bei der privaten Krankenkasse einreichen, ist der normale Apothekenverkaufspreis ohne Abschlag maßgeblich.

7
Im Rahmen einer bei der Klägerin für den Zeitraum Januar 2011 bis September 2012 anberaumten Umsatzsteuersonderprüfung ergab sich, dass die über die Zentrale Abrechnungsstelle – ZESAR – bei der Klägerin im Streitjahr in Höhe von 3.804.828,54 Euro angeforderten und ausgezahlten Rabatte nur Umsätze zum Regelsteuersatz betrafen. Die von der Klägerin in ihrer Steuererklärung vorgenommene Entgeltminderung wurde von der Prüferin unter Verweis auf das BMF Schreiben vom 14.11.2012 (BStBl. I 2012, 1170) nicht anerkannt.

8
Das Finanzamt erließ in der Folge am 8. Februar 2013 einen nach § 164 Abs. 2 Abgabenordnung (AO) geänderten Umsatzsteuerbescheid, in dem es die Umsätze zum Regelsteuersatz um 3.197.334,91 Euro erhöhte (Bl. 11 d. USt-Akte).

9
Hiergegen legte die Klägerin am 8. März 2013 Einspruch ein (Bl. 1 d. Rb-Akte). In ihren Schriftsätzen vom 10. Juli 2013 (Bl. 23 ff. d. Rb-Akte) und vom 20. Dezember 2013 (Bl. 51 ff. d. Rb-Akte) wandte sie sich gegen die Nichtanerkennung der gegenüber den privaten Krankenversicherungen gewährten Rabatten als Entgeltminderung und trug im Wesentlichen vor:

10
Die Minderung der Bemessungsgrundlage setze nicht einen Rabatt innerhalb der Leistungskette voraus. Nach § 10 Abs. 1 S. 2 Umsatzsteuergesetz (UStG) gehöre zum Entgelt alles, was der Leistungsempfänger aufwende, um die Leistung zu erhalten. Der vorrangige Art. 73 MwStSystRl, auf dem § 10 UStG basiere, definiere hingegen den Begriff der Gegenleistung von der Seite des Leistenden. Danach umfasse die Bemessungsgrundlage alles, was der Leistende für den Umsatz erhalte.

11
Ungeachtet dessen stünde die private Krankenversicherung in der Leistungskette, da sie selbst und nicht der Versicherte wirtschaftlich mit dem Arzneimittelpreis belastet sei. Der Rabatt sei von der Klägerin nur zu gewähren, wenn die private Krankenversicherung dem Versicherten die Kosten für die Arzneimittel erstatte. Die Rabattgewährung an die private Krankenversicherung und die Belastung der privaten Krankenversicherung mit den Kosten des Endverbrauchs seien damit zwingend und untrennbar miteinander verknüpft.

12
Zudem verstoße die Auffassung des Finanzamts gegen den Gleichheitsgrundsatz nach Art. 3 Grundgesetz (GG). Die Sachverhalte der Rabattgewährung an die private Krankenversicherung und an die gesetzliche Krankenversicherung seien nahezu identisch. Wirtschaftlich sei von einer vollständigen Identität der Sachverhalte auszugehen.

13
Während des Einspruchsverfahrens änderte der Beklagte am 17. Juni 2013 den Umsatzsteuerbescheid 2011 nach § 164 Abs. 2 AO aus hier nicht streitbefangenen Beträgen (Bl. 17 d. Umsatzsteuerakte).

14
Mit Einspruchsentscheidung vom 23. Januar 2014 wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück (Bl. 68 d. Rb-Akte). Zwar definiere § 10 Abs. 1 S. 2 UStG als Entgelt alles, was der Leistungsempfänger aufwende, um die Leistung zu erhalten, während Art. 11 Teil 1 Abs. 1a der Richtlinie 77/388/EWG als Besteuerungsgrundlage alles umfasse, was den Wert der Gegenleistung bilde, die der Lieferer oder Dienstleister für diesen Umsatz erhalte einschließlich der mit diesen Umsätzen zusammenhängenden Subventionen. Trotz dieser Formulierungsunterschiede führten beide Regelungen zu gleichen Ergebnissen, da weder § 10 Abs. 1 S. 2 UStG die Berücksichtigung der Sicht des Leistenden noch Art. 11 A Abs. 1a der Richtlinie 77/388/EWG eine Berücksichtigung der Aufwendungen des Leistungsempfängers ausschließe. Dem entsprechend richte sich die Höhe des Entgeltes nach dem zwischen dem Leistenden und dem Leistungsempfänger bestehenden Rechtsverhältnis, aus dem sich der für die Steuerbarkeit der Leistung maßgebliche unmittelbare Zusammenhang zwischen der Leistung und dem erhaltenen Gegenwert ergebe. Maßgeblich sei, ob die Zuwendung des Leistungserbringers in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der Leistung stehe.


15
Die den privaten Krankenversicherungen gewährten Rabatte der Klägerin führten nicht zu einer Änderung der Bemessungsgrundlage nach § 17 Abs. 1 S. 2 UStG, da die private Krankenversicherung außerhalb der Leistungskette stehe. Nach dem Kostenerstattungsprinzip bei den privaten Krankenversicherungen erwerbe der Patient als Selbstzahler seine Medikamente unmittelbar von der Apotheke. Der Kaufvertrag komme zwischen ihm als Endverbraucher und der Apotheke zustande. Sowohl die Apotheke als auch der Endverbraucher wende für die Lieferung des Medikaments den vollständigen Medikamentenpreis auf. Dieser werde dem Privatpatienten hin auf Antrag von seiner privaten Krankenversicherung erstattet. Diese Kostenerstattung führe aber nicht dazu, dass die private Krankenversicherung Teil der Leistungskette werde. Die Kostenerstattung erfolge außerhalb der Leistungskette aufgrund versicherungsvertraglicher Vereinbarungen zwischen dem Endverbraucher und der privaten Krankenversicherung. Da die Klägerin den Rabatt an die außerhalb der Leistungskette stehende private Krankenversicherung zahle, stelle die fehlende umsatzsteuerliche Berücksichtigung des Rabatts als Entgeltminderung keinen Verstoß gegen das Neutralitätsprinzip dar. Dem Fiskus fließe auf allen Stufen innerhalb der Leistungskette genau der Umsatzsteuerbetrag zu, den der Privatpatient als Endverbraucher durch die Zahlung des vollen Medikamentenpreises an die Apotheke tatsächlich aufwende. Der EuGH habe entgegen der Ansicht der Klägerin in seinem Urteil Elida Gibbs seine Rechtsprechung zum Neutralitätsprinzip nicht über die Beteiligten einer Leistungskette hinaus ausgedehnt.

16
Zwar sei der Klägerin insoweit zuzustimmen, als auch Zahlungen eines Dritten für eine bestimmte Leistung für die Frage der Höhe des Entgelts von Bedeutung sein könnten. Allerdings sei auch hier auf das zwischen dem Leistenden und dem Leistungsempfänger bestehenden Rechtsverhältnis abzustellen. So rechneten Zahlungen eines Dritten an den Leistenden gemäß § 10 Abs. 1 S. 3 UStG als zusätzliches Entgelt zur Gegenleistung, wenn der Leistungsempfänger auf die Zahlung einen Rechtsanspruch habe oder diese zumindest überwiegend in seinem Interesse geleistet werde. Korrespondierend habe eine Berichtigung der Bemessungsgrundlage zu erfolgen, wenn die Rückzahlung des Leistenden in unmittelbaren Zusammenhang mit der erbrachten Leistung stehe. Zahlungen des Leistenden an Dritte minderten die Bemessungsgrundlage nur, wenn sie wirtschaftlich als Zahlung an den Leistungsempfänger anzusehen seien. Vorliegend komme der Rabatt der privaten Krankenversicherung und nicht dem Privatpatienten als Leistungsempfänger zugute. Nach § 1 Abs. 4 AMRabG dürften die Rabatte von den privaten Krankenversicherungen ausschließlich zur Vermeidung oder Begrenzung von Prämienerhöhungen oder zur Prämienermäßigung bei den Versichertenbeständen verwendet werden. Hieraus könne nicht abgeleitet werden, dass es sich bei dem Rabatt um eine Art Rückzahlung an den einzelnen Endverbraucher handele. Von geringeren Versicherungsprämien profitierten letztlich alle Versicherten der privaten Krankenversicherung – unabhängig davon, ob und ggf. in welchem Umfang sie Medikamente erworben hätten.

17
Die Abgrenzung von Entgelt und Zuschuss im Bereich der §§ 10, 17 UStG werde nach der Person des Bedachten und nach dem Förderungsziel vorgenommen. Die technische Anknüpfung der Rabatte an die Medikamentenlieferung führe für sich genommen nicht zur Annahme eines unmittelbaren Zusammenhangs zwischen Lieferungen und Rabatten, da die Rabatte nicht der wirtschaftlichen Entlastung des Leistungsempfängers dienten.

18
Die Nichtberücksichtigung der Rabatte bei der Höhe des Entgelts stehe auch im Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH. Zwar habe der EuGH in seinem Urteil vom 5. Mai 1994 (C-38/93, Rs. Glawe) entschieden, dass bei Geldspielautomaten mit Gewinnmöglichkeit, die aufgrund zwingend gesetzlicher Vorschriften so eingestellt seien, dass ein bestimmter Prozentsatz der Spieleinsätze als Gewinn an die Spieler ausgezahlt werde, die vom Betreiber für die Bereitstellung der Automaten tatsächlich erhaltenen Gegenleistung nur in dem Teil der Einsätze bestehe, über den er effektiv verfügen könne. Im Gegensatz zum vorliegenden Fall seien in der Rs. Glawe die Gewinne ausschließlich an die Spieler, also an die Leistungsempfänger der Dienstleistung ausgeschüttet worden und nicht wie vorliegend an Dritte.

19
Letztlich verstoße die Ansicht des Finanzamts auch nicht gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Es fehle bereits an einem vergleichbaren Sachverhalt, da im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung das Sach- und Dienstleistungsprinzip gelte, während die private Krankenversicherung nach dem Kostenerstattungsprinzip organisiert sei.

20
Mit ihrer am 25. Februar 2014 beim Finanzgericht Rheinland-Pfalz eingegangenen Klage begehrt die Klägerin weiterhin die Minderung der Bemessungsgrundlage von Umsätzen zum regulären Steuersatz um den Nettobetrag der gewährten Rabatte.

