Mittwoch, 29. Juni 2011

Der neue Glücksspielstaatsvertrag – Ende gut, alles gut?

1. Einleitung

Im dritten Anlauf soll es nun gelingen: der GlüÄndStV-E soll endgültig, rechtssicher und in verfassungs- und europarechtskonformer Weise die Ziele des Gesetzgebers umsetzen: Regulierung des Marktes, Schutz des Verbrauchers vor Spielsucht und die Sicherung der staatlichen Einnahmen, auch wenn von dem großen Kuchen sieben private Lizenznehmer ein kleines Stückchen abbekommen sollen. Ob diese und weitere Ziele allerdings erreicht werden, erscheint fraglich.

Natürlich wird auch der neue Entwurf in rechtlicher Hinsicht intensiv diskutiert. Es wird nicht lange dauern, bis zu jeder denkbaren Frage die unterschiedlichsten Auffassungen vertreten werden, die teilweise freilich nur von Experten nachvollzogen werden können: Ist das Gesetz europarechts- und verfassungskonform, entspricht es kartellrechtlichen Vorgaben nach nationalem und europäischen Recht, warum soll es gerade sieben Lizenzen geben, müssen diese ausgeschrieben werden, folgt aus der Europarechtswidrigkeit eines Teils des Gesetzes dessen gesamte Nichtanwendbarkeit (auch in wettbewerbsrechtlicher und strafrechtlicher Hinsicht), ist der online-Markt vergleichbar mit dem offline-Markt, werden Spielbanken bevorzugt, was ist mit gewerblichen Spielhallen, wer kann online und offline haftbar gemacht werden, sind Pferdewetten jetzt Sportwetten, ist Poker Glücksspiel und wenn ja, warum werden Gewinne dann besteuert, was passiert mit Online-Poker, haben die Steuersätze erdrosselnde Wirkung, sind Netzsperren verhältnismäßig, kann es innerhalb eines Mitgliedstaats unterschiedliche Regelungen geben, welches Schicksal erfahren DDR-Lizenzen, etc.? Zu den bereits existierenden hunderten von Aufsätzen und Gutachten und tausenden von Gerichtsverfahren werden weitere hinzukommen.

Bei der ganzen rechtlichen Diskussion wird aber gerne derjenige übersehen, um den es eigentlich geht: der Markt und damit der Verbraucher, der immer internetaffiner wird und sich wie selbstverständlich beruflich und privat im Netz bewegt. Es drängt sich die Frage auf, ob dieser Verbraucher durch den neuen Gesetzesentwurf geschützt oder überhaupt erreicht wird.

2. Internetnutzung in Deutschland

Das Internet bildet bei einer großen Bevölkerungsgruppe einen nicht mehr wegzudenkenden Teil des privaten und beruflichen Lebens. Die steigende Verbreitung und Nutzung des Internet in der Gesamtbevölkerung und bei jungen Erwachsenen zeigt sich an folgenden Beispielen:
  • Rund 19,2 Millionen Deutsche sind Ende Juni 2011 Mitglied bei Facebook (vgl. http://facebookmarketing.de/userdata/). Dies entspricht rund 37 % der deutschen Internetnutzer über 14 Jahren.

  • Deutsche Handy-Nutzer haben in 2010 rund 900 Millionen mobile Anwendungen – kurz Apps – auf ihre Mobiltelefone geladen. Damit hat sich die Zahl der App-Downloads im Vergleich zum Vorjahr mehr als verdoppelt (plus 112 %).

  • Für Downloads auf stationäre und mobile PCs haben die Deutschen 2010 die Summe von 390 Millionen € ausgegeben, 49 % mehr als 2009,

  • Rund 20 Millionen Deutsche nutzen das Internet im Zusammenhang mit ihren Hobbys. Das entspricht 39 % der deutschen Internetnutzer ab 14 Jahren,

  • Bereits 7 Millionen Bundesbürger nutzen Videotelefonie über Dienste wie Skype. Auch internetfähige Fernseher ermöglichen zunehmend Internettelefonie.

  • 19 Millionen Deutsche suchen medizinischen Rat im Internet.

