Montag, 17. Mai 2021

EuGH - Urteil Google C-482/18 Umsatzbasierte Steuer auf Werbetätigkeiten - Grundsatz der Verhältnismäßigkeit

 URTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer)

3. März 2020(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Freier Dienstleistungsverkehr – Art. 56 AEUV – Beschränkungen – Steuerliche Vorschriften – Umsatzbasierte Steuer auf Werbetätigkeiten – Pflichten bezüglich der Registrierung bei der Steuerverwaltung – Diskriminierungsverbot – Geldbußen – Grundsatz der Verhältnismäßigkeit“

In der Rechtssache C‑482/18

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Fővárosi Közigazgatási és Munkaügyi Bíróság (Verwaltungs- und Arbeitsgericht Budapest, Ungarn) mit Entscheidung vom 13. Juli 2018, beim Gerichtshof eingegangen am 24. Juli 2018, in dem Verfahren

Google Ireland Limited

gegen

Nemzeti Adó- és Vámhivatal Kiemelt Adó- és Vámigazgatósága

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, der Vizepräsidentin R. Silva de Lapuerta, der Kammerpräsidenten J.‑C. Bonichot, A. Arabadjiev, E. Regan und S. Rodin, der Kammerpräsidentin L. S. Rossi (Berichterstatterin), des Kammerpräsidenten I. Jarukaitis, des Richters E. Juhász, der Richterin C. Toader, der Richter D. Šváby und F. Biltgen sowie der Richterin K. Jürimäe,

Generalanwältin: J. Kokott,

Kanzler: R. Șereș, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 4. Juni 2019,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        der Google Ireland Limited, vertreten durch Z. Szür und D. Kelemen, ügyvédek,

–        der ungarischen Regierung, vertreten durch M. Z. Fehér als Bevollmächtigten,

–        der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek, J. Vláčil und O. Serdula als Bevollmächtigte,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch N. Gossement, L. Malferrari und A. Sipos als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 12. September 2019

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 18 und 56 AEUV sowie der Art. 41 und 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta).

2        Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Google Ireland Limited, einer in Irland ansässigen Gesellschaft, und der Nemzeti Adó- és Vámhivatal Kiemelt Adó- és Vámigazgatósága (Steuer- und Zolldirektion für Großsteuerzahler der nationalen Steuer- und Zollverwaltung, Ungarn, im Folgenden: Steuerbehörde) wegen Entscheidungen, mit denen die Steuerbehörde gegen Google Ireland eine Reihe von Geldbußen wegen Verletzung der Anmeldepflicht verhängt hat, die für Personen gilt, die eine Tätigkeit ausüben, die der im ungarischen Recht vorgesehenen Werbesteuer unterliegt.

 Rechtlicher Rahmen

 Ungarisches Werbesteuergesetz

3        § 2 Abs. 1 Buchst. e des Reklámadóról szóló 2014. évi XXII. törvény (Gesetz Nr. XXII von 2014 über die Werbesteuer) in der am 1. Januar 2017 geltenden Fassung (im Folgenden: Werbesteuergesetz) sieht vor, dass die Veröffentlichung von Werbung, die im Internet überwiegend in ungarischer Sprache oder auf überwiegend ungarischsprachigen Internetseiten erfolgt, werbesteuerpflichtig ist.

4        § 2 Abs. 2 Buchst. b dieses Gesetzes bestimmt:

„Steuerpflichtig ist jeder Auftrag zur Veröffentlichung von Werbung, es sei denn … der Auftraggeber

ba)      hat von dem Steuerpflichtigen im Sinne von § 3 Abs. 1 die Erklärung nach § 3 Abs. 3 verlangt und kann diesen Umstand glaubwürdig belegen,

bb)      hat die nach Buchst. ba verlangte Erklärung binnen zehn Arbeitstagen nach der Aushändigung der Rechnung oder des Buchungsbelegs über die Veröffentlichung der Werbung nicht erhalten und

bc)      hat den Umstand nach Buchst. ba, die veröffentlichende Person und das Entgelt für die Veröffentlichung der staatlichen Steuerverwaltung angezeigt.“

5        Gemäß § 3 Abs. 1 des Werbesteuergesetzes ist jeder, der die Veröffentlichung von Werbung, die im Internet überwiegend in ungarischer Sprache oder auf überwiegend ungarischsprachigen Internetseiten erfolgt, übernimmt, „Steuerpflichtiger, unabhängig davon, wo er ansässig ist“.