21
Ihre Ansicht begründet sie im Wesentlichen wie folgt:

22
Die Minderung der Bemessungsgrundlage setze nicht voraus, dass der den Rabatt zahlende in einer Leistungskette mit dem Leistenden stehen müsse. Art. 73 MwStSystRL definiere den Begriff der Gegenleistung aus Perspektive des Leistenden, während § 10 Abs. 1 S. 2 UStG auf die Perspektive des Leistungsempfängers abstelle. Die Klägerin erhalte aber nur das um den gesetzlichen Zwangsrabatt geminderte Entgelt. Trotz der Formulierungsunterschiede könne nicht mit dem Finanzamt davon ausgegangen werden, dass beide Vorschriften zu den gleichen Ergebnissen führten. Vorliegend sei erheblich, ob Gegenleitung das sei, was beim Leistungsempfänger abfließe oder dasjenige, was dem Leistenden zufließe. In der Regel seien beide Werte identisch. Bestehe jedoch eine Differenz, komme es nach dem vorrangigen Art. 73 MwStSystRL darauf an, was der Leistende als Gegenleistung erhalte oder ihm verbleibe. Auch der EuGH habe erst jüngst in seinem Urteil in der Rs. Le Rayon d’Or ausgeführt, dass die vom Leistenden empfangene Vergütung den tatsächlichen Gegenwert für die dem Leistungsempfänger erbrachte Dienstleistung bilde. Für eine Verringerung des Entgelts im Sinne der §§ 10, 17 UStG komme es nicht darauf an, ob ein Teil des vereinnahmten Geldes direkt an den Leistungsempfänger zurückfließe. Vielmehr schieden tatsächlich erhaltene Geldbeträge dann aus der Bemessungsgrundlage wieder aus, wenn von vornherein aufgrund gesetzlich zwingender Vorschriften feststehe, dass der Leistende über diese effektiv nicht verfügen dürfe.

23
Diese Auffassung werde auch durch das Urteil in der Rs. Glawe bestätigt. Entgegen den Ausführungen des Beklagten in der Einspruchsentscheidung seien die garantierten Gewinne, die aus einem Glückspielautomaten ausgeschüttet würden und nach EuGH deshalb nicht Teil der Bemessungsgrundlage seien, an andere, also an Dritte ausgeschüttet worden. Es erhalte nicht jeder Glücksspieler eine garantierte Quote seines Einsatzes als Gewinn zurück. Festgelegt sei nur, dass der Automat eine bestimmte Quote des eingeworfenen Geldes als Gewinn ausschütten müsse, gleichgültig an wen. Die anderen Glücksspieler, die den Gewinn erhielten, stünden zu dem einsetzenden Glücksspieler in keiner Beziehung. Die gewinnenden Spieler seien im Verhältnis zu der Leistungsbeziehung zwischen dem Betreiber des Glückspielautomaten und dem den Betrag einsetzenden Glückspieler Dritter. Ebenso verhalte es sich bei den Zwangsrabatten. Von dem vereinnahmten Geld für die einzelnen Arzneimittel müsse die Klägerin einen Teil an einen Dritten, die private Krankenversicherung abgeben. Der der Rs. Glawe zugrunde liegende Sachverhalt weiche entgegen den Ausführungen des FG Berlin-Brandenburgs auch nicht von demjenigen der Herstellerrabatte ab. Wie der BFH im Anschluss ausgeführt habe, beruhe das Urteil des EuGH maßgeblich auf dem Umstand, dass eine gesetzlich genau bestimmte Gewinnquote zugunsten der Spieler bestanden habe.

24
Soweit das FG Berlin-Brandenburg in seinem Urteil vom 13. Mai 2015 (7 K 7323/13) ausführe, dass weder der Klägerin noch dem Zwischenhändler bekannt sei, in welchem Umfang die von den Endverbrauchern erworbenen Arzneimittel zur Erstattung der bei den von § AMRabG begünstigten Körperschaften führten, sei dies unrichtig. Der Klägerin sei genau bekannt, in welchem Umfang die Endverbraucher bei den privaten Krankenkassen Erstattungen geltend machen würden. Sofern das FG Berlin-Brandenburg mit seinen Ausführungen die Minderung der Bemessungsgrundlage mit der Begründung verneinen wollte, dass die Arzneimittelhersteller bei der Lieferung des Medikaments noch nicht wüssten, ob das Medikament bei der noch kommenden Abgabe an den Patienten zu rabattieren sei, so würde es verkennen, dass auch nachträglich eintretende Rabatte die Bemessungsgrundlage mindern könnten. Im Übrigen sei den Herstellern auch im Fall der an die gesetzlichen Krankenkassen gewährten Rabatte bei Lieferung an den Zwischenhändler noch nicht bekannt, in welchem Umfang die Arzneimittel Erstattungen gemäß § 130a SGB V auslösen würden.


25
Die Auffassung der Klägerin werde auch durch das Urteil des EuGH in der Rechtssache Elida Gibbs bestätigt. Hier sei ein Rabatt als Minderung der Bemessungsgrundlage anerkannt worden, obwohl er nicht an den Empfänger, sondern an einen vertraglich nicht mit dem Lieferer Verbundenen gewährt worden sei. Obwohl das letzte Glied der Lieferkette in der Lieferkette stehe, sei es weder vertraglich noch wirtschaftlich mit dem ersten Glied der Kette verbunden. Werde ein Rabatt nicht an den Empfänger, sondern an einen Dritten gezahlt, müsse dieser Dritte nicht am Ende der Lieferkette stehen. Entscheidend sei nur, dass der Rabatt dazu führe, dass dem Lieferer für seine Lieferung weniger Entgelt verbleibe und dass der vom Hersteller gewährte Betrag mit einer seiner Leistungen verknüpft sei.

26
Etwas anderes ergebe sich – im Gegensatz zu der u.a. vom FG Berlin-Brandenburg im Urteil vom 13. Mai 2015 vertretenen Ansicht - auch nicht aus dem EuGH-Urteil in der Rs. Ibero Tours. Hier habe der EuGH eine Entgeltminderung abgelehnt, weil tatbestandlich kein Rabatt vorliege, nicht aber, weil der den Rabatt beziehende Dritte nicht in der Leistungskette stehe. Der EuGH habe in der Rs. Ibero Tours lediglich klargestellt, dass eine Betriebsausgabe, die der Steuerpflichtige zur Durchführung einer Ausgangsleistung durchführe, nicht die Betriebseinnahme (Entgelt) auf diese Ausgangsleistung schmälern könne. Die Frage, ob ein Rabatt an einen Dritten außerhalb der Leistungskette als Entgeltminderung anzuerkennen sei, habe sich hier nicht gestellt. Der Generalanwalt des EuGH habe in seinem Schlussantrag in der Rs. Ibero-Tours hingegen ausdrücklich klargestellt, dass der EuGH in der Rs. Elida Gibbs die Position des Dritten in der Leistungskette gerade nicht zur Voraussetzung für die Anerkennung eines Rabatts gemacht habe. Das Vorliegen eines Rabatts sei vorliegend unstreitig und ergebe sich im Übrigen auch aus dem Wortlaut des „Arzneimittelrabattgesetzes“. Ein Rabatt setze nicht voraus, dass er bei Lieferung der Arznei bereits feststehe. Auch eine danach oder völlig separat vereinbarte Verringerung des Entgelts sei ein Rabatt und damit eine Minderung der Bemessungsgrundlage.

27
Auch die Rechtsprechung zu den Solidarbeiträgen stünde der Anerkennung der an die privaten Krankenversicherungen gewährten Herstellerrabatte nicht entgegen. Solidarbeiträge seien bereits tatbestandlich kein Rabatt, da sie nicht mit der Lieferung zusammenhingen. Dies hätten der BFH und das FG Schleswig-Holstein klargestellt. Der freiwillige Solidarbeitrag sei inhaltlich nicht mit der Arzneimittellieferung verknüpft und damit kein Preisnachlass auf eine bestimmte Lieferung.

28
Auch aus § 10 Abs. 1 S. 2 UStG ergebe sich, dass die den privaten Krankenkassen gezahlten Rabatte aus der Bemessungsgrundlage auszuscheiden seien. Wenn ein Entgelt durch das erhöht werde, was ein Dritter für die Leistung an den Leistenden zahle, ergebe sich im Umkehrschluss, dass ein Rabatt, der einem Dritten vom Leistenden auf die Leistung gewährt werde, dessen Entgelt auch mindere. Dies ergebe sich auch aus A 10.3. Abs. 7 S. 3 UStAE. Unerheblich sei, dass der Rabatt der privaten Krankenversicherung zugutekomme. Es gehe vorliegend nicht um die Unterscheidung zwischen einem steuerbaren und einem nicht steuerbaren Zuschuss, sondern um die Frage, ob der Rabattbetrag Teil des Entgelts sei oder nicht.

29
Selbst wenn man davon ausgehe, dass Rabatte das Entgelt nicht minderten, wenn sie an einen Dritten außerhalb der Leistungskette gewährt worden, sei die Umsatzsteuerfestsetzung rechtswidrig. Denn die private Krankenkasse stehe durchaus in der Leistungskette im Sinne der von der Finanzverwaltung in A 10.3. Abs. 7 S. 1, 3 UStAE aufgestellten Auffassung. Der EuGH habe in der Rs. Elida Gibbs ausgeführt, dass durch das Mehrwertsteuersystem nur der Endverbraucher belastet werden soll. Dieser Grundsatz greife nicht nur für den regulären Fall, in dem das Entgelt zwischen zwei unmittelbaren Vertragsparteien eine Änderung erfahre. Wirtschaftlich sei aber nicht der Versicherte der Belastete, sondern die private Krankenversicherung. Denn die Klägerin habe den Rabatt nur zu gewähren, wenn die private Krankenversicherung ihrem Versicherten die Kosten für die Arzneimittel erstatte. Für Arzneien, für die die private Krankenversicherung die Kosten nicht übernehme und der Versicherte mit den Kosten des Endverbrauchs belastet sei, werde kein Rabatt im Sinne des § 1 AMRabG gewährt. Insofern sei die private Krankenversicherung durchaus wie die gesetzliche Krankenversicherung als in der Leistungskette stehend einzustufen. Die Rabattgewährung an die private Krankenkasse und die Belastung der privaten Krankenkasse mit den Kosten des Endverbrauchs seien zwingend und untrennbar miteinander verknüpft. Anderenfalls würde ein Verstoß gegen den Neutralitätsgrundsatz vorliegen, wenn der Fiskus Umsatzsteuer auf den ungeminderten Nettopreis vereinnahme, obwohl die private Krankenversicherung nur mit dem geminderten Netto-/Bruttopreis belastet sei und die Klägerin nur den geminderten Nettopreis für sich behalten könne. Soweit die Klägerin zu Rabatten verpflichtet sei, es aber aufgrund vertraglich vereinbarter Selbst- oder Eigenbehalte letztlich zu keiner bzw. einer nur anteiligen Kostenerstattung an die Privatversicherten komme, betreffe § 1 S. 3 AMRabG nicht die Frage der Rabattgewährung dem Grunde nach, sondern nur der Höhe nach (Bl. 135 d. PrA.). Zum Entstehen des Herstellerrabatts und dessen Voraussetzungen nehmen § 1 Abs. 3 AMRabG keine Stellung. Die Regelung stelle lediglich klar, dass bei der Berechnung des Herstellerrabattes als Prozentsatzes des Abgabepreises des Arzneimittels dieser Abgabepreis als Ausgangsgröße unverändert bleibe und nicht durch andere Rabatte verringert werde. Die Frage aber, wie der Herstellerrabatt nach den sozialversicherungsrechtlichen Grundsätzen zu berechnen sei, sei unbeachtlich für die Frage, ob er dem Grunde nach als Minderung der Bemessungsgrundlage gemäß § 17 UStG anzuerkennen sei.

