Insbesondere bei den deutschen Sportwetten-Verfahren wird vom Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) eine weitere Klärung der Rechtslage erwartet. Zu den Vorlagen der Verwaltungsgerichte Stuttgart und Gießen (verbundene Rechtssachen C-316/07 u. a. - „Markus Stoß“) und der Anfang 2008 vom Verwaltungsgericht Schleswig eingereichten Rechtssache C-46/08 („Carmen Media Group“) wird Generalanwalt Paolo Mengozzi seine Schlussanträge am Donnerstag, den 4. März 2010, 9:30 Uhr, verkünden. mehr Quelle: www.be24.at
SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS
PAOLO MENGOZZI
vom 4. März 20101(1)
Verbundene Rechtssachen C‑316/07, C‑358/07 bis C‑360/07, C‑409/07 und C‑410/07
Markus Stoß
gegen
Wetteraukreis
(Vorabentscheidungsersuchen des Verwaltungsgerichts Gießen [Deutschland])
Kulpa Automatenservice Asperg GmbH
gegen
Land Baden-Württemberg
(Vorabentscheidungsersuchen des Verwaltungsgerichts Stuttgart [Deutschland])
SOBO Sport & Entertainment GmbH
gegen
Land Baden-Württemberg
(Vorabentscheidungsersuchen des Verwaltungsgerichts Stuttgart [Deutschland])
Andreas Kunert
gegen
Land Baden-Württemberg
(Vorabentscheidungsersuchen des Verwaltungsgerichts Stuttgart [Deutschland])
Avalon Service-Online-Dienste GmbH
gegen
Wetteraukreis
(Vorabentscheidungsersuchen des Verwaltungsgerichts Gießen [Deutschland])
Olaf Amadeus Wilhelm Happel
gegen
Wetteraukreis
(Vorabentscheidungsersuchen des Verwaltungsgerichts Gießen [Deutschland])
„Freier
Dienstleistungsverkehr – Glücksspiele – Kohärenz der nationalen Politik
im Bereich des Glücksspiels – Tätigkeit der Veranstaltung von
Sportwetten, für die eine Erlaubnis vorliegen muss – Gegenseitige
Anerkennung“
I – Einleitung
1. Eine
Milliardenindustrie, die eine gefährliche und in kultureller Hinsicht
heikle Tätigkeit betrifft. Eine Dienstleistung, die dank neuer
Kommunikationsmittel leicht die Grenzen überschreitet. Ein nicht
harmonisierter Sektor, zu dem es nur eine Einzelfallrechtsprechung gibt.
2. Alle
diese Elemente kommen im Spielsektor zusammen: Deshalb ist es nicht
erstaunlich, dass der Sektor stark umstritten ist und in Zukunft sehr
wahrscheinlich weitere Konflikte hervorbringen wird. Die hier geprüften
Fragen, ebenso wie die zahlreichen anderen Fragen, die dem Gerichtshof
derzeit vorliegen, sind ein deutlicher Beweis dafür(2).
3. Das
Fehlen von Sekundärrecht ist im vorliegenden Fall ein entscheidender
Faktor, der die Gerichte zwingt, die Verträge unmittelbar heranzuziehen.
Trotz ihrer deutlichen Zunahme in den letzten Jahren reicht die
Rechtsprechung in diesem Bereich als Grundlage zur Regelung der
verschiedenen Fälle, mit denen die nationalen Gerichte tagtäglich
befasst werden, nicht aus. Diesen Gerichten obliegt es, in letzter
Instanz die Regelungen, die den Zugang zum Spielmarkt eines
Mitgliedstaats beschränken, aus gemeinschaftlicher Sicht zu prüfen. Mit
seinen Antworten auf die Vorlagefragen muss der Gerichtshof ihnen den
Weg zeigen, dem sie bei der Durchführung dieser schwierigen Aufgabe
folgen müssen.
4. In
den Rechtssachen, um die es im vorliegenden Fall geht, ersuchen die
Verwaltungsgerichte Gießen und Stuttgart den Gerichtshof, sich erstens
über die Vereinbarkeit des in Deutschland bestehenden Monopols für
Sportwetten und Lotterien mit dem Gemeinschaftsrecht zu äußern, da es
der innerstaatlichen Politik zur Beschränkung des Glücksspiels nach
ihrer Ansicht vermutlich an Kohärenz fehlt. Zweitens soll der
Gerichtshof sich zu der Möglichkeit äußern, den Grundsatz der
gegenseitigen Anerkennung auf nationale Genehmigungen für die
Veranstaltung von Sportwetten anzuwenden.
II – Rechtlicher Rahmen
A – Gemeinschaftsregelung
5. Der
Glücksspielsektor ist gegenwärtig im Unionsrecht nicht harmonisiert.
Die Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom
12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt(3)
schließt Glückspiele ausdrücklich von ihrem Anwendungsbereich aus:
„Diese Richtlinie findet auf folgende Tätigkeiten keine Anwendung: … h)
Glücksspiele, die einen geldwerten Einsatz verlangen, einschließlich
Lotterien, Glücksspiele in Spielkasinos und Wetten …“ (Art. 2 Abs. 2).
6. Wegen
des fehlenden Sekundärrechts ist auf das Primärrecht zurückzugreifen,
im vorliegenden Fall insbesondere auf Art. 49 EG, dessen Abs. 1
„Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs innerhalb der
Gemeinschaft für Angehörige der Mitgliedstaaten, die in einem anderen
Staat der Gemeinschaft als demjenigen des Leistungsempfängers ansässig
sind“, verbietet.
B – Deutsches Recht
7. In
Deutschland sind die Zuständigkeiten im Bereich des Spiels zwischen
Bund und Ländern aufgeteilt. In den meisten Ländern gibt es ein
regionales Monopol für die Veranstaltung von Sportwetten und Lotterien,
während mit dem Betrieb von Spielautomaten und Spielbanken private
Wirtschaftsteilnehmer betraut sind, die über die erforderliche Erlaubnis
verfügen.
1. Bundesrecht
8. § 284 Strafgesetzbuch (im Folgenden: StGB) bestimmt:
„(1) Wer ohne behördliche Erlaubnis öffentlich ein Glücksspiel
veranstaltet oder hält oder die Einrichtungen hierzu bereitstellt, wird
mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
…
(3) Wer in den Fällen des Absatzes 1
1. gewerbsmäßig [handelt]
…
wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.
…“.
9. Es
ist Aufgabe der Länder, die Voraussetzungen für die Erteilung der in
§ 284 StGB genannten Erlaubnisse zu bestimmen, mit Ausnahme der
Erlaubnisse für die Veranstaltung von Wetten, die öffentliche
Pferdewettkämpfe und das Aufstellen und den Betrieb von
Geldspielautomaten betreffen, die von den Ländern erteilt werden, aber
unter den im Rennwett- und Lotteriegesetz (im Folgenden: RWLG) und in
der Gewerbeordnung festgelegten Voraussetzungen.
10. In Bezug auf die Erlaubnis für Wetten, die Pferdewettkämpfe betreffen, bestimmt § 1 RWLG:
„(1)
Ein Verein, der das Unternehmen eines Totalisators aus Anlass
öffentlicher Pferderennen und anderer öffentlicher Leistungsprüfungen
für Pferde betreiben will, bedarf der Erlaubnis der nach Landesrecht
zuständigen Behörde.
…
(3)
Die Erlaubnis darf nur solchen Vereinen erteilt werden, welche die
Sicherheit bieten, dass sie die Einnahmen ausschließlich zum Besten der
Landespferdezucht verwenden.“
11. § 2 Abs. 1 RWLG lautet:
„Wer
gewerbsmäßig Wetten bei öffentlichen Leistungsprüfungen für Pferde
abschließen oder vermitteln will (Buchmacher), bedarf der Erlaubnis der
nach Landesrecht zuständigen Behörde.“
2. Landesrecht
a) Der Staatsvertrag zum Lotteriewesen in Deutschland
12. Mit
dem am 1. Juli 2004 in Kraft getretenen Staatsvertrag zum Lotteriewesen
in Deutschland (im Folgenden: LottStV) haben die Länder für die
Veranstaltung, Durchführung und die gewerbliche Vermittlung von
Glücksspielen mit Ausnahme von Spielbanken einen einheitlichen Rahmen
geschaffen.
13. § 1 LottStV legt die Ziele dieses Vertrags zwischen den Ländern fest. Diese Ziele sind,
„1. den
natürlichen Spieltrieb der Bevölkerung in geordnete und überwachte
Bahnen zu lenken, insbesondere ein Ausweichen auf nicht erlaubte
Glücksspiele zu verhindern,
2. übermäßige Spielanreize zu verhindern,
3. eine Ausnutzung des Spieltriebs zu privaten oder gewerblichen Gewinnzwecken auszuschließen,
4. sicherzustellen, dass Glücksspiele ordnungsgemäß und nachvollziehbar durchgeführt werden und
5. sicherzustellen,
dass ein erheblicher Teil der Einnahmen aus Glücksspielen zur Förderung
öffentlicher oder steuerbegünstigter Zwecke im Sinne der Abgabenordnung
verwendet wird“.
14. § 5 LottStV bestimmt:
„(1) Die
Länder haben im Rahmen der Zielsetzungen des § 1 die ordnungsrechtliche
Aufgabe, ein ausreichendes Glücksspielangebot sicherzustellen.
(2) Auf
gesetzlicher Grundlage können die Länder diese Aufgabe selbst, durch
juristische Personen des öffentlichen Rechts oder durch privatrechtliche
Gesellschaften, an denen juristische Personen des öffentlichen Rechts
unmittelbar oder mittelbar maßgeblich beteiligt sind, erfüllen.
(3) Den
in Absatz 2 Genannten ist ein Tätigwerden als Veranstalter oder
Durchführer … nur in dem Land gestattet, in dem sie ihre Aufgaben nach
Absatz 2 wahrnehmen. Sie dürfen Glücksspiele nur in diesem Land
vertreiben oder vertreiben lassen. In einem anderen Land dürfen sie
Glücksspiele nur mit Zustimmung dieses Landes veranstalten oder
durchführen. Auf die Erteilung der Zustimmung besteht kein
Rechtsanspruch.
(4) Anderen als den in
Absatz 2 Genannten darf nur die Veranstaltung von Lotterien und
Ausspielungen nach den Vorschriften des Dritten Abschnitts erlaubt
werden.“
15. Der
im Dritten Abschnitt enthaltene § 6 LottStV macht die öffentliche
Veranstaltung von Lotterien außerhalb des Anwendungsbereichs von § 5
Abs. 2 von einer vorherigen Erlaubnis abhängig und zählt eine Reihe von
Voraussetzungen auf, die für die Erteilung der Erlaubnis vorliegen
müssen. § 7 Abs. 1 LottStV schließt die Erteilung der Erlaubnis aus,
wenn diese Veranstaltung von Lotterien wegen des insgesamt vorhandenen
Glücksspielangebots den Spieltrieb möglicherweise in besonderer Weise
fördert.
16. In
dem durch den LottStV vorgegebenen Rahmen hat jedes Land seine eigene
Regelung für Glücksspiele erlassen und die Veranstaltung von Lotterien
und Sportwetten sich selbst vorbehalten oder privatrechtliche
Gesellschaften damit betraut, die es kontrolliert.
b) Die Regelung des Landes Hessen
17. Nach
§ 1 Abs. 1 des Gesetzes über staatliche Sportwetten, Zahlenlotterien
und Zusatzlotterien in Hessen ist allein das Land befugt, innerhalb
seines Staatsgebiets Sportwetten zu veranstalten, mit Ausnahme von
Wetten, die Pferderennen betreffen (Abs. 1). Es kann jedoch eine
juristische Person des Privatrechts mit der Durchführung dieser Wetten
und Lotterien beauftragen (Abs. 4). Die Sportwetten und Lotterien dürfen
nur in den zugelassenen Annahmestellen gewerbsmäßig vermittelt werden
(Abs. 5).
c) Die Regelung des Landes Baden-Württemberg
18. Nach
§ 2 des Gesetzes über staatliche Lotterien, Wetten und Ausspielungen
des Landes Baden-Württemberg veranstaltet das Land Zahlenlotterien,
Ergebniswetten und Losbrieflotterien (Abs. 1), und es kann eine
juristische Person des privaten Rechts, an der das Land unmittelbar oder
mittelbar maßgeblich beteiligt ist, mit der Durchführung der durch das
Land veranstalteten Glücksspiele beauftragen (Abs. 4).
3. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 28. März 2006
19. Am 28. März 2006 erließ das Bundesverfassungsgericht ein Urteil(4),
mit dem es das im Land Bayern bestehende Monopol für Sportwetten für
mit dem – in Art. 12 Grundgesetz verankerten – Grundrecht der
Berufsfreiheit unvereinbar erklärte, weil seine rechtliche Struktur, die
Vermarktungsmodalitäten und seine Ausgestaltung nicht konsequent und
aktiv am Ziel der Begrenzung der Wettleidenschaft und der
Suchtbekämpfung ausgerichtet seien.
20. Das
Urteil, das das Land Bayern betraf, kann jedoch auf in anderen Ländern
bestehende Monopole für Sportwetten mit den gleichen charakteristischen
Merkmalen erstreckt werden.
21. Das
Bundesverfassungsgericht hat den zuständigen Gesetzgebern einen
Übergangszeitraum bis zum 31. Dezember 2007 eingeräumt, um das
betreffende Monopol so umzugestalten, dass ein Mindestmaß an Kohärenz
mit dem Ziel der Suchtbekämpfung hergestellt wird(5).
22. Zu
diesem Zweck haben die Länder einen neuen Staatsvertrag geschlossen,
den Staatsvertrag zum Glücksspielwesen in Deutschland, der am 1. Januar
2008 in Kraft getreten ist(6).
III – Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
23. Die Kläger der sechs Ausgangsverfahren(7)
haben Geschäftsräume in Hessen und Baden-Württemberg, in denen sie für
Rechnung von in anderen Mitgliedstaaten niedergelassenen Veranstaltern
von Glücksspielen Sportwetten vermitteln(8). Diese Veranstalter sind zwei österreichische Unternehmen – die Happybet Sportwetten GmbH(9) und die web.coin Handelsges.m.b.H(10) –, ein Unternehmen mit Sitz in Malta – die Tipico Co. Ltd(11) – und zwei britische Gesellschaften, von denen die eine in Gibraltar eingetragen ist – die Digibet Ltd(12) – und die andere in London – die Happy Bet Ltd(13).
Alle diese Gesellschaften haben von den für ihren Sitz zuständigen
örtlichen Behörden eine Erlaubnis zur Ausübung einer Tätigkeit im
Bereich der Sportwetten erhalten.
24. In
den Jahren 2005, 2006 und 2007 erließen die zuständigen Behörden der
Länder Hessen und Baden-Württemberg (der Landrat des Wetteraukreises und
das Regierungspräsidium Karlsruhe) eine Reihe von Entscheidungen, mit
denen den Klägern die Veranstaltung von Sportwetten in den genannten
Ländern verboten wurde.
25. Diese
Verwaltungsentscheidungen wurden vor den Verwaltungsgerichten Gießen
und Stuttgart mit der zweifachen Begründung angefochten, dass zum einen
die in den betreffenden Ländern bestehenden Monopole für Sportwetten
gegen die Niederlassungsfreiheit (Art. 43 EG) und die
Dienstleistungsfreiheit (Art. 49 EG) verstießen und dass zum anderen die
Unternehmen, für deren Rechnung die Klägerinnen handelten, über von
anderen Mitgliedstaaten erteilte Lizenzen für die Veranstaltung von
Glücksspielen verfügten, was ausreichen müsse, um die gleiche Tätigkeit
in Deutschland auszuüben.
26. Die
Verwaltungsgerichte Gießen und Stuttgart äußern in ihren
Vorlagebeschlüssen erhebliche Zweifel an der Vereinbarkeit der deutschen
Glücksspielregelung mit dem Gemeinschaftsrecht und legen dem
Gerichtshof nach Art. 234 EG folgende Fragen zur Vorabentscheidung vor(14):
1. Sind
die Art. 43 EG und 49 EG dahin auszulegen, dass sie einem staatlichen
Monopol auf bestimmte Glücksspiele wie z. B. Sportwetten entgegenstehen,
wenn es in dem betreffenden Mitgliedstaat insgesamt an einer kohärenten
und systematischen Politik zur Beschränkung des Glücksspiels fehlt,
insbesondere weil die innerstaatlich konzessionierten Veranstalter zur
Teilnahme an anderen Glücksspielen – wie staatlichen Lotterien und
Kasinospielen – ermuntern, und ferner andere Spiele mit gleichem oder
höherem mutmaßlichen Suchtgefährdungspotential – wie Wetten auf
bestimmte Sportereignisse (wie Pferderennen) und Automatenspiel – von
privaten Dienstleistungsanbietern erbracht werden dürfen?
2. Sind
die Art. 43 EG und 49 EG dahin auszulegen, dass durch dafür zuständige
staatliche Stellen der Mitgliedstaaten ausgestellte Genehmigungen der
Veranstaltung von Sportwetten, die nicht auf das jeweilige Staatsgebiet
beschränkt sind, den Inhaber der Genehmigung wie auch von ihm
beauftragte Dritte berechtigen, auch im Bereich der anderen
Mitgliedstaaten ohne zusätzlich erforderliche nationale Genehmigungen
die jeweiligen Angebote zum Abschluss von Verträgen anzubieten und
durchzuführen?
IV – Verfahren vor dem Gerichtshof
27. Die
Vorabentscheidungsersuchen sind am 9. Juli 2007 (C‑316/07), am 2.
August 2007 (C‑358/07, C‑359/07 und C‑360/07) und am 3. September 2007
(C‑409/07 und C‑410/07) bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen.
28. Markus
Stoß, die Kulpa Automatenservice Asperg GmbH, die SOBO Sport &
Entertainment GmbH, der Wetteraukreis, die deutsche, die belgische, die
dänische, die finnische, die französische, die italienische, die
litauische, die niederländische, die österreichische, die
portugiesische, die slowenische und die spanische Regierung, die
norwegische Regierung sowie die Kommission der Europäischen
Gemeinschaften haben schriftliche Erklärungen abgegeben.
