Freitag, 30. September 2011

OVG NRW: Auf das Monopol gestützte Untersagung der Sportwettvermittlung rechtswidrig!

In einem von der Kanzlei Bongers geführten Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht des Landes Nordrhein-Westfalen hat der Senat nach mehrstündiger mündlicher Verhandlung am 29.09.2011 festgestellt, dass die auf das Monopol gestützte Untersagung der Vermittlung von Sportwetten rechtswidrig ist. In der Pressemitteilung führt er aus:

"Untersagungsverfügungen, mit denen die Ordnungsbehörden allein unter Berufung auf das staatliche Sportwettenmonopol (sog. Oddset-Wetten) gegen private Sportwettbüros vorgegangen sind, sind rechtswidrig, weil das Monopol nicht mit Europarecht vereinbar ist. Dies hat der 4. Senat des Oberverwaltungsgerichts mit Urteil vom 29. September 2011 entschieden und damit seine bisher in Eilverfahren vertretene Rechtsauffassung aufgegeben (vgl. Pressemitteilungen vom 13. März 2008 und 15. November 2010). Nach den inzwischen vom EuGH und vom Bundesverwaltungsgericht aufgestellten Maßstäben verletze das staatliche Monopol im Bereich der Sportwetten die europarechtliche Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit. Denn der Staat überlasse zugleich andere Glücksspielbereiche mit höherem Suchtpotential privaten Anbietern und nehme die Ausweitung des Marktes hin. Er verhalte sich dadurch widersprüchlich. Seit der im Jahr 2006 erfolgten Neuregelung für gewerbliche Automatenspiele sei vor allem bei Geldspielautomaten in Spielhallen nach allen einschlägigen Studien ein erhebliches Wachstum bezüglich Umsatz und Zahl der Spielgeräte zu verzeichnen. Dies führe zu einer Zunahme des Suchtpotentials, zumal die Neuregelungen zur Entwicklung von Automaten geführt hätten, die im Hinblick auf alle suchtfördernden Merkmale gefährlicher seien als die früher zulässigen. Weil sich diese Expansion in einem wirtschaftlich bedeutsamen Bereich des Glückspielmarktes vollzogen habe, könne das Sportwettenmonopol sein Ziel, die Spielsucht zu bekämpfen, nicht in stimmiger Weise erreichen und sei deshalb europarechtlich nicht zu rechtfertigen. Hinzu komme, dass das gegenwärtige Werbeverhalten des deutschen Lottoblockes die strengen Vorgaben des Bundesverwaltungsgerichts weiterhin nicht einhalte. Der Monopolträger dürfe danach lediglich sachlich informieren, um die Spiellust in legale Bahnen zu lenken. Hiermit seien weder die ständigen Werbekampagnen, die hohe Jackpots in den Vordergrund rückten ("Westlotto informiert: Der Lotto-Jackpot wurde bei der letzten Ziehung nicht geknackt. Deshalb heute im Jackpot .... Mio. Euro"), noch die weiterhin betriebene Image-Werbung ("Lotto hilft ..") vereinbar. Die Entscheidung betrifft die Betreiberin eines privaten Wettbüros in Mönchengladbach, der bereits im Jahr 2006 die Sportwettenvermittlung von der beklagten Stadt Mönchengladbach untersagt worden war. Es handelt sich um die erste Hauptsachenentscheidung des Oberverwaltungsgerichts zu dieser Fragestellung. Beim Senat sind noch zahlreiche gleich gelagerte Fälle aus anderen Städten und Gemeinden des Landes anhängig.
Der Senat hat die Revision nicht zugelassen. Dagegen kann die Beklagte Nichtzulassungsbeschwerde erheben, über die das Bundesverwaltungsgericht entscheidet. Az.: 4 A 17/08"

Im konkreten Fall wurde die Feststellung der Rechtswidrigkeit im Wege eines so genannten Fortsetzungsfeststellungsantrages und weiterer Feststellungsanträge begehrt. Dabei hat der Senat des Oberverwaltungsgerichts einerseits festgestellt, dass die Verfügung bereits vom Zeitpunkt ihres Erlasses bis zum 31.12.2007 rechtswidrig war, andererseits die Verfügungen sich auch bis zum Zeitpunkt des erledigenden Ereignisses im August/September 2010 als rechtswidrig erweist. Im Übrigen war Prüfungsmaßstab des Gerichts der aktuelle Glücksspielstaatsvertrag i.V.m. dem Ausführungsgesetz des Landes NRW. Da auch aus Sicht des OVG diese Rechtsfragen unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BVerwG zwischenzeitlich als höchstrichterlich geklärt angesehen werden dürfen, ließ der Senat die Revision nicht zu.