30
Die Finanzverwaltung bleibe in A 10.3. Abs. 7 S. 7 UStAE eine Antwort schuldig, was denn nach ihrer Ansicht die Zahlung der Klägerin an die private Krankenversicherung sonst sei, wenn nicht ein Rabatt. Das Finanzamt müsse dann eine Leistung der privaten Krankenversicherung an die Klägerin oder eine Schenkung annehmen. Beides komme aber nicht in Betracht, da § 1 AMRabG keinen Zweifel an der Ursache der Zahlung und an ihrem unmittelbaren Zusammenhang mit der Lieferung lasse.

31
Letztlich verstoße die Umsatzsteuerfestsetzung des Beklagten gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Der Sachverhalt der Rabattgewährung an die private Krankenversicherung sei dem Sachverhalt der Rabattgewährung an die gesetzliche Krankenversicherung nicht nur wesentlich gleich, sondern nahezu identisch. Wirtschaftlich sei von einer vollständigen Identität der Sachverhalte auszugehen. Sowohl der Rabatt an die gesetzliche als auch an die private Krankenversicherung sei aufgrund gesetzlicher Vorschriften zwingend. § 1 AMRabG verweise auf die entsprechende Anwendung des § 130a SGB V. Sowohl die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Rabattgewährung als auch die Höhe des zu gewährenden Rabattes seien identisch. Dass die private Krankenversicherung im Gegensatz zur gesetzlichen Krankenversicherung die Gegenleistung für die Arzneilieferung im Wege der Kostenübernahme trage, sei eine aus dem Sozialversicherungsrecht geborene Unterscheidung. Umsatzsteuerrechtlich lägen zwei gleiche Sachverhalte vor. Im Übrigen sei auch die gesetzliche Krankenkasse nicht unmittelbarer Vertragspartner der Apotheke. Vielmehr übernehme sie gemäß § 129 SGB V in Verbindung mit den darauf setzenden Vereinbarungen nur die Pflicht zur Vergütung des Arzneimittelpreises an die Apotheke. Nach der jüngeren Rechtsprechung des Bundessozialgerichts begründe § 129 SGB V nur die Pflicht zur Vergütung des Arzneimittelpreises an die Apotheke. Gläubiger und Inhaber des Anspruchs auf Übereignung der Arznei bleibe bei der gesetzlichen Krankenversicherung allein der gesetzlich Versicherte. Mithin sei der zivilrechtliche Gläubiger der Arzneilieferung auch im Fall der gesetzlichen Krankenversicherung allein der Versicherte und nicht die gesetzliche Krankenversicherung. Diese habe lediglich die Pflicht, die Kosten für den Erwerb der Arznei durch den Versicherten zu tragen.

32
Zusammenfassend gehe es letztlich um die Frage, ob für einen Rabatt an einen Dritten Voraussetzung sei, dass der Dritte in der Leistungskette stehe. Der Generalanwalt habe dies in seinen Schlussanträgen in der Rs. Ibero Tours verneint, indem er ausgeführt habe:

33
„Der Gerichtshof hat den Steuerpflichtigen zwar als das erste Glied einer Kette von Umsätzen angesehen; dabei handelt es sich aber um eine Anknüpfung an den Sachverhalt der dem Urteil Elida Gibbs zugrunde liegenden Rechtssache, in der sich der Hersteller, der dem Endverbraucher den Preisnachlass anbot, am Anfang der Wertschöpfungskette befand, und nicht um die Aufstellung einer Voraussetzung für die Minderung der Besteuerungsgrundlagen.“


34
Der Beklagte erließ aus hier nicht streitbefangenen Gründen nach § 164 Abs. 2 Abgabenordnung am 4. März 2014 (Bl. 23 d. Umsatzsteuerakte) und zuletzt am 3. Juli 2014 jeweils geänderte Umsatzsteuerbescheide für das Jahr 2011 (Bl. 28 d. Umsatzsteuerakte).

35
Die Klägerin beantragt,
den geänderten Umsatzsteuerbescheid 2011 vom 3. Juli 2014 dahingehend zu ändern, dass die Umsätze zum regulären Steuersatz um 3.197.334,91 Euro, mithin die Umsatzsteuer um 607.493,63 Euro, reduziert werden,
hilfsweise,
die Revision zuzulassen.

36
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

37
Der Beklagte verweist klageerwidernd auf seine Ausführungen in der Einspruchsentscheidung. Nach der Rechtsprechung des BFH führten § 10 Abs. 1 S. 2 UStG und Art. 73 MwStSyStRL trotz der bestehenden Formulierungsunterschiede zum selben Ergebnis. Soweit die Klägerin sich auf das EuGH-Urteil in der Rs. Le Rayon d’Or beziehe, habe der EuGH ausgeführt, dass die Gegenleistung auch von einem Dritten erbracht werden könne, ohne dass dadurch der erforderliche unmittelbare Zusammenhang zu der erbrachten Dienstleistung beseitigt werden. Für das deutsche Rechtssystem lasse sich dies aus § 10 Abs. 1 S. 3 UStG herleiten und stehe nicht im Widerspruch zur BFH-Rechtsprechung.

38
Mit der Klägerin gehe auch der Beklagte grundsätzlich davon aus, dass Rückzahlungen an Dritte zu einer Entgeltminderung führen könnten. Vorliegend seien hierfür aber nicht die Voraussetzungen gegeben.

39
Soweit sich die Klägerin auf die EuGH-Rechtsprechung in der Rs. Glawe beruft, weist der Beklagte darauf hin, dass die Rückvergütung in Form der ausgeschütteten Gewinne ausschließlich an Glücksspieler erfolge. Diese seien aber im maßgeblichen Rechtsverhältnis zum Automatenbetreiber nicht Dritte, sondern Leistungsempfänger. Dass sie im Verhältnis zu den leer ausgehenden anderen Glücksspielern Dritte seien, sei unbeachtlich, da der Leistungsaustausch zwischen dem Automatenbetreiber und den Glücksspielern und nicht zwischen den Glücksspielern untereinander stattfinde. Anders als in der Rs. Glawe stehe auch im Streitfall nicht für jede Arzneimittellieferung von vornherein fest, dass die Klägerin über einen Teil der Gegenleistung effektiv nicht verfügen dürfe, da die Gewährung des Abschlags davon abhänge, ob der Privatpatient die Rechnung bei seiner privaten Krankenkasse einreiche oder nicht.

40
Für den Beklagten sei nicht ersichtlich, aus welchen Passagen des EuGH-Urteils in der Rs. Elida Gibbs die Klägerin herauslese, dass auch Rabatte an außerhalb der Leistungskette stehende Personen eine Entgeltminderung nach sich zögen. Das Urteil selbst sei zu Rabatten innerhalb der Leistungskette ergangen. Vielmehr stehe durch die jüngste EuGH-Rechtsprechung in der Rs. Ibero Tours GmbH und der sich anschließenden BFH Entscheidung vom 27. Februar 2014, V R 18/11 nunmehr fest, dass die Grundsätze der Rechtsprechung in der Rs. Elida Gibbs nicht auf Rabatte an außerhalb der Leistungskette stehende Personen und damit auch nicht auf den vorliegenden Fall übertragbar seien. Der EuGH sei in der Rs. Ibero Tours nicht der Ansicht des Generalanwalts gefolgt und habe es als entscheidungserheblich angesehen, dass der Reiseveranstalter nicht erstes Glied einer Leistungskette und die von Ibero Tours erbrachte Dienstleistung getrennt von der Dienstleistung des Reiseveranstalters gewesen sei.

41
Die private Krankenversicherung stehe nicht innerhalb der Leistungskette. Denn auch in den Fällen, in denen der Endverbraucher die Arzneimittelrechnung bei seiner privaten Krankenversicherung einreiche, es aber aufgrund der vertraglich vereinbarten Selbst- oder Eigenbehalte zu keiner bzw. nur anteiligen Kostenerstattung komme, sei das Pharmaunternehmen zur Zahlung der Abschläge verpflichtet. Die Klägerin sei auch zu Rabatten verpflichtet, wenn die private Krankenversicherung keine Kosten erstatte und damit wirtschaftlich nicht belastet sei.

42
Die Klägerin stelle auf die rein wirtschaftliche Beurteilung der Beziehungen der Beteiligten ab, wenn sie ausführe, dass die private Krankenversicherung faktisch in der Leistungskette stünde. Entscheidend seien jedoch die zugrundeliegenden zivilrechtlichen Beziehungen. Die private Krankenversicherung sei nicht Leistungsempfängerin der Arzneimittellieferung und somit nicht Teil einer diese Lieferung umfassenden Leistungskette. Die an sie geleisteten Zahlungen minderten damit nicht das Entgelt der Arzneimittellieferung der Klägerin.

43
Soweit die Klägerin sich auf einen Verstoß gegen Art. 3 GG berufe, erwidert der Beklagte, ein Kaufvertrag komme zwischen dem gesetzlich Versicherten und der Apotheke nicht zustande. Der gesetzlich Versicherte habe vielmehr nach § 31 Abs. 1 SGB V einen Anspruch gegenüber seiner gesetzlichen Krankenversicherung auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln. Dem stehe auch die jüngere BSG-Rechtsprechung nicht entgegen. In dem von der Klägerin zitierten Textpassagen gehe es lediglich um die Frage, ob der Vergütungsanspruch der Apotheken auf einem in jedem einzelnen Fall der Medikamentenabgabe auf Kassenrezept zu schließenden öffentlich-rechtlichen Kaufvertrag zwischen Apotheker und Krankenkasse beruhe, oder sich bereits aus § 129 SGB V i.V.m. den entsprechenden Einzelvereinbarungen ergebe. Beiden Auffassungen sei gemein, dass das Vertragsverhältnis zwischen der gesetzlichen Krankenkasse und den Apotheken als Leistungserbringern bestehe. Für einen zivilrechtlichen Kaufvertrag zwischen der Apotheke und dem gesetzlich Versicherten bleibe kein Raum.

Entscheidungsgründe

44
Die zulässige Klage führt in der Sache zum Erfolg. Der angefochtene Umsatzsteuerbescheid ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Die über die ZESAR an die privaten Krankenkassen und anderen Kostenträger der Heilfürsorge ausgezahlten Abschläge nach § 1 AMRabG mindern die Bemessungsgrundlage der Klägerin (so auch: Stadie, in Stadie: Umsatzsteuergesetz, 3. Auflage 2015, § 10 Rn. 48; Winter/Kapeller MwStR 2013, 109. A.A. FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 13. Mai 2015, 7 K 7323/13, nicht rechtskräftig, das Revisionsverfahren wird beim BFH unter dem Aktenzeichen XI R 14/15 geführt).

I.