29. In
der mündlichen Verhandlung vom 8. Dezember 2009 haben die Vertreter der
Kläger der Ausgangsverfahren, des Wetteraukreises, des Landes
Baden-Württemberg, der deutschen, der belgischen, der griechischen, der
italienischen, der portugiesischen und der norwegischen Regierung sowie
der Kommission mündliche Ausführungen gemacht.
V – Zur ersten Vorlagefrage
A – Die Grundsätze der Rechtsprechung im Bereich des Glücksspiels
30. Das
Verhältnis zwischen den gemeinschaftlichen Freiheiten und der
unterschiedlichen Politik der Mitgliedstaaten in Bezug auf das Glücksspiel ist in einer umfangreichen Rechtsprechung des Gerichtshofs behandelt worden, bei der seit dem Urteil Schindler(15)
die Möglichkeit der Rechtfertigung von Maßnahmen, die die
Dienstleistungsfreiheit (Art. 49 EG) oder die Niederlassungsfreiheit
(Art. 43 EG) in der Union einschränken, im Mittelpunkt steht.
31. Diese
Rechtsprechung beachtet die besondere Natur von Glücksspielen, eines
Sektors, in dem „sittliche, religiöse oder kulturelle Erwägungen“ nicht
außer Betracht bleiben können und in dem eine „[erhöhte] Gefahr von
Betrug und anderen Straftaten“ besteht und der „zu Ausgaben [verleitet],
die schädliche persönliche und soziale Folgen haben können“(16).
Unter Berücksichtigung dieser besonderen Natur und wegen der fehlenden
gemeinschaftlichen Harmonisierung in diesem Bereich erkennt der
Gerichtshof an, dass die Mitgliedstaaten über ein ausreichendes Ermessen
verfügen, um entsprechend ihrer eigenen Werteordnung die
Voraussetzungen festzulegen, die zum Schutz der Spieler und, ganz
allgemein, zum Schutz der Sozialordnung erforderlich sind(17).
32. Auch wenn die Rechtsprechung somit annimmt, dass eine nationale Regelung, die bestimmte Glücksspiele verbietet(18) oder deren Betrieb auf eine bestimmte Zahl öffentlicher oder privater Konzessionäre beschränkt(19),
unabhängig davon, ob sie diskriminierend ist, den freien
Dienstleistungsverkehr behindert, erlaubt sie solche Beschränkungen,
wenn sie ein im Allgemeininteresse liegendes Ziel verfolgen(20), wie die Verminderung der Gelegenheiten zum Spiel oder die Verhütung von Betrug und Straftaten(21).
33. Es
steht den Mitgliedstaaten somit frei, „die Ziele ihrer Politik auf dem
Gebiet der Glücksspiele festzulegen“ und gegebenenfalls „das angestrebte
Schutzniveau genau zu bestimmen“(22).
Es genügt jedoch nicht, sich formell auf diese Ziele zu berufen: Seit
dem Urteil Zenatti weist der Gerichtshof auf die Notwendigkeit hin, die
Kohärenz zwischen der in Rede stehenden Gesetzgebung und der
vorgebrachten Ziele sowie die Verhältnismäßigkeit zu überprüfen. Und
seit dem Urteil Gambelli verlangt sie im Einzelnen, dass die
Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs und der
Niederlassungsfreiheit 1. in nichtdiskriminierender Weise angewandt
werden, 2. aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt
sind, 3. geeignet sind, die Erreichung dieses Ziels zu gewährleisten,
und 4. nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Ziels
erforderlich ist (23).
34. Was
das dritte Erfordernis anbelangt, ist daran zu erinnern, dass „eine
nationale Regelung nur dann geeignet ist, die Verwirklichung des geltend
gemachten Ziels zu gewährleisten, wenn sie tatsächlich dem Anliegen
gerecht wird, es in kohärenter und systematischer Weise zu erreichen“(24).
Infolgedessen ist ein nationales Monopol im Glücksspielsektor, wie es
sich im vorliegenden Fall darstellt, mit den Art. 43 EG und 49 EG
vereinbar, wenn es nichtdiskriminierend ist und im Hinblick auf das
angestrebte im Allgemeininteresse liegende Ziel, mit dem es
gerechtfertigt wird, verhältnismäßig und geeignet (kohärent nach der
Terminologie der Rechtsprechung im Bereich des Glücksspiels) ist.
B – Umformulierung der ersten Vorlagefrage
35. Mit
ihrer ersten Vorlagefrage möchten die Verwaltungsgerichte Gießen und
Stuttgart wissen, ob das Monopol für Sportwetten und Lotterien in
Deutschland möglicherweise mit den Art. 43 EG und 49 EG unvereinbar ist,
da sie die nationale Politik zur Beschränkung des Spiels für nicht
kohärent halten.
36. Diese Formulierung ist meines Erachtens in zweierlei Hinsicht ungeeignet.
37. Erstens
ist die Fassung der Frage insoweit nicht korrekt, als sie von einer
zuvor festgestellten Ungeeignetheit der betreffenden Regelung ausgeht,
als deren Anzeichen die öffentliche Ermunterung zur Teilnahme an
Spielen, die einem Monopol unterliegen, und die Öffnung anderer Spiele
mit gleichem oder höherem mutmaßlichen Suchtgefährdungspotenzial für
private Unternehmen genannt werden. Nach der vorstehend angeführten
Rechtsprechung wäre jedoch die Berufung auf diese fehlende Kohärenz als
solche schon ausreichend, um eine eventuelle Rechtfertigung der
Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs auszuschließen.
38. Da
die vorlegenden Gerichte wissen möchten, ob das Monopol auf Lotterien
und Sportwetten so gestaltet ist, dass es mit dem Vertrag vereinbar ist,
ist folglich nicht die fehlende Kohärenz der deutschen Regelung über
das Glücksspiel als Prämisse
zugrunde zu legen, sondern es ist zu fragen, ob die angegebenen Umstände
(teilweise Öffnung anderer Spiele und breite Werbung) zu einer
fehlenden Kohärenz dieser Art führen und infolgedessen eine
Unvereinbarkeit mit dem Recht der Union bewirken.
39. Zweitens
bin ich der Ansicht, dass diese Prüfung der deutschen Vorschriften
ausschließlich im Licht der Vertragsbestimmungen zur
Dienstleistungsfreiheit (Art. 49 EG) zu erfolgen hat. Die
Niederlassungsfreiheit (Art. 43 EG), auf die sich die deutschen
Verwaltungsgerichte auch berufen, ist im vorliegenden Fall nicht
einschlägig.
40. In
den vorliegenden Fällen handelt es sich um deutsche natürliche oder
juristische Personen, die eine Tätigkeit als Vermittler von Sportwetten
für Rechnung von Gesellschaften ausüben möchten, die ihren Sitz in
anderen Mitgliedstaaten haben und anscheinend nicht beabsichtigen, sich
in Deutschland niederzulassen. Folglich ist die Niederlassungsfreiheit
nicht betroffen, es geht im vorliegenden Fall allein um die
Dienstleistungsfreiheit.
41. Infolgedessen müsste die erste Vorlagefrage den folgenden oder einen vergleichbaren Wortlaut haben:
Ist
Art. 49 EG dahin auszulegen, dass er einem staatlichen Monopol auf
bestimmte Glücksspiele wie Sportwetten entgegensteht, wenn die
Veranstalter, die Inhaber nationaler Konzessionen sind, zur Teilnahme an
diesen Spielen ermuntern(25)
und wenn darüber hinaus private Erbringer von Dienstleistungen Spiele
mit einem gleichen oder größeren Suchtgefährdungspotenzial anbieten
können (z. B. Wetten auf bestimmte Sportereignisse, wie Pferderennen,
und Geldspielautomaten)? Ist anzunehmen, dass diese Umstände eine
kohärente und systematische Politik in Bezug auf Glücksspiele im Sinne
der Rechtsprechung verhindern?
42. Mit
dieser ersten Frage ersuchen die vorlegenden Gerichte den Gerichtshof,
klarzustellen, wie und anhand welcher Kriterien die nationale Regelung
über das Glücksspiel zu beurteilen
ist, damit sie als „kohärent“ eingestuft werden kann, eine Einstufung,
von der es abhängt, ob die Regelung aus der Sicht des Vertrags Bestand
haben kann. Die vorlegenden Gerichte möchten insbesondere wissen, ob
diese Beurteilung global in Anbetracht der Politik in Bezug auf das Glücksspiel
im Allgemeinen vorzunehmen ist oder vielmehr individuell für jedes
einzelne Spiel, so dass Rechtsvorschriften oder Maßnahmen, die für ein
Spiel erlassen worden sind, die Einschätzung einer Regelung, die ein
anderes Spiel betrifft, nicht berühren.
43. Unter
Berücksichtigung der Vielzahl und der Vielfalt der Argumente aller
Verfahrensbeteiligten und der Verfasser der Hauptfrage, bin ich dennoch
der Ansicht, dass es nur möglich ist, eine sachdienliche Antwort auf
diese Frage zu geben, wenn man drei Aspekte der im vorliegenden Fall
betroffenen deutschen Regelung untersucht. Es handelt sich um die Frage
ihres diskriminierenden Charakters (C), den von ihr verfolgten, im
Allgemeininteresse liegenden Zweck (D) und ihre Kohärenz oder Eignung
für diesen Zweck (E).
C – Nichtdiskriminierender Charakter
44. Nach
ständiger Rechtsprechung verbietet Art. 49 EG jegliche Diskriminierung
des Erbringers von Dienstleistungen aufgrund seiner Staatsangehörigkeit
oder des Umstands, dass er in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen
ansässig ist, in dem die Dienstleistung erbracht werden soll(26).
45. Speziell
zum Glücksspielsektor hat der Gerichtshof ausgeführt, dass eine
nationale Regelung, die jedem anderen als der zugelassenen öffentlich
rechtlichen Einrichtung den Betrieb eines bestimmten Spiels verbietet,
nicht diskriminierend ist, da sie unterschiedslos für alle
Wirtschaftsteilnehmer gilt, die an einer solchen Tätigkeit interessiert
sind, unabhängig davon, ob sie Angehörige des betreffenden
Mitgliedstaats sind und unabhängig vom Ort ihrer Niederlassung(27).
Man kann annehmen, dass die deutschen Wettmonopole einen solchen
Charakter aufweisen, da sie unterschiedslos für alle privaten
Spielgesellschaften nachteilig sind, unabhängig davon, welchem Staat sie
angehören und ob sie in Deutschland niedergelassen sind.
D – Das im Allgemeininteresse liegende Ziel
46. Der
nächste Schritt in der Untersuchung einer restriktiven
Glücksspielpolitik besteht darin, das im Allgemeininteresse liegende
Ziel zu definieren, weil der Gerichtshof nur im Hinblick auf ein klares
Ziel bestimmen kann, ob die fragliche Regelung im Hinblick auf dieses
Ziel kohärent ist.
47. Aus
§ 1 LottStV scheint sich zu ergeben, dass dieses Ziel im Fall der
deutschen Regelung vielfältig ist und dass es die Betrugsvorbeugung und
die Vermeidung von übermäßigen Anreizen zum Spielen einschließt, die
nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs einen zwingenden Grund des
Allgemeininteresses darstellen, der unter bestimmten Voraussetzungen
Begrenzungen der Tätigkeiten im Glücksspielbereich rechtmäßig machen
kann(28).
48. § 1
LottStV verweist auch auf das Ziel, „sicherzustellen, dass ein
erheblicher Teil der Einnahmen aus Glücksspielen zur Förderung
öffentlicher oder steuerbegünstigter Zwecke im Sinne der Abgabenordnung
verwendet wird“ (§ 1 Nr. 5 LottStV). Nach der Rechtsprechung steht der
Verfolgung eines solchen Ziels nichts entgegen, wenn das Ziel der
Finanzierung sozialer, philanthropischer oder im Allgemeininteresse
stehender Tätigkeiten „eine nützliche Nebenfolge, nicht aber der
eigentliche Grund der betriebenen restriktiven Politik“ ist(29).
49. Es
ist Sache des nationalen Gerichts, zu entscheiden ob dies in
Deutschland der Fall ist oder ob tatsächlich, wie manche der Kläger in
den Ausgangsverfahren vorgetragen haben, das Ziel der Einnahmenerzielung
der einzige Zweck des im vorliegenden Fall in Rede stehenden Monopols
ist. Diese Überprüfung ist gleichwohl eng verbunden mit dem
„Kohärenztest“, dem die Politik im Bereich des Glücksspiels zu
unterziehen ist.
E – Der Test für die Geeignetheit und Verhältnismäßigkeit der Regelung
50. Sind
die beiden vorstehend genannten Punkte einmal klargestellt, ist der
sogenannte „hypocrisy test“ für die streitigen Maßnahmen durchzuführen(30),
der den Kern der ersten Vorlagefrage bildet. Es handelt sich genauer
gesagt um den klassischen Test für die Geeignetheit und
Verhältnismäßigkeit der genannten Regelung, der von der Rechtsprechung
im Bereich des Glücksspiels zusammen durchgeführt wird.
51. Die
Verwaltungsgerichte Gießen und Stuttgart führen in ihren
Vorlagebeschlüssen einen Komplex von Umständen und charakteristischen
Merkmalen der deutschen Regelung an, die deren Kohärenz und
Verhältnismäßigkeit und folglich ihre Vereinbarkeit mit dem Vertrag in
Frage stellen können.
52. Zwei
dieser Faktoren sind jedoch von besonderer Bedeutung, da es die
einzigen sind, die in der Vorlagefrage selbst genannt sind: erstens die
Entwicklung einer intensiven Werbetätigkeit, um einen Anreiz für die
Teilnahme an den Spielen zu schaffen, die dem Monopol unterliegen, und
zweitens die Öffnung von Spielen mit einem sehr hohen
Suchtgefährdungspotenzial für private Wirtschaftsteilnehmer.
1. Die Werbung für unter das Monopol fallende Spiele
53. Die
Kläger der Ausgangsverfahren und die vorlegenden Gerichte sind erstens
der Ansicht, dass es in Deutschland an einer kohärenten Politik im
Bereich des Spiels fehle, weil der Staat „in erheblichem Umfang werbend“
auftrete (Sportwetten und Lotterien)(31).
54. Der
Gerichtshof hat sich bereits im Urteil Gambelli mit dieser heiklen
Frage beschäftigt und dabei die Behörden darauf hingewiesen, dass sie
Gefahr laufen, sich zu widersprechen, wenn sie versuchen, einen Schaden
zu vermeiden, der sich aus einer Handlung ergibt, zu der sie verleitet
haben, „[s]oweit … die Behörden eines Mitgliedstaats die Verbraucher
dazu anreizen und ermuntern, an Lotterien, Glücksspielen oder Wetten
teilzunehmen, damit der Staatskasse daraus Einnahmen zufließen, können
[sie] sich … nicht … auf die Notwendigkeit, die Gelegenheiten zum Spiel
zu vermindern, … berufen, um Maßnahmen … zu rechtfertigen“, die den
freien Dienstleistungsverkehr begrenzen(32).
55. Dieses
Argument wurde im Urteil Placanica u. a. wiederholt und präzisiert, als
der Gerichtshof feststellte, dass nach der Rechtsprechung der Corte
suprema di cassazione „der italienische Gesetzgeber im Glücksspielsektor
eine expansive Politik mit dem Ziel betreibt, die Staatseinnahmen zu
erhöhen“, und dass folglich die italienischen Rechtsvorschriften weder
mit dem „Ziel einer Beschränkung der Spielleidenschaft der Verbraucher
noch mit dem einer Eindämmung des Spielangebots“ gerechtfertigt werden
können(33).
56. Der
Gerichtshof hat jedoch eine wichtige Klarstellung vorgenommen: Nachdem
er daran erinnert hat, dass sowohl die Corte suprema di cassazione als
auch die italienische Regierung es „[a]ls das wirkliche Ziel der …
fraglichen italienischen Regelung [ansehen], die Glücksspieltätigkeiten
in kontrollierbare Bahnen zu lenken, um ihrer Ausnutzung zu kriminellen
oder betrügerischen Zwecken vorzubeugen“, hat er betont, dass „[e]ine
Politik der kontrollierten Expansion im Glücksspielsektor … dabei ohne
Weiteres mit dem Ziel in Einklang stehen [kann], Spieler, die als
solchen verbotenen Tätigkeiten geheimer Spiele oder Wetten nachgehen,
dazu zu veranlassen, zu erlaubten und geregelten Tätigkeiten
überzugehen“(34).
Jedoch ist es zur Erreichung dieses Ziels erforderlich, dass „die
zugelassenen Betreiber eine verlässliche und zugleich attraktive
Alternative zur verbotenen Tätigkeit bereitstellen, was als solches das
Angebot einer breiten Palette von Spielen, einen gewissen Werbeumfang
und den Einsatz neuer Vertriebstechniken mit sich bringen kann“(35).
57. Der
Gerichtshof hat somit die Werbetätigkeit der Inhaber ausschließlicher
Rechte im Spielsektor in Italien gebilligt, soweit die Beschränkung von
Art. 49 EG dazu bestimmt war, die Kriminalität zu bekämpfen.
58. Infolgedessen
hat das Urteil Placanica u. a. ohne Umschweife aufgezeigt, dass eine
Regelung kohärent ist, die darauf gerichtet ist, betrügerisches und
strafbares Verhalten in diesem Bereich zu verhindern, und dabei
gleichzeitig dem Wirtschaftsteilnehmer, der das Monopol besitzt,
erlaubt, Werbemittel einzusetzen.