Behörden und Kommunen in NRW werden nunmehr verpflichtet sein, zunächst sämtliche Zwangsgelder an Betreiber von Wettbüros zurückzuzahlen, soweit diese in den letzten Jahren eingefordert wurden. Hunderte von vergleichbaren Verfahren dürften abschließend zu Gunsten der Wettvermittler entschieden werden, zumal in fast allen Faellen vergleichbare Verfügungen unterschiedlicher Behörden erlassen worden waren. In all diesen Fällen haben die Behörden angenommen, man könne basierend auf ein angeblich europarechtskonformes Monopol die Tätigkeit der Sportwettvermittlung untersagen.

Insbesondere droht den Städten und Kommunen in NRW nun auch, erheblichen Schadenersatz an zahlreiche Unternehmer zahlen zu müssen, deren Geschäfte zu Unrecht durch die Städte geschlossen wurden. Es dürften Ansprüche in Millionenhöhe auf einzelne Kommunen zukommen, die sich in den letzten Jahren besonders dadurch hervorgetan haben, Geschäfte trotz einer gemeinschaftswidrigen Rechtslage mit Verwaltungszwang zu schließen. In NRW besteht eine sog. "verschuldensunabhängige" Haftung der Behörden, so dass die Chancen gut stehen, die Schadenersatzansprüche auch gerichtlich durchzusetzen. Musterverfahren sind bereits anhängig.

Nach vielen Jahren, in denen die Sportwettvermittler in NRW immer wieder zu Unrecht in Ihren Rechten verletzt wurden und ganze Unternehmen durch Behördenverfügungen in NRW rechtsfehlerhaft zu Nichte gemacht wurden, haben die von anderen Kollegen und uns vertreten Mandanten nun endlich Recht erhalten und berechtigte Hoffnung darauf, zumindest den vermögensrechtlichen Schaden ersetzt zu erhalten.

Es sei abschließend erwähnt, dass das Oberverwaltungsgericht sich mit dem jetzigen Urteil in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte erster Instanz befindet, insbesondere der Verwaltungsgerichte Arnsberg, Minden, Köln, Gelsenkirchen, Düsseldorf und Aachen, die allesamt nach der Entscheidung des EuGH im September 2010 zu Gunsten der Sportwettvermittler entschieden haben. Zuletzt hatten auch andere Oberverwaltungsgerichte, darunter in Hessen, Bayern und dem Saarland dem Grunde nach bereits ausgeführt, dass ein gemeinschaftswidriges Monopol besteht.

Kontakt:
Rechtsanwaltskanzlei Bongers
Rechtsanwalt Guido Bongers
Ludwigstr. 12
D - 61348 Bad Homburg

update 26.02.2012:
Das Bundesverwaltungsgericht gibt der Nichtzulassungsbeschwerde gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen vom 29.09.2011 (Az. OVG 4 A 17/08) durch Beschluss vom 16.02.2012 statt und lässt die Revision gegen die vorgenannte Entscheidung zu - Az.: BVerwG 8 B 91.11 (8 C 10.12)

Pressemitteilung des Oberverwaltungsgerichts NRW:
Staatsmonopol im Bereich der Sportwetten europarechtswidrig
30. September 2011

Untersagungsverfügungen, mit denen die Ordnungsbehörden allein unter Berufung auf das staatliche Sportwettenmonopol (sog. Oddset-Wetten) gegen private Sportwettbüros vorgegangen sind, sind rechtswidrig, weil das Monopol nicht mit Europarecht vereinbar ist. Dies hat der 4. Senat des Oberverwaltungsgerichts mit Urteil vom 29. September 2011 entschieden und damit seine bisher in Eilverfahren vertretene Rechtsauffassung aufgegeben (vgl. Pressemitteilungen vom 13. März 2008 und 15. November 2010).