45
Die Bemessungsgrundlage für Lieferungen und sonstige Leistungen bemisst sich im Umsatzsteuerrecht nach dem vereinbarten Entgelt, § 10 Abs. 1 S. 1 UStG. Dem Entgelt kommt im Umsatzsteuerrecht eine Doppelfunktion zu: einerseits liegt ohne Entgelt kein steuerbarer Tatbestand nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 S. 1 UStG vor, andererseits ist das Entgelt Bemessungsgrundlage für die steuerbaren Umsätze.

46
Im Rahmen des § 10 UStG geht es allein um die Frage der Bemessungsgrundlage. Entgelt ist nach der Legaldefinition des § 10 Abs. 1 S. 2 UStG alles, was der Leistungsempfänger aufwendet, um die Leistung zu erhalten, jedoch abzüglich der Umsatzsteuer. Eine Zahlung ist nach der Rechtsprechung des EuGH und des BFH nur dann Entgelt für eine bestimmte Leistung, wenn sie für die Leistung bzw. für diesen Umsatz gewährt wird.

47
Ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen Leistung und Gegenleistung liegt vor, wenn zwischen dem Leistenden und dem Leistungsempfänger ein „Rechtsverhältnis“ besteht, in dessen Rahmen gegenseitige Leistungen ausgetauscht werden, wobei die vom Leistenden empfangene Vergütung den tatsächlichen Gegenwert für die dem Leistungsempfänger erbrachte Leistung darstellt (ständige Rechtsprechung, vgl. EuGH Urteil „Kennemer Golf & Country Club, C- 174/00, Urteil vom 21. März 2002, Slg. 2002 I – 3293; BFH Urteil vom 16. Januar 2003, V R 36/01, BFH/NV 2003, 667).

48
Maßgebend für die Höhe des Entgelts nach nationalem Recht ist alles, was der Leistungsempfänger vereinbarungsgemäß für die Leistung aufwendet. Dem entspricht, dass die zunächst maßgebende vereinbarte Bemessungsgrundlage durch eine nachträgliche Vereinbarung mit umsatzsteuerrechtlicher Wirkung erhöht oder ermäßigt werden kann, und dass die Leistung des Unternehmers "letztendlich" nur mit der Bemessungsgrundlage besteuert wird, die sich aufgrund der von ihm wirklich vereinnahmten Gegenleistung ergibt (BFH Urteil vom 18. September 2008, V R 56/06, BStBl. II 09, 250). Das Entgelt kann sich anfänglich oder nachträglich mindern. Vor der Steuerentstehung ermittelt es sich nach § 10 UStG, nach der Steuerentstehung nach § 17 UStG. Dem entsprechend spielt es keine Rolle, ob der Unternehmer auf den zunächst vereinbarten Preis einen Abschlag gewährt oder nur einen von vornherein geminderten Preis fordert (BFH Urteil vom 17. Dezember 2009, V R 1/09, BFH/NV 2010, 1869).

49
Nach § 10 Abs. 1 S. 3 UStG gehört zum Entgelt auch, was ein anderer als der Leistungsempfänger dem Unternehmer für die Leistung gewährt. Da der Dritte etwas „für die Leistung“ zahlt, muss ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Leistung und der Zuwendung des Dritten feststellbar sein. Erbringt der am Leistungsaustausch unbeteiligte Dritte die Zahlung unabhängig von einem bestimmten Leistungsaustausch, gehört die Zahlung nicht zum Entgelt. Ist die Zuzahlung Entgelt eines weiteren, zweiten Leistungsaustauschs, gehört sie nicht zum Entgelt des ersten Leistungsaustauschs. Insofern liegt ein unmittelbarer Leistungsaustausch zwischen dem Leistenden und dem zahlenden Dritten regelmäßig nicht vor (BFH Urteil vom 20. Februar 1992, V R 107/87, BStBl. II 1992, 705).

II.

50
Mit der Bestimmung der Bemessungsgrundlage nach den Aufwendungen des Leistungsempfängers bzw. eines Dritten weicht das Umsatzsteuergesetz vom Wortlaut der unionsrechtlichen Grundlage ab (Wagner, in Sölch/Ringleb, Umsatzsteuer Kommentar, § 10 Rn. 46, Stand: April 2015). Art. 73 MwStSystRL (bis 31.12.2006: Art. 11 Teil A Abs. 1 lit. a der Richtlinie 77/388/EWG) bestimmt als Steuerbemessungsgrundlage für entgeltliche Leistungen alles, was den Wert der Gegenleistung bildet, die der Lieferer oder Dienstleistungserbringer für diese Umsätze vom Erwerber oder Dienstleistungsempfänger oder einem Dritten erhält oder erhalten soll, einschließlich der unmittelbar mit dem Preis dieser Umsätze zusammenhängender Subventionen.

51
Auch der EuGH führt in ständiger Rechtsprechung zu Art. 11 Teil A Abs. 1 lit. a der Richtlinie 77/377/EWG aus, dass die endgültige Besteuerungsgrundlage bei Lieferung von Waren oder Erbringen von Dienstleistung die tatsächlich erhaltene Gegenleistung ist (EuGH Urteil vom 24. Oktober 1996, C-288/94, Rs. Argos Distributors Ltd.; EuGH Urteil vom 29. Mai 2001, C-86/99, Rs. Freemans). Da Art. 73 MwStSystRL mit der früheren Vorschrift des Art. 11 Teil A Abs. 1 lit. a der Richtlinie 77/388/EWG im Wesentlichen übereinstimmt, ist diese Rechtsprechung mutatis mutandis auch auf Art. 73 MwStSystRL übertragbar (EuGH Urteil vom 27. März 2014, C-151/13, Rs. Le Rayon d’Or).

III.

52
Während das nationale Recht darauf abstellt, was der Leistungsempfänger bzw. ein Dritter für die Leistung aufwendet, stellt das Unionsrecht darauf ab, was der Leistende erhält. Nach der Rechtsprechung des BFH führen beide Regelungen trotz der vorhandenen Formulierungsunterschiede in den bisher entschiedenen Fällen zum selben Ergebnis (BFH Urteil vom 19. Oktober 2001, V R 48/00, BStBl. II 2003, 210; BFH Urteil vom 11. Februar 2010, V R 2/09, BStBl. II 2010, 765). Weder schließe die Formulierung in Art. 11 Teil a Abs. 1 lit. a Richtlinie 77/388/EWG die Anknüpfung an die Aufwendungen des Leistungsempfängers aus, noch verbiete die auf den typischen Fall des gegenseitigen Vertrages zugeschnittene Formulierung in § 10 Abs. 1 S. 2 UStG die Berücksichtigung der Sicht des Leistenden. Eine Zahlung/Aufwendung sei grundsätzlich nur dann Entgelt für eine bestimmte Leistung, wenn sie für die Leistung bzw. für diese Umsätze gewährt werde bzw. der Leistende sie hierfür erhalte. Die Entgelthöhe richtet sich nach dem Rechtsverhältnis zwischen dem Leistenden und dem Leistungsempfänger, aus dem sich der für die Steuerbarkeit der Leistung maßgebliche unmittelbare Zusammenhang zwischen der Leistung und dem erhaltenen Gegenwert ergibt (BFH Urteil vom 17. Dezember 2009, V R 1/09, BFH/NV 2010, 1869). Auf eine finale Verknüpfung von Entgelt und Leistung kommt es nach der Rechtsprechung nicht an. Entscheidend ist der unmittelbarere Zusammenhang zwischen Leistung und Gegenleistung, der sich regelmäßig aus dem „Rechtsverhältnis“ zwischen Leistendem und Leistungsempfänger ergibt.

53
Nach der Rechtsprechung des BFH gelten diese Grundsätze sinngemäß für die Beurteilung der Frage, ob die Zahlungen eines Dritten für eine bestimmte Leistung des Leistenden gewährt werden bzw. ob der Leistende die Zahlung für diese Leistung erhält (ständige Rechtsprechung, vgl. nur BFH Urteil vom 16. Januar 2003, V R 36/01, BFN/NV 2003, 681).

54
Letztlich führen auch nach Ansicht des erkennenden Senats die Entgeltbestimmungen im UStG und im Gemeinschaftsrecht grundsätzlich zum selben Ergebnis, weil regelmäßig die Aufwendungen des Leistungsempfängers bzw. des Drittens für die Leistung ungeschmälert auf den Leistenden übergehen und der Leistende sie ungeschmälert behalten kann. In diesen Fällen entspricht der Betrag, den ein Leistungsempfänger oder ein Dritter erhält, dem Betrag, den der Leistende erhält.

IV.

55
Unterschiede können sich jedoch ergeben, wenn es dem Leistenden wie vorliegend aufgrund gesetzlicher Regelungen versagt ist, über den empfangenen Betrag in voller Höhe uneingeschränkt zu verfügen und er einen Teil des vom Leistungsempfängers aufgewendeten Betrags an einen Dritten auszukehren hat. In diesem Fall entspricht der Betrag, den der Leistungsempfänger aufwendet, nicht mehr dem Betrag, der dem Leistenden zufließt.

56
1. So hat der EuGH in der Rs. Glawe (C-38/93, EuGH-Urteil vom 5. Mai 1994) im Rahmen von Umsätzen mit Geldspielautomaten entschieden, dass der gesetzlich zwingend festgelegte Teil der gesamten Spieleinsätze, der an die Spieler als Gewinn ausgezahlt werden muss, nicht zur Besteuerungsgrundlage gehört. Der Betreiber von Geldspielautomaten könne nur über den Teil der Einsätze effektiv verfügen, den er nicht aufgrund zwingender gesetzlicher Vorschriften als Gewinn an die Spieler auszahlen müsse. Diese Rechtsprechung hat der EuGH mit Urteil vom 19. Juli 2012 in der Rs. International Bingo Technology (C-377/11) bestätigt. Er führt hierin aus:

57
„Da der Teil des Verkaufspreises der Coupons, der als Gewinne an die Spieler ausgeschüttet wird, im Vorhinein feststeht und zwingend ist, kann er nicht als Bestandteil der Gegenleistung angesehen werde, die der Spielveranstalter für die von ihm erbrachte Leistung erhält. Daher besteht bei einem Spiel wie dem im Ausgangsverfahren fraglichen die Gegenleistung, die der Spielveranstalter für die erbrachte Dienstleistung tatsächlich erhält, im Verkaufspreis der Coupons abzüglich des gesetzlich festgelegten Teils dieses Preises, der als Gewinn an die Spieler auszuschütten ist. Der Veranstalter kann nämlich nur über diesen Teil des Verkaufspreises effektiv selbst verfügen.“

58
Entscheidend ist damit, ob der Leistende über die eingenommene Gegenleistung frei verfügen kann oder ob von vornherein feststeht, dass ein Teil der eingenommenen Verkaufspreise an die Spieler zurückzuzahlen ist.

