Dienstag, 13. März 2018

Prof. Dr. Koenig: Zu den Urteilsgründen BVerwG 8 C 18.16

Interview TIME Law News mit Prof. Dr. Koenig

Zu den Urteilsgründen BVerwG 8 C 18.16 – Hat das Bundesverwaltungsgericht das Internetverbot für drei Glücksspielarten rechtskonform bestätigt?

Das Gespräch führten Dr. Wulf Hambach, Partner und Dr. Bernd Berberich, Salary Partner, Hambach & Hambach Rechtsanwälte

Prof. Dr. Koenig ist Direktor am Zentrum für Europäische Integrationsforschung und Mitglied der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bonn. Seine Lehrtätigkeiten, Veröffentlichungen und Forschungsprojekte sowie rechtswissenschaftlichen Gutachtertätigkeiten konzentrieren sich schwerpunktmäßig auf das Recht des Europäischen Binnenmarktes. Darüber hinaus war Prof. Koenig neben Dr. Wulf Hambach Prozeßvertreter vor dem EuGH in der Sportwetten-Rechtssache C-46/08 Carmen Media.

TIME
Law News (TLN): Herr Professor Koenig, das Bundesverwaltungsgericht titulierte in einer Pressemitteilung Ende Oktober 2017 u.a. zur Rechtssache BVerwG 8 C 18.16 wie folgt: „Internetverbot für drei Glücksspielarten bestätigt“. Wie bewerten Sie diese Aussage, nachdem nunmehr die Urteilsgründe vorliegen?


Koenig:
Zunächst gilt es, sich zu vergegenwärtigen, wie es überhaupt zu dieser Aussage kam. In der jeweiligen Vorinstanz wurde im Kern gar nicht über die Rechtmäßigkeit des Internetverbots für bestimmte Glücksspielarten geurteilt. Vielmehr wurden gegenüber Glücksspielanbietern im Internet ergangene Untersagungsverfügungen von dem Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg aufgehoben, weil, so die Vorinstanz, sie erstens zu unbestimmt gefasst waren und zweitens kein einheitliches, vorab formuliertes Vollzugskonzept seitens der Behörde entwickelt worden war.
Die teilweise Unbestimmtheit der ursprünglichen Untersagungsverfügung hat das Bundesverwaltungsgericht sogar bestätigt. Im Urteil kam dies nur deshalb nicht so deutlich zum Ausdruck, weil die Beteiligten hierzu die Streitsache beidseitig für erledigt erklärten. Bezüglich des von der Vorinstanz gerügten Ermessensfehlers hat das Bundesverwaltungsgericht zudem das Urteil vor allem deshalb aufgehoben, weil nach der Vorinstanz eine Pflicht zum Einschreiten bestanden haben soll. Es reiche dann, so das Bundesverwaltungsgericht, dass die Behörde „im regulären Gang der Verwaltung“ die Überzeugung gewonnen hat, dass die Voraussetzungen für ein Einschreiten vorliegen. Was hierbei „regulärer Gang“ heißen soll, wird indes nicht näher ausgeführt.

TLN
: Wie konnte es dann aber dazu kommen, dass das Bundesverwaltungsgericht das Internetverbot für drei Glücksspielarten bestätigt hat?


Koenig:
Das Bundesverwaltungsgericht arbeitete mit einer sog. Ergebnishypothese und untersuchte, ob sich die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg nicht aus anderen Gründen als richtig erweist. Erst infolgedessen beschäftigte sich das Revisionsgericht mit den zwei entscheidenden Folgefragen: erstens, ob Online-Poker- und Online- Casinospiele im Einklang mit übergeordnetem Recht ausnahmslos durch das Internetverbot gemäß § 4 Abs. 4 GlüStV verboten sind und zweitens, ob das Angebot von Online-Sportwetten im Einklang mit Verfassungs- und Unionsrecht untersagt werden kann, wenn hierfür keine Erlaubnis beantragt wurde, obwohl dies rechtlich und faktisch dem konkreten Anbieter möglich gewesen wäre und, hiervon losgelöst, auch aus Gründen der Verhältnismäßigkeit keine Duldung aufgrund offensichtlicher materieller Rechtmäßigkeit in Betracht kommt.

TLN
: Hierbei handelt es sich um hochkomplexe Fragen, bei welchen vor allem auch die tatsächliche Kohärenzlage auf dem deutschen Glücksspielmarkt eine Rolle spielt. Wie konnte das Bundesverwaltungsgericht dies alles in dem Urteil berücksichtigen?