6        § 3 Abs. 3 des Werbesteuergesetzes bestimmt:

„Der Steuerpflichtige im Sinne von Abs. 1 ist verpflichtet, in jeder Rechnung, jedem Buchungsbeleg oder jedem anderen Dokument, aus der bzw. dem der für die Veröffentlichung gezahlte Preis hervorgeht (insbesondere dem Vertrag über die Veröffentlichung von Werbung), eine Erklärung abzugeben, dass er steuerpflichtig ist und seinen Steuererklärungs- und Steuerzahlungspflichten nachkommt, oder aber, dass ihn im betreffenden Steuerjahr keine Steuerzahlungspflicht wegen der Veröffentlichung von Werbung trifft. …“

7        In § 7/B dieses Gesetzes heißt es:

„(1)      Ein Steuerpflichtiger im Sinne von § 3 Abs. 1, der von der staatlichen Steuerverwaltung nicht als zu irgendeiner Steuerart veranlagt registriert ist, ist verpflichtet, sich binnen 15 Tagen nach Aufnahme der steuerpflichtigen Tätigkeit im Sinne von § 2 Abs. 1 auf dem von der staatlichen Steuerverwaltung eingeführten Vordruck anzumelden. …

(2)      Kommt der Steuerpflichtige im Sinne von Abs. 1 der Anmeldepflicht nicht nach, so verhängt die staatliche Steuerverwaltung – neben der Aufforderung zur Erfüllung dieser Pflicht – zunächst ein Versäumnisbußgeld in Höhe von 10 Mio. ungarischen Forint [HUF] [ca. 31 000 Euro].

(3)      Bei erneuter Feststellung der Pflichtversäumung verhängt die staatliche Steuerverwaltung ein Versäumnisbußgeld in Höhe des Dreifachen des zuvor verhängten Versäumnisbußgeldes.

(4)      Die staatliche Steuerverwaltung stellt das Versäumen der Anmeldepflicht nach Abs. 1 täglich in einer Entscheidung fest, die mit ihrer Zustellung endgültig und vollziehbar wird und gerichtlich überprüft werden kann. Im gerichtlichen Überprüfungsverfahren sind ausschließlich Urkundenbeweise zulässig, und das Gericht entscheidet ohne mündliche Verhandlung.

(5)      Kommt der Steuerpflichtige auf die erstmalige Aufforderung durch die staatliche Steuerverwaltung seiner Anmeldepflicht nach, kann die in den Abs. 2 und 3 vorgesehene Geldbuße unbeschränkt herabgesetzt werden.“

8        § 7/D des Gesetzes besagt:

„Die Versäumnisbußgelder, die die staatliche Steuerverwaltung gegen ein und denselben Steuerpflichtigen gemäß den §§ 7/B und 7/C verhängt, dürfen insgesamt 1 Mrd. HUF [ca. 3,1 Mio. Euro] nicht überschreiten.“

 Ungarische Besteuerungsordnung

9        Aus § 17 Abs. 1 Buchst. b des Adózás rendjéről szóló 2003. évi XCII. törvény (Gesetz Nr. XCII von 2003 über die Besteuerungsordnung, im Folgenden: Besteuerungsordnung) ergibt sich, dass ein gebietsansässiger Steuerpflichtiger die Pflicht zur Anmeldung bei der staatlichen Steuerverwaltung automatisch erfüllt, wenn er die Eintragung in das Handelsregister und die Zuteilung einer Steueridentifikationsnummer beantragt.