59
Der EuGH hat in der Rs. Freemans zwar darauf hingewiesen, dass sich Glückspielumsätze schlecht für die Anwendung der Mehrwertsteuer eignen und es nicht angebracht erscheint, aus der Besteuerung dieser Umsätze allgemeine Schlussfolgerungen zu ziehen, um sie auf die Besteuerung der gewöhnlichen Lieferung von Gegenständen anzuwenden (EuGH Urteil vom 29. Mai 2001, C-86/99, Slg. 2991, I-4167). Der streitgegenständliche Fall stimmt jedoch insoweit mit der Rs. Glawe überein, als der Betrag, über den der Leistende letztendlich verfügen kann, gesetzlich reguliert ist.

60
Vorliegend steht aufgrund § 1 AMRabG fest, dass die Klägerin das zunächst erhaltene Entgelt nicht in voller Höhe behalten und über es frei verfügen kann, sondern zur Zahlung eines Abschlags verpflichtet sich, sobald der Versicherte die Kosten gegenüber der privaten Krankenkasse oder dem Träger der Heilfürsorge geltend macht.

61
Somit steht zwar noch nicht bereits beim Erwerb des Medikaments in der Apotheke fest, ob die Klägerin zur Zahlung des Abschlags verpflichtet ist. Jedoch ergibt sich aus § 17 UStG, dass auch nachträgliche Entgeltminderungen die Bemessungsgrundlage beeinflussen. Sobald ein Versicherter das Rezept bei seiner Krankenkasse oder einem anderen Kostenträger einreicht, ist die Klägerin nach § 1 AMRabG verpflichtet, dem Unternehmen der privaten Krankenversicherung bzw. den Trägern der Beilhilfe und Heilfürsorge einen Abschlag entsprechend § 130a Abs. 1, 1a, 2, 3, 3a und 3b SGB V zu gewähren.

62
2. Der Annahme einer Entgeltminderung in Form der Abschläge an die privaten Krankenkassen bzw. Trägern der Heilfürsorge steht auch nicht entgegen, dass die Abschläge an einen Dritten und damit nicht an einen Unternehmer oder Endverbraucher innerhalb der Leistungskette gezahlt werden, da die Zahlungen der Klägerin in einem unmittelbarem Zusammenhang mit der Medikamentenlieferung stehen.

63
Für den Fall der Rückzahlung der vereinnahmten Gegenleistung nach § 130a SGB V durch die Pharmahersteller an die gesetzlichen Krankenkassen gehen sowohl die Finanzverwaltung als auch der BFH von einer Entgeltminderung aus (BFH Urteil vom 28. Mai 2009, V R 2/08, BStBl. II 2009, 870). Ob die gesetzliche Krankenkasse Teil der Lieferkette war, brauchte der BFH im Verfahren V R 2/08 nicht näher zu beleuchten (so auch: Prätzler, Anmerkung zu FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 13. Mai 2015, 7 K 7323/13, jurisPR-SteuerR 40/2015, Anmerkung 6).

64
Soweit das FG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 13. Mai 2015, 7 K 7323/13, juris) und das BMF (BMF Schreiben vom 14.11.2012, BStBl. I 2012, 1170) davon ausgehen, dass bei Zahlung der Rabatte an private Krankenversicherungen bzw. Träger der Heilfürsorge eine Entgeltminderung nicht eintritt, weil Rabatte nur innerhalb der Leistungskette zu einer Minderung der Bemessungsgrundlage führen können, spricht für diese Ansicht zunächst der Wortlaut des Art. 79 MwStSystRL. Danach sind in die Steuerbemessungsgrundlage nicht Rabatte und Rückvergütungen auf den Preis einzubeziehen, die dem Erwerber oder Dienstleistungsempfänger eingeräumt werden. Vorliegend wurden die Rabatte aber weder den Apotheken noch dem Endkunden, sondern den privaten Krankenkassen bzw. den Trägern der Heilfürsorge als Zahlungsempfänger außerhalb der Lieferkette eingeräumt.

65
Eine solche Beschränkung auf Rabatte innerhalb der Leistungskette enthält hingegen Art. 90 MwStSystRL nicht. Danach wird die Bemessungsgrundlage u.a. im Fall des Preisnachlasses nach Bewirken des Umsatzes unter den von den Mitgliedstaaten festgelegten Bedingungen entsprechend geändert.

66
Da das Entgelt jedoch nach Art. 73 MwStSystRL bzw. § 10 Abs. 1 S. 3 UStG auch von Dritter Seite erfolgen kann, muss im Umkehrschluss auch eine nachträgliche Rückvergütung an den Dritten zu einer Minderung der Bemessungsgrundlage führen, sofern zwischen dem Leistenden und dem Leistungsempfänger ein unmittelbarer Zusammenhang besteht und die Rückvergütung einer solchen Leistungsbeziehung unmittelbar zuzuordnen ist.

67
Mangels unmittelbaren Zusammenhangs hat der BFH im Verfahren V R 1/13 die Änderung der Bemessungsgrundlage aufgrund der Zahlung eines umsatzunabhängigen Solidarbeitrags eines pharmazeutischen Unternehmens an die gesetzlichen Krankenkassen abgelehnt (BFH Urteil vom 30. Januar 2014, V R 1/13, BFH/NV 2014, 911). Der BFH begründete seine Entscheidung damit, dass zum einen zwischen den Pharmaunternehmen und den gesetzlichen Krankenkassen keine unmittelbaren Rechtsbeziehungen bestanden hätten und zum anderen der Solidarbeitrag nicht zu einer Minderung der Bemessungsgrundlage für die nach seiner Erbringung erfolgten Leistungen geführt habe. Insoweit fehle es an einem erforderlichen unmittelbaren Zusammenhang zwischen der Zuwendung des Leistungserbringers und einem Umsatz oder einer Mehrheit von Umsätzen.

68
Soweit der Beklagte der Ansicht ist, dass eine Rückzahlung des Leistenden an Dritte nur dann eine Minderung der Bemessungsgrundlage darstellt, wenn sie wirtschaftlich als Zahlung an den Leistungsempfänger anzusehen ist, ist vorliegend nicht entscheidend, ob der Privatpatient unmittelbar von dem Rabatt profitiert. Dies dürfte im Ergebnis zu verneinen sein. Entscheidend ist vielmehr, ob die Rückzahlung in unmittelbarem Zusammenhang mit der zuvor erbrachten Leistung, hier der Medikamentenlieferung, steht und somit ein Preisnachlass an den Leistungsempfängers bzw. an den Dritten für eine bestimmte Leistung darstellt. Dies ist vorliegend der Fall. Denn nur wenn eine Medikamentenlieferung erfolgt ist und der Patient den gezahlten Preis bei der Krankenkasse geltend macht, kommt es zu dem gesetzlich vorgeschriebenen Abschlag. Aufgrund der gesetzlichen Regelungen steht von vornherein fest, dass und in welcher Höhe es zu einem Abschlag vom ursprünglichen Apothekenverkaufspreis kommt, wenn der Patient sein Rezept bei der privaten Krankenkasse einreicht. Die zwischen der Klägerin und der Apotheke bzw. der Apotheke und dem Versicherten bestehende Vereinbarung sieht vor, dass aufgrund der bestehenden gesetzlichen Regelung des § 1 AMRabG eine Rückzahlung des zunächst geleisteten Entgelts erfolgt, wenn der Versicherte seine Krankenversicherung in Anspruch nimmt.

69
3. Einer Minderung der Bemessungsgrundlage durch Abschlagszahlung an einen Dritten, der faktisch Teil der Leistungskette wird, steht auch nicht das EuGH-Urteil Ibero-Tours entgegen (EuGH Urteil vom 16. Januar 2014, C-300/12, BStBl. II 2015, 317). Ibero Tours vermittelte von Reiseveranstaltern zusammengestellte Reiseleistungen an Kunden und erhielt im Gegenzug von den Reiseveranstaltern Provisionen. Zur Umsatzsteigerung gewährte Ibero Tours den Kunden einen Nachlass auf den Bruttoreisepreis, den sie mit einem Teil ihrer Provisionen finanzierte und begehrte insoweit eine Minderung ihrer Bemessungsgrundlage.

70
Der EuGH hat eine Minderung des Entgelts mit der Begründung verneint, dass sich der gewährte Nachlass weder auf die Gegenleistung auswirke, die der Reiseveranstalter für den Verkauf der Reise erhalte, noch auf die Gegenleistung, die Ibero Tours für die Vermittlung erhalte. Der gewährte Preisnachlass führe weder bei dem vermittelten Umsatz noch bei der vom Reisebüro erbrachten Dienstleistung zu einer Minderung der Besteuerungsgrundlage. Insofern seien die Grundsätze aus dem Urteil Elida Gibbs nicht anzuwenden.

71
Während Ibero Tours damit zu Leistungsbeziehungen sowohl zum Reiseveranstalter als auch zum Reisekunden stand, steht die private Krankenversicherung vorliegend nicht in gesonderten Leistungsbeziehungen zur Klägerin. Sie ist vielmehr Dritte, die durch ihre Inanspruchnahme durch den Patienten faktisch an die Stelle des Leistungsempfängers gesetzt wird.

72
4. Diese Sichtweise steht auch mit dem Grundprinzip und der Funktionsweise des Mehrwertsteuersystems in Einklang. Danach soll nur der Endverbraucher belastet werden (EuGH Urteil vom 24. Oktober 1996, C-317/94, Rs. Elida-Gibbs Ltd.). Folglich kann der Betrag, der als Besteuerungsgrundlage für die von den Steuerbehörden zu erhebenden Mehrwertsteuer dient, nicht höher sein als die Gegenleistung, die der Endverbraucher tatsächlich erbracht hat und auf deren Grundlage die von ihm letztlich getragene Mehrwertsteuer berechnet worden ist.

73
Sofern der Endverbraucher das Rezept nicht bei seiner Krankenkasse bzw. der Beihilfe einreicht, wird er mit der Umsatzsteuer belastet. Bemessungsgrundlage ist der volle Nettoapothekenverkaufspreis. Sofern der Endverbraucher die Kosten bei seiner Krankenkasse geltend macht, kommt es nach § 1 AMRabG u.V.m. § 130a SGB V zu einem Abschlag. Die Klägerin kann nach der hier vertretenen Ansicht den um den Abschlag geminderten Nettopreis der Umsatzsteuer unterwerfen. Die private Krankenkasse bzw. die Beihilfe wäre nach der hier vertretenen Auffassung nur mit dem um den Abschlag geminderten Nettopreis belastet, während der Endverbraucher durch die Rückerstattung seiner Versicherung regelmäßig wirtschaftlich nicht belastet wird. Würde man eine Minderung der Bemessungsgrundlage um den gesetzlich vorgeschriebenen Abschlag verneinen, müsste die Klägerin Umsatzsteuer auf den ungeminderten Nettopreis zahlen, obwohl die private Krankenkasse nur mit dem um den Abschlag geminderten Preis belastet und der Versicherte selbst wirtschaftlich aufgrund der Erstattung nicht belastet wäre.