59. Wie
verhält es sich aber, wenn das Ziel der nationalen Regelung darin
besteht, die Spielsucht zu bekämpfen und die Gelegenheiten zum Spiel zu
begrenzen? Eine erste Lektüre der Randnrn. 69 des Urteils Gambelli und
54 des Urteils Placanica u. a. könnte den Eindruck vermitteln, dass die
Rechtsprechung die Geeignetheit einer Norm, die den Zugang zum Glücksspiel
beschränken soll, völlig ausschließt, wenn der Wirtschaftsteilnehmer,
der das Monopol besitzt, für seine Dienstleistungen wirbt. Eine genauere
Prüfung der vorstehend genannten Entscheidungen macht jedoch die
Vorsichtsmaßnahmen oder die Bedingungen deutlich, mit denen der
Gerichtshof diese Ausgangsthese umrahmt hat. Als entscheidenden Faktor
für das vorstehend genannte Fehlen von Kohärenz hat er nämlich auch den
Umstand angesehen, dass die Werbemaßnahmen für die Glücksspiele
veranstaltet werden, „damit der Staatskasse daraus Einnahmen
zufließen“.(36)
60. Der
Gerichtshof der Europäischen Freihandelsassoziation (im Folgenden:
EFTA-Gerichtshof) folgt der gleichen Praxis. In seinem Urteil Ladbrokes
hat er das Argument der Kanalisierung der Nachfrage nach Spielen im
Rahmen der Suchtbekämpfung gebraucht. Unter Berufung auf das Urteil
Placanica u. a. bezeichnet er es als angemessen, Werbemaßnahmen
einzusetzen, um „Spieler von Spielen mit hohem Suchtpotenzial
fernzuhalten, die über das Internet oder andere schwer zu beseitigende
Kanäle angeboten würden“(37).
61. Eine
bloße Werbetätigkeit allein steht der Erreichung des Ziels der
Begrenzung der Gelegenheiten zum Spiel nicht entgegen, sofern diese
Werbung in gemäßigter Form ausgeübt wird und tatsächlich dazu bestimmt
ist, das Spiel auf das reglementierte und kontrollierte Angebot zu
konzentrieren, und nicht dazu, die Einnahmen des Staates aus diesem
System zu erhöhen. Es wäre meines Erachtens nicht sehr wirklichkeitsnah,
für Monopole oder innerstaatlich konzessionierte Veranstalter
einzutreten, ohne dass diese die Möglichkeit haben, für ihre
Dienstleistungen zu werben. Deshalb schlage ich dem Gerichtshof vor, die
These, die er bereits im Urteil Placania vertreten hat, auf das Ziel
der Begrenzung der Gelegenheiten zum Spiel auszudehnen, jedoch nur in
dem soeben bestimmten engen Rahmen.
62. Die
Kontrolle dieser Bedingungen ist Sache des nationalen Gerichts. Jedoch
bietet im vorliegenden Fall das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom
28. März 2006 bereits eine Prüfung der Regelung und der Praktiken des
Spielsektors in Deutschland(38).
63. Nach
dieser Entscheidung „[ist] die Ausrichtung der durch den Freistaat
Bayern veranstalteten Wetten am Ziel der Bekämpfung von Wettsucht und
problematischem Spielverhalten … nicht gegeben“; vielmehr „[verfolgt
d]ie Veranstaltung der Sportwette ODDSET … erkennbar auch fiskalische
Zwecke“(39).
Das Bundesverfassungsgericht stellte diese Situation insbesondere
hinsichtlich der Vermarktung von ODDSET fest, deren tatsächliches
Erscheinungsbild „… dem der wirtschaftlich effektiven Vermarktung einer
grundsätzlich unbedenklichen Freizeitbeschäftigung entspricht“(40).
In diesem Sinne nennt es eine breit angelegte Werbung, in der das
Wetten als sozialadäquate, wenn nicht sogar positiv bewertete
Unterhaltung dargestellt wird(41).
64. Die
Lektüre des besprochenen Urteils lässt es als unzweifelhaft erscheinen,
dass das fragliche Monopol zu der in den Ausgangsverfahren maßgeblichen
Zeit die erforderlichen Voraussetzungen nicht erfüllte, um als kohärent
und systematisch eingestuft zu werden. Nach Ansicht des
Bundesverfassungsgerichts war die Werbung nicht moderat genug und sollte
nicht die Gelegenheiten zum Spiel begrenzen und die Spielsucht
bekämpfen, sondern Einnahmen für die öffentlichen Kassen erzielen.
65. Zwar
hat es seit 2006 sowohl bei den Rechtsvorschriften als auch bei der
Organisation eine Reihe von Änderungen gegeben. Mit diesen Änderungen
wollen die Länder die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts erfüllen.
Der neue Staatsvertrag der Länder zum Glücksspielwesen in Deutschland,
in Kraft seit dem 1. Januar 2008, sowie eine Reihe von Maßnahmen, von
denen sich manche unmittelbar auf die Werbetätigkeit auswirken(42),
entsprechen diesem Ziel. Es ist jedoch Sache der nationalen Gerichte,
zu entscheiden, ob diese neue Situation bei der Beantwortung der Fragen
von Markus Stoß und der anderen Kläger zu berücksichtigen ist und, falls
dies bejaht wird, ob die „Metamorphose“, die in dem Sektor
stattgefunden haben soll, ausreicht, um anzunehmen, dass die
vorstehenden Anforderungen erfüllt sind.
2. Die Öffnung anderer Spiele für private Wirtschaftsteilnehmer
66. Zweitens
ist es nach Ansicht der Verwaltungsgerichte Gießen und Stuttgart nicht
kohärent, einerseits ein Monopol für die Veranstaltung von Lotterien und
Sportwetten mit der Begründung der Bekämpfung der Spielsucht und der
Kriminalität zu errichten und andererseits gleichzeitig privaten
Wirtschaftsteilnehmern zu erlauben, andere Spiele mit mutmaßlich
gleichem oder höherem Suchtgefährdungspotenzial wie Pferdewetten und
Geldspielautomaten anzubieten.
67. Dieses
Argument beinhaltet die Frage, ob die Vereinbarkeit der gesetzlichen
Glücksspielsysteme der Mitgliedstaaten mit dem Recht der Union allgemein
oder aus der Perspektive einzelner Sektoren getrennt für jedes einzelne
Spiel zu prüfen ist.
68. Die
Kläger der Ausgangsverfahren sind der Ansicht, dass die Regelung des
Glücksspielrechts eines Mitgliedstaats insgesamt kohärent sein müsse und
nicht nur individuell in Bezug auf die einzelnen Beschränkungen. Sie
berufen sich hierfür auf das Urteil Gambelli, aus dessen Wortlaut sie
ableiten, dass der Gerichtshof die italienische Glücksspielpolitik
allgemein geprüft habe, um sich dann zur Rechtmäßigkeit einer bestimmten
restriktiven Maßnahme zu äußern.
69. Dieser
erste Eindruck hinsichtlich des Urteils Gambelli ist falsch. Die
Anspielung in Randnr. 69 auf die Werbung für andere als die von der
fraglichen Beschränkung betroffenen Spiele bedeutet, dass sich der Staat
bei einem massiven Anreiz zur Teilnahme an einem bestimmten Spiel
(Wette, Lotterie oder anderes) im Verhältnis zu diesem Spiel nicht auf
die Suchtbekämpfung berufen und eine Beschränkung des Wettbewerbs auf
diesem Gebiet nicht rechtfertigen kann.
70. Im
darauf folgenden Urteil Placanica u. a. hat sich der Gerichtshof
deutlicher für eine differenzierte Prüfung ausgesprochen, indem er
klargestellt hat, dass die Kohärenz und die Verhältnismäßigkeit
„gesondert für jede mit den nationalen Rechtsvorschriften auferlegte
Beschränkung … zu prüfen“ sind(43).
Diese Ansicht wird dadurch bestätigt, dass der Gerichtshof seit seinen
ersten Urteilen in diesem Bereich ausschließlich die streitige
Beschränkung geprüft hat, ohne eine umfassende Analyse der Regelung
hinsichtlich aller Glücksspiele in dem betreffenden Mitgliedstaat
durchzuführen. Im Urteil Schindler wird z. B. das in den britischen
Rechtsvorschriften enthaltene Verbot von Lotterien für mit dem Vertrag
vereinbar erklärt, ohne die Regelung dieses Landes bezüglich
Sportwetten, die als eine der liberalsten in der Europäischen Union
gilt, zu prüfen.
71. In diesem Sinne kann man das Urteil vom 13. Juli 2004, Kommission/Frankreich(44),
anführen, das ebenfalls eine Beschränkung von Art. 49 EG betraf, auch
wenn diese aus Gründen des Schutzes der öffentlichen Gesundheit
gerechtfertigt war: „Zu dem Argument, dass die französische
Fernsehwerbungsregelung inkonsequent sei, weil sie nur für alkoholische
Getränke mit einem Alkoholgehalt von über 1,2 Vol.-% gelte, nur
Fernsehwerbung betreffe und nicht auf Tabakwerbung anwendbar sei, genügt
der Hinweis darauf, dass es Sache der Mitgliedstaaten ist, zu
entscheiden, auf welchem Niveau sie den Gesundheitsschutz sicherstellen
wollen und wie dieses Niveau erreicht werden soll“ (Urteil
Kommission/Frankreich, Randnr. 33).
72. In
Übereinstimmung mit den vorstehenden Entscheidungen bin ich der
Ansicht, dass die Regelung, die die verschiedenen Glücksspiele eines
Mitgliedstaats betrifft, nicht als ein Ganzes behandelt werden kann und
dass eine gesonderte Prüfung hinsichtlich jeder Beschränkung und jeder
Spielform vorzunehmen ist(45).
Der Gerichtshof hat nie die Ansicht vertreten, dass „alles oder nichts“
zu liberalisieren sei; der Wortlaut seiner Urteile zeigt deutlich, dass
es sich um eine Materie handelt, bei der die Probleme von Fall zu Fall
zu lösen sind.
73. Diese
Auslegung entspricht weit besser dem Gedanken, der der Rechtsprechung
im Glücksspielbereich zugrunde liegt, nach der ein Ermessen der
Mitgliedstaaten anzuerkennen ist, die zum Schutz der Spieler und der
Sozialordnung erforderlichen Voraussetzungen entsprechend ihrer eigenen
Werteordnung zu bestimmen(46).
Aus moralischen oder kulturellen Gründen werden die verschiedenen
Glücksspiele in den Mitgliedstaaten nicht gleich wahrgenommen, was
erklärt, dass unabhängig vom Suchtrisiko und ohne dem aufrichtigen
Willen der öffentlichen Stellen, das Wohl der Bürger zu wahren,
vorzugreifen, die Teilnahme an bestimmten Spielen in manchen Ländern
freier ist als in anderen.
74. Jedenfalls
bin ich unabhängig von der Frage, ob die Geeignetheit beschränkender
Maßnahmen in einem sektoriellen Rahmen zu prüfen ist, der Auffassung,
dass die in einer Regelung vorgesehene Option, für bestimmte Spiele ein
Monopol zu errichten und andere in der Hand des privaten Sektors zu
lassen, weder hinsichtlich des Ziels der Betrugsbekämpfung noch
hinsichtlich des Ziels der Beschränkung der Gelegenheiten zum Spiel in
einem Mitgliedstaat von vornherein inkohärent, sofern die Behörden eine
gewisse Überwachung der Anbieter gewährleisten und das dem Monopol
unterliegende Spielangebot geringer ist, als es bei einem privaten
Leistungserbringer bestehen könnte(47).
75. Darüber
hinaus ist meines Erachtens das Suchtpotenzial mancher Glücksspiele
nicht das einzige Kriterium für die Beurteilung der Gefahr, die sie in
Bezug auf die Ziele der Politik im Glücksspielbereich darstellen. Auch
wenn zahlreiche Studien darauf hinweisen, dass Geldspielautomaten und
Spielbanken häufiger zu einem Spielsuchtverhalten führen als Lotterien
und Sportwetten, bedeutet dies nicht, dass Erstere eine größere Gefahr
für die Erreichung der Ziele der Bekämpfung der Kriminalität (dies hängt
davon ab, in welchem Sektor in jedem einzelnen Land betrügerische
Aktivitäten am wahrscheinlichsten sind) oder der Verminderung der
Gelegenheiten zum Spiel darstellen. Wie die dänische Regierung zu Recht
ausführt, besteht der Unterschied zwischen beiden Spielgruppen darin,
dass eine Spielbank und Spielautomaten die körperliche Anwesenheit des
Spielers erfordern, die für die Teilnahme an Lotterien und Sportwetten
nicht notwendig ist. Deshalb ist selbst bei einer Vielzahl von
Unternehmen mit einer Konzession für Spielbanken (oder für
Spielautomaten) jedes von ihnen auf einem begrenzten Gebiet tätig: Die
Erhöhung des Angebots im Verhältnis zu einer eventuellen
Monopolsituation ist begrenzt. Im Gegenteil, die Erhöhung der Zahl der
Leistungserbringer bei landesweit angebotenen Spielen wie Lotterien und
Sportwetten (die darüber hinaus über das Internet getätigt werden
können) würde zu einer bedeutenden Erhöhung des Wettbewerbs und sehr
wahrscheinlich zu einer beträchtlichen Zunahme der Gelegenheiten zum
Spiel führen.
76. Infolgedessen
ist auch keine vergleichende Untersuchung der Politik im Bereich von
Spielen mit gleich hoher Suchtgefahr erforderlich. Die Vereinbarkeit
eines Monopols für ein Spiel mit Art. 49 EG ist gesondert und im
Hinblick auf seine Geeignetheit oder seine Kohärenz im Hinblick auf das
angestrebte Ziel zu untersuchen.
3. Andere Faktoren
77. Die
vorlegenden Gerichte und die Parteien der Ausgangsverfahren haben sich
auch noch auf andere Punkte und Umstände berufen, die die Kohärenz der
Glücksspielregelung in Deutschland gefährden können. Ich untersuche im
Folgenden ganz kurz diese Punkte und Umstände.
a) Das Internet ermöglicht eine Umgehung des Monopols
78. Nach
Ansicht des Verwaltungsgerichts Stuttgart kann die Beschränkung, die
sich aus dem deutschen Sportwettenmonopol ergibt, umgangen werden, indem
man auf Dienstleistungen zurückgreift, die Veranstalter, die in anderen
Mitgliedstaaten eine Erlaubnis erhalten haben, über das Internet
anbieten, wodurch „die Grenzen und notwendigen Defizite
einzelstaatlicher Maßnahmen offen zutage treten“.
79. Wie
die französische Regierung in ihren Erklärungen ausführt, sind
Schwierigkeiten, denen ein Staat bei der Wahrnehmung seiner Aufgabe,
eine nationale Regelung durchzusetzen, begegnen mag, für die Beurteilung
ihrer Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht unerheblich. Eine Beschränkung
in nationalen Rechtsvorschriften ist als solche mit dem Vertrag
vereinbar oder nicht, und die Möglichkeit, diesen nationalen Regeln
zuwiderzuhandeln, ist insoweit unerheblich, zumal diese Vorschriften,
worauf die finnische Regierung in ihren Erklärungen hinweist, dazu
bestimmt sein können, wegen der hohen Suchtgefahr einen Rückgang der
Spiele im Internet zu bewirken.
b) Fehlen einer vorherigen Studie zur Kohärenz und zur Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen
80. Nach
den Ausführungen der vorlegenden Gerichte wurden die Kohärenz und die
Verhältnismäßigkeit der deutschen Regelung nicht, wie der Gerichtshof
seit dem Urteil Lindman(48) fordert, zuvor durch eine Untersuchung der Gefahren der Spielsucht und der Möglichkeiten, diesen zu begegnen, belegt.
81. In
diesem Urteil wurde eine finnische Steuerregelung, nach der Gewinne aus
in Finnland veranstalteten Lotterien von der Einkommensteuer
ausgenommen und Gewinne aus in anderen Mitgliedstaaten veranstalteten
Spielen besteuert wurden, als mit Art. 49 EG unvereinbar angesehen,
wobei u. a. darauf hingewiesen wurde, dass „die Rechtfertigungsgründe,
die von einem Mitgliedstaat geltend gemacht werden können, von einer
Untersuchung zur Zweckmäßigkeit und zur Verhältnismäßigkeit der von
diesem Staat erlassenen beschränkenden Maßnahme begleitet werden
müssen“, was in dem Fall nicht geschehen war, weil die übermittelten
Akten „kein Element statistischer oder sonstiger Natur auf[weisen], das
einen Schluss auf die Schwere der Gefahren, die mit dem Betreiben von
Glücksspielen verbunden sind, oder gar auf einen besonderen Zusammenhang
zwischen solchen Gefahren und der Teilnahme der Staatsangehörigen des
betreffenden Mitgliedstaats an in anderen Mitgliedstaaten veranstalteten
Lotterien zuließe“(49).
82. Aus
diesem Urteil ergibt sich nur, dass die Beweislast in Bezug auf die
Verhältnismäßigkeit und die Kohärenz der Beschränkungen des freien
Dienstleistungsverkehrs ausschließlich bei dem Mitgliedstaat liegt, ohne
dass der Gerichtshof jemals dazu verpflichten wollte, dass diese
Verteidigung vor Erlass der streitigen Regelung öffentlich bekannt
gemacht wird oder dass dies aus statistischen Untersuchungen hervorgehen
muss, wie einer der Kläger(50) vorschlägt.
83. Die
Randnr. 50 des Urteils Placanica u. a. steht dem eben Gesagten nicht
entgegen. Wird zuvor eine Studie erstellt oder eine Untersuchung
durchgeführt, die als Grundlage der von einem Mitgliedstaat geltend
gemachten Rechtfertigung dient, wie es in der italienischen Rechtssache
der Fall war, so ist dies ein Vorteil, es ist aber keine condition sine qua non.