Koenig:
Gerade hier liegt der Hase im Pfeffer! Das Bundesverwaltungsgericht darf die besagte Ergebnishypothese überhaupt nur anstellen und in der Sache selbst als Revisionsgericht entscheiden, wenn die entscheidungserheblichen Tatsachen von der Vorinstanz auch hinreichend festgestellt wurden. Eine eigene abschließende Entscheidung in der Sache selbst ist damit grundsätzlich nur auf der Grundlage von Tatsachen möglich, welche die Vorinstanz festgestellt hat. Eine hinreichende Tatsachengrundlage für die Bewertung der dargelegten hochkomplexen Fragen der Geeignetheit und Erforderlichkeit des Internetverbots wurde aber in den Vorinstanzen gerade nicht geschaffen.

TLN
: Heißt das, dass das Bundesverwaltungsgericht damit seine Kompetenzen überschritten hat? Und was gilt es überhaupt als Maßstab für eine Prüfung der Geeignetheit und Erforderlichkeit, etwa hinsichtlich des Internetverbots bestimmter Glücksspielarten, zu beachten?


Koenig:
Grundsätzlich ist es Sache des Mitgliedstaates, das nationale Schutzniveau in Bezug auf Glücksspiele selbst zu bestimmen und die Erforderlichkeit einzelner Maßnahmen zu beurteilen. Gleichwohl, und das stellt das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil selbst fest, obliegt es dem Mitgliedstaat, der sich auf ein legitimes Ziel zur Rechtfertigung des Eingriffs in die Dienstleistungsfreiheit berufen möchte, dem Gericht alle Umstände darzulegen, anhand derer dieses Gericht sich vergewissern kann, dass die Maßnahme auch tatsächlich dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügt. Vorliegend werden aber seitens des Bundesverwaltungsgerichts überhaupt keine Umstände dargelegt, geschweige denn bewertet, welche auch nur im Ansatz eine taugliche Entscheidungsgrundlage für eine plausible Schlüssigkeitskontrolle der tatsächlichen Kohärenzlage hätten darstellen können! Es stellt sich nämlich vordringlich die Frage, ob ein vollständiges Verbot von Online-Poker und Online-Casinospiele wirklich dazu führen kann, dass entsprechend spielinteressierte Personen stattdessen dann Lotto spielen oder Pferdewetten abgeben, wovon der Gesetzgeber auszugehen scheint. Das geht aber völlig an der Realität vorbei, was die tatsächliche Marktsituation in Deutschland eindrücklich belegt. Das Bundesverwaltungsgericht hat dies alles schlicht mit Schweigen weggebügelt.

TLN
: Das klingt in der Tat nach einer schweren Verkennung der revisionsrechtlichen Kompetenzen des Bundesverwaltungsgerichts. Was können die hiervon betroffenen Anbieter in rechtlicher Hinsicht tun?


Koenig:
Wie bereits gesagt, hätte das Bundesverwaltungsgericht zwingend das Verfahren an die Vorinstanz zur umfassenden Aufklärung in rechtstatsächlicher Hinsicht zurückverweisen müssen. Indem das Bundesverwaltungsgericht stattdessen in der Sache selbst entschieden hat und nicht einmal im Ansatz die tatsächliche Eignung der vom Gesetzgeber erwünschten Kanalisierungseffekte bezüglich des Vertriebswegs Internet anhand von belastbaren Daten erörtert und bewertet hat, hat das Gericht willkürlich den betroffenen Anbietern den gesetzlichen Tatsachenrichter entzogen. Es ist deshalb den Betroffenen dringend anzuraten, eine Urteilsverfassungsbeschwerde wegen willkürlichen Verstoßes gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG einzulegen.

TLN
: Wie sehen Sie in diesem Kontext die aktuellen Reformbemühungen einiger Bundesländer, welche die Notwendigkeit erkannt haben, alle Glücksspielarten einer kohärenten Regulierung zuzuführen und damit den deutschen Glücksspielmarkt zeitgemäß, zukunftsfähig und rechtssicher zu gestalten?


Koenig:
Alles andere macht schlicht keinen Sinn! Man kann die Lebenswirklichkeit nicht ausblenden, zumal die Erfahrungen etwa in Dänemark oder auch Schleswig- Holstein zeigen, dass eine sachgerechte Regulierung nicht zu höheren Suchtgefahren führt, sondern vielmehr auf einer rechtssicheren Basis effektiv der Schwarzmarkt bekämpft werden kann. Hier gilt, was Innenminister Grothe von Schleswig-Holstein im September 2017 so treffend im Landtag gesagt hat: „Formale Verbote führen nicht dazu, dass die Spieler geordnete und überwachte Angebote nutzen. Wir dürfen nicht länger versuchen, das Internetglücksspiel mit analogen Instrumenten aus dem vergangenen Jahrtausend in den Griff zu bekommen.“

TLN: Sehr geehrter Herr Professor Koenig, wir danken Ihnen für das sehr instruktive Gespräch!