74
Etwas anderes ergibt sich auch nicht im Fall von Selbst- oder Eigenbehalten. Zwar sieht § 1 S. 3 AMRabG vor, dass zur Ermittlung der Abschläge nach § 1 S. 1 AMRabG Selbst- oder Eigenbehalte, die Unternehmen der privaten Krankenversicherung mit den Versicherungsnehmern vereinbart haben oder die auf beamtenrechtlichen oder anderen Vorschriften beruhen, nicht zu berücksichtigen sind. Eigen- oder Selbstbehalte sind jedoch regelmäßig nicht bestimmten Leistungen zugeordnet. Sie beruhen wie die Versicherungsprämien selbst auf den versicherungsrechtlichen Vereinbarungen zwischen den Versicherungsnehmer und den Versicherungen.

75
V. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 FGO, der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit mit Abwendungsbefugnis auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10 i.V.m. § 711 ZPO.

76

Die Revision wurde nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 FGO zugelassen.


----------------------------------------------

EuGH-Vorlage vom 22. Juni 2016, V R 42/15

EuGH-Vorlage zu den Auswirkungen von Abschlägen, die ein pharmazeutischer Unternehmer gemäß § 1 AMRabG gewährt, auf die umsatzsteuerrechtliche Bemessungsgrundlage für die von ihm ausgeführten Lieferungen

BFH V. Senat

EUGrdRCh Art 20 , EGRL 112/2006 Art 73 , EGRL 112/2006 Art 90 Abs 1 , UStG § 10 Abs 1 S 2 , UStG § 17 Abs 1 S 1 , AMRabG § 1 , SGB 5 § 130a , UStG VZ 2011

vorgehend Finanzgericht Rheinland-Pfalz , 24. September 2015, Az: 6 K 1251/14


Leitsätze


Dem Gerichtshof der Europäischen Union wird folgende Rechtsfrage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Ist ein pharmazeutischer Unternehmer, der Arzneimittel liefert, auf Grundlage der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (Urteil Elida Gibbs vom 24. Oktober 1996 C-317/94, EU:C:1996:400, Slg. 1996, I-5339, Rz 28, 31) und unter Berücksichtigung des unionsrechtlichen Grundsatzes der Gleichbehandlung zu einer Minderung der Bemessungsgrundlage nach Art. 90 der Richtlinie des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem 2006/112/EG (MwSystRL) berechtigt, wenn
- er diese Arzneimittel über Großhändler an Apotheken liefert,
- die Apotheken steuerpflichtig an privat Krankenversicherte liefern,
- der Versicherer der Krankheitskostenversicherung (das Unternehmen der privaten Krankenversicherung) seinen Versicherten die Kosten für den Bezug der Arzneimittel erstattet und
- der pharmazeutische Unternehmer aufgrund einer gesetzlichen Regelung zur Zahlung eines "Abschlags" an das Unternehmen der privaten Krankenversicherung verpflichtet ist?

Tenor

I. Dem Gerichtshof der Europäischen Union wird folgende Rechtsfrage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Ist ein pharmazeutischer Unternehmer, der Arzneimittel liefert, auf Grundlage der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (Urteil Elida Gibbs vom 24. Oktober 1996 C 317/94, EU:C:1996:400, Slg. 1996, I-5339, Rz 28, 31) und unter Berücksichtigung des unionsrechtlichen Grundsatzes der Gleichbehandlung zu einer Minderung der Bemessungsgrundlage nach Art. 90 der Richtlinie des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem 2006/112/EG berechtigt, wenn
- er diese Arzneimittel über Großhändler an Apotheken liefert,
- die Apotheken steuerpflichtig an privat Krankenversicherte liefern,
- der Versicherer der Krankheitskostenversicherung (das Unternehmen der privaten Krankenversicherung) seinen Versicherten die Kosten für den Bezug der Arzneimittel erstattet und
- der pharmazeutische Unternehmer aufgrund einer gesetzlichen Regelung zur Zahlung eines "Abschlags" an das Unternehmen der privaten Krankenversicherung verpflichtet ist?

II. Das Verfahren wird bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union ausgesetzt.

Tatbestand

1
I. Zum Sachverhalt

2
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist ein pharmazeutisches Unternehmen, das Arzneimittel herstellt und sie (auch im Jahr 2011, dem Streitjahr) steuerpflichtig über Großhändler an Apotheken liefert.

3
Diese geben die Arzneimittel an gesetzlich Krankenversicherte aufgrund eines Rahmenvertrages mit dem Spitzenverband der Krankenkassen ab. Die Arzneimittel werden an die Krankenkassen geliefert und von diesen ihren Versicherten zur Verfügung gestellt. Die Apotheken gewähren den Krankenkassen einen Abschlag auf den Arzneimittelpreis. Die Klägerin als pharmazeutisches Unternehmen muss den Apotheken oder --bei Einschaltung von Großhändlern-- den Großhändlern diesen Abschlag erstatten. Die Finanzverwaltung behandelt den Abschlag umsatzsteuerrechtlich als Entgeltminderung (vgl. Erlass des Bundesministeriums der Finanzen --BMF-- vom 14. November 2012, BStBl I 2012, 1170, unter I.1.).

4
Arzneimittel für privat Krankenversicherte geben die Apotheken aufgrund von Einzelverträgen mit diesen Personen ab. Das Unternehmen der privaten Krankenversicherung ist nicht selbst Abnehmer der Arzneimittel, sondern erstattet lediglich die ihren Versicherten entstandenen Kosten. In diesem Fall muss die Klägerin dem Unternehmen der privaten Krankenversicherung einen Abschlag auf den Arzneimittelpreis gewähren. Die Finanzverwaltung erkennt diesen Abschlag umsatzsteuerrechtlich nicht als Entgeltminderung an (vgl. BMF-Erlass in BStBl I 2012, 1170, unter I.2.).

5
Im Ausgangsverfahren ist ausschließlich die Behandlung von Abschlägen an Unternehmen der privaten Krankenversicherung streitig. Die Klägerin gewährte im Streitjahr solche Abschläge und berücksichtigte sie in ihrer Umsatzsteuererklärung als Änderung der Bemessungsgrundlage für die von ihr an Arzneimittelhändler ausgeführten Arzneimittellieferungen. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) erließ aufgrund einer Umsatzsteuer-Sonderprüfung einen geänderten Umsatzsteuerbescheid, in dem die Abschläge nicht mehr entgeltmindernd berücksichtigt waren. Der dagegen eingelegte Einspruch blieb erfolglos.

6
Die daraufhin erhobene Klage hatte vor dem Finanzgericht (FG) Erfolg. Das FG änderte mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2015, 2243 abgedruckten Urteil den Umsatzsteuerbescheid dahingehend, dass die Umsätze gemäß der Umsatzsteuer-Jahreserklärung angesetzt wurden. Gegen dieses Urteil wendet sich das FA mit der Revision.

Entscheidungsgründe

7
II. Entscheidungsgründe

8
1. Rechtlicher Rahmen

9
a) Unionsrecht

10
Die Steuerbemessungsgrundlage bei der Lieferung von Gegenständen und Dienstleistungen, die nicht unter die Art. 74 bis 77 der Richtlinie des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem 2006/112/EG (MwStSystRL) fallen, umfasst alles, was den Wert der Gegenleistung bildet, die der Lieferer oder Dienstleistende für diese Umsätze vom Erwerber oder Dienstleistungsempfänger oder von einem Dritten erhält oder erhalten soll, einschließlich der unmittelbar mit dem Preis dieser Umsätze zusammenhängenden Subventionen (Art. 73 MwStSystRL).

11
Im Falle der Annullierung, der Rückgängigmachung, der Auflösung, der vollständigen oder teilweisen Nichtbezahlung oder des Preisnachlasses nach der Bewirkung des Umsatzes wird die Besteuerungsgrundlage (Steuerbemessungsgrundlage) unter von den Mitgliedstaaten festgelegten Bedingungen entsprechend vermindert (Art. 90 Abs. 1 MwStSystRL).

12
b) Nationales Recht

13
aa) Umsatzsteuerrecht

14
Entgelt ist alles, was der Leistungsempfänger aufwendet, um die Leistung zu erhalten, jedoch abzüglich der Umsatzsteuer (§ 10 Abs. 1 Satz 2 des Umsatzsteuergesetzes --UStG--).

15
Ändert sich die Bemessungsgrundlage für einen steuerpflichtigen Umsatz, hat der Unternehmer, der den Umsatz ausgeführt hat, den dafür geschuldeten Steuerbetrag zu berichtigen (§ 17 Abs. 1 Satz 1 UStG).

16
bb) Krankenversicherungsrecht

17
Die Krankenkassen stellen nach § 2 Abs. 1 Satz 1 des Fünften Buchs Sozialgesetzbuch (SGB V) ihren Versicherten die gesetzlich vorgesehenen Leistungen zur Verfügung. Nach § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB V erhalten die Versicherten die Leistungen grundsätzlich als Sach- und Dienstleistungen. Über die Erbringung der Sach- und Dienstleistungen schließen die Krankenkassen nach § 2 Abs. 2 Satz 3 SGB V Verträge mit den Leistungserbringern. Nach § 129 SGB V besteht zwischen dem Spitzenverband der Krankenkassen und dem Spitzenverband der Apotheken ein Rahmenvertrag über die Arzneimittelversorgung.

18
Die Krankenkassen erhalten nach § 130a Abs. 1 Sätze 1 bis 4 SGB V von Apotheken für zu ihren Lasten abgegebene Arzneimittel einen Abschlag in Höhe von grundsätzlich 7 vom Hundert des Abgabepreises des pharmazeutischen Unternehmers ohne Mehrwertsteuer. Pharmazeutische Unternehmer sind verpflichtet, den Apotheken den Abschlag zu erstatten. Soweit pharmazeutische Großhändler bestimmt sind, sind pharmazeutische Unternehmer verpflichtet, den Abschlag den pharmazeutischen Großhändlern zu erstatten.

19
Weitere Vorschriften des § 130a SGB V regeln die Zahlungsfrist sowie die Höhe des Abschlags in Sonderfällen.

20
Private Krankenversicherte und Personen mit beamtenrechtlichem Kostenerstattungsanspruch schließen hingegen selbst privatrechtliche Verträge mit den Leistungserbringern ab. Sie bezahlen die in Anspruch genommenen Leistungen selbst, können aber die Erstattung ihrer Kosten durch Unternehmen der privaten Krankenversicherung (vgl. § 192 Abs. 1 des Versicherungsvertragsgesetzes in der Fassung des Streitjahrs --VVG--) und den beamtenrechtlichen Kostenträger (vgl. § 80 des Bundesbeamtengesetzes in Verbindung mit der Bundesbeihilfeverordnung und entsprechendes Landesrecht) verlangen.

21
Nach § 1 des Gesetzes über Rabatte für Arzneimittel vom 22. Dezember 2010 (AMRabG) haben die pharmazeutischen Unternehmer den Unternehmen der privaten Krankenversicherung und den Trägern der Kosten in Krankheits-, Pflege- und Geburtsfällen nach beamtenrechtlichen Vorschriften für verschreibungspflichtige Arzneimittel, deren Kosten diese ganz oder teilweise erstattet haben, nach dem Anteil der Kostentragung Abschläge entsprechend § 130a Abs. 1, 1a, 2, 3, 3a und 3b SGB V zu gewähren. Dies gilt auch für sonstige Träger von Kosten in Krankheitsfällen, die diese im Rahmen einer Absicherung im Krankheitsfall tragen, durch die eine Versicherungspflicht nach § 193 Abs. 3 Satz 1 VVG und nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V ausgeschlossen wird.