Wie die Kommission zutreffend vorträgt, führt der bloße Mangel einer
Vorabprüfung der Beachtung der Grundfreiheiten des Vertrags nicht dazu,
dass eine einschränkende nationale Norm nicht gerechtfertigt werden
könnte.
c) Andere Länder erkennen Ausnahmen von der Monopolregelung an
84. Die
Kläger der Ausgangsverfahren nennen als Punkte, die die Kohärenz des
Systems gefährden können, auch bestimmte nicht gerechtfertigte Ausnahmen
von der Monopolregelung, wie die Weitergeltung von vier
Spielerlaubnissen, die die Deutsche Demokratische Republik damals
privaten Unternehmen erteilt hatte, oder das gegenwärtig in
Rheinland-Pfalz geltende Verfahren der Konzessionen für Einzelpersonen.(51)
85. Bei
einer Überprüfung wäre es schwierig, solche Besonderheiten für mit
einem System vereinbar zu erklären, das sich auf die Begrenzung der Zahl
der Veranstalter als ein Mittel beruft, die Gelegenheiten zum Spiel zu
vermindern und die Kriminalität zu bekämpfen(52). Es ist jedoch Sache der deutschen Gerichte, diese Prüfung im Hinblick auf das Vorbringen der Parteien durchzuführen.
F – Folge
86. Nach
alledem bin ich der Ansicht, dass Art. 49 EG mit einem staatlichen
Monopol für bestimmte Glücksspiele vereinbar ist, das keine
Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit oder des Landes der
Niederlassung schafft, das ein oder mehrere im Allgemeininteresse
liegende Ziele verfolgt und das im Hinblick auf diese Ziele
verhältnismäßig und kohärent oder geeignet ist.
87. Die
Beurteilung dieser Anforderungen ist Sache des nationalen Gerichts. Was
jedoch die Prüfung der Inkohärenz betrifft, sind die nachfolgend im
Einzelnen dargelegten Umstände zu berücksichtigen.
88. Zum
einen genügt die Tatsache, dass diejenigen, die ein Monopol besitzen,
Anreize zur Teilnahme an Glücksspielen schaffen, nicht, um die
betroffene Regelung für nicht kohärent oder ungeeignet zu erklären, wenn
die Werbetätigkeit moderat und tatsächlich dazu bestimmt ist, die
Kriminalität zu bekämpfen oder die Spiellust auf ein reglementiertes und
kontrolliertes Angebot zu lenken, und nicht dazu, die Einnahmen der
öffentlichen Hand zu erhöhen.
89. Zum
anderen ist auch die Annahme als solche, dass private Veranstalter
Spiele mit einem mutmaßlich gleichen oder höheren
Suchtgefährdungspotenzial anbieten als Spiele, die unter das Monopol
fallen, im Hinblick auf die im Allgemeininteresse liegenden Ziele nicht
inkohärent oder ungeeignet und macht die Entscheidung, die Wetten und
Lotterien einem staatlichen Monopol zu unterstellen, nicht
unverhältnismäßig, sofern die Behörden eine ausreichende Überwachung der
privaten Wirtschaftsteilnehmer gewährleisten und das dem Monopol
unterliegende Spielangebot geringer ist, als es bei einem privaten
Leistungserbringer bestehen könnte.
VI – Die zweite Vorlagefrage
90. Mit
ihrer zweiten Vorlagefrage möchten die Verwaltungsgerichte Gießen und
Stuttgart vom Gerichtshof wissen, ob es möglich ist, den Grundsatz der
gegenseitigen Anerkennung auf Erlaubnisse für die Veranstaltung von
Sportwetten anzuwenden.
91. Es
handelt sich letztlich um die Frage, ob die Art. 43 EG und 49 EG dahin
auszulegen sind, dass von einem Mitgliedstaat erteilte Lizenzen, die
nicht auf sein Hoheitsgebiet beschränkt sind, ihren Inhaber berechtigen,
die gleiche Tätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat auszuüben, ohne
dass er eine neue Erlaubnis benötigt.
92. Drei
Punkte veranlassen mich, diese zweite Frage zu verneinen: 1. die klare
Rechtsprechung zu den Monopolen und anderen Beschränkungen des Art. 49
EG, 2. das Scheitern der Versuche, den Spielsektor zu harmonisieren, und
3. die Verallgemeinerung der dem Vertrauen entgegenstehenden Techniken.
1. Die Akzeptanz von Monopolen und anderen Beschränkungen des Art. 49 EG im Spielsektor durch die Rechtsprechung
93. Wie
ich im Abschnitt V der vorliegenden Schlussanträge umfassend dargelegt
habe, lässt der Gerichtshof im Glücksspielsektor Monopole und andere
Beschränkungen hinsichtlich der Zahl der Wirtschaftsteilnehmer offen und
unmissverständlich zu, wenn auch unter bestimmten Voraussetzungen: Das
Urteil Liga Portuguesa de Futebol Profissional und Bwin International
bestätigt diese Tendenz deutlich.
94. Ist
diese Möglichkeit einmal anerkannt, ist schlicht kein Raum mehr für das
– in der gesamten Europäischen Union – einheitliche Funktionieren eines
Systems der gegenseitigen Anerkennung von Lizenzen im Bereich des
Glücksspiels. Wenn ein Mitgliedstaat, in dem ein Monopol für
Glücksspiele eingerichtet wurde (ein System, das im Übrigen die
Anforderungen des Vertrags beachtet), die in den anderen Mitgliedstaaten
der Union erteilten Erlaubnisse berücksichtigen müsste, wäre die
vorstehende Rechtsprechung nicht praktikabel und ohne Sinn.
95. Wie der Gerichtshof im Urteil Säger(53)
ausgeführt hat, können die Beschränkungen des freien
Dienstleistungsverkehrs durch Gründe des Allgemeininteresses
gerechtfertigt werden, soweit „dem Allgemeininteresse nicht bereits
durch die Rechtsvorschriften Rechnung getragen wird, denen der
Leistungserbringer in dem Staat unterliegt, in dem er ansässig ist“.
Wenn in Anbetracht der Kriterien der Rechtsprechung eine nationale
Regelung, die sich aus einem besonderen Grund des öffentlichen
Interesses für ein Monopol entschieden hat, sich als rechtmäßig erweist
und den Vertrag beachtet, lässt sich kaum sagen, dass ein anderes Land
mit einer größeren Marktöffnung diesen Bürgern das gleiche Schutzniveau
in Bezug auf dieses Interesse bietet (zumal wenn man die kulturellen und
selbst sittlichen Unterschiede berücksichtigt, die die Vorstellung der
Staaten in dem Bereich bestimmen). Andernfalls wäre eine Monopollösung
unverhältnismäßig und folglich rechtswidrig. Die gegenseitige
Anerkennung ist infolgedessen selbst mit dem im Urteil Säger gemachten
Vorbehalt nicht mit der aktuellen Rechtsprechung vereinbar.
96. Nur
theoretisch wäre die gegenseitige Anerkennung von Lizenzen zwischen
Staaten zu vertreten, die im Spielsektor im gleichen Maße offen sind und
ähnliche Erlaubnisverfahren mit der gleichen Zielsetzung haben. Die
Realität des Sektors und seine fehlende Harmonisierung stehen jedoch der
Durchführbarkeit dieser partiellen gegenseitigen Anerkennung entgegen(54).
2. Fehlende Harmonisierung
97. Zweitens
scheint die gegenseitige Anerkennung nicht möglich zu sein ohne
gemeinschaftliche Harmonisierung des Spielsektors, zu der es in naher
Zukunft wohl nicht kommen wird. Die Nrn. 144 bis 148 der Schlussanträge
von Generalanwalt Ruiz-Jarabo Colomer in der Rechtssache Placanica u. a.
sind das genaue Spiegelbild eines solchen desideratum, das zum damaligen Zeitpunkt – trotz mehrerer vorausgegangener Fehlschläge – dank des Inhalts des mit dem Namen Bolkenstein(55) verknüpften Vorschlags der Dienstleistungsrichtlinie noch realistisch erschien.
98. Die endgültige Fassung der Dienstleistungsrichtlinie bezog jedoch Glücksspiele(56)
„aufgrund der spezifischen Natur dieser Tätigkeiten, die von Seiten der
Mitgliedstaaten Politikansätze zum Schutz der öffentlichen Ordnung und
zum Schutz der Verbraucher bedingen“(57), nicht in ihren Geltungsbereich ein.
99. Dieser
Ausschluss von Glücksspielen ändert nichts an der Anwendung der
Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit in diesem Sektor(58)
und verleiht den Mitgliedstaaten keinen größeren Handlungsspielraum,
als er ihnen bis jetzt vom Gerichtshof bei der Auslegung der Verträge
eingeräumt worden ist. Dennoch ist nach dieser klaren Willensäußerung
des Gemeinschaftsgesetzgebers zumindest kurzfristig nicht weiter auf
eine Harmonisierung des Sektors zu hoffen. Ohne Letztere ist es aber
schwierig, die gegenseitige Anerkennung im Bereich des Glücksspiels zu
gewährleisten.
100. Der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung, obwohl attraktiv, ist zudem weit davon entfernt, eine „Wunderlösung“(59)
zu sein. In manchen Sektoren machen die enormen Unterschiede der
Regelungen der Mitgliedstaaten die Anwendung des Grundsatzes unmöglich,
der trotz seines überaus großen Potenzials als Instrument für die
Verwirklichung des Binnenmarkts aufgrund seines Charakters ein
Instrument ist, das Grenzen hat(60).
101. Infolgedessen
wird es ohne Harmonisierung immer Grenzen für die Anwendung des freien
Verkehrs geben. Die Arbeit der Rechtsprechung besteht in der Abgrenzung
der Beschränkungen, die in diesem nicht harmonisierten Bereich mit den
Bestimmungen des Vertrags vereinbar sind.
102. Möchte
man, dass die Behörden des Staates, in dem die Dienstleistung angeboten
wird, die Kontrollen, die im Land der Niederlassung des
Dienstleistungserbringers durchgeführt wurden, anerkennen, muss man
ihnen die Instrumente geben, damit sie es mit den größtmöglichen
Garantien tun, wie die Dienstleistungsrichtlinie zeigt. Zu diesem Zweck
ist das gesamte Kapitel VI (Art. 28 bis 36) der Richtlinie der Regelung
der Verwaltungszusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten gewidmet, was
die Verpflichtung zum Austausch von Informationen über die
Dienstleistungserbringer, eine klare Aufteilung der Zuständigkeiten
zwischen den betreffenden Staaten sowie einen Vorwarnmechanismus
beinhaltet.
103. Eine
Zusammenarbeit in diesem Umfang gibt es zur Zeit im Glücksspielsektor
nicht, in dem vielmehr gewisse Praktiken überhand genommen haben, die
dem gegenseitigen Vertrauen entgegenstehen.
3. Dem gegenseitigen Vertrauen entgegenstehende Praktiken
104. Drittens
verdeutlichen die Rechtssachen, die dem Gerichtshof gegenwärtig
vorliegen, dass nationale Praktiken bestehen, die geeignet sind, das
gegenseitige Vertrauen (Art. 10 EG), auf das eine eventuelle
Harmonisierung des Sektors oder zumindest das System der gegenseitigen
Anerkennung der Erlaubnisse im Bereich des Glücksspiels gestützt werden
müsste(61),
selbst zu zerstören. Ich verweise auf die von den Behörden Maltas oder
Gibraltars verwendete Technik der Erteilung von extraterritorialen oder
Offshore-Erlaubnissen. Die Frage stellt sich ganz besonders in der
Rechtssache Carmen Media Group, wo ich sie genauer untersuche. Diese
Realität ist jedoch im vorliegenden Fall ein zusätzliches Argument für
die Notwendigkeit, eine gegenseitige Anerkennung auszuschließen, die
sich aus einer Situation der Verletzung des gegenseitigen Vertrauens
zwischen den Mitgliedstaaten nicht ergeben kann.
4. Folge
105. Im
Ergebnis veranlassen mich die fehlende Harmonisierung, die allgemeine
Anwendung von Offshore-Lizenzen und die Akzeptanz von Monopolen und
anderen Beschränkungen in diesem Bereich durch die Rechtsprechung beim
derzeitigen Stand des Unionsrechts und der Rechtsprechung, die
Gangbarkeit eines Systems der gegenseitigen Anerkennung im
Glücksspielsektor zu verneinen.
VII – Ergebnis
106. Nach
alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die Vorlagefragen des
Verwaltungsgerichts Gießen und des Verwaltungsgerichts Stuttgart wie
folgt zu antworten:
1. Art. 49 EG
ist dahin auszulegen, dass er einem staatlichen Monopol für bestimmte
Glücksspiele (wie Sportwetten) nicht entgegensteht,
– selbst
wenn die innerstaatlich konzessionierten Veranstalter zur Teilnahme an
diesen Spielen ermuntern, sofern die Werbung moderat und tatsächlich
dazu bestimmt ist, Kriminalität zu bekämpfen oder das Spiel auf ein
reglementiertes und kontrolliertes Angebot zu richten, und nicht dazu,
die Einnahmen der öffentlichen Hand zu erhöhen;
– und
selbst wenn private Dienstleistungserbringer die Erlaubnis haben,
Spiele anzubieten, von denen angenommen wird, dass sie ein gleiches oder
ein höheres Suchtgefährdungspotenzial haben (wie Wetten auf
Pferderennen oder Geldspielautomaten), sofern die Behörden eine gewisse
Überwachung der privaten Wirtschaftsteilnehmer gewährleisten und das dem
Monopol unterliegende Spielangebot geringer ist, als es bei einem
privaten Leistungserbringer bestehen könnte.
Wenn
diese Voraussetzungen vorliegen, verbieten die vorgetragenen Umstände
nicht eine kohärente und systematische Politik im Bereich Spiel im Sinne
der Rechtsprechung. Ihre Kontrolle ist Sache des nationalen Gerichts.
2. Die
Art. 43 EG und 49 EG sind dahin auszulegen, dass die von den
zuständigen Stellen eines Mitgliedstaats erteilten Erlaubnisse für die
Veranstaltung von Sportwetten, die nicht auf sein Hoheitsgebiet
beschränkt sind, weder den Inhaber der Erlaubnis noch von ihm
beauftragte Dritte berechtigen, im Hoheitsgebiet anderer Mitgliedstaaten
Verträge anzubieten und abzuschließen.
1 – Originalsprache: Französisch.
2 –
Vgl. die beim Gerichtshof anhängigen Rechtssachen Carmen Media Group
(C‑46/08), Engelmann (C‑64/08), Zeturf (C‑212/08) sowie Sjöberg und
Gerdin (C‑447/08 und C‑448/08).
3 – ABl. L 376, S. 36, im Folgenden: Dienstleistungsrichtlinie.
4 – BVerfG, 1 BvR 1054/01.
5 –
BVerfG, I BvR 1054/01, Randnrn. 148 ff, in denen das Gericht die
Voraussetzungen für die Rechtsvorschriften und Verwaltungsmaßnahmen
erläutert, die erforderlich sind, um das Wettmonopol dem Grundgesetz
anzupassen.
6 –
In der Rechtssache Carmen Media Group geht es um die Vereinbarkeit
dieses neuen rechtlichen Rahmens, der zur Zeit des Sachverhalts der
vorliegenden Rechtssache noch nicht in Kraft war, mit dem
Gemeinschaftsrecht.
7 –
Markus Stoß, die Kulpa Automatenservice Asperg GmbH, die SOBO Sport
& Entertainment GmbH, Andreas Kunert, die Avalon
Service-Online-Dienste GmbH und Olaf Amadeus Wilhem Happel.
8 –
In der Rechtssache C‑358/07 ist die Klägerin, die Kulpa
Automatenservice Asperg GmbH, die Eigentümerin des Geschäftslokals, das
sie dem Unternehmen Allegro GmbH vermietet, das ein Geschäft mit Spielen
betreibt.
9 – Rechtssachen C‑316/07 und C‑409/07.
10 – Rechtssache C‑359/07.
11 – Rechtssache C‑360/07.
12 – Rechtssache C‑358/07.
13 – Rechtssache C‑410/07.
14 – Aus Vereinfachungsgründen habe ich die Fassung der beiden Fragen der vorlegenden Gerichte vereinheitlicht.
15 – Urteil vom 24. März 1994 (C‑275/92, Slg. 1994, I‑1039).
16 –
Urteile Schindler, Randnrn. 59 und 60, vom 21. September 1999, Läärä
u. a. (C-124/97, Slg. 1999, I-6067, Randnr. 13), vom 21. Oktober 1999,
Zenatti (C‑67/98, Slg. 1999, I‑7289, Randnr. 14), vom 6. November 2003,
Gambelli u. a. (C‑243/01, Slg. 2003, I‑13031, Randnr. 63), vom 6. März
2007, Placanica u. a. (C‑338/04, C‑359/04 und C‑360/04, Slg. 2007,
I‑1891, Randnr. 47), und vom 8. September 2009, Liga Portuguesa de
Futebol Profissional und Bwin International (C‑42/07, noch nicht in der
amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 57).
17 –
Urteile Schindler, Randnrn. 32 und 61, Zenatti, Randnr. 15, Gambelli,
Randnr. 63, Läärä u. a., Randnr. 14, Placanica u. a., Randnr. 47, und
Liga Portuguesa de Futebol Profissional und Bwin International,
Randnr. 57.
18 – Z. B. Lotterien, wie im Urteil Schindler.
19 –
Oder sogar auf eine einzige staatliche Stelle, wie im Urteil Läärä
u. a., im Urteil vom 11. September 2003, Anomar u. a. (C‑6/01, Slg.
2003, I‑8621), im Urteil Liga Portuguesa de Futebol Profissional und
Bwin International oder auch im vorliegenden Fall.
20 –
Urteile vom 17. Dezember 1981, Webb (279/80, Slg. 1981, 3305,
Randnr. 17), sowie vom 25. Juli 1991, Säger (C‑76/90, Slg. 1991, I‑4221,
Randnr. 15), und Collectieve Antennevoorziening Gouda (C‑288/89, Slg.
1991, I‑4007, Randnr. 13).
21 – Urteil Placanica u. a., Randnr. 52.
22 – Urteil Placanica u. a., Randnr. 48.
23 –
Urteile Gambelli, Randnr. 65, vom 13. November 2003, Lindman (C-42/02,
Slg. 2003, I-13519, Randnr. 29), Placanica u. a., Randnr. 49), und Liga
Portuguesa de Futebol Profissional und Bwin International, Randnr. 60.