Nach den inzwischen vom EuGH und vom Bundesverwaltungsgericht aufgestellten Maßstäben verletze das staatliche Monopol im Bereich der Sportwetten die europarechtliche Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit. Denn der Staat überlasse zugleich andere Glücksspielbereiche mit höherem Suchtpotential privaten Anbietern und nehme die Ausweitung des Marktes hin. Er verhalte sich dadurch widersprüchlich. Seit der im Jahr 2006 erfolgten Neuregelung für gewerbliche Automatenspiele sei vor allem bei Geldspielautomaten in Spielhallen nach allen einschlägigen Studien ein erhebliches Wachstum bezüglich Umsatz und Zahl der Spielgeräte zu verzeichnen. Dies führe zu einer Zunahme des Suchtpotentials, zumal die Neuregelungen zur Entwicklung von Automaten geführt hätten, die im Hinblick auf alle suchtfördernden Merkmale gefährlicher seien als die früher zulässigen. Weil sich diese Expansion in einem wirtschaftlich bedeutsamen Bereich des Glückspielmarktes vollzogen habe, könne das Sportwettenmonopol sein Ziel, die Spielsucht zu bekämpfen, nicht in stimmiger Weise erreichen und sei deshalb europarechtlich nicht zu rechtfertigen. Hinzu komme, dass das gegenwärtige Werbeverhalten des deutschen Lottoblockes die strengen Vorgaben des Bundesverwaltungsgerichts weiterhin nicht einhalte. Der Monopolträger dürfe danach lediglich sachlich informieren, um die Spiellust in legale Bahnen zu lenken. Hiermit seien weder die ständigen Werbekampagnen, die hohe Jackpots in den Vordergrund rückten („Westlotto informiert: Der Lotto-Jackpot wurde bei der letzten Ziehung nicht geknackt. Deshalb heute im Jackpot .... Mio. Euro“), noch die weiterhin betriebene Image-Werbung („Lotto hilft ..“) vereinbar.

Die Entscheidung betrifft die Betreiberin eines privaten Wettbüros in Mönchengladbach, der bereits im Jahr 2006 die Sportwettenvermittlung von der beklagten Stadt Mönchengladbach untersagt worden war. Es handelt sich um die erste Hauptsachenentscheidung des Oberverwaltungsgerichts zu dieser Fragestellung. Beim Senat sind noch zahlreiche gleich gelagerte Fälle aus anderen Städten und Gemeinden des Landes anhängig.

Der Senat hat die Revision nicht zugelassen. Dagegen kann die Beklagte Nichtzulassungsbeschwerde erheben, über die das Bundesverwaltungsgericht entscheidet.

Az.: 4 A 17/08 Quelle

Zum Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 29. September 2011 - 4 A 17/08
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Sportwetten Wettbüros drohen Essen mit Millionenklagen
Die Stadt hat im Jahr 2006 47 Wettbüros geschlossen. Diese Verfügungen könnten ihr jetzt auf die Füße fallen, nachdem das Oberverwaltungsgericht Münster in letzter Instanz entschieden hat: Solche Untersagungsverfügungen sind rechtswidrig. Die Schadenersatzforderungen könnten sich auf bis zu 15 Millionen Euro summieren. Die Stadt beruft sich auf Befehlsnotstand: Sie habe auf Anweisung der Bezirksregierung gehandelt.
Die Stadt geht davon aus, dass ihre Ordnungsverfügungen vor Gericht Stand halten werden, weil sie nicht nur mit dem Staatsmonopol begründet waren. „Die Betriebe hatten keine Konzession und waren deshalb für uns illegal“, sagt Stadt-Sprecher Detlef Feige. Zweite Argumentationslinie: „Wir haben damals auf Weisung der Bezirksregierung gehandelt“, sagt Feige. „Nach dem Verursacherprinzip ist das Land Gegner solcher Ansprüche.“ Wenn nicht: Die Stadt ist haftpflichtversichert.
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Wettbüro Kalkmann will eine Million Euro Schadensersatz von der Stadt Bochum
Über eine Million Euro Schadensersatz verlangt die auch in Bochum niedergelassene Sportwetten-Kette Kalkmann von der Stadt, nachdem das Oberverwaltungsgericht Münster kürzlich entschieden hatte, dass die von den Städten verfügten Schließungen von Büros für Fußballwetten rechtswidrig gewesen waren. Kalkmann ist nicht der einzige, der von der Stadt Geld sehen will. weiterlesen

Verbot nicht rechtens: Wettbüros verklagen Städte
Vor dem Gelsenkirchener Verwaltungsgericht geht es heute um die Klagen mehrerer Wettbüros gegen die Städte Castrop-Rauxel und Recklinghausen.
Wenn die ersten Kläger heute Erfolg haben sollten, kommen auf die Städte womöglich hohe Schadenersatzforderungen zu - denn die Wettbüros wollen für ihre jahrelangen Einnahmeausfälle entschädigt werden. weiterlesen