  • 9 Millionen Deutsche bestellen Medikamente im Internet. Die Zahl der zugelassenen Internetapotheken steigt kontinuierlich. Derzeit sind es 2.560.

  • 12 Millionen Deutsche kaufen Filme im Internet.

  • 27 Millionen Deutsche ersteigern Produkte im Internet

  • 10 Millionen Bürger kaufen PC-Spiele im Internet

  • 27 Millionen Bürger nutzen Online-Banking.

  • Jeder vierte Internet-Nutzer hat bereits Erfahrungen mit Online-Dating gemacht.
Quelle: Bitkom, zu erreichen über http://www.bitkom.org/de/markt_statistik/64000.aspx.

Die Realität zeigt, dass eine "Internetisierung" des täglichen Lebens stattgefunden hat. Vor allem jüngere Menschen sind nahezu ständig online. Man mag dies für richtig oder für falsch halten, sollte diese Tatsache jedoch nicht ignorieren.

3. Bisheriger Einfluss der Regulierung auf Online-Glücksspiel

Ab dem 1.1.2012 soll alles anders werden. Ab dann soll online nur noch in begrenztem Umfang und bei wenigen lizensierten Anbietern zu schlechteren Quoten gewettet werden. Online-Poker, wie der Nutzer es heute kennt, soll es in Deutschland nicht mehr geben.

Zur Beurteilung der Eintrittswahrscheinlichkeit dieses Szenarios lohnt ein Blick auf die bisherige rechtliche und tatsächliche Entwicklung.

a) Historisches

Im März 2006 entschied das Bundesverfassungsgericht, dass der Lotteriestaatsvertrag von 2004 verfassungswidrig ist. Im Anschluss an dieses Urteil trat am 1.1.2008 trotz aller im Gesetzgebungsverfahren geäußerten Bedenken der Staatsvertrag zum Glücksspielwesen in Kraft. Seit 2008 gilt es, die bis dahin allenfalls am Rande diskutierte Spielsucht zu bekämpfen. Darüber hinaus soll der Jugend- und Spielerschutz gewährleistet, der Spieltrieb in geordnete Bahnen gelenkt sowie die Gefahr des Betrugs sowie sonstige Folge- und Begleitkriminalität abgewehrt werden. Und schließlich sollen die Einnahmen aus dem staatlichen Monopol gesichert werden. Seitdem kann man täglich in fast allen Medien hören und lesen, dass man Lotto spielen soll, aber davon spielsüchtig werden kann.

Auch dieser Versuch einer Regulierung ist gescheitert. Bekanntlich hat der EuGH im Herbst 2010 entschieden, dass der Glücksspielstaatsvertrag gegen EU-Recht verstößt. Das Ziel des Staatsvertrages, nämlich die Bekämpfung der mit dem Glücksspiel verbundenen Gefahren, wird durch das im Rahmen der Organisation von Sportwetten und Lotterien in Deutschland errichtete staatliche Monopol nicht in kohärenter und systematischer Weise verfolgt.

b) Die Entwicklung des Online-Marktes

Während dieser gesamten Zeit wurde in der Literatur, vor Zivil-, Verwaltungs- und Strafgerichten heftig darüber gestritten, ob die jeweiligen gesetzlichen Regelungen rechtmäßig sind und angewendet werden können. Dabei gelangten die Gerichte und Gerichtsbarkeiten regelmäßig zu unterschiedlichen Ergebnissen. Nach 10 Jahren Tätigkeit im Bereich des Online-Gaming setzte sich beim Verfasser der Eindruck fest, dass der Ausgang eines Rechtsstreits in erheblichem Maße vom Ort und vom Zeitpunkt der Entscheidung sowie der jeweils zuständigen Gerichtsbarkeit abhing.

