Dienstag, 14. Februar 2017

Schlussanträge Rs C-213/15 P zum Zugang zu Dokumenten des Gerichtshofs


Gerichtshof der Europäischen Union
PRESSEMITTEILUNG Nr. 141/16
Luxemburg, den 21. Dezember 2016
Schlussanträge des Generalanwalts in der Rechtssache C-213/15 P
Kommission / Patrick Breyer


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Generalanwalt Bobek schlägt einen umfassenderen Zugang zu Dokumenten des Gerichtshofs vor


Die Kommission ist nach der Verordnung Nr. 1049/2001 verpflichtet, Dritten Zugang zu Schriftsätzen zu gewähren, die ein Mitgliedstaat in einer bereits abgeschlossenen Rechtssache eingereicht hatte und von denen sie eine Abschrift besitzt. Allerdings sollte in erster Linie der Gerichtshof als Herr über die Gerichtsakten über den Zugang zu den darin enthaltenen Dokumenten entscheiden

Herr Patrick Breyer  beantragte bei der  Kommission  Zugang zu Schriftsätzen,  die Österreich in einem von der Kommission gegen diesen Mitgliedstaat eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahren wegen Nichtumsetzung der Richtlinie zur Vorratsspeicherung von Daten (1) beim Gerichtshof eingereicht hatte. Dieses Verfahren war zum Zeitpunkt der Antragstellung bereits abgeschlossen (2). Die Kommission verweigerte den Zugang zu den Schriftsätzen, von denen sie Abschriften besaß, mit der Begründung, dass es sich um Dokumente des Gerichtshofs handele, die damit nicht in den Anwendungsbereich der Verordnung  Nr. 1049/2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission fielen (3).

Herr  Breyer  erhob  hiergegen Klage beim Gericht, das den  ablehnenden  Beschluss der Kommission über den Zugang für nichtig erklärte (4). Nach Ansicht des Gerichts fallen Schriftsätze eines Mitgliedstaats, von denen die Kommission eine Abschrift  besitzt, wie die eigenen Schriftsätze der Kommission (5) in den Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1049/2001.

Die Kommission legte gegen dieses Urteil des Gerichts ein Rechtsmittel beim Gerichtshof ein.

In seinen heute veröffentlichten Schlussanträgen schlägt Generalanwalt  Michal Bobek  dem Gerichtshof vor, das Urteil des Gerichts zu bestätigen und das Rechtsmittel der Kommission zurückzuweisen. Nach Ansicht von Herrn Bobek verpflichtet die Verordnung die Kommission, einem Dritten Zugang zu den von einem Mitgliedstaat vorgelegten Schriftsätzen, von denen sie eine Abschrift hat, zu gewähren, wenn die  betreffende  Rechtssache  bereits abgeschlossen ist.

Der Generalanwalt sieht allerdings das Bedürfnis nach einer größeren Offenheit des Gerichtshofs und regt an, dass der Gerichtshof seine institutionellen Regelungen  für  den Zugang zu bestimmten, in den Bereich seiner Rechtsprechungstätigkeit fallenden  Dokumenten überdenkt.

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1 Richtlinie 2006/24/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006 über die Vorratsspeicherung von Daten, die bei der Bereitstellung öffentlich zugänglicher  elektronischer Kommunikationsdienste oder öffentlicher Kommunikationsnetze erzeugt oder verarbeitet werden, und zur Änderung der Richtlinie 2002/58/EG (ABl. 2006,  L 105, S. 54).
2 Urteil des Gerichtshofs vom 29. Juli 2010, Kommission/Österreich (C-189/09).
3 Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission (ABl. 2001, L 145, S. 43).
4 Urteil des Gerichts vom 27. Februar 2015 Breyer/Kommission (T-188/12), vgl. auch Pressemitteilung Nr. 26/15.
5 Urteil des Gerichtshofs vom 21. September 2010, Schweden  u. a./API und Kommission  (verbundene Rechtssachen C-514/07 P, C-528/07 P und C-532/07 P).



Auch wenn gegenüber dem Gerichtshof kein Recht auf Zugang zu Dokumenten besteht, soweit sie seine  Rechtsprechungsaufgaben betreffen, unterliegt der Gerichtshof dem Grundsatz der Offenheit. Ein Mehr an Offenheit würde nicht nur das öffentliche Vertrauen in die Unionsgerichtsbarkeit stärken, sondern auch die Qualität der Rechtsprechung insgesamt verbessern.

Für den Zugang zu Dokumenten des Gerichtshofs nimmt Generalanwalt Bobek eine Unterscheidung zwischen internen mit der Rechtsprechungstätigkeit im Zusammenhang stehenden Dokumenten und externen mit der Rechtsprechungstätigkeit im Zusammenhang stehenden Dokumenten des Gerichtshofs vor.

Interne mit der Rechtsprechungstätigkeit im Zusammenhang stehende Dokumente, wie der Vorbericht (6) des Berichterstatters und Vermerke für die anstehende Beratung (7), müssen  aus der Sicht von Herrn Bobek vom Konzept der Offenheit unberührt bleiben und können daher nicht offengelegt werden.

Externe mit der Rechtsprechung im  Zusammenhang stehende Dokumente, etwa von den Parteien vorgelegte Schriftsätze, können grundsätzlich zugänglich sein. Generalanwalt Bobek schlägt vor,  dass diese  Dokumente auf Antrag sowohl  in  abgeschlossenen  als auch, in beschränkterem Umfang,  in  anhängigen  Rechtssachen  zugänglich gemacht werden.  Über individuelle Anträge auf Zugang hinaus regt Generalanwalt Bobek indes an, Parteischriftsätze und Vorabentscheidungsersuchen routinemäßig auf der Website des Gerichtshofs zu veröffentlichen.


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HINWEIS:  Die Schlussanträge des Generalanwalts sind  für den Gerichtshof nicht bindend. Aufgabe des Generalanwalts ist es, dem Gerichtshof in völliger Unabhängigkeit einen Entscheidungsvorschlag für die betreffende Rechtssache zu unterbreiten. Die Richter des Gerichtshofs treten nunmehr in die Beratung ein.
Das Urteil wird zu einem späteren Zeitpunkt verkündet.

HINWEIS:  Beim Gerichtshof kann ein auf Rechtsfragen beschränktes Rechtsmittel gegen ein Urteil oder einen Beschluss des Gerichts eingelegt werden. Das Rechtsmittel hat grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung. Ist das Rechtsmittel zulässig und begründet, hebt der Gerichtshof die Entscheidung des Gerichts auf. Ist die Rechtssache zur Entscheidung reif, kann der Gerichtshof den Rechtsstreit selbst entscheiden.
Andernfalls verweist er die Rechtssache an das Gericht zurück, das an die Rechtsmittelentscheidung des Gerichtshofs gebunden ist. 

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6  Dieser Bericht ist an alle Richter und Generalanwälte des Gerichtshofs gerichtet und enthält Vorschläge,  welche Kammer in diesem Verfahren entscheiden soll, ob eine mündliche Verhandlung anberaumt werden soll  und ob der verantwortliche Generalanwalt Schlussanträge verfassen soll.
7 Hierbei handelt es sich um schriftliche Vermerke, mit denen die anderen Richter der Kammer den vom Berichterstatter erstellten Urteilsentwurf kommentieren.


Quelle