Bundesgerichtshof (BGH) zur Haftung einer Behörde,
Beschluss vom 11. 12. 2008 - III ZR 216/ 07; OLG Brandenburg (Lexetius.com/2008,3634)

Greift der Betroffene die Maßnahme der angewiesenen Behörde mit den vorgesehenen Rechtsbehelfen des Primärrechtsschutzes an, so hat dies verjährungsunterbrechende (bzw. -hemmende) Wirkung auch für den Schadensersatzanspruch gegen die anweisende Behörde. Quelle

Der Anspruch auf Schadensersatz bei Verstößen gegen EU-Kartellrecht - Konturen eines Europäischen Kartelldeliktsrechts? weiterlesen

Schadensersatz wegen Verletzung des EU Kartellrechts Grundfragen und Entwicklungslinien weiterlesen

EuGH v. 14.06.2011, Rs. C-360/09 „Pfleiderer AG gegen BKartA“ – Akteneinsicht in Unterlagen eines kartellbehördl. Bonusprogramms weiterlesen

Kommission veröffentlicht Grünbuch über Schadensersatz für Verstöße gegen EG-Kartellrecht weiterlesen

Befehlsnotstand
In Rechtsordnungen, in denen Befehle, deren Ausführung eine strafbare Handlungen darstellen würde, nicht bindend sind, kann ein formaler Befehlsnotstand nicht auftreten.
Die Anwendung des Befehlsnotstandes tritt in der Rechtsprechung immer weiter in den Hintergrund. Durch Anwendung der Radbruchschen Formel wird regelmäßig bereits die Rechtmäßigkeit der Befehlsgrundlagen verneint. In Fällen offensichtlicher Verstöße gegen die Menschenrechtskonvention kann sich ein Befehlsempfänger in Europa nicht mehr auf Straffreiheit berufen. Allerdings wurde die Dilemmasituation der Handelnden stets im Strafmaß berücksichtigt, in den Mauerschützenprozessen wurden die handelnden Soldaten meist zu Bewährungstrafen verurteilt.
Nach dem Recht der Bundesrepublik Deutschland kann ein formaler Befehlsnotstand nicht entstehen. weiterlesen

Als Radbruchsche Formel wird eine erstmals 1946 formulierte These des deutschen Rechtsphilosophen Gustav Radbruch bezeichnet. Dieser These zufolge hat sich ein Richter im Konflikt zwischen dem positiven (gesetzten) Recht und der Gerechtigkeit immer dann und nur dann gegen das Gesetz und für die materielle Gerechtigkeit zu entscheiden, wenn das fragliche Gesetz entweder als „unerträglich ungerecht“ anzusehen ist oder das Gesetz die – Radbruch zufolge – im Begriff des Rechts grundsätzlich angelegte Gleichheit aller Menschen aus Sicht des Interpreten „bewusst verleugnet“.
Da die Radbruchsche Formel mehrfach von der bundesdeutschen höchstrichterlichen Rechtsprechung angewandt wurde, gilt Radbruchs Aufsatz „Gesetzliches Unrecht und übergesetzliches Recht“, der diese These erstmals enthielt, manchen Autoren als die einflussreichste rechtsphilosophische Schrift des 20. Jahrhunderts.[1] Die Frage, ob der rechtspositivistische Rechtsbegriff, der allein auf die ordnungsgemäße Setzung und die soziale Wirksamkeit einer Norm abstellt,[2] im Sinne der Radbruchschen Formel modifiziert werden sollte, bildet eine grundlegende Kontroverse der gegenwärtigen rechtsphilosophischen Diskussion. weiterlesen

Wettbüros dürfen auch weiterhin öffnen
Ahlen (mk). Eine kleine Sensation ist das aktuelle Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster zu Sportwettenverboten. Während es bislang den Betrieb von privaten Wettbüros regelmäßig untersagte, änderte es nunmehr seine Rechtsprechung mit Urteil vom 29. September.
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Aus meiner Sicht wird durch das OVG, mit dem Urteil vom 29. September 2011, erneut bestätigt, dass eine staatliche Aufsicht bis heute faktisch nicht existent ist. Indem die Rechtsverstöße der Monopolinhaber durch die Aufsichtsbehörden zur Gewinnmaximierung geduldet werden, kommen diese ihrer Garantenpflicht nicht nach (vgl. EuGH Rs.: C-347/09 Dickinger, Rn.57). Die Aufsichtsbehörden sind für die Einhaltung der rechtlichen Vorgaben verantwortlich.

