Samstag, 26. September 2020

A: Erfüllen die Gerichte des öff. Rechts die Voraussetzungen des Art. 6 EMRK bzw. Art. 47 EGRC?

Paukenschlag in Österreich: Antrag auf Vorabentscheidung durch das LVwG OÖ. Kein Gericht im Bereich des öffentlichen Rechts erfüllt die Voraussetzungen des Art 6 EMRK bzw. Art 47 EGRC!

Ein Beitrag von Rechtsanwalt Dr. Fabian Maschke und Rechtsanwaltsanwärter Mag. Simon Wallner

Mit Antrag vom 29.06.2020 stelle das LVwG OÖ zu den Zahlen LVwG-413731 sowie LVwG-413732 folgende Fragen zur Beantwortung an den EuGH:

  1. Ist Art 267 AEUV unter Berücksichtigung des Art 6 EMRK und des Art 47 EGRC sowie der dazu jeweils ergangenen Judikatur des EuGH und des EGMR dahin auszulegen, dass auch Institutionen, deren Gerichtsqualität im Lichte dieser Rechtsprechung a priori zwar zweifelhaft erscheinen mag, jedoch zumindest bis zum Nachweis des Gegenteils vermutet werden kann, vorlageberechtigt?

  2. Sind Verträge bzw. die dazu ergangene Rechtsprechung des EuGH dahin auszulegen, dass die Annahme eines sogenannten integrationsfesten Verfassungskerns (im Besonderen des national – verfassungsrechtlichen Grundprinzips der Rechtsstaatlichkeit), der zu einer partiellen Zurückdrängung des Vorranges des Unionsrechts (und im Besonderen auch der Judikatur des EuGH zur Nichtbindung an die Auslegung des Unionsrechts durch andere nationale, allenfalls auch instanzenmäßig übergeordnete Gerichte) führt bzw. führen kann, mit der diesbezüglichen bisherigen Rechtsprechung des EuGH vereinbar ist oder ist diese vielmehr dahin zu verstehen, dass der Vorrang des Unionsrechts (von expliziten spezialgesetzlichen Ausnahmeregelungen abgesehen) absolut gilt?

Zur Entstehung dieser Fragen:

Dass das österreichische Glückspielgesetz seit Jahren immer wieder beim EuGH landet ist an sich nichts Ungewöhnliches. Im Moment sind – dieses Verfahren mit einbezogen – nicht weniger als 3 Vorabentscheidungsverfahren anhängig.

In dem hier diskutierten Verfahren verhält es sich jedoch ein wenig anders. Zum ersten Mal in Österreich ortet ein Gericht das Fehlen der Unabhängigkeit und das Fehlen des Rechtes auf ein faires Verfahren bei sich selbst und bei allen anderen Gerichten im öffentlich rechtlichen Bereich. Es muss hier angeführt werden, dass es ähnliche Tendenzen bereits in Deutschland gibt, wie ein Beschluss des Verwaltungsgerichtes Wiesbaden vom 28.03.2019, GZ: 6 K 1016/15 zeigt: Hier wurde ebenso die Frage an den EuGH gestellt, ob es sich bei dem vorlegenden Gericht um ein unabhängiges und unparteiisches Gericht im Sinne von Art. 267 AEUV i.V.m. Art. 47 Abs. 2 EGRC handelt. Es wird hierzu ausgeführt, dass in Deutschland die Richter zwar selbst unabhängig seien, dies jedoch ein Gericht nicht von jeder äußeren Einflussnahme bewahrt. Durch Ausstattung, Personalzuweisung usw. durch das Justizministerium kann bereits die Gefahr einer politischen Einflussnahme bestehen, die in weiterer Folge das Gericht in seiner für dessen Aufgaben erforderlichen unabhängigen Wahrnehmung beeinträchtigen kann. Die Vorlage kommt schließlich zu dem Ergebnis, dass das vorlegende Gericht wohl kein unabhängiges und unparteiisches Gericht im Sinne des Art 47 Abs. 2 EGRC darstellt.

Somit ist klar erkennbar, dass das LVwG OÖ keineswegs das einzige Verwaltungsgericht ist, das derartige Bedenken äußert sondern es sich hierbei um ein grenzenüberschreitendes Problem handelt.

Das LVwG OÖ wörtlich:

„…Alle diese spezifischen Grundsätze führen insbesondere bei summarischer Betrachtung zu v.a. im Grundrechtsbereich von Normadressaten vielfach beklagten strukturellen (Rechtsschutz-) Defiziten bzw. lassen diese in der Regel kaum ein faires Verfahren im Bereich der Gerichtsbarkeit des öffentlichen Rechts erwarten….“

„… Ungeachtet der zuvor aufgezeigten strukturellen Defizite des von ihm heranzuziehenden Verfahrensregimes (VwGVG iVm AVG bzw VStG) geht das LVwG vorläufig davon aus, dass ihm – wenngleich wegen strukturell fehelnder Unparteilichkeit keine apriorische Gerichtsqualität nach Art 6 EMRK bzw Art 47 EGRC, so doch – zumindest die Eigenschaft eines Gerichtes iSd Art 267 AEUV zukommt…“

Damit zeigt das LVwG OÖ erstmals auf, was Experten bereits seit Jahren sagen. Das Problem in der Gerichtsbarkeit des öffentlichen Rechts liegt an folgenden Punkten:

  • Der Verfassungsgerichtshof ist gemäß ständiger Rechtsprechung des EGMR kein Gericht im Sinne des Art 6 EMRK („lack of full decision“- vgl. EGMR vom 26.4.1996, 16922/90 RN 28ff)