Trotz und möglicherweise sogar begünstigt durch die unklare Rechtslage hat sich der Online-Markt für Glücksspiele in Deutschland positiv entwickelt. Der Internetnutzer hat womöglich den Sinn der Regelungen nicht verstanden, jedenfalls hat er sie nicht akzeptiert. Es wurde weiter gespielt, wenn nötig bei in Deutschland nicht zugelassenen und gerne als "illegal" bezeichneten Anbietern. So zeigt die viel zitierte Goldmedia-Studie "Glücksspielmarkt Deutschland 2015" eine beeindruckende Marktentwicklung: der Bruttospielertrag des gesamten Online-Markts ist von 2005 bis 2009 im Jahresschnitt um knapp 30 Prozent gewachsen, im Segment Online-Poker sogar um jährlich 35 Prozent (http://www.goldmedia.com/presse/newsroom/gluecksspiel-in-deutschland.html). Der deutsche Online-Poker-Markt gilt als der größte oder zweitgrößte der Welt, obwohl es ihn gar nicht geben dürfte.

Der Mensch will offensichtlich spielen, online wie offline. Er tat es trotz Verbot. Und es ist nicht ersichtlich, warum sich dies ab dem 1. Januar 2012 ändern soll. Das erklärte politische Ziel, den natürlichen Spieltrieb der Menschen so zu lenken und zu nutzen, dass eine effektive Spielsuchtprävention ebenso gewährleistet ist wie staatliche Einflussnahme und Partizipation, wurde verfehlt. Gerade das Internetverbot hatte keinen relevanten lenkenden Effekt, jedenfalls nicht in Richtung deutscher Angebote. Vielmehr wurden Unternehmen, Mitarbeiter, Werbeetats, Verkehrs- und Ertragsteuern ins Ausland verlagert. Es zeigte sich, dass internetaffine User sich nicht durch gedrucktes Papier beeindrucken ließen, das zudem höchst umstritten ist und von vielen Experten ebenfalls für rechtswidrig, also "illegal" gehalten wird. Und um diese Nutzer geht es bei der Regulierung des Online-Marktes. Es geht nicht um Spieler, die das Internet nicht benutzen oder nicht damit umgehen können.

c) Netzsperren

Auch die Einschränkung des Fernmeldegeheimnisses durch Netzsperren, wozu der aktuelle Entwurf in § 9 ermächtigt, wird daran wenig ändern. Die Vergangenheit sowie Erfahrungen anderer Länder zeigen, dass Netzsperren sinnlos sind und von den Benutzern leicht umgangen werden können. Wer bei google "Internetsperre umgehen" eintippt, kann einen Klick später auf Youtube Anleitungen betrachten, wie Netzsperren innerhalb von Sekunden bequem umschifft werden. Jede neue Sperrtechnologie führt zu neuen Umgehungsmöglichkeiten und Diensten, die über Blogs, Suchmaschinen oder Facebook-Freunde bekannt werden. Das Internet wurde geschaffen, um unterbrochene Kommunikationswege überbrücken zu können. Die unreflektierte Übernahme von Regulationsansätzen aus der Offline-Welt ist daher vielfach zum Scheitern verurteilt.

Erstaunlich ist, dass gerade erst erkannt worden ist, dass mit den im Zugangserschwerungsgesetz vorgesehenen Netzsperren zur Bekämpfung von Kinderpornografie ein Irrweg beschritten wurde. Dessen ungeachtet soll nun die Einhaltung des neuen Glücksspielstaatsvertrages mittels Websperren abgesichert werden. Dies wird weder technisch funktionieren noch von der Bevölkerung akzeptiert werden. Eine effektive technische Aussperrung von Glücksspielanbietern aus dem deutschen Internet würde eine sehr intensive Überwachung des gesamten Internetverkehrs erfordern. Unter anderem müssten verschlüsselte Verbindungen (zB VPN-Tunnel), wie sie in der heutigen Unternehmenskommunikation selbstverständlich eingesetzt werden, verboten werden. Ob dies verhältnismäßig ist, darf bezweifelt werden. Man kann sich aber auch fragen, ob dieser Versuch, das Internet mit Methoden von totalitären Staaten zu überwachen, einer modernen Demokratie würdig ist. Aktuelle Meldungen beispielsweise aus dem Iran über die Einführung eines zensierten lokalen Internets sollten eher abschrecken als ermutigen.

d) Zwischenergebnis

Die bisherigen Versuche des Gesetzgebers einer Regulierung des Online-Marktes haben ihre Ziele nicht erreicht. Auch Steuereinnahmen über Ertragssteuern und Verkehrssteuern konnten nicht gesichert werden. Technologie, Arbeitsplätze und Steuern haben das Land verlassen. Der Verbraucher spielt weiter im Ausland auf regulierten oder unregulierten Angeboten. Nur diejenigen, die ohnehin nicht online spielen, werden vor etwas geschützt, das sie nicht gefährdet.

4. Fazit

Der Verfasser übersieht nicht, dass es ein schwieriges Unterfangen ist, die verschiedenen Ziele und Interessengruppen in einem föderalen Staat unter einen Hut zu bringen und hierbei verfassungsrechtliche, kartellrechtliche und europarechtliche Vorgaben zu berücksichtigen.

Die Erfahrungen aus der Vergangenheit zeigen jedoch, dass der bislang gewählte Ansatz sich nicht bewährt hat. Die Regelungen haben weder den Verbraucher geschützt noch Einnahmen gesichert. Der Verbraucher wird mangels akzeptabler Alternativen allein gelassen und die Einnahmen verschwinden im Ausland. Es ist daher zu fragen, warum der bislang ein- und fehlgeschlagene Weg mit leichten Modifikationen mit dem vorliegenden GlüStV-Entwurf fortgeschrieben werden soll. Der Bürger wird dies weder verstehen noch akzeptieren. Er wird den Weg zu Spielangeboten im europäischen und außereuropäischen Ausland suchen und finden. Spielsucht wird nicht bekämpft.

Was funktionieren könnte, sind Regelungen mit Augenmaß, bei denen der Bogen weder regulatorisch noch steuerlich überspannt wird. Man wird sich bei Online-Sachverhalten von absoluten Maßstäben trennen müssen und verstehen müssen, dass es sowohl mit Blick auf den zu schützenden Verbraucher als auch die staatliche Einnahmesituation vorzugswürdig ist, eine Vielzahl von Verbrauchern zu zugelassenen und angemessen geregelten Angeboten mit marktgerechten Abgaben zu lenken als eine geringe Anzahl von Nutzern auf eine geringe Anzahl von hochregulierten Anbietern mit hohen Steuersätzen und gleichzeitig den Großteil der Spieler weder steuerlich noch regulatorisch zu erfassen.

Hierbei sollten auch die Erfahrungen und Modelle aus dem Ausland berücksichtigt werden, statt den bisherigen Weg unbeirrt fortzuschreiten, zumal immer mehr europäische Staaten sich an Modellen orientieren, wie sie in Italien, Frankreich oder Dänemark umgesetzt werden. Deutschland wird es nicht schaffen, im Internet künstliche Grenzen hochzuziehen oder das Rad der Internetgeschichte ins letzte Jahrtausend zurückzudrehen.

Ein nochmaliges Scheitern sollte sich Deutschland mit Blick auf den Verbraucher und die langfristige Sicherung der staatlichen Einnahmen jedenfalls nicht leisten. Auch das Lotteriemonopol dürfte ein neuerliches Scheitern der Regelungen nicht überleben.

Es bleibt zu hoffen, dass die neuerliche Verschiebung der Unterzeichnung des neuen Glücksspielstaatsvertrages dazu genutzt wird, um noch einmal zu prüfen, ob die Regelungen noch in die heutige Zeit passen und ob realistische Chancen bestehen, die erwünschten Ziele zu erreichen. Diejenigen, die für den bisherigen Entwurf eintreten, sollten auch über die Konsequenzen des wiederholten Scheiterns nachdenken. Sodann sollte ein pragmatischer Ansatz gewählt werden, der unter Einbeziehung der Erfahrungen im Ausland auch die Realitäten und Funktionsweisen des Internet berücksichtigt.

Kontakt:
SSW Schneider Schiffer Weihermüller

Rechtsanwalt Frieder Backu
Fachanwalt für Steuerrecht und für Informationstechnologierecht
Beethovenstr. 6
80336 München