10      Die Nichterfüllung der Meldepflichten, gleich ob es sich um die Pflicht zur Anmeldung bzw. Änderungsmeldung, zur Datenangabe, zur Eröffnung eines Bankkontos oder zur Abgabe einer Steuererklärung handelt, wird gemäß § 172 der Besteuerungsordnung mit einer Geldbuße von 500 000 HUF (ca. 1 550 Euro) oder, je nach Fall, 1 000 000 HUF (ca. 3 100 Euro) geahndet. Wenn die Steuerverwaltung auf dieser Grundlage eine Geldbuße verhängt, ist sie auch verpflichtet, den Steuerpflichtigen unter Fristsetzung zur Erfüllung der versäumten Pflicht aufzufordern. Hält der Steuerpflichtige die gesetzte Erfüllungsfrist nicht ein, wird die Geldbuße verdoppelt. Wird die Pflicht erfüllt, kann die verhängte Geldbuße unbeschränkt herabgesetzt werden.

 Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen

11      Mit Entscheidung vom 16. Januar 2017 stellte die Steuerbehörde zum einen fest, dass Google Ireland eine Tätigkeit ausübe, die in den Anwendungsbereich des Werbesteuergesetzes falle, und zum anderen, dass sie sich entgegen den Bestimmungen von § 7/B Abs. 1 dieses Gesetzes nicht innerhalb von 15 Tagen nach Aufnahme ihrer Tätigkeit bei der Steuerverwaltung angemeldet habe. Infolgedessen verhängte die Steuerbehörde gemäß § 7/B Abs. 2 des Werbesteuergesetzes eine Geldbuße in Höhe von 10 Mio. HUF (ca. 31 000 Euro) gegen Google Ireland.

12      Mit Entscheidungen, die an den folgenden vier Tagen ergingen, verhängte die Steuerbehörde gemäß § 7/B Abs. 3 des Werbesteuergesetzes vier weitere Geldbußen gegen Google Ireland, die jeweils das Dreifache der zuvor verhängten Geldbuße betrugen. Als Ergebnis der Entscheidung vom 20. Januar 2017 wurde Google Ireland insgesamt der in § 7/D dieses Gesetzes vorgeschriebene gesetzliche Höchstbetrag von 1 Mrd. HUF (ca. 3,1 Mio. Euro) auferlegt.

13      Google Ireland erhob beim vorlegenden Gericht eine Anfechtungsklage gegen diese Entscheidungen.

14      Zur Begründung ihrer Klage trägt Google Ireland vor, die Verhängung von Geldbußen wegen Verletzung der Anmeldepflicht nach § 7/B des Werbesteuergesetzes verstoße gegen die Art. 18 und 56 AEUV. In Ungarn ansässige Gesellschaften könnten die in diesem Gesetz festgelegten Pflichten leichter erfüllen als Gesellschaften mit Sitz außerhalb Ungarns. Die gegen letztere Gesellschaften wegen Verletzung der Anmeldepflicht verhängten Geldbußen unterschieden sich zudem von den Geldbußen gegen in Ungarn ansässige Gesellschaften, die eine ähnliche Pflicht verletzt hätten, und stünden in keinem Verhältnis zur Schwere des begangenen Verstoßes, womit sie eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs in der Europäischen Union darstellten.

15      Nach Ansicht von Google Ireland befinden sich im Ausland ansässige Steuerpflichtige auch in Bezug auf die Ausübung des Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf in einer ungünstigeren Situation als in Ungarn ansässige Gesellschaften. Sie hätten zwar das Recht, gegen eine – gemäß den §§ 7/B und 7/D des Werbesteuergesetzes schon kraft Zustellung endgültige und vollziehbare – Entscheidung, mit der ihnen eine Geldbuße auferlegt werde, einen gerichtlichen Rechtsbehelf einzulegen; die Ausgestaltung dieses Rechtsbehelfs schränke jedoch die Tragweite ihres Rechts ein. Insbesondere könne das angerufene Gericht im Überprüfungsverfahren nach § 7/B Abs. 4 des Werbesteuergesetzes nur Urkundenbeweise zulassen und entscheide ohne mündliche Verhandlung, während das für inländische Steuerzahler nach der Besteuerungsordnung geltende Anfechtungsverfahren keinen solchen Beschränkungen unterliege, da diese Steuerzahler u. a. das Recht hätten, einen Einspruch einzulegen. Die Bestimmungen des Werbesteuergesetzes garantierten daher der Person, der eine solche Geldbuße auferlegt werde, nicht das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein faires Verfahren, wie es in Art. 47 der Charta vorgesehen sei.