  • Der Verwaltungsgerichtshof ist seit der Novellierung des Art 133 Abs 4 B-VG im Sinne der eben zitierten Entscheidung des EGMR ebenfalls kein Gericht im Sinne des Art 6 EMRK

Auf Grund der oben genannten Punkte und der Tatsache, dass die VWG an oberinstanzliche Rechtsmeinungen gebunden sind (vgl. § 63 Abs. 1 VwGG und § 87 Abs. 2 VfGG), würde noch dazu bei unterschiedlichen Rechtsauffassungen bezüglich der Vereinbarkeit einer Regelung mit Unionsrecht des VWG einerseits und eines Höchstgerichtes andererseits dem nationalen Recht Vorrang gegenüber Unionsrecht einräumen. Genau diese Situation trat in über 150 Verfahren, die das LVwG OÖ zu entscheiden hatte, auf. Das LVwG OÖ, das die Unionsrechtswidrigkeit des österreichischen Glücksspielmonopols in diesen Entscheidungen feststellte, sah sich nach Erhebung von Amtsrevisionen durch den BM für Finanzen und deren Stattgabe durch den VwGH einerseits mit der Verpflichtung die Vereinbarkeit einer nationalen Regelung mit Unionsrecht laut ständiger Rsp des EuGH selbständig ohne Bindung an eine höchstgerichtliche Rechtsmeinung zu beurteilen und zu entscheiden und andererseits mit der oben erwähnten Bindungswirkung an die Rechtsmeinung des VwGH, der das österreichische Glücksspielmonopol für unionsrechtskonform hält, konfrontiert. Würde das LVwG OÖ bei seiner Rechtsmeinung hinsichtlich der Unionsrechtswidrigkeit des österreichischen Glücksspielmonopols bleiben, würde sich der bisherige Verfahrensablauf ständig wiederholen, nämlich wiederholter Erlass eines Erkenntnisses des LVwG OÖ, in dem dieses die Unionsrechtswidrigkeit des österr. Glücksspielmonopols feststellt -> Amtsrevision des BM für Finanzen -> Stattgabe der Revision durch den VwGH, da er das Glücksspielmonopol für unionsrechtskonform hält, gleichzeitig jedoch nicht in der Sache selbst entscheiden darf -> daher wieder zurück an das LVwG OÖ, das das Glücksspielmonopol jedoch weiterhin für unionsrechtswidrig hält und daher wieder auf Basis dieser Rechtsauffassung und der Pflicht, die Vereinbarkeit einer Regelung mit Unionsrecht selbständig zu beurteilen und zu entscheiden, ein Erkenntnis fällt -> Amtsrevision des BM Für Finanzen usw.

Schließlich „lenkte“ das LVwG OÖ ein und räumte unter Berufung auf einen sog. „integrationsfesten“ bzw. „souveränitätsstiftenden Verfassungskern“ dem nationalen Recht Vorrang gegenüber Unionsrecht ein, um einen wie oben beschriebenen gleichsam unendlichen Zirkel zu vermeiden, jedoch im Wissen darüber, dass daraus die weitgehende Ineffektivität des Art. 56 AEUV im Anwendungsbereich des § 52 Abs. 1 Z. 1 GSpG im gesamten österreichischen Bundesgebiet resultiert bzw. der Vorrang des Unionsrechts faktisch nicht zum Tragen kommt.

Aus diesem Grund sah sich das LVwG OÖ auch in der Pflicht die oben zitierte Frage 2. an den EuGH zu stellen.

Es bleibt nunmehr die nächsten Schritte des EuGH abzuwarten. Realistisch betrachtet sind derartige Missstände jedoch nur durch eine tiefgreifende Reform der Verwaltungsgerichtsbarkeit zu beseitigen. Die seit Jahren zunehmende Ignoranz der Mitgliedstaaten betreffend Umsetzung von EuGH Urteilen muss in Zukunft durch eine strenge Kontrolle der EU Kommission sowie mit Klagen gegen die Mitgliedstaaten hintangehalten werden.

Kontakt:

maschke Rechtsanwälte

Rechtsanwalt Dr. Fabian Maschke
Rechtsanwaltsanwärter Mag. Simon Wallner
Dominikanerbastei 17/11, 1010 Wien


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Die EU-Kommission kritisiert das Weisungsrecht der Landesjustizminister gegenüber Staatsanwaltschaften.

Doch Union und SPD lehnen Änderungen ab.

Dazu sagte der Bundesgeschäftsführer des Deutschen Richterbunds, Sven Rebehn, am Samstag: „Die ungewöhnlich deutliche Kritik der EU-Kommission muss den Verantwortlichen in den Bundesländern in den Ohren klingen. Sie sollten den Kopf aus dem Sand nehmen und die von Brüssel kritisierten, lange bekannten Mängel der Justizstrukturen beheben.“

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Landesjustizminister haben in Deutschland ein Weisungsrecht gegenüber Staatsanwälten.
EU-Kommissionsvize Vera Jourova bemängelt das: Da sei die Versuchung groß, politischen Einfluss auszuüben.
Auch kritisiert sie die Dauer von Gerichtsverfahren in Deutschland.

Das Weisungsrecht von Landesjustizministern gegenüber Staatsanwälten ist nach Ansicht der EU-Kommission ein Schwachpunkt des deutschen Justizwesens.

“Justizminister sind nun mal Politiker, deshalb ist die Versuchung für sie groß, politischen Einfluss auszuüben”, sagte EU-Kommissionsvize Vera Jourova dem “Spiegel”. “Generell gilt für Deutschland wie für alle EU-Länder: Je unabhängiger und effizienter die Justiz, desto besser.”

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