Da sich die Aufsichtsbehörde der Stadt Essen auf Befehlsnotstand beruft und bestätigt auf Weisung der Bezirksregierung gehandelt zu haben, kann als erwiesen angesehen werden, dass diese Behörde wie viele andere auch, eben ncht unabhängig, und somit verfassungswidrig handelte.

Auch in anderen Bereichen funktioniert die Aufsicht nicht und es scheint Geheimabsprachen zu geben. Die Post hat ihre Kunden womöglich um bis zu fünf Milliarden Euro betrogen. Das behaupten nach SPIEGEL-Informationen zumindest die Anwälte privater Konkurrenten.
Dem Unternehmen drohen Schadensersatzforderungen in Milliardenhöhe. weiterlesen

Die Aufsichtsbehörden, die entsprechend den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts vom 28.3.2006 (Rdnr. 151-154) neutral und "mit ausreichend Distanz zu den fiskalischen Interessen des Staates" eingerichtet werden sollten, gibt es demnach nicht.

Grundsätzlich haben Behörden entsprechend der gesetzlichen Anforderungen und des Beamtenrechts, und im Hinblick auf die geforderte Verfassungstreue objektiv, unabhängig, unparteiisch und gerecht ihre Aufgaben zu erfüllen und für die freiheitlich-demokratische Grundordnung einzutreten. Der Beamte ist verpflichtet sein Amt uneigennützig nach bestem Gewissen zu verwalten.

Ganz offensichtlich gelten für die landeseigenen "unabhängigen" Aufsichtsbehörden unterschiedliche Bewertungsmaßstäbe.
Indem diese das rechtswidrige Treiben der Landeslotterien im Sinne der fiskalischen Interessen der Länder nicht ahnden und dadurch begünstigen, ja sogar Ausweitungen des Glücksspiels wie vor dem 28.3.2006 dulden -wie die vielen von den Aufsichtsbehörden nicht verfolgten Rechtsverstöße beweisen- sind diese weder neutral noch objektiv.
(vgl. u.a. EuGH v.08.09.2010 Stoß u. a., Randnr. 83; EuGH Rs.: C-347/09 Dickinger, Rn.57; BVerwG v. 24.11.10 und vom 01.06.2011 – 8 C 2.10; BGH v. 16.12.10 - I ZR 149/08, Hessischer VGH – 8 B 926/10; OVG NRW v. 29.09.2011 - 4 A 17/08; OLG Köln Az. 6 W 142/10, 6 U 208/06; K&R 11/2010 S. 713, VG Wiesbaden v. 01.02.2011, Kammergericht Berlin – 24 W 91/10; LG Oldenburg - Az.: 5 O 927/08; OLG München Az. 29 W 1209/10, 29 U 2819/10 und 29 U 2944/10; LG München Az. 4HK O 13833/09, 4HK O 13834/09, 29 U 5351/08 und Az. 17HK O 2564/09; OLG Koblenz Az. 9 U 258/10) Mit den Feststellungen des BGH (I ZR 156/07) vom 18.11.2010: "Westlotto hatte ohne gesetzliche Grundlage und ohne selbst eine Erlaubnis für Sportwetten oder gar für Casinospiele inne zu haben, einfach ein umfassendes Glücksspielmonopol behauptet" wird höchstrichterlich bestätigt, dass die Aufsichtsbehörden kein taugliches Mittel sind, die Einhaltung der rechtlichen Vorgaben zu gewährleisten.

In dem die Bundesländer die gesetzlichen Rahmenbedingungen festlegen, und dabei aus fiskalischen Gründen großzügig über höheres Recht hinweggehen, die Justiz und die Verwaltung führen und steuern, und gleichzeitig als Glücksspielanbieter im Rahmen eines vor Konkurrenz geschützten Monopols auftreten, werden die Grundprinzipien der Demokratie und die Grundfeste der Justiz systematisch unterlaufen. (vgl. u.a. Art. 6, 7, 41, 47 GRCh)

Das Bundesverfassungsgericht (v. 28.03.2006, Az: 1 BvR 1054/01) hatte ergänzend ausgeführt, dass lediglich die Bekämpfung von Suchtgefahren eine Rechtfertigung dafür darstellen könnte, ein staatliches Wettmonopol zu rechtfertigen. Hierzu muss die Rechtfertigung (Eindämmung von Suchtgefahren) für das Monopol, die nationale sowie die gemeinschaftsrechtliche Monopol- und Kartellgesetzgebung strikt eingehalten werden - maßgeblich ist die lückenlose und tatsächliche Umsetzung vor Ort, die eine monopolfreundliche Rechtsauslegung und Begünstigung ausschließt.