22
2. Zur Vorlagefrage

23
a) Bisherige Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH)

24
Wenn ein Hersteller eines Erzeugnisses, der zwar nicht vertraglich mit dem Endverbraucher verbunden ist, aber das erste Glied einer zu diesem führenden Kette von Umsätzen bildet, dem Endverbraucher einen Preisnachlass gewährt, muss nach der Rechtsprechung des EuGH die Besteuerungsgrundlage für die Mehrwertsteuer um diesen Nachlass vermindert werden (EuGH-Urteile Elida Gibbs vom 24. Oktober 1996 C-317/94, EU:C:1996:400, Slg. 1996, I-5339, Rz 28, 31; Ibero Tours vom 16. Januar 2014 C-300/12, EU:C:2014:8, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 2014, 274, Rz 29). Der EuGH hat aber eine Minderung abgelehnt, wenn ein Reisebüro als Vermittler dem Endverbraucher aus eigenem Antrieb und auf eigene Kosten einen Nachlass auf den Preis der vermittelten Leistung gewährt, die von dem Reiseveranstalter erbracht wird (EuGH-Urteil Ibero Tours, EU:C:2014:8, HFR 2014, 274, Rz 33). Dies beruht darauf, dass das Reisebüro außerhalb einer Leistungskette vom Reiseveranstalter zum Endverbraucher steht.

25
b) Bisherige Rechtsprechung des erkennenden Senats

26
Bei der Bemessungsgrundlage, deren Änderung nach § 17 Abs. 1 Satz 1 UStG zur Berichtigung führt, handelt es sich um das Entgelt i.S. von § 10 Abs. 1 UStG (Urteile des Bundesfinanzhofs vom 28. Mai 2009 V R 2/08, BFHE 226, 166, BStBl II 2009, 870, unter II.3.a; vom 17. Dezember 2009 V R 1/09, BFH/NV 2010, 1869, unter II.1., und vom 11. Februar 2010 V R 2/09, BFHE 228, 467, BStBl II 2010, 765, unter II.1.).

27
Rabatte im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung mindern die umsatzsteuerrechtliche Bemessungsgrundlage. Für die Ermittlung der umsatzsteuerrechtlichen Bemessungsgrundlage nach § 10 Abs. 1 UStG und ggf. deren nachträglicher Erhöhung oder Minderung sind allein umsatzsteuerrechtliche Grundsätze maßgeblich. § 130a SGB V enthält keine Regelung zu den umsatzsteuerrechtlichen Auswirkungen, die sich aus dem aufgrund dieser Vorschrift tatsächlich zurückgezahlten "Abschlag" ergeben (Senatsurteil in BFHE 226, 166, BStBl II 2009, 870, unter II.4.a).

28
Die Bemessungsgrundlage ändert sich aber nicht, wenn sich ein pharmazeutisches Unternehmen an einer freiwilligen Zahlung an die gesetzlichen Krankenkassen beteiligt, die die sonstige Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung zur Abwendung einer Preisreglementierung zum Zweck hat und allein für die Zukunft wirken soll (Senatsurteil vom 30. Januar 2014 V R 1/13, BFH/NV 2014, 911).

29
c) Beurteilung im Streitfall

Der Senat versteht die bisherige Rechtsprechung des EuGH dahingehend, dass Nachlässe, die ein Unternehmer einem Dritten gewährt, der nicht vertraglich mit ihm verbunden ist, die Besteuerungsgrundlage für die Mehrwertsteuer auf die von dem Unternehmer ausgeführte Leistung nur dann mindern, wenn eine Kette von Umsätzen von dem Unternehmen zu dem abschlagsberechtigten Dritten führt. Danach würden im Streitfall die Abschläge an Unternehmen der privaten Krankenversicherung die Bemessungsgrundlage für die von der Klägerin erbrachten Lieferungen nicht mindern, da die abschlagsberechtigten Unternehmen der privaten Krankenversicherung außerhalb der Leistungskette von der Klägerin zum Endverbraucher stehen.

31
d) Verstoß gegen den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz

Der Senat hält es für unvereinbar mit dem allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 20 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union --EUGrdRCh--), wenn Abschläge an Unternehmen der privaten Krankenversicherung anders als Abschläge im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung die Besteuerungsgrundlage nicht mindern, obwohl der pharmazeutische Unternehmer durch beide Abschläge in gleicher Weise belastet wird. Bei den Abschlägen handelt es sich um vergleichbare Sachverhalte; eine objektive Rechtfertigung für die Ungleichbehandlung ist nicht erkennbar.

33
aa) Allgemeiner Gleichbehandlungsgrundsatz

34
Alle Personen sind vor dem Gesetz gleich (Art. 20 EUGrdRCh).

35
Der allgemeine Gleichbehandlungsgrundsatz gehört zu den Grundprinzipien des Unionsrechts. Er verlangt, dass vergleichbare Sachverhalte nicht unterschiedlich und unterschiedliche Sachverhalte nicht gleich behandelt werden, es sei denn, dass eine solche Behandlung objektiv gerechtfertigt ist (EuGH-Urteile Ruckdeschel und Hansa-Lagerhaus Ströh vom 19. Oktober 1977 117/76 und 16/77, EU:C:1977:160, Slg. 1977, 1753, Rz 7; Jetair und BTWE Travel4you vom 13. März 2014 C-599/12, EU:C:2014:144, HFR 2014, 466, Rz 53; bpost vom 11. Februar 2015 C-340/13, EU:C:2015:77, Rz 27). Allein die unterschiedliche Rechtsform mehrerer Unternehmen rechtfertigt nicht deren Ungleichbehandlung (EuGH-Urteil Serrantoni Srl und Consorzio stabile edili Scrl vom 23. Dezember 2009 C-376/08, EU:C:2009:808, Rz 37, Slg. 2009, I-12169, Rz 37).

36
Im Mehrwertsteuerrecht kommt der Grundsatz der Gleichbehandlung auch im Grundsatz der steuerlichen Neutralität zum Ausdruck (EuGH-Urteile Zimmermann vom 15. November 2012 C-174/11, EU:C:2012:716, HFR 2013, 84, Rz 46 ff.; Jetair und BTWE Travel4you, EU:C:2014:144, HFR 2014, 466, Rz 53). Dieser Grundsatz kann es erfordern, das Mehrwertsteuerrecht unabhängig davon anzuwenden, welche Rechtsform die Beteiligten gewählt haben (vgl. EuGH-Urteile BBL vom 21. Oktober 2004 C-8/03, EU:C:2004:650, Slg. 2004, I-10157, Rz 36; HE vom 21. April 2005 C-25/03, EU:C:2005:241, Slg 2005, I-3123, Rz 39; Linneweber und Akritidis vom 17. Februar 2005 C-453/02 und C-462/02, EU:C:2005:92, Slg. 2005, I-1131, Rz 25, 29; The Rank Group vom 10. November 2011 C-259/10 und C-260/10, EU:C:2011:719, Slg. 2011, I-10947, Rz 46). Er lässt es nicht zu, dass Wirtschaftsteilnehmer, die gleichartige Umsätze tätigen, bei der Erhebung der Umsatzsteuer unterschiedlich behandelt werden (EuGH-Urteile JP Morgan u. a. vom 28. Juni 2007 C-363/05, EU:C:2007:391, Slg. 2007, I-5517, Rz 29; A vom 19. Juli 2012 C-33/11, EU:C:2012:482, HFR 2012, 1016, Rz 32, m.w.N.).

37
Während aber ein Verstoß gegen den Grundsatz der steuerlichen Neutralität nur zwischen konkurrierenden Wirtschaftsteilnehmern in Betracht gezogen werden kann, kann ein Verstoß gegen den allgemeinen Grundsatz der Gleichbehandlung im Steuerbereich durch andere Arten der Diskriminierung gekennzeichnet sein, die Wirtschaftsteilnehmer betreffen, die nicht zwangsläufig miteinander konkurrieren, aber sich trotzdem in einer in anderer Beziehung vergleichbaren Situation befinden (EuGH-Urteile Marks und Spencer vom 10. April 2008 C-309/06, EU:C:2008:211, HFR 2008, 775, Rz 49; Kommission/Schweden vom 25. April 2013 C-480/10, EU:C:2013:263, HFR 2013, 545, Rz 17). Daraus folgt, dass der Grundsatz der Gleichbehandlung auf dem Gebiet der Steuern nicht mit dem Grundsatz der steuerlichen Neutralität deckungsgleich ist (EuGH-Urteil Kommission/Schweden, EU:C:2013:263, HFR 2013, 545, Rz 17 f.).

38
bb) Vergleichbarkeit der Sachverhalte

39
Die Abschläge an Unternehmen der privaten Krankenversicherung und die Abschläge im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung dienen dem gleichen Zweck. Die Zahlungen an die Unternehmen der privaten Krankenversicherung sollen die Regelung im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung wirkungsgleich in die übrigen Bereiche der Absicherung im Krankheitsfall übertragen. Die Arzneimittelhersteller sollen in beiden Fällen in gleichem Umfang zur Entlastung derjenigen Stellen herangezogen werden, die im Ergebnis die Kosten der Arzneimittelversorgung tragen. Der nationale Gesetzgeber erachtete es für sachlich nicht gerechtfertigt, für den Gesundheitsschutz außerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung abweichende Abschläge vorzusehen (BTDrucks 17/3698, S. 60).

40
cc) Keine objektive Rechtfertigung einer unterschiedlichen Behandlung

41
Der objektive Unterschied zwischen beiden Abschlägen rechtfertigt keine unterschiedliche umsatzsteuerrechtliche Behandlung.

42
(1) Der Unterschied betrifft nur die technische Ausgestaltung der Abschläge. Er geht zurück auf die sozialrechtlich andersgeartete Grundordnung der gesetzlichen Krankenversicherung einerseits sowie der privaten Krankenversicherung und der beamtenrechtlichen Kostenerstattung andererseits.

43
(2) Angesichts der bisherigen Rechtsprechung des EuGH zu rechtsformabhängigen Ungleichbehandlungen erlaubt diese Differenz keine ungleiche mehrwertsteuerrechtliche Behandlung.

44
Diese Rechtsprechung betrifft zwar teilweise den Grundsatz der Neutralität, ist aber auch bei der Auslegung des allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes zu berücksichtigen. Im Grundsatz der Neutralität kommt im Mehrwertsteuerrecht der allgemeine Gleichbehandlungsgrundsatz zum Ausdruck. Daher konkretisieren die zum Grundsatz der Neutralität entwickelten Maßstäbe zugleich die Bedeutung des allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes für das Mehrwertsteuerrecht.