Allgemein zum klassischen Test der Vereinbarkeit mit dem Vertrag vgl.
die Urteile vom 31. März 1993, Kraus (C‑19/92, Slg. 1993, I‑1663,
Randnr. 32), und vom 30. November 1995, Gebhard (C‑55/94, Slg. 1995,
I‑4165, Randnr. 37).
24 – Urteil Liga Portuguesa de Futebol Profissional und Bwin International, Randnr. 61.
25 – Die
beiden Verwaltungsgerichte benutzen in dieser Frage den Ausdruck
„andere Glücksspiele“ und nennen dann als Beispiel Sportwetten und
Lotterien (im Fall des Verwaltungsgerichts Stuttgart) und staatliche
Lotterien und Kasinospiele (im Fall des Verwaltungsgerichts Gießen). Ich
bin der Ansicht, dass diese Bezugnahme auf Kasinos ebenso wie der
Gebrauch des Adjektivs „andere“ falsch ist, denn im Mittelpunkt der
Argumentation der vorlegenden Gerichte steht eine umfangreiche Werbung
für die Spiele, die Gegenstand des Monopols sind, durch die
Veranstalter, die eine nationale Konzession besitzen, und nicht die
eventuelle Ermunterung, an Spielen teilzunehmen, die privaten
Wirtschaftsteilnehmern offenstehen (wie Spielbanken).
26 – Urteil Stichting Collective Antennevoorziening Gouda u. a., Randnr. 10.
27 – Urteil Läärä u. a., Randnr. 28.
28 – Urteil Placanica u. a., Randnr. 52.
29 – Urteile Schindler, Randnr. 60, Zenatti, Randnr. 36, und Gambelli, Randnr. 62.
30 – Spapens, T., Littler, A. und Fijnaut, C., Crime, Addiction and the Regulation of Gambling, Martinus Nijhoff Publishers, 2008, S. 86, und Straetmans, G., Common Market Law Review, 41. Jg., Heft 5/2004, S. 1424.
31 –
Das Verwaltungsgericht Stuttgart weist z. B auf die regen Aktivitäten
hin, mit denen im Zusammenhang mit dem – für bestimmte Ausspielungen
geschaffenen – „Jackpot“ an die Öffentlichkeit gegangen wird, wodurch
dem „Publikum die – wenig realistische – Vorstellung vermittelt [wird],
den ‚Jackpot‘ selbst knacken zu können“ (Vorlageentscheidung in der
Rechtssache C‑358/07, S. 11).
32 – Urteil Gambelli, Randnr. 69.
33 – Urteil Placanica u. a., Randnr. 54.
34 – In diesem Sinne auch Urteil Läärä u. a., Randnr. 37.
35 – Urteil Placanica u. a., Randnr. 55.
36
– Urteil Gambelli, Randnr. 69: „Soweit nun aber die Behörden eines
Mitgliedstaats die Verbraucher dazu anreizen und ermuntern, an
Lotterien, Glücksspielen oder Wetten teilzunehmen, damit der Staatskasse
daraus Einnahmen zufließen, können sich die Behörden dieses Staates
nicht im Hinblick auf die Notwendigkeit, die Gelegenheiten zum Spiel zu
vermindern, auf die öffentliche Sozialordnung berufen, um Maßnahmen wie
die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden zu rechtfertigen.“ In diesem
Sinne weist auch das Urteil Placanica u. a., Randnr. 54, darauf hin,
dass „der italienische Gesetzgeber im Glücksspielsektor eine expansive
Politik mit dem Ziel betreibt, die Staatseinnahmen zu erhöhen“.
37 – Urteil vom 30. Mai 2007, Ladbrokes Ltd./ Norwegische Regierung (E‑3/06), Randnr. 54. Freie Übersetzung.
38 –
Die Entscheidung bezog sich auf die Regelung des Landes Bayern, sie ist
aber auf andere Länder mit ähnlichen Monopolen für Sportwetten zu
erstrecken.
39 – BVerfG, 1 BvR 1054/01, Randnrn. 132 und 133.
40 – Ebd., Randnr. 134.
41 – Ebd., Randnr. 136.
42 –
Die deutsche Regierung führt aus, dass die Werbung für die Sportwette
ODDSET nach dem Urteil sowohl in ihrem Umfang als auch in ihrer Art
erheblich zurückgefahren worden sei. Sie habe sich seitdem z. B. auf
rein informative Inhalte beschränkt und sei aus den Stadien
verschwunden.
43 – Randnr. 49.
44 – C‑262/02, Slg. 2004, I‑6569.
45 – In diesem Punkt stimme ich mit der Ansicht der Kommission in Randnr. 35 ihrer Erklärungen überein.
46 –
Urteile Schindler, Randnr. 61, Zenatti, Randnr. 15, Gambelli,
Randnr. 63, Läärä u. a., Randnr. 14, Placanica u. a., Randnr. 47, und
Liga Portuguesa de Futebol Profissional und Bwin International,
Randnr. 57.
47 –
In diesem Sinne ist das Urteil vom 5. Juni 2007, Rosengren u. a.
(C‑170/04, Slg. 2007, I‑4071, Randnr. 47), über das Verkaufsmonopol für
alkoholische Getränke in Schweden anzuführen, in dem der Gerichtshof
erklärt hat, dass ein staatliches Monopol, das die angebotene Menge
eines gefährlichen Produkts nicht begrenzt, nicht geeignet ist, den
Zweck der Suchtbekämpfung zu erreichen. Nach Ansicht der deutschen
Regierung ist diese Voraussetzung im vorliegenden Fall erfüllt, da bei
der Staatlichen Toto-Lotto-GmbH nur Wetten auf das Endergebnis von
Begegnungen oder geplanter Sportereignisse möglich seien und die von
privaten Unternehmen im Allgemeinen angebotene Möglichkeit, auf
Ereignisse in deren Verlauf, wie z. B. Zahl der Tore, Eckbälle oder
Schiedsrichterverwarnungen, zu wetten (Randnrn. 28 und 61 der
Erklärungen Deutschlands), im vorliegenden Fall nicht bestehe.
48 – Angeführtes Urteil.
49 – Urteil Lindman, Randnrn. 25 und 26.
50 – Nämlich Markus Stoß.
51
– Die Kläger haben in der mündlichen Verhandlung auch erklärt, dass das
Land Schleswig-Holstein in der Vergangenheit die Möglichkeit in
Betracht gezogen habe, sich aus dem Länderstaatsvertrag zurückzuziehen,
um somit den Glücksspielsektor vollständig zu liberalisieren.
52 –
Die Tatsache, dass es sich um die Regelungen anderer Bundesländer
handelt, macht dieses Vorbringen nicht gegenstandslos. In meinen
Schlussanträgen in der Rechtssache Carmen Media Group (C‑46/08) lege ich
ausführlich dar, dass die Regelung und Durchführung jedes Spiels
unabhängig, aber immer unter einem nationalen Blickwinkel zu prüfen ist,
im vorliegenden Fall im Hinblick auf den gesamten Bundesstaat
Deutschland.
53 – Angeführtes Urteil, Randnr. 15.
54 –
Vgl. in diesem Sinne, Korte, S., „Das Gambelli-Urteil des EuGH:
Meilenstein oder Rückschritt in der Glücksspielrechtsprechung?“, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht.
23. Jahrg. (2004), Heft 12, S. 1452. Selbst ohne Monopol würde das
unterschiedliche Anforderungsniveau hinsichtlich der privaten
Wirtschaftsteilnehmer zu einem unerwünschten „gegenseitigen Unterbieten“
(„race to the bottom“), eine fortschreitende Deregulierung des Sektors
in manchen Mitgliedstaaten mit dem Ziel, Unternehmen auf ihrem Gebiet
anzuziehen (Littler, A. „Regulatory perspectives on the future of
interactive gambling in the internal market“, European Law Review, 33. Jahrgang, Heft 2/2008, S. 226.)
55 – Dem Namen des Mitglieds der Kommission, das den Vorschlag vorgelegt hatte.
56 – Art. 2 Abs. 2 Buchst. h der Dienstleistungsrichtlinie.
57 – 25. Erwägungsgrund der Dienstleistungsrichtlinie.
58 – Glücksspiele sind Dienstleistungen im Sinne des Vertrags (Urteil Schindler, Randnr. 25).
59 – Vgl. in diesem Sinne Barnard, C., The substantive Law of the EU. The four freedoms, Oxford University Press, 2. Aufl. 2007, S. 591.
60 – Vgl. auch Hotzopoulos, V., Le principe communautaire d’équivalence et de reconnaissance mutuelle et de libre prestation de services, juristische Doktorarbeit, öffentlich vorgestellt am 6. Dezember 1997, Universität Robert Schuman Strasbourg, S. 158.
61 – Vgl. die Schlussanträge in der Rechtssache Placanica u. a., Nr. 128.
SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS
PAOLO MENGOZZI
vom 4. März 20101(1)
Rechtssache C‑46/08
Carmen Media Group Ltd
gegen
Land Schleswig-Holstein,
Innenminister des Landes Schleswig-Holstein
(Vorabentscheidungsersuchen des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts [Deutschland])
„Freier
Dienstleistungsverkehr – Glücksspiele – Gegenseitige Anerkennung –
Offshore-Lizenzen – Kohärenz der nationalen Politik auf dem Gebiet des
Glücksspiels – Genehmigungspflichtige Veranstaltung von Sportwetten –
Übergangsbestimmungen“
I – Einleitung
1. In
einem nicht harmonisierten Bereich wie dem der Glücksspiele, in dem
jeder Mitgliedstaat andere Vorschriften beibehält, deren einzige
Gemeinsamkeit die Existenz von Maßnahmen ist, die die Entwicklung dieser
Tätigkeit überwachen sollen, besteht die große Herausforderung für die
Gemeinschaftsgerichte darin, einen gemeinsamen Nenner zu finden, der es
ermöglicht, die im AEU-Vertrag verankerten Freiheiten in gewissem Umfang
zu beachten.
2. Die
Bedeutung der neuen Technologien macht dieses Rechtsproblem noch
komplexer. Dank der neuen Kommunikationsmittel müssen sich Personen, die
gerne spielen, nicht mehr in eine Spielbank oder in eine Spielhalle
begeben; sie können von zu Hause aus über Internet oder sogar über ihr
Mobilfunktelefon spielen. Hinzu kommt, dass es für diese Art von Spielen
keine Grenzen gibt. Die Spieler sind nicht mehr auf das in ihrem
Mitgliedstaat zur Verfügung stehende Glücksspielangebot angewiesen, weil
sie Zugang zu ausländischen Anbietern haben, von denen einige in der
Europäischen Union und andere außerhalb ansässig sind. Das Problem des
grenzüberschreitenden Glücksspiels ist hochaktuell, und die Anbieter,
die ihre Dienstleistungen im Internet offerieren, haben Zweifel, ob der
Empfängermitgliedstaat berechtigt ist, ihre Tätigkeiten zu untersagen,
oder nicht.
3. Die
Probleme beschränken sich jedoch nicht auf das Gebiet von
Online-Spielen. Das Bestehen eines Staatsmonopols für bestimmte
Glücksspiele oder Beschränkungen für die Lizenzerteilung können die
Niederlassungsfreiheit oder den freien Dienstleistungsverkehr ebenfalls
beeinträchtigen. Für den Gerichtshof stellt sich folglich erneut die
Frage einer eventuellen Rechtfertigung solcher beschränkender
Regelungen.
4. Das
Schleswig-Holsteinische Verwaltungsgericht (Deutschland) legt dem
Gerichtshof einige dieser Fragen in unmittelbarem Zusammenhang mit den
neuen Vorschriften für Lotterien und Sportwetten vor, die die Länder
nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 28. März 2006 erlassen
haben(2).
5. Der vorliegende Fall weist einen offensichtlichen Zusammenhang mit den verbundenen Rechtssachen Stoß u. a.(3)
auf, obwohl jene den vor Erlass des vorgenannten Urteils geltenden
Rechtsvorschriften unterliegen. Die Ähnlichkeit der in diesen
Rechtssachen aufgeworfenen Fragen und das Bemühen um Prozessökonomie,
das uns immer leiten muss, sind daher Anlass für mich, für eine Vielzahl
der Punkte der vorliegenden Rechtssache auf die ausführlichere
Darstellung in meinen Schlussanträgen in den verbundenen Rechtssachen
Stoß u. a. zu verweisen.
II – Rechtlicher Rahmen
A – Unionsrecht
6. Der
Glücksspielsektor war bisher nicht Gegenstand einer Harmonisierung im
Unionsrecht. Die Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und
des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt(4) schließt sie ausdrücklich von ihrem Anwendungsbereich aus. In Art. 2 Abs. 2 dieser Richtlinie heißt es:
„Diese Richtlinie findet auf folgende Tätigkeiten keine Anwendung:
…
h)
Glücksspiele, die einen geldwerten Einsatz verlangen,
einschließlich Lotterien, Glücksspiele in Spielkasinos und Wetten“.
7. Dieses
Fehlen von Sekundärrecht zwingt zum Rückgriff auf das Primärrecht und –
für den vorliegenden Fall – insbesondere auf Art. 49 EG, dessen Abs. 1
lautet: „Die Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs innerhalb
der Gemeinschaft für Angehörige der Mitgliedstaaten, die in einem
anderen Staat der Gemeinschaft als demjenigen des Leistungsempfängers
ansässig sind, sind nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen verboten.“
B – Deutsches Recht
8. In
Deutschland sind die Zuständigkeiten auf dem Gebiet des Glücksspiels
zwischen Bund und Ländern aufgeteilt. In den meisten Ländern besteht ein
staatliches Monopol für die Veranstaltung von Sportwetten und
Lotterien, während mit dem Betrieb von Geldspielautomaten und
Spielbanken Wirtschaftsteilnehmer betraut sind, die über die
erforderliche Erlaubnis verfügen.
1. Bundesrecht
9. § 284 des Strafgesetzbuchs (im Folgenden: StGB) bestimmt:
„(1) Wer ohne behördliche Erlaubnis öffentlich ein Glücksspiel
veranstaltet oder hält oder die Einrichtungen hierzu bereitstellt, wird
mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
…
(3) Wer in den Fällen des Absatzes 1
1. gewerbsmäßig … [handelt,]
wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.
…“
10. Die
Zuständigkeit zur Festlegung der Voraussetzungen, unter denen eine
Erlaubnis nach § 284 StGB erteilt werden darf, liegt bei den Ländern,
ausgenommen sind Wetten auf öffentliche Pferderennen und
Geldspielautomaten. Die Veranstaltung Ersterer kann nach dem Rennwett-
und Lotteriegesetz (im Folgenden: RWLG), das Aufstellen und der Betrieb
von Geldspielautomaten können nach der Gewerbeordnung (im Folgenden:
GewO) erlaubt werden.
11. Hinsichtlich der Erlaubnis für Wetten auf Pferderennen bestimmt § 1 RWLG:
„(1) Ein
Verein, der das Unternehmen eines Totalisators aus Anlass öffentlicher
Pferderennen und anderer öffentlicher Leistungsprüfungen für Pferde
betreiben will, bedarf der Erlaubnis der nach Landesrecht zuständigen
Behörde.
…
(3) Die
Erlaubnis darf nur solchen Vereinen erteilt werden, welche die
Sicherheit bieten, dass sie die Einnahmen ausschließlich zum Besten der
Landespferdezucht verwenden.“
12. § 2 RWLG schreibt vor:
„Wer
gewerbsmäßig Wetten bei öffentlichen Leistungsprüfungen für Pferde
abschließen oder vermitteln will (Buchmacher), bedarf der Erlaubnis der
nach Landesrecht zuständigen Behörde.“
2. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 28. März 2006
13. Am 28. März 2006 erließ das Bundesverfassungsgericht ein Urteil(5),
mit dem es das im Land Bayern bestehende Monopol für Sportwetten für
mit dem in Art. 12 des Grundgesetzes verankerten Grundrecht der
Berufsfreiheit unvereinbar erklärte, weil die rechtliche Struktur, die
Vermarktungsmodalitäten und die Ausgestaltung dieses Monopols nicht
konsequent und aktiv am Ziel der Begrenzung der Spielleidenschaft und
der Suchtbekämpfung ausgerichtet seien.
14. Dieses
Urteil, das das Land Bayern betraf, kann jedoch auch auf die Monopole
für Sportwetten, die mit denselben Merkmalen in anderen Ländern
bestanden, erstreckt werden. Das Bundesverfassungsgericht gewährte den
zuständigen Gesetzgebern eine Übergangszeit bis zum 31. Dezember 2007,
um das fragliche Monopol so umzugestalten, dass ein Minimum an Kohärenz
im Hinblick auf das Ziel der Suchtbekämpfung hergestellt wird(6).
3. Landesrecht
a) Der Staatsvertrag zum Glücksspielwesen in Deutschland
15. Der
seit dem 1. Januar 2008 geltende Staatsvertrag zum Glücksspielwesen in
Deutschland (im Folgenden: GlüStV) ist ein neuer einheitlicher Rahmen,
den die Länder zur Regelung dieses Sektors nach dem Urteil des
Bundesverfassungsgerichts geschaffen haben(7).
16. § 1 des GlüStV nennt als Ziele dieses von den Ländern geschlossenen Vertrags:
„1. das
Entstehen von Glücksspielsucht und Wettsucht zu verhindern und die
Voraussetzungen für eine wirksame Suchtbekämpfung zu schaffen,
2. das
Glücksspielangebot zu begrenzen und den natürlichen Spieltrieb der
Bevölkerung in geordnete und überwachte Bahnen zu lenken, insbesondere
ein Ausweichen auf nicht erlaubte Glücksspiele zu verhindern,
3. den Jugend- und den Spielerschutz zu gewährleisten,
4. sicherzustellen,
dass Glücksspiele ordnungsgemäß durchgeführt, die Spieler vor
betrügerischen Machenschaften geschützt und die mit Glücksspielen
verbundene Folge- und Begleitkriminalität abgewehrt werden“.
17. Nach
§ 10 GlüStV haben die Länder zur Erreichung dieser Ziele „die
ordnungsrechtliche Aufgabe, ein ausreichendes Glücksspielangebot
sicherzustellen“ (Abs. 1), und sie können diese Aufgabe „selbst, durch
juristische Personen des öffentlichen Rechts oder durch privatrechtliche
Gesellschaften, an denen juristische Personen des öffentlichen Rechts
unmittelbar oder mittelbar maßgeblich beteiligt sind, erfüllen“
(Abs. 2).
18. § 4
des GlüStV bestimmt, dass öffentliche Glücksspiele nur mit Erlaubnis der
zuständigen Behörde des jeweiligen Landes veranstaltet oder vermittelt
werden dürfen (Abs. 1). Die Erlaubnis ist zu versagen, wenn das
Veranstalten oder das Vermitteln den Zielen des Abs. 1 zuwiderläuft; auf
die Erteilung der Erlaubnis besteht jedenfalls kein Rechtsanspruch
(Abs. 2).
19. § 4
verbietet auch das Veranstalten und das Vermitteln öffentlicher
Glücksspiele im Internet (Abs. 4). In § 25 GlüStV, der eine Reihe von
Übergangsvorschriften enthält, ist vorgesehen, dass die Länder befristet
auf höchstens ein Jahr nach Inkrafttreten des GlüStV bei Lotterien die
Veranstaltung und Vermittlung im Internet erlauben können, wenn keine
Versagungsgründe vorliegen und bestimmte zusätzliche Voraussetzungen
erfüllt sind (u. a. gewährleisteter Ausschluss minderjähriger oder
gesperrter Spieler, Beachtung der Einsatzgrenzen von höchstens 1 000
Euro pro Monat, Kreditverbot und Ausschluss der interaktiven Teilnahme
mit zeitnaher Gewinnbekanntgabe)
b) Die Regelung des Landes Schleswig-Holstein
20. Das
Gesetz zur Ausführung des Staatsvertrages zum Glücksspielwesen in
Deutschland (im Folgenden: GlüStV AG) vom 13. Dezember 2007 gilt für die
Veranstaltung, die Durchführung und die Vermittlung von Lotterien und
Sportwetten, nicht aber für die Durchführung von Wetten anlässlich
öffentlicher Pferderennen (§ 3). Nach § 4 Abs. 2 GlüStV AG erfüllt das
Land diese Aufgabe durch die NordwestLotto Schleswig Holstein GmbH &
Co. KG.
III – Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
21. Die
Carmen Media Group Ltd (im Folgenden: Carmen Media) erhielt von der
Regierung Gibraltars, wo diese Gesellschaft ansässig ist, eine
extraterritoriale Glücksspiellizenz (gaming licence), beschränkt auf
„remote gambling/fixed-odds bets for offshore bookmaking“, die sie somit
nur außerhalb des Gebiets von Gibraltar zur Veranstaltung von Wetten
berechtigte.
22. Carmen
Media wollte in der Bundesrepublik Deutschland über das Internet
Sportwetten anbieten und beantragte deshalb am 10. Februar 2006 beim
Land Schleswig-Holstein die Feststellung der Zulässigkeit dieser
Betätigung aufgrund der Lizenz, die sie für Gibraltar besitzt,
hilfsweise die Erteilung einer Genehmigung nach nationalem Recht.
23. Gegen
die Ablehnung ihres Antrags erhob Carmen Media am 30. Juni 2006 Klage
beim Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgericht und machte geltend,
dass das staatliche Sportwettenmonopol gegen das Unionsrecht verstoße,
da es mit dem freien Dienstleistungsverkehr nach Art. 49 EG unvereinbar
sei.
24. Das
Schleswig-Holsteinische Verwaltungsgericht äußert in der
Vorlageentscheidung erhebliche Zweifel hinsichtlich der Vereinbarkeit
der deutschen Vorschriften mit dem Gemeinschaftsrecht und legt dem
Gerichtshof gemäß Art. 234 EG die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung
vor:
1. Ist Art. 49 EG dahin gehend
auszulegen, dass die Berufung auf die Dienstleistungsfreiheit
voraussetzt, dass der Dienstleistungserbringer nach den Bestimmungen des
Mitgliedstaats, in dem er ansässig ist, die Dienstleistung auch dort
erbringen darf (hier: Beschränkung der Glücksspiellizenz Gibraltars auf
„offshore bookmaking“)?
2. Ist
Art. 49 EG dahin gehend auszulegen, dass dieser einem maßgeblich mit der
Bekämpfung von Spielsuchtgefahren begründeten nationalen staatlichen
Veranstaltungsmonopol auf Sportwetten und Lotterien (mit nicht nur
geringem Gefährdungspotenzial) entgegensteht, wenn in diesem
Mitgliedstaat andere Glücksspiele mit erheblichem
Suchtgefährdungspotenzial von privaten Dienstleistungsanbietern erbracht
werden dürfen und die unterschiedlichen rechtlichen Regelungen zu
Sportwetten- und Lotterien einerseits und anderen Glücksspielen
andererseits auf der unterschiedlichen Gesetzgebungskompetenz der Länder
und des Bundes beruhen?
Für den Fall der Bejahung der zweiten Vorlagefrage:
3. Ist
Art. 49 EG dahin gehend auszulegen, dass dieser einer nationalen
Regelung entgegensteht, die einen Anspruch auf Erteilung einer Erlaubnis
für das Veranstalten und Vermitteln von Glücksspielen auch bei
Vorliegen der gesetzlich normierten Erteilungsvoraussetzungen in das
Ermessen der Erlaubnisbehörde stellt?
4. Ist
Art. 49 EG dahin gehend auszulegen, dass dieser einer nationalen
Regelung entgegensteht, die das Veranstalten und das Vermitteln
öffentlicher Glücksspiele im Internet untersagt, wenn insbesondere
gleichzeitig – wenngleich auch nur für eine Übergangsfrist von einem
Jahr – die Veranstaltung und Vermittlung im Internet unter Einhaltung
von Jugend- und Spielerschutzbestimmungen ermöglicht wird, um zum Zweck
eines Verhältnismäßigkeitsausgleichs namentlich zweier gewerblicher
Spielvermittler, die bislang ausschließlich im Internet tätig sind, eine
Umstellung auf die nach dem Staatsvertrag zugelassenen Vertriebswege zu
ermöglichen?
IV – Verfahren vor dem Gerichtshof
25. Der Vorlagebeschluss ist am 8. Februar 2008 in das Register der Kanzlei des Gerichtshofs eingetragen worden.
26. Die
Klägerin (Carmen Media) und der Beklagte (Land Schleswig-Holstein) des
Ausgangsverfahrens, die deutsche, die belgische, die griechische, die
niederländische, die österreichische, die spanische und die norwegische
Regierung sowie die Kommission der Europäischen Gemeinschaften haben
schriftliche Erklärungen abgegeben.
27. In
der mündlichen Verhandlung, die am 8. Dezember 2009 stattgefunden hat,
haben die Vertreter von Carmen Media, des Landes Schleswig-Holstein und
des Innenministers des Landes Schleswig-Holstein, die deutsche, die
belgische, die italienische, die portugiesische und die norwegische
Regierung sowie die Kommission Erklärungen abgegeben.
V – Untersuchung der ersten Vorlagefrage
28. Mit
seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 49 EG
für die Berufung auf das Recht auf freien Dienstleistungsverkehr
voraussetzt, dass der Dienstleistungserbringer seine Tätigkeit auch in
seinem Sitzmitgliedstaat nach dessen Rechtsvorschriften ausüben darf.
29. Dieser
Zweifel ergibt sich daraus, dass Carmen Media von den Behörden
Gibraltars, wo sie ihren Sitz hat, eine auf „offshore bookmaking“
beschränkte, d. h. extraterritoriale, Glücksspiellizenz erhalten haben
soll, die es ihr nicht gestatte, Wetten im Gebiet von Gibraltar zu
veranstalten, sondern – zumindest theoretisch – nur im Ausland.
30. Auf
Befragung zu diesem Punkt in der mündlichen Verhandlung hat der
Vertreter von Carmen Media verneint, dass der Gesellschaft zum
maßgeblichen Zeitpunkt die Veranstaltung von Glücksspielen in Gibraltar
verboten gewesen sei. Aus ihren schriftlichen Erklärungen ergibt sich
jedoch eindeutig, dass eine solche Beschränkung sehr wohl bestand, wenn
nicht in der Form eines Verbots im strengen Sinne, so doch in Gestalt
einer Beschränkung ihres Betätigungskreises(8).
31. In diesen Erklärungen erläutert Carmen Media, dass diese Beschränkung(9)
allein durch steuerliche Gründe bedingt gewesen sei, und zwar dadurch,
dass sie sich dafür entschieden habe, eine besonders vorteilhafte
steuerliche Regelung in Anspruch zu nehmen (den sogenannten
„Exempt-Company-Status“), die unter der Voraussetzung stehe, „keinerlei
Handel mit Personen in Gibraltar [zu] treiben“(10).
Diese Beschränkung habe nicht dem Schutz der Bürger von Gibraltar vor
dem Angebot von Glücksspielanbietern dienen sollen, und ihre Aufhebung
sei möglich gewesen, ohne dass es eines erneuten Genehmigungsverfahrens
bedurft hätte, auch wenn Carmen Media hierfür auf ihren besonderen
steuerrechtlichen Status hätte verzichten müssen.
32. Das
vorlegende Gericht versucht, festzustellen, ob eine Genehmigung dieser
Art Carmen Media nach Art. 49 EG berechtigte, ihre Tätigkeit in
Deutschland auszuüben, ohne eine neue Erlaubnis bei den Behörden des
jeweiligen Landes erwirken zu müssen, oder ob die Tatsache, dass sie an
ihrem Herkunftsort keine Glücksspiele veranstalten durfte, der Anwendung
des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung entgegensteht.
33. Die
gegenseitige Anerkennung ist ein Instrument, mit dem den
Wirtschaftsteilnehmern der Zugang zum Markt in allen Mitgliedstaaten
garantiert werden soll, und zwar auch in den Bereichen, die sehr
unterschiedlich geregelt sind(11).
Nach der Rechtsprechung ist es erforderlich, ein Gleichgewicht zwischen
den Anforderungen der verschiedenen betroffenen Mitgliedstaaten zu
finden, so dass der Mitgliedstaat, in dem die Dienstleistung erbracht
wird, die bereits im Herkunftsmitgliedstaat des
Dienstleistungserbringers vorgeschriebenen Kontrollen und
Voraussetzungen nicht verdoppeln kann.
34. Dies ergibt sich aus dem Urteil vom 17. Dezember 1981, Webb(12),
in dem der Gerichtshof in Randnr. 17 festgestellt hat, dass „der freie
Dienstleistungsverkehr als fundamentaler Grundsatz des Vertrags nur
durch Regelungen beschränkt werden [darf], die durch zwingende Gründe
des Allgemeininteresses gerechtfertigt sind …, und zwar nur insoweit,
als dem Allgemeininteresse nicht bereits durch die Rechtsvorschriften
Rechnung getragen ist, denen der Leistungserbringer in dem
[Mitglied-]Staat unterliegt, in dem er ansässig ist“(13).
35. Im
Rahmen der gegenseitigen Anerkennung setzt diese Feststellung voraus,
dass der Bestimmungsmitgliedstaat im Hinblick auf ein bestimmtes
Allgemeininteresse(14)
die Einholung einer Genehmigung für die Erbringung der Dienstleistungen
vorschreiben kann, er muss jedoch die von den Behörden eines anderen
Mitgliedstaats erteilte Genehmigung als geeignet anerkennen, wenn diese
die Erfüllung der objektiv erforderlichen Voraussetzungen für die
Verfolgung desselben Allgemeininteresses gewährleistet. Ist das
Erfordernis einer vorherigen Genehmigung aus gemeinschaftsrechtlicher
Sicht legitim (soweit es nach der Rechtsprechung durch einen Grund des
Allgemeininteresses gerechtfertigt werden kann), so ist es folglich auch
hinsichtlich eines Unternehmens mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat
gerechtfertigt, sofern dieses nicht bereits die dasselbe Ziel
verfolgenden Voraussetzungen im Sitzmitgliedstaat erfüllt hat.
36. Eine
extraterritoriale Erlaubnis wie die im Ausgangsverfahren in Rede
stehende kann solche Voraussetzungen schwerlich erfüllen. Da die
Behörden des Herkunftsmitgliedstaats selbst nicht die Ausübung dieser
Betätigung im Hoheitsgebiet dieses Staates erlauben, wird dem Gedanken,
dass durch ihr Tätigwerden das Allgemeininteresse, um das ein anderer
Staat besorgt ist, hinreichend geschützt ist, der Boden entzogen. Die
gegenseitige Anerkennung ist nur möglich, wenn der
Herkunftsmitgliedstaat ähnliche Kontrollen vorgenommen hat, wie sie im
Bestimmungsmitgliedstaat gefordert werden.
37. Folglich
kommt die Berufung auf den freien Dienstleistungsverkehr nur in
Betracht, wenn die fragliche Tätigkeit im Sitzmitgliedstaat rechtmäßig
ausgeübt werden kann.
38. Dieser
Gedanke hat in die Rechtsprechung des Gerichtshofs zum freien
Dienstleistungsverkehr ausdrücklich Eingang gefunden; der Gerichtshof
hat klargestellt, dass Beschränkungen dieser Freiheit nicht nur solche
sind, die Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehörigkeit enthalten,
sondern auch solche, die – auch ohne Diskriminierung – geeignet sind,
„die Tätigkeiten des Dienstleistenden, der in einem anderen
Mitgliedstaat ansässig ist, in dem er rechtmäßig ähnliche Dienstleistungen erbringt, zu unterbinden, zu behindern oder weniger attraktiv zu machen“(15).
39. Gegen diese These führt die Kommission das Urteil vom 30. September 2003, Inspire Art(16),
ins Feld, in dem der Gerichtshof festgestellt hat, dass der Umstand,
dass eine Gesellschaft in dem Mitgliedstaat, in dem sie ihren Sitz hat,
keine Tätigkeit entfaltet und ihre Tätigkeit ausschließlich oder
hauptsächlich im Mitgliedstaat ihrer Zweigniederlassung ausübt, noch
kein Grund ist, die Gemeinschaftsvorschriften über das
Niederlassungsrecht nicht auf diese Gesellschaft anzuwenden(17).
40. Meiner
Auffassung nach ist die Berufung auf dieses Urteil nicht relevant, da
die Kriterien andere sind, wenn es sich um den freien
Dienstleistungsverkehr handelt. Zudem trifft der Gerichtshof insoweit
eine eindeutige Unterscheidung zwischen den beiden Freiheiten und zeigt
sich in Bezug auf die Niederlassungsfreiheit strenger. So hat er im
Urteil Säger ausgeführt, dass „[e]in Mitgliedstaat … die Erbringung von
Dienstleistungen in seinem Hoheitsgebiet nicht von der Einhaltung aller
Voraussetzungen abhängig machen [darf], die für eine Niederlassung
gelten“ (Randnr. 13), wohingegen die Beschränkung des freien
Dienstleistungsverkehrs in der Form einer behördlichen Genehmigung durch
Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt werden kann (Randnrn. 14
und 15).
41. Folglich
kann sich ein Unternehmen in einem Mitgliedstaat A niederlassen, in dem
weniger strenge gesellschaftsrechtliche Vorschriften gelten, und seine
gesamte Tätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat B unter Inanspruchnahme
des im Vertrag (Art. 43 EG) verbürgten Niederlassungsrechts ausüben.
Unter dem Gesichtspunkt des freien Dienstleistungsverkehrs dagegen
verhält sich die Situation anders, und aus dem Urteil Inspire Art kann
keinesfalls abgeleitet werden, dass das fragliche Unternehmen ohne
Genehmigung auf dem Markt des Mitgliedstaats B tätig werden kann, nur
weil es im Mitgliedstaat A ansässig ist und obgleich die Behörden dieses
letzteren Staates ihm die Erbringung derselben Dienstleistung in seinem
Hoheitsgebiet nicht erlauben.
42. Dieser Schlussfolgerung kann meiner Auffassung nach auch nicht mit dem Urteil vom 5. Juni 1997, VT4(18),
entgegengetreten werden, in dem der Gerichtshof in Randnr. 22
festgestellt hat, dass „[d]er Vertrag … es einem Unternehmen, das keine
Dienste in dem Mitgliedstaat anbietet, in dem es ansässig ist, … nicht
[verbietet], die Dienstleistungsfreiheit auszuüben“(19).
Im vorliegenden Fall ist das maßgebliche Kriterium nicht der Umstand,
dass Carmen Media die Dienstleistung der Veranstaltung von Wetten nicht
im Hoheitsgebiet ihres Sitzmitgliedstaats anbot (was nach der oben
angeführten Rechtsprechung an sich kein Hindernis für die Berufung auf
den freien Dienstleistungsverkehr darstellt), sondern der Umstand, dass
sie es nicht tun konnte, weil sie nur eine extraterritoriale oder
Offshore-Lizenz innehatte.
43. Der
Umstand, dass diese Beschränkung auf eine Willensentscheidung von
Carmen Media zurückzuführen war, um in den Genuss einer vorteilhafteren
steuerlichen Regelung zu gelangen, ändert nichts daran, dass sie, als
sie beantragte, als rechtmäßiger Glücksspielanbieter in Deutschland
anerkannt zu werden, lediglich über eine Erlaubnis verfügte, die ihr die
Erbringung eben dieser Dienstleistung an ihrem Herkunftsort nicht
gestattete. Ferner hätte das Unternehmen eine solche Erlaubnis zur
Betätigung in Gibraltar zwar durch bloßen Verzicht auf die
Steuervorteile, die es genoss, erlangen können, es bleibt aber dabei,
dass es sich für die Beibehaltung dieser Vorteile und somit dafür
entschieden hatte, die damit verbundenen Beschränkungen hinzunehmen.