Sämtliche Vorgaben aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 28.03.2006 sind unter europarechtlichen Gesichtspunkten gerade nicht verwirklicht worden. Es bedurfte einer systematischen und kohärenten Glücksspielpolitik, wie der EuGH sie in der Rechtssache Gambelli eingefordert hat - also eines "Vollmaßes" an Kohärenz (Eignung und Verhältnismäßigkeit der Regelung) für die Glücksspielpolitik insgesamt, sowie die Einhaltung der vollen Konsistenz (Rechtstreue der Monopolbetriebe), für die die Aufsichtsbehörden haften.

Der EuGH hat deshalb entschieden, dass die nationalen Gerichte zu prüfen haben, ob die staatlichen Kontrollen über die Tätigkeit des Monopolinhabers gewährleisten können, dass dieser tatsächlich in der Lage ist, die geltend gemachten Ziele bundesweit in kohärenter und systematischer Weise zu verfolgen (vgl. EuGH Rs.: C-347/09 Dickinger, Rn.57, in diesem Sinne Urteile vom 3. Juni 2010, Ladbrokes Betting & Gaming und Ladbrokes International, C-258/08, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Rn. 37, und Stoß u. a., Rn. 83; s.a. 1 BvR 2410/08 v. 20.03.09 Rn.14,24,29,46)

Die wissentliche und vorsätzliche Duldung der Rechtsverstöße durch die Monopolbetriebe stellen somit selbständige Rechtsverstöße dar, weil auch staatliche Monopole wirksam von staatlicher Seite beaufsichtigt werden müssen. Mit einer "unrichtigen Rechtsanwendung" und "Begünstigung" verstoßen die Aufsichtsbehörden selbst gegen die gesetzlichen Vorgaben. So konnte das Monopol auch nicht "glaubhaft" begründet werden, wie dies der EuGH bereits am 08.09.2010 feststellte.

Die gemeinschaftsrechtsfreundliche Auslegung nationaler Rechtsnormen, so auch auf dem Gebiet des Verwaltungsrechts ergibt sich aus der Pflicht zur gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung nationalen Rechts aus Art. 10 EGV und – wenn es um die Umsetzung von Richtlinien geht – zusätzlich aus Art. 249 III EGV. Gebunden sind durch dieses Interpretationsgebot alle Träger öffentlicher Gewalt in den Mitgliedstaaten, also auch Gerichte, Staatsanwaltschaften und Verwaltungsbehörden.

Die Mitgliedstaaten sind zur Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts verpflichtet (Art. 10 I EGV) und müssen alle Maßnahmen unterlassen, welche die Verwirklichung der Ziele des EGV gefährden könnten (Art. 10 II EGV)

Wie bereits dargelegt, ist es für die Differenzierung der verschiedenen Aufhebungstatbestände sowohl im Gemeinschaftsrecht als auch im deutschen Recht von Bedeutung, ob der betroffene Verwaltungsakt rechtmäßig oder rechtswidrig ist. Nach deutschem Recht ist ein Verwaltungsakt rechtswidrig, wenn er den von der Rechtsprechung gestellten Anforderungen nicht entspricht. (Geurts, Aufhebung von VA, S. 308)

Kollidiert eine nationale Vorschrift mit unmittelbar anwendbarem EU-Recht, verliert sie ihre Anwendbarkeit. Handelt es sich bei der dann nicht anwendbaren nationalen Norm um eine Rechtsgrundlage für den Erlass eines Verwaltungsakts, fehlt es diesem somit dementsprechend an einer dem Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes gerecht werdenden Rechtsgrundlage. Der Verwaltungsakt ist schon deshalb rechtswidrig. (VerwProzR_Rn_659-690-Prof. Dr. jur. Rolf Schmidt)

Fehlt es der Grundverfügung an einer wirksamen notwendigen Grundlage des Verwaltungszwangs durch Gemeinschaftsrechtswidrigkeit, so stellt sich der "Vollstreckungsexzess" als rechtswidrige und schuldhafte unerlaubte Handlung i.S.d. §§ 823 ff BGB dar. (vgl. Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG, BvR 1682/07 Rn 14).
Volker Stiny


update: 29.11.2011