16      In diesem Zusammenhang fragt sich das vorlegende Gericht, ob die §§ 7/B und 7/D des Werbesteuergesetzes mit Art. 56 AEUV und dem Diskriminierungsverbot vereinbar sind. Die Anmeldepflicht und die bei Verletzung dieser Pflicht verhängten Geldbußen, die im Rahmen eines sehr repressiven Sanktionssystems mit Strafcharakter stünden, seien für außerhalb Ungarns ansässige Gesellschaften sehr nachteilig und tatsächlich geeignet, den freien Dienstleistungsverkehr in der Union zu beschränken. Insbesondere sei hinsichtlich der Geldbußen, die diesen Gesellschaften bei Verletzung der Anmeldepflicht drohten, der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im vorliegenden Fall wohl nicht eingehalten worden. Zum einen könne gegen diese Steuerpflichtigen innerhalb von fünf Tagen eine Reihe von Geldbußen verhängt werden, wobei die Steuerverwaltung jeden Tag den Betrag der vorherigen Geldbuße verdreifachen könne. Diese Sanktionen kämen bereits zum Tragen, bevor die Steuerpflichtigen überhaupt in der Lage seien, von der täglichen Verdreifachung des Betrags der vorherigen Geldbuße Kenntnis zu erlangen und den Verstoß zu beheben, so dass sie nicht verhindern könnten, dass die letztlich fällige Geldbuße die Obergrenze von 1 Mrd. HUF (3,1 Mio. Euro) erreiche. Insofern könne man sich auch fragen, ob dieses Verwaltungsverfahren mit Art. 41 der Charta vereinbar sei. Zum anderen sei die nach § 7/D des Werbesteuergesetzes verhängte Geldbuße insgesamt bis zu 2 000‑mal höher als die Geldbuße, die gegen eine in Ungarn ansässige Gesellschaft verhängt werden könne, die der in § 172 der Besteuerungsordnung vorgesehenen Pflicht zur steuerlichen Registrierung nicht nachkomme.

17      Schließlich sei auch die Einhaltung von Art. 47 der Charta fraglich, da im gerichtlichen Überprüfungsverfahren nach § 7/B Abs. 4 des Werbesteuergesetzes im Gegensatz zum gewöhnlichen Einspruchsverfahren nur Urkundenbeweise zugelassen seien und das angerufene Gericht keine mündliche Verhandlung durchführen könne.

18      Da das Fővárosi Közigazgatási és Munkaügyi Bíróság (Verwaltungs- und Arbeitsgericht Budapest, Ungarn) der Ansicht ist, die Rechtsprechung des Gerichtshofs ermögliche ihm keine Antwort auf diese Fragen, hat es beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Sind die Art. 18 und 56 AEUV und das Diskriminierungsverbot dahin auszulegen, dass sie der steuerrechtlichen Regelung eines Mitgliedstaats entgegenstehen, die es im Rahmen eines Bußgeldsystems, das an das Versäumen der Anmeldepflicht im Zusammenhang mit der Werbesteuer anknüpft, ermöglicht, nicht in Ungarn niedergelassene Gesellschaften mit einem Versäumnisbußgeld zu belegen, dessen Betrag insgesamt bis zu 2 000-mal höher sein kann als das Versäumnisbußgeld, mit dem in Ungarn niedergelassene Gesellschaften belegt werden können?

2.      Ist die in der vorstehenden Frage genannte außergewöhnlich hohe Sanktion mit Strafcharakter geeignet, nicht in Ungarn niedergelassene Dienstleister davon abzuhalten, ihre Dienstleistungen in Ungarn zu erbringen?