45
Der Anwendung dieser Rechtsprechung steht auch nicht entgegen, dass der EuGH bisher nur die Ungleichbehandlung unterschiedlicher Leistender zu beurteilen hatte. Ungleichbehandlungen können sowohl an die Person des Leistenden als auch an die Person des Leistungsempfängers anknüpfen und sich in beiden Fällen ähnlich auswirken.

46
3. Zur Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage

47
Die Vorlagefrage ist entscheidungserheblich für die Frage, ob sich die Besteuerungsgrundlage für die Mehrwertsteuer der Klägerin wegen der an Unternehmen der privaten Krankenversicherung gewährten Abschläge mindert. Die Klägerin des Ausgangsverfahrens hat diese Abschläge nicht einem Endverbraucher gewährt, zu dem von ihr aus eine Kette von Umsätzen führte, sondern Versicherern und anderen Kostenträgern, die dem Endverbraucher den Kaufpreis für die Produkte der Klägerin erstattet haben. Die Besteuerungsgrundlage für die Mehrwertsteuer der Klägerin mindert sich daher nur dann, wenn die Vorlagefrage zu bejahen ist.

48
4. Zum Rechtsgrund der Vorlage

49
Die Vorlage beruht auf Art. 267 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union.

50
5. Die Aussetzung des Verfahrens beruht auf § 121 Satz 1 i.V.m. § 74 der Finanzgerichtsordnung.

------------------------------------


Verfahrensgang
FG Rheinland-Pfalz, 24.09.2015 - 6 K 1251/14
BFH, 22.06.2016 - V R 42/15
Generalanwalt beim EuGH, 11.07.2017 - C-462/16
EuGH, 20.12.2017 - C-462/16
BFH, 08.02.2018 - V R 42/15

Urteil vom 08. Februar 2018, V R 42/15
Abschläge pharmazeutischer Unternehmer nach § 1 AMRabG

ECLI:DE:BFH:2018:U.080218.VR42.15.0

BFH V. Senat

UStG § 17 Abs 1 S 1 , EGRL 112/2006 Art 90 Abs 1 , AMRabG § 1 , UStG VZ 2011

vorgehend Finanzgericht Rheinland-Pfalz , 24. September 2015, Az: 6 K 1251/14

Leitsätze
Abschläge pharmazeutischer Unternehmer nach § 1 AMRabG mindern die Bemessungsgrundlage für die gelieferten Arzneimittel (Folgeentscheidung zum EuGH-Urteil Boehringer Ingelheim Pharma GmbH & Co. KG vom 20. Dezember 2017 C-462/16, EU:C:2017:1006).

Tenor
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz vom 24. September 2015  6 K 1251/14 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Beklagte zu tragen.

Tatbestand
I.

1
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist ein pharmazeutisches Unternehmen, das im Streitjahr 2011 Arzneimittel herstellte und sie steuerpflichtig über Großhändler an Apotheken lieferte.

2
Diese gaben die Arzneimittel an gesetzlich Krankenversicherte aufgrund eines Rahmenvertrages mit dem Spitzenverband der Krankenkassen ab. Die Arzneimittel wurden an die Krankenkassen geliefert und von diesen ihren Versicherten zur Verfügung gestellt. Die Apotheken gewährten den Krankenkassen einen Abschlag auf den Arzneimittelpreis. Die Klägerin als pharmazeutisches Unternehmen musste den Apotheken oder --bei Einschaltung von Großhändlern-- den Großhändlern diesen Abschlag erstatten. Die Finanzverwaltung behandelte den Abschlag umsatzsteuerrechtlich als Entgeltminderung (vgl. Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen --BMF-- vom 14. November 2012, BStBl I 2012, 1170, unter I.1.).

3
Arzneimittel für privat Krankenversicherte gaben die Apotheken aufgrund von Einzelverträgen mit diesen Personen ab. Das Unternehmen der privaten Krankenversicherung war dabei nicht selbst Abnehmer der Arzneimittel, sondern erstattete lediglich die ihren Versicherten entstandenen Kosten. In diesem Fall musste die Klägerin dem Unternehmen der privaten Krankenversicherung einen Abschlag auf den Arzneimittelpreis gewähren. Dies beruhte auf § 1 des Gesetzes über Rabatte für Arzneimittel vom 22. Dezember 2010 (AMRabG). Danach hatten die pharmazeutischen Unternehmer den Unternehmen der privaten Krankenversicherung und den Trägern der Kosten in Krankheits-, Pflege- und Geburtsfällen nach beamtenrechtlichen Vorschriften für verschreibungspflichtige Arzneimittel, deren Kosten diese ganz oder teilweise erstattet haben, nach dem Anteil der Kostentragung Abschläge entsprechend § 130a Abs. 1, 1a, 2, 3, 3a und 3b des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) zu gewähren. Dies galt auch für sonstige Träger von Kosten in Krankheitsfällen, die diese im Rahmen einer Absicherung im Krankheitsfall tragen, durch die eine Versicherungspflicht nach § 193 Abs. 3 Satz 1 des Versicherungsvertragsgesetzes und nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V ausgeschlossen wurde.

4
Die Klägerin machte für diese Abschläge in ihrer Umsatzsteuererklärung für das Streitjahr eine Minderung der Bemessungsgrundlage nach § 17 Abs. 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) bei den von ihr an Arzneimittelhändler ausgeführten Arzneimittellieferungen geltend. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) erließ aufgrund einer Umsatzsteuer-Sonderprüfung und in Übereinstimmung mit der Rechtsauffassung der Finanzverwaltung (vgl. BMF-Schreiben in BStBl I 2012, 1170, unter I.2.) einen geänderten Umsatzsteuerbescheid, in dem die Abschläge nicht mehr entgeltmindernd berücksichtigt wurden. Der dagegen eingelegte Einspruch blieb erfolglos.

5
Die daraufhin erhobene Klage hatte vor dem Finanzgericht (FG) Erfolg. Das FG änderte mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2015, 2243 abgedruckten Urteil den Umsatzsteuerbescheid dahingehend, dass die Umsätze gemäß der Umsatzsteuer-Jahreserklärung angesetzt wurden. Gegen dieses Urteil wendet sich das FA mit der Revision, mit der es die Verletzung materiellen Rechts rügt.

6
Das FA beantragt,
das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

7
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

8
Im Revisionsverfahren hat der erkennende Senat das Verfahren mit Beschluss vom 22. Juni 2016 ausgesetzt und ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) zur Auslegung von Art. 90 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL) gerichtet.

9
Dieser hat hierauf mit Urteil Boehringer Ingelheim Pharma GmbH & Co. KG vom 20. Dezember 2017 C-462/16 (EU:C:2017:1006) wie folgt geantwortet:
"Im Licht der vom Gerichtshof der Europäischen Union im Urteil vom 24. Oktober 1996, Elida Gibbs (C-317/94, EU:C:1996:400, Rn. 28 und 31), aufgestellten Grundsätze zur Bestimmung der Mehrwertsteuerbemessungsgrundlage und unter Berücksichtigung des unionsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes ist Art. 90 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem dahin auszulegen, dass der Abschlag, den ein pharmazeutisches Unternehmen aufgrund einer nationalen Gesetzesregelung einem Unternehmen der privaten Krankenversicherung gewährt, im Sinne dieses Artikels zu einer Minderung der Steuerbemessungsgrundlage für dieses pharmazeutische Unternehmen führt, wenn es Arzneimittel über Großhändler an Apotheken liefert, die die Arzneimittel an privat Krankenversicherte liefern, denen von der privaten Krankenversicherung die Kosten für den Bezug der Arzneimittel erstattet werden."
10
Die Beteiligten hatten im Nachgang zu diesem Urteil Gelegenheit zur Stellungnahme und haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

Entscheidungsgründe
II.

11
Die Revision des FA ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat zu Recht entschieden, dass die Klägerin zu einer Minderung nach § 17 Abs. 1 UStG berechtigt ist.

12
1. Ändert sich die Bemessungsgrundlage für einen steuerpflichtigen Umsatz, hat der Unternehmer, der den Umsatz ausgeführt hat, gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 UStG den dafür geschuldeten Steuerbetrag zu berichtigen. Unionsrechtlich beruht dies auf Art. 90 Abs. 1 MwStSystRL. Danach wird im Falle der Annullierung, der Rückgängigmachung, der Auflösung, der vollständigen oder teilweisen Nichtbezahlung oder des Preisnachlasses nach der Bewirkung des Umsatzes die Besteuerungsgrundlage (Steuerbemessungsgrundlage) unter von den Mitgliedstaaten festgelegten Bedingungen entsprechend vermindert.

13
Der EuGH hatte hierzu bereits entschieden, dass, wenn ein Hersteller eines Erzeugnisses, der zwar nicht vertraglich mit dem Endverbraucher verbunden ist, aber das erste Glied einer zu diesem führenden Kette von Umsätzen bildet, dem Endverbraucher einen Preisnachlass gewährt, die Besteuerungsgrundlage für die Mehrwertsteuer um diesen Nachlass vermindert werden muss (EuGH-Urteile Elida Gibbs vom 24. Oktober 1996 C-317/94, EU:C:1996:400, Rz 28, 31; Ibero Tours vom 16. Januar 2014 C-300/12, EU:C:2014:8, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 2014, 274, Rz 29). Der EuGH hat aber eine Minderung abgelehnt, wenn ein Reisebüro als Vermittler dem Endverbraucher aus eigenem Antrieb und auf eigene Kosten einen Nachlass auf den Preis der vermittelten Leistung gewährt, die von dem Reiseveranstalter erbracht wird (EuGH-Urteil Ibero Tours, EU:C:2014:8, HFR 2014, 274, Rz 33). Dies beruht darauf, dass das Reisebüro außerhalb einer Leistungskette vom Reiseveranstalter zum Endverbraucher steht.

14
2. Mit dem nunmehr vorliegenden Urteil Boehringer Ingelheim Pharma GmbH & Co. KG (EU:C:2017:1006) hat der EuGH klargestellt, dass der Abschlag, den ein pharmazeutisches Unternehmen aufgrund einer nationalen Gesetzesregelung einem Unternehmen der privaten Krankenversicherung gewährt, zu einer Minderung der Steuerbemessungsgrundlage für dieses pharmazeutische Unternehmen führt, wenn es Arzneimittel über Großhändler an Apotheken liefert, die die Arzneimittel an privat Krankenversicherte liefern, denen von der privaten Krankenversicherung die Kosten für den Bezug der Arzneimittel erstattet werden. Dem schließt sich der erkennende Senat an.

15
3. Danach hat das FG zu Recht entschieden, dass die Klägerin für die Abschläge, die sie nach § 1 AMRabG gezahlt hat, in unionsrechtskonformer Auslegung des § 17 Abs. 1 UStG zur Minderung berechtigt ist.

16
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.

--------------------------------------

Verfahrensgang
FG Rheinland-Pfalz, 24.09.2015 - 6 K 1251/14
BFH, 22.06.2016 - V R 42/15
Generalanwalt beim EuGH, 11.07.2017 - C-462/16
EuGH, 20.12.2017 - C-462/16
BFH, 08.02.2018 - V R 42/15