44. Unabhängig
von den – steuerlichen oder sonstigen – Gründen, die einen
Mitgliedstaat dazu veranlassen, in dieser Weise zu handeln, welchen
Grund hätte dieser Mitgliedstaat, der extraterritoriale Lizenzen
erteilt, für die Übernahme der Verpflichtung, die Erbringung der
fraglichen Dienstleistung hinreichend zu überwachen? Warum sollten die
anderen Mitgliedstaaten eine Erlaubnis anerkennen, die nicht für
diejenigen gilt, die sie erteilt haben?
45. Unter
Berücksichtigung dieser Umstände erscheint der Gedanke legitim, dass
die Behörden von Gibraltar möglicherweise keine Überwachung und
Bedingungen gewährleistet haben, die ein Tätigwerden der deutschen
Behörden überflüssig machen könnten. Der Grundsatz der gegenseitigen
Anerkennung bedeutet, dass auf die Kontrolle vertraut wird, die der
Sitzstaat über ein in seinem Hoheitsgebiet ansässiges Unternehmen
ausübt. Wenn ein Mitgliedstaat jedoch nur eine Offshore-Lizenz erteilt
hat, ist die Frage erlaubt, ob auf seine Kontrolle vertraut werden muss.
Die Kontrolle durch die deutschen Behörden ist also nicht überflüssig,
und eine gegenseitige Anerkennung, mit der eine doppelte Kontrolle
vermieden werden soll, kommt nicht in Betracht.
46. Eine
andere Lösung könnte zumindest theoretisch einen nicht wünschenswerten
Missbrauch des Binnenmarkts begünstigen, wie dies die belgische
Regierung in ihren Erklärungen zutreffend ausführt. Zwar fasst der
Gerichtshof diese Art des Missbrauchs eng(20),
aber die Annahme, dass solche extraterritorialen Genehmigungen ein
Verhalten darstellen, das wechselseitiges Vertrauen zwischen
Mitgliedstaaten schafft, fällt schwer.
47. Aus
diesen Gründen bin ich der Auffassung, dass es für die Möglichkeit, das
Recht auf freien Dienstleistungsverkehr geltend zu machen, unerlässlich
ist, dass die vom Sitzmitgliedstaat erteilte Erlaubnis den
Dienstleistungserbringer berechtigt, die fragliche Dienstleistung in
diesem Mitgliedstaat, in dem er ansässig ist, zu erbringen.
48. Das
Problem stellt sich jedoch nicht in dieser Weise im Glücksspielsektor,
da sich, wie ich ausführlich in meinen Schlussanträgen in den
verbundenen Rechtssachen Stoß u. a.(21)
darlege, die gegenseitige Anerkennung von Lizenzen auf dem Gebiet von
Glücksspielen beim gegenwärtigen Stand des Unionsrechts als nicht
möglich erweist. Drei Umstände lassen mich zu diesem Ergebnis gelangen.
49. Erstens
erweist sich ein homogenes Funktionieren eines Systems der
gegenseitigen Anerkennung von Glücksspiellizenzen als unvereinbar mit
der Rechtsprechung des Gerichtshofs, die Monopole und andere
Beschränkungen der Zahl der Anbieter im Glücksspielsektor eindeutig und
unmissverständlich zulässt, sofern bestimmte Voraussetzungen erfüllt
sind(22).
Wäre ein Mitgliedstaat, der unter Beachtung der Anforderungen des
Vertrags ein Glücksspielmonopol eingeführt hat, verpflichtet, in anderen
Mitgliedstaaten erteilte Genehmigungen zu berücksichtigen, so wäre die
angeführte Rechtsprechung nicht anwendbar und verlöre ihren Sinn.
50. Zweitens
erscheint die gegenseitige Anerkennung unmöglich, weil eine
Harmonisierung des Glücksspielsektors fehlt und sich auch in naher
Zukunft nicht abzeichnet. Ohne Harmonisierung wäre die Geltung des
freien Dienstleistungsverkehrs weiterhin beschränkt, und die Aufgabe des
Richters besteht gerade darin, die Beschränkungen abzugrenzen, die in
diesem nicht harmonisierten Bereich mit den Vertragsbestimmungen in
Einklang stehen.
51. Drittens
erschwert das Fehlen einer ausreichend organisierten behördlichen
Zusammenarbeit die Einführung eines Systems der gegenseitigen
Anerkennung in diesem Bereich.
52. Folglich
beruht die erste vom vorlegenden Gericht gestellte Frage auf einer
falschen Prämisse, und sie sollte unter Zurückweisung der Hauptprämisse
dahin beantwortet werden, dass die deutschen Behörden unter den
Umständen des Ausgangsverfahrens nicht verpflichtet sind, eine
Glücksspiellizenz anzuerkennen, die von den Behörden eines anderen
Mitgliedstaats erteilt worden ist, unabhängig von den Bedingungen, an
die sie geknüpft ist.
VI – Untersuchung der zweiten Vorlagefrage
A – Fallorientierte
Analyse der Beschränkungen auf dem Gebiet des Glücksspiels: Verweis auf
die Schlussanträge in den verbundenen Rechtssachen Stoß u. a.
53. Mit
seiner zweiten Vorlagefrage fragt das vorlegende Gericht, ob Art. 49 EG
einem staatlichen Sportwetten- und Lotteriemonopol entgegensteht, das
im Wesentlichen zur Bekämpfung der Spielsuchtgefahr eingeführt wurde,
wenn es in diesem Mitgliedstaat andere Glücksspiele mit einem
erheblichen Suchtgefährdungspotenzial gibt, die von privaten
Dienstleistungsanbietern erbracht werden dürfen.
54. Diese
Frage ist inhaltsgleich auch in den verbundenen Rechtssachen Stoß u. a.
gestellt worden. Im Interesse der Prozessökonomie verweise ich daher im
Wesentlichen auf die Analyse in meinen Schlussanträgen in diesen
Rechtssachen(23).
Dort vertrete ich die Auffassung, dass im Licht der in diesem Bereich
bestehenden umfangreichen Rechtsprechung die Prüfung der Rechtssysteme
zur Regelung des Glücksspiels in den Mitgliedstaaten aus sektorieller
Sicht erfolgen muss, indem jede Beschränkung und jedes Glücksspiel
einzeln untersucht werden. Folglich kommt es für die Frage, ob die in
Bezug auf bestimmte Glücksspiele getroffene Entscheidung für ein Monopol
aus der Sicht des Unionsrechts rechtmäßig ist oder nicht, darauf an, ob
sie im Hinblick auf das verfolgte Ziel kohärent ist oder nicht, ob sie
diskriminierend ist oder nicht und ob sie verhältnismäßig ist;
keinesfalls aber ist diese Entscheidung anhand der für andere
Glücksspiele im selben Mitgliedstaat gewählten Regelung zu beurteilen.
55. Jedenfalls
bin ich unabhängig von dieser Frage der Auffassung, dass die
gesetzgeberische Entscheidung, ein Monopol für bestimmte Glücksspiele
einzuführen und andere dem privaten Sektor zu überlassen, nicht von
vornherein inkohärent ist, und zwar weder hinsichtlich des Ziels der
Betrugsbekämpfung noch hinsichtlich des Ziels der Beschränkung der
Möglichkeiten, in einem anderen Mitgliedstaat zu spielen, sofern die
Behörden eine gewisse Überwachung der Anbieter gewährleisten und das dem
Monopol unterliegende Spielangebot geringer ist, als es bei einem
privaten Leistungserbringer bestehen könnte(24).
Sind diese Voraussetzungen erfüllt, stehen die dargestellten Umstände
einer im Sinne der Rechtsprechung kohärenten und systematischen
Glücksspielpolitik nicht entgegen. Es ist Sache des nationalen Gerichts,
die Erfüllung dieser Voraussetzungen zu prüfen.
B – Die bundesstaatliche Struktur hat keinen Einfluss auf diese Beurteilung
56. Die
Vorlagefrage des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts weist
jedoch gegenüber der vom Verwaltungsgericht Gießen wie vom
Verwaltungsgericht Stuttgart gestellten Frage einen Unterschied auf, da
in ihr auch das Problem angesprochen wird, ob das vorgenannte Ergebnis
dadurch beeinflusst wird, dass die unterschiedlichen Regelungen über
Sportwetten und Lotterien einerseits und Glücksspiele andererseits den
unterschiedlichen Gesetzgebungskompetenzen von Bund und Ländern
zuzuschreiben sind.
57. Nach
ständiger Rechtsprechung können sich die Mitgliedstaaten nicht auf
Bestimmungen, Übungen oder Umstände ihrer internen Rechtsordnung
berufen, um in einem Vertragsverletzungsverfahren einen Verstoß gegen
das Unionsrecht zu rechtfertigen(25);
ebenso wenig können sie sich in Fällen, in denen Einzelnen durch die
Nichtbeachtung von Unionsrecht ein Schaden entstanden ist, von ihrer
Haftung befreien, indem sie sich auf die Verteilung der Zuständigkeiten
und Verantwortlichkeiten unter den Körperschaften, die nach ihrer
internen Rechtsordnung bestehen, berufen(26).
Der Staat als Einheit ist verantwortlich, unabhängig von dem Organ, das
den Verstoß verursacht hat, selbst wenn es sich um ein
„verfassungsmäßig unabhängiges Organ“ handelt(27).
58. Nach
meinem Verständnis ist diese Rechtsprechung auch auf einen Fall wie den
des Ausgangsverfahrens übertragbar, in dem zu prüfen ist, ob eine
nationale Politik und die ihr entsprechenden Rechtsvorschriften gegen
die Vertragsbestimmungen über die Freiheiten verstoßen. Daher bin ich
der Auffassung, dass die territoriale Kompetenzverteilung innerhalb
eines Staates keinen Einfluss auf die Beurteilung der Vereinbarkeit
einer nationalen Regelung mit dem Unionsrecht haben darf.
59. Die
Komplexität der territorialen Gliederung innerhalb eines Mitgliedstaats
und insbesondere die Kompetenzverteilung hinsichtlich ein und derselben
Materie zwischen zwei unterschiedlichen Gebietskörperschaften (im
vorliegenden Fall zwischen dem Bund und den Ländern) gefährdet als
solche nicht die Kohärenz der untersuchten nationalen Politik (die auf
nationaler Ebene zu prüfen ist), kann jedoch nicht als Entschuldigung
für etwaige Inkohärenzen oder eine etwaige Diskriminierung dienen(28).
VII – Untersuchung der dritten Vorlagefrage
60. Mit
seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 49
EG einer nationalen Regelung entgegensteht, die die Erteilung einer
Erlaubnis für die Veranstaltung und die Vermittlung von Glücksspielen in
das Ermessen der Behörde stellt, auch wenn die gesetzlich normierten
Erteilungsvoraussetzungen erfüllt sind.
61. Das
vorlegende Gericht ist der Auffassung, dass diese Frage nicht relevant
sei, wenn das deutsche Monopolsystem als vertragswidrig anzusehen sein
sollte. Meiner Auffassung nach ist die Frage jedoch auch dann relevant,
wenn das nationale Gericht nach den im Urteil des Gerichtshofs
angegebenen Kriterien zu der Feststellung gelangte, dass das
Nebeneinander eines Monopols für bestimmte Glücksspiele und das Angebot
anderer Glücksspiele durch private Anbieter nicht gegen den Vertrag
verstößt. In diesem Fall wäre auf Letztere das Genehmigungsverfahren
anzuwenden.
62. Das
System einer vorherigen behördlichen Genehmigung stellt ebenfalls eine
Beschränkung der Verkehrsfreiheiten dar, die gerechtfertigt werden kann,
wenn sie nicht diskriminierend ist, die Erreichung eines Ziels des
Allgemeininteresses gewährleisten soll, geeignet ist, dieses Ziel zu
erreichen, und im Verhältnis zu ihm angemessen ist(29).
63. Nach
ständiger Rechtsprechung treten zu diesen Kriterien jedoch noch weitere
hinzu, die dafür sorgen sollen, dass diese Genehmigung, sofern ihre
Erteilung die fragliche Freiheit in das Ermessen der Verwaltung stellt,
die Ausübung der Freiheit nicht illusorisch macht(30).
64. In
diesem Sinne hat der Gerichtshof entschieden, dass ein System einer
vorherigen behördlichen Genehmigung, das in die Grundfreiheiten
eingreift, zu seiner Rechtfertigung zum einen auf objektiven, nicht
diskriminierenden und im Voraus bekannten Kriterien beruhen muss, damit
dem Ermessen der nationalen Behörden Grenzen gesetzt werden, so dass es
nicht missbräuchlich ausgeübt werden kann, und sich zum anderen auf eine
leicht zugängliche Verfahrensregelung stützen muss, die geeignet ist,
den Betroffenen zu garantieren, dass ihr Antrag innerhalb angemessener
Frist sowie objektiv und unparteiisch behandelt wird, wobei eine
Versagung der Genehmigung zudem im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens
anfechtbar sein muss(31).
65. Die
Befugnisse der Verwaltung müssen somit bestimmten Grenzen unterliegen,
die ihre missbräuchliche Ausübung verhindern, der Gemeinschaftsrichter
verlangt jedoch nicht, dass die Genehmigungsbefugnis vollständig
geregelt ist. Andernfalls hätte die Beschränkung der Zahl der Anbieter,
die die Rechtsprechung zuweilen für zulässig erachtet hat(32),
keinen Platz, und selbst die Verwirklichung der Ziele des
Allgemeininteresses, die diese Beschränkung des freien
Dienstleistungsverkehrs rechtfertigen, könnte beeinträchtigt sein(33).
66. Unter
der Voraussetzung, dass das errichtete Verfahren objektiv, transparent
und nicht diskriminierend ist und dass die erlassene Entscheidung mit
einer Klage anfechtbar ist, ist somit nicht zu beanstanden, dass die
Verwaltung über ein gewisses Ermessen verfügt, um die für jede Sachlage
am besten geeignete Lösung zu finden. Daher heißt es in § 4 Abs. 2
GlüStV, dass auf die Erteilung der Erlaubnis kein Rechtsanspruch
besteht.
VIII – Untersuchung der vierten Vorlagefrage
67. Mit
seiner vierten und letzten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen,
ob ein absolutes Verbot der Veranstaltung und der Vermittlung von
Glücksspielen im Internet mit Art. 49 EG vereinbar ist, wenn die
nationale Regelung gleichzeitig bestimmten Anbietern ermöglicht, während
einer Übergangsfrist von einem Jahr diese Spiele weiterhin im Internet
anzubieten.
68. Mit
dieser Frage möchte das Schleswig-Holsteinische Verwaltungsgericht
wissen, ob § 4 Abs. 4 GlüStV, der das Veranstalten und das Vermitteln
öffentlicher Glücksspiele im Internet verbietet, mit dem Vertrag
vereinbar ist(34).
69. Der
Gerichtshof hat entschieden, dass mit dem Vertrag andere allgemeine
Verbote wie solche, die sich auf eine bestimmte Modalität des Spiels
beziehen, vereinbar sind(35).
Daraus folgt, dass einer eventuellen Rechtmäßigkeit des Verbots in
Bezug auf ein bestimmtes Spielmedium wie das Internet nichts
entgegensteht. Die Maßnahme ist nicht diskriminierend, weil sie sowohl
deutsche als auch ausländische Anbieter betrifft(36)
und weil sie unter Berücksichtigung der spezifischen Besonderheiten des
Glücksspiels im Internet (besondere Gefährlichkeit unter dem
Gesichtspunkt der Abhängigkeit, da das Spiel im privaten Bereich
stattfindet und mit einem praktisch unbegrenzten Angebot aufwartet –
mehrere Spielefenster können gleichzeitig geöffnet werden – sowie rund
um die Uhr und ganzjährig verfügbar ist) geeignet sein kann, Spieler zu
schützen und die Spielsucht zu verringern.
70. Somit
kann ein Verbot dieser Art wie andere Verbote, die in weniger
ausgeprägter Weise den freien Dienstleistungsverkehr berühren, durch
Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt und mit dem Vertrag
vereinbar sein, sofern es nicht diskriminierend ist und die Kriterien
der Kohärenz und der Verhältnismäßigkeit beachtet. Zwar können einige
Punkte Zweifel an seiner Verhältnismäßigkeit aufwerfen, da ein
vollständiges Verbot neben anderen weniger beschränkenden Maßnahmen (wie
dem Monopol selbst) zur Folge haben könnte, dass die Nachfrage nach
Glücksspielen auf illegale Websites abwandert. Ebenso könnte die
Entscheidung in Widerspruch geraten zu der gleichzeitigen Beibehaltung
eines Monopols für eben diese Spiele (auch wenn sie nicht im Internet
angeboten werden), das auf das Erfordernis gestützt ist, das Verlangen
nach Glücksspielen in Bahnen zu lenken. Es ist jedoch Sache des
nationalen Gerichts, alle diese Fragen zu beurteilen.
71. Das
vorlegende Gericht stellt allerdings das Verbot von Glücksspielen im
Internet nicht in abstrakter und allgemeiner Weise in Frage, sondern in
Bezug auf die Übergangsvorschrift, die es den Ländern ermöglicht, die
Veranstaltung und die Vermittlung von Lotterien im Internet während
einer Frist von einem Jahr nach Inkrafttreten des GlüStV zu erlauben,
wenn keine objektiven Versagungsgründe vorliegen und weitere zusätzliche
Voraussetzungen erfüllt sind.
72. Nach
dem Erläuterungsbericht zum GlüStV sollte diese Übergangsmaßnahme den
Glücksspielanbietern, die fast ausschließlich im Internet tätig waren,
ermöglichen, sich durch Umstellung auf neue nach dem GlüStV zulässige
Vertriebswege dem neuen rechtlichen Rahmen anzupassen(37).
Es handelt sich folglich um eine Entscheidung zum Schutz der
Rechtssicherheit der Spielevermittler, die bis zum Zeitpunkt des Verbots
im Rahmen eines nicht beschränkenden Systems tätig waren.
73. Der
Gerichtshof hat wiederholt auf die Bedeutung des Grundsatzes der
Rechtssicherheit hingewiesen, der Teil der Gemeinschaftsrechtsordnung
ist und sowohl von den Gemeinschaftsorganen als auch von den
Mitgliedstaaten bei der Ausübung ihrer Befugnisse, die ihnen das
Unionsrecht verleiht, zu beachten ist(38).
74. Angesichts
der aus diesem Grundsatz folgenden Anforderungen sehen die
Gemeinschaftsrichtlinien üblicherweise für ihre Umsetzung und ihre
Durchführung eine angemessene Frist nach ihrem Inkrafttreten vor, und
die Rechtsprechung geht davon aus, dass sich die zeitlich befristete
Verschiebung einer Anpassung verschiedener – tatsächlicher und
rechtlicher – Situationen an das Unionsrecht rechtfertigen lässt.
75. Der Gerichtshof hat beispielsweise im Urteil vom 17. Juli 2008, ASM Brescia(39),
gestützt auf den Grundsatz der Rechtssicherheit die gegen die Art. 49
EG und 86 EG verstoßende Verlängerung der Gültigkeit einer Konzession
für die Erdgasverteilung zugelassen. Auch gibt es zahlreiche Urteile, in
denen der Gerichtshof unter Heranziehung des Grundsatzes der
Rechtssicherheit die Befugnis, die ihm Art. 231 Abs. 2 EG verleiht,
dadurch ausübt, dass er die Wirkungen einer für nichtig erklärten
Verordnung bezeichnet, die als fortgeltend zu betrachten sind(40).
76. Soweit
nun angenommen wird, dass der Grundsatz der Rechtssicherheit einer der
zwingenden Gründe des Allgemeininteresses ist, auf die die
Mitgliedstaaten sich berufen können, um vorübergehend eine gegen die
Vertragsfreiheiten verstoßende Vorschrift oder Sachlage
aufrechtzuerhalten, ist erst recht die Rechtmäßigkeit einer Entscheidung
zu bejahen, die die Beschränkungen einer dieser Freiheiten verlängert,
indem sie den Betroffenen eine Frist einräumt, um sich den neuen
Anforderungen nach nationalem Recht anzupassen.
77. Ich
bin der Auffassung, dass auch die Entscheidung, das Inkrafttreten des
Verbots von Glücksspielen im Internet zu verschieben, weder die Kohärenz
dieser beschränkenden Maßnahme beeinträchtigt noch die Verwirklichung
der Ziele des Allgemeininteresses, die sie verfolgt, gefährdet.
78. Zunächst
einmal erscheint, selbst wenn sich das Verbot von Glücksspielen im
Internet durch das mit ihnen verbundene erhöhte Suchtrisiko
rechtfertigen lässt, die Notwendigkeit ihrer Beseitigung nicht so
dringend, dass sie Vorrang vor den sich aus dem Grundsatz der
Rechtssicherheit ergebenden Anforderungen haben müsste.
79. Des
Weiteren ist zu bedenken, dass die in § 25 Abs. 6 GlüStV festgelegte
Übergangsfrist an umfassende Voraussetzungen und Anforderungen geknüpft
ist. Erstens gilt sie nur für Lotterien und nicht für Sportwetten, deren
Veranstaltung und Vermittlung im Internet mit Inkrafttreten des GlüStV
aufgrund ihrer besonderen Gefährlichkeit verboten sind. Zweitens
unterliegt die übergangsweise erteilte Erlaubnis von Lotterien im
Internet mehreren Voraussetzungen und Einschränkungen, die die Gefahren,
die diese Form des Spiels mit sich bringen kann, vermeiden sollen. So
verpflichtet diese Vorschrift u. a. dazu, zu gewährleisten, dass
minderjährige und gesperrte Spieler ausgeschlossen sind, sie begrenzt
den Einsatz auf 1 000 Euro pro Monat, und sie verbietet Kredite und die
interaktive Teilnahme mit zeitnaher Gewinnbekanntgabe.
80. Wie
in der Vorlagenentscheidung ausgeführt ist, stellt die vom GlüStV
eingeführte Übergangsbestimmung schließlich einen
Verhältnismäßigkeitsausgleich dar, der die Jugend- und
Spielerschutzbestimmungen beachtet. Daher meine ich, dass das Bestehen
einer solchen Bestimmung sich nicht als inkohärent im Hinblick auf das
Verbot des Glücksspiels im Internet erweist, da diese Vorschrift den
Übergang zu dem neuen rechtlichen Rahmen in einer Weise erleichtern
will, die so weit wie möglich die verfolgten Ziele des
Allgemeininteresses und den Grundsatz der Rechtssicherheit achtet.
IX – Ergebnis
81. Nach
alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die vom
Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgericht vorgelegten Fragen wie folgt
zu beantworten:
1. Art. 49 EG ist
dahin auszulegen, dass die Berufung auf den freien
Dienstleistungsverkehr voraussetzt, dass die im Sitzmitgliedstaat
erteilte Erlaubnis den Dienstleistungserbringer berechtigt, die
fragliche Dienstleistung in dem Mitgliedstaat, in dem er ansässig ist,
zu erbringen. Die gegenseitige Anerkennung von Genehmigungen auf dem
Gebiet des Glücksspiels ist jedoch beim gegenwärtigen Stand des
Unionsrechts nicht durchführbar.
2. Ein
staatliches Monopol zur Veranstaltung von Sportwetten und Lottereien,
das maßgeblich durch die Bekämpfung der Spielsuchtgefährdung begründet
ist, ist mit Art. 49 EG vereinbar, selbst wenn in demselben
Mitgliedstaat andere Glücksspiele mit erheblichem
Suchtgefährdungspotenzial von privaten Dienstleistungserbringern
angeboten werden dürfen, sofern die Behörden dafür sorgen, dass eine
gewisse Überwachung der privaten Anbieter gewährleistet ist, und sofern
das dem Monopol unterliegende Spielangebot geringer ist, als es bei
einem privaten Dienstleistungserbringer bestehen könnte. Sind diese
Voraussetzungen erfüllt, stehen die dargestellten Umstände einer im
Sinne der Rechtsprechung kohärenten und systematischen
Glücksspielpolitik nicht entgegen. Es ist Sache des nationalen Gerichts,
die Erfüllung dieser Voraussetzung zu prüfen.
Die
Verteilung der Zuständigkeiten auf dem Gebiet von Glücksspielen
zwischen Bund und Ländern gefährdet als solche nicht die Kohärenz der
den Gegenstand der Untersuchung bildenden nationalen Politik (die
insgesamt auf nationaler Ebene zu prüfen ist), kann jedoch nicht als
Rechtfertigung etwaiger Inkohärenzen dienen.
3. Art. 49
EG ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung nicht
entgegensteht, die die Erteilung einer Erlaubnis für das Veranstalten
und das Vermitteln von Glücksspielen in das Ermessen der
Erlaubnisbehörde stellt, sofern das errichtete Verfahren objektiv,
transparent und nicht diskriminierend ist und die erlassene Entscheidung
mit einer Klage anfechtbar ist.
4. Art. 49
EG steht einer nationalen Regelung nicht entgegen, die das Veranstalten
und das Vermitteln öffentlicher Glücksspiele im Internet untersagt,
wenn die Maßnahme in einem angemessenen Verhältnis zu dem als
Rechtfertigung geltend gemachten Ziel des Allgemeininteresses steht,
auch wenn gleichzeitig die Veranstaltung und die Vermittlung im Internet
unter Einhaltung von Jugend- und Spielerschutzbestimmungen zum Zweck
eines speziell auf die Anbieter, die bis zu jenem Zeitpunkt
ausschließlich im Internet tätig waren, ausgerichteten Ausgleichs
ermöglicht wird.
1 – Originalsprache: Französisch.
2 – BVerfG, 1 BvR 1054/01.
3 –
Beim Gerichtshof anhängige Rechtssachen C‑316/07, C‑358/07, C‑359/07,
C‑360/07, C‑409/07, C‑410/07, in denen ich heute meine Schlussanträge
vorgelegt habe.
4 – ABl. L 376, S. 36.
5 – Oben angeführt.
6 –
BVerfG, 1 BvR 1054/01, Randnrn. 148 ff., in denen dieses Gericht die
Kriterien und Vorgaben beschreibt, die erforderlich sind, um das
Wettmonopol aus normativer und organisatorischer Sicht am Grundgesetz
auszurichten.
7 –
Der GlüStV ersetzt den Staatsvertrag zum Lotteriewesen in Deutschland
(im Folgenden: LottStV), der am 1. Juli 2004 in Kraft getreten war.
8 –
„Die gibraltarische Lizenz für Internet-Sportwettenangebote zu festen
Quoten war … ursprünglich auf Angebote außerhalb Gibraltars beschränkt“
(Erklärungen von Carmen Media, Randnr. 11).
9 – Diese Regelung sei 2006 aufgehoben worden.
10 – Section 3(c) Ordinance 1983 Companies (Taxation and Concessions).
11 – Amstrong, K. A., „Mutual Recognition“, in The Law of the single European Market: Unpacking premises, herausgegeben von C. Barnard und J. Scott, Hart Publishing, 2002, S. 230.
12 – 279/80, Slg. 1981, 3305.
13 –
Vgl. entsprechend Urteile vom 25. Juli 1991, Säger (C‑76/90, Slg. 1991,
I‑4221, Randnr. 15), vom 9. August 1994, Vander Elst (C‑43/93, Slg.
1994, I‑3803, Randnr. 16), vom 28. März 1996, Guiot (C‑272/94, Slg.
1996, I‑1905, Randnr. 11), vom 23. November 1999, Arblade u. a.
(C‑369/96 und C‑376/96, Slg. 1999, I‑8453, Randnr. 34), und vom 15. März
2001, Mazzoleni und ISA (C‑165/98, Slg. 2001, I‑2189, Randnr. 25).
14 – Beispielsweise der Verbraucherschutz oder die Kriminalitätsbekämpfung in einem bestimmten Bereich.
15 –
Hervorhebung nur hier. Vgl. in diesem Sinne Urteile Säger (Randnr. 12),
Guiot (Randnr. 10) und vom 12. Dezember 1996, Reisebüro Broede (C‑3/95,
Slg. 1996, I‑6511, Randnr. 25).
16 – C‑167/01, Slg. 2003, I‑10155.
17 – Randnr. 139.
18 – C‑56/96, Slg. 1997, I‑3143.
19 – Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 9. März 1999, Centros (C‑212/97, Slg. 1999, I‑1459, Randnr. 27).
20 – Beispielsweise im Urteil Inspire Art zur Niederlassungsfreiheit (Randnr. 139).
21 – Nrn. 90 bis 105.
22 –
Urteile vom 21. September 1999, Läärä u. a. (C‑124/97, Slg. 1999,
I‑6067), vom 11. September 2003, Anomar u. a. (C‑6/01, Slg. 2003,
I‑8621), und vom 8. September 2009, Liga Portuguesa de Futebol
Profissional und Bwin International (C‑42/07, noch nicht in der
amtlichen Sammlung veröffentlicht).
23 – Nrn. 61 bis 76.
24 – Nr. 74 meiner Schlussanträge in den verbundenen Rechtssachen Stoß u. a.
25 –
Vgl. Urteile vom 15. Dezember 1982, Kommission/Niederlande (160/82,
Slg. 1982, 4637, Randnr. 4), vom 5. Juni 1984, Kommission/Italien
(280/83, Slg. 1984, 2361, Randnr. 4), vom 28. März 1985,
Kommission/Belgien (215/83, Slg. 1985, 1039, Randnr. 25), vom 15.
Oktober 1998, Kommission/Belgien (C‑326/97, Slg. 1998, I‑6107, Randnr.
7), und vom 28. Mai 1998, Kommission/Spanien (C‑298/97, Slg. 1998,
I‑3301, Randnr. 14).
26 – Urteil vom 1. Juni 1999, Konle (C‑302/97, Slg. 1999, I‑3099, Randnr. 62).
27 – Urteil vom 5. Mai 1970, Kommission/Belgien (77/69, Slg. 1970, 237, Randnr. 15).
28
– Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. Juli 2009, Horvath (C‑428/07,
noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnrn. 47 bis
58).
29 –
Vgl. Urteile vom 6. November 2003, Gambelli u. a. (C‑243/01, Slg. 2003,
I‑13031, Randnr. 65), vom 13. November 2003, Lindman (C‑42/02, Slg.
2003, I‑13519, Randnr. 29), vom 6. März 2007, Placanica u. a. (C‑338/04,
C‑359/04 und C‑360/04, Slg. 2007, I‑1891, Randnr. 49), und Liga
Portuguesa de Futebol Profissional und Bwin International (Randnr. 60).
30 –
Vgl. Urteile vom 31. Januar 1984, Luisi und Carbone (286/82 und 26/83,
Slg. 1984, 377, Randnr. 34), vom 23. Februar 1995, Bordessa u. a.
(C‑358/93 und C‑416/93, Slg. 1995, I‑361, Randnr. 25), vom 14. Dezember
1995, Sanz de Lera u. a. (C‑163/94, C‑165/94 und C‑250/94, Slg. 1995,
I‑4821, Randnrn. 23 bis 28), vom 20. Februar 2001, Analir u. a.
(C‑205/99, Slg. 2001, I‑1271, Randnr. 37), und vom 13. Mai 2003,
Müller-Fauré und van Riet (C‑385/99, Slg. 2003, I‑4509, Randnr. 84).
31 –
Urteile Müller-Fauré und van Riet (Randnr. 85), Analir u. a. (Randnr.
38), und vom 12. Juli 2001, Smits und Peerbooms (C‑157/99, Slg. 2001,
I‑5473, Randnr. 90).
32 – Urteil Placanica u. a. (Randnrn. 53 bis 58).
33 –
Die Rechtsprechung zu Glücksspielen bezieht sich oft auf die
Notwendigkeit, dass die nationalen Behörden über ein „ausreichendes
Ermessen“ verfügen müssen, um die Anforderungen, die das von ihnen
geltend gemachte Ziel des Allgemeininteresses umfasst, zu bestimmen
(Urteile vom 24. März 1994, Schindler, C‑275/92, Slg. 1994, I‑1039,
Randnr. 61, und vom 21. Oktober 1999, Zenatti, C‑67/98, Slg. 1999,
I‑7289, Randnr. 15, sowie Urteile Läärä u. a., Randnr. 14, Gambelli
u. a., Randnr. 63, Placanica u. a., Randnr. 47, und Liga Portuguesa de
Futebol Profissional und Bwin International, Randnr. 57).
34
– Wie die deutsche Regierung in der mündlichen Verhandlung ausgeführt
hat, gilt das Verbot des Glücksspiels im Internet sowohl für Sportwetten
und Lotterien als auch für Spielbanken und Geldspielautomaten. Websites
dieser Art, die in Deutschland möglicherweise existieren (von denen
einige in den Akten genannt worden sind), sind daher illegal.
35 – Beispielsweise im Urteil Schindler zu dem Verbot von Lotterien, das in den britischen Rechtsvorschriften vorgesehen war.
36 –
Vorbehaltlich der Ausführungen in Nr. 31 dieser Schlussanträge. Im
Übrigen scheint es sich nicht – wie Carmen Media geltend macht – um eine
„versteckte Diskriminierung“ zu handeln, die sich daraus ergeben soll,
dass ausländische Anbieter auf das Internet „angewiesen“ seien, da sie
dasselbe Recht wie deutsche Unternehmen haben, ihre Tätigkeit in
Deutschland auszuüben.
37 –
Das vorlegende Gericht meint, es handele sich um einen
„Verhältnismäßigkeitsausgleich“ zugunsten der beiden gewerblichen
Spielevermittler, die im Erläuterungsbericht zum GlüStV namentlich
genannt seien. Die deutsche Regierung weist diese Annahme in ihren
Erklärungen zurück und führt aus, dass § 25 Abs. 6 GlüStV nicht nur für
diese beiden Wirtschaftsteilnehmer, sondern auch für „ausländische
Spieleanbieter“ gelte, „die unter Einhaltung der im Recht ihres Landes
vorgesehenen Voraussetzungen erlaubte Lotterien veranstalten“. Es ist
Sache des nationalen Gerichts zu prüfen, ob dies zutrifft, da eine
vertragswidrige Diskriminierung vorläge, wenn es sich um eine Vorschrift
ad nominem handelte.
38 –
Urteile vom 3. Dezember 1998, Belgocodex (C‑381/97, Slg. 1998, I‑8153,
Randnr. 26), vom 29. April 2004, Gemeente Leusden und Holin Groep
(C‑487/01 und C‑7/02, Slg. 2004, I‑5337, Randnr. 57), und vom 26. April
2005, „Goed Wonen“ (C‑376/02, Slg. 2005, I‑3445, Randnr. 32).
39 – C‑347/06, Slg. 2008, I‑5641.
40
– Urteil vom 3. September 2008, Kadi und Al Barakaat International
Foundation/Rat und Kommission (C‑402/05 P und C‑415/05 P, Slg. 2008,
I‑6351, Randnrn. 373 ff.). Der Gerichtshof wendet diese Bestimmung
analog im Rahmen von Vorabentscheidungsersuchen auf sämtliche Rechtsakte
des Sekundärrechts an, so in den Urteilen vom 15. Oktober 1980,
Providence agricole de la Champagne (4/79, Slg. 1980, 2823, Randnrn. 45
und 46), und vom 5. Juli 1995, Parlament/Rat (C‑21/94, Slg. 1995,
I‑1827, Randnrn. 29 bis 32). Zu klären bleibt die dem Gerichtshof in der
anhängigen Rechtssache Winner Wetten (C‑409/06) vorgelegte Frage, ob
diese Möglichkeit auch auf Vorschriften des innerstaatlichen Rechts
Anwendung finden kann, die gegen eine unmittelbar geltende Bestimmung
des Unionsrechts verstoßen. Generalanwalt Bot hat dies in seinen
Schlussanträgen vom 26. Januar 2010 bereits verneint.