3.      Sind Art. 56 AEUV und das Diskriminierungsverbot dahin auszulegen, dass sie einer Regelung entgegenstehen, wonach in Ungarn niedergelassene Unternehmen die Anmeldepflicht mit der Vergabe der ungarischen Steuernummer bei der Eintragung in das ungarische Firmenregister automatisch – ohne gesonderten Antrag – erfüllen, selbst wenn sie überhaupt keine Werbeveröffentlichungen vornehmen, während Unternehmen, die in Ungarn nicht niedergelassen sind, aber Werbeveröffentlichungen vornehmen, der Anmeldepflicht nicht automatisch Genüge tun, sondern diese gesondert erfüllen müssen, wobei sie im Fall der Versäumung dieser Pflicht mit einer besonderen Sanktion belegt werden können?

4.      Sind für den Fall, dass die erste Frage bejaht wird, Art. 56 AEUV und das Diskriminierungsverbot dahin auszulegen, dass sie einer Sanktion wie der im Ausgangsverfahren streitigen entgegenstehen, die wegen der Versäumung der Anmeldepflicht im Zusammenhang mit der Werbesteuer verhängt wird, wenn sich herausstellt, dass dieser Artikel einer solchen Regelung entgegensteht?

5.      Sind Art. 56 AEUV und das Diskriminierungsverbot dahin auszulegen, dass sie einer Bestimmung entgegenstehen, nach der die Entscheidung, mit der die gegen im Ausland niedergelassene Unternehmen verhängten Bußgelder festgesetzt werden, mit ihrer Bekanntgabe rechtskräftig und vollziehbar wird und ihre Überprüfung nur in einem gerichtlichen Verfahren möglich ist, bei dem das Gericht keine mündliche Verhandlung abhalten kann und ausschließlich der Urkundenbeweis zulässig ist, während in Ungarn niedergelassene Unternehmen das verhängte Bußgeld mit einem Einspruch anfechten können und es darüber hinaus hinsichtlich des gerichtlichen Verfahrens keinerlei Beschränkungen gibt?

6.      Ist Art. 56 AEUV im Hinblick auf das in Art. 41 Abs. 1 der Charta verankerte Recht des Betroffenen auf gerechte Behandlung seiner Angelegenheit dahin auszulegen, dass dieses Erfordernis nicht erfüllt ist, wenn sich das Versäumnisbußgeld täglich verdreifacht, ohne dass dem Dienstleister die frühere Entscheidung bereits zur Kenntnis gelangt ist, so dass es ihm unmöglich ist, die versäumte Handlung bis zur folgenden Bußgeldverhängung nachzuholen?

7.      Ist Art. 56 AEUV unter Berücksichtigung des in Art. 41 Abs. 1 der Charta verankerten Rechts des Betroffenen auf gerechte Behandlung seiner Angelegenheit, des in Art. 41 Abs. 2 Buchst. a der Charta verankerten Rechts, gehört zu werden, und des in Art. 47 der Charta verankerten Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein unparteiisches Gericht dahin auszulegen, dass diese Erfordernisse nicht erfüllt sind, wenn die Entscheidung nicht mit einem Einspruch angefochten werden kann, im gerichtlichen Verfahren ausschließlich der Urkundenbeweis zulässig ist und das Gericht in der Sache keine mündliche Verhandlung abhalten kann?

 Zu den Vorlagefragen

19      Mit seinen sieben Fragen wirft das vorlegende Gericht die drei folgenden Gruppen von Fragen auf.

20      Erstens möchte es mit seiner dritten Frage wissen, ob Art. 56 AEUV dahin auszulegen ist, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, wonach in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Werbedienstleister für die Zwecke ihrer Besteuerung mit einer Werbesteuer anmeldepflichtig sind, während die im Mitgliedstaat der Besteuerung ansässigen Werbedienstleister von dieser Pflicht mit der Begründung befreit sind, dass sie wegen ihrer Steuerpflicht bezüglich anderer im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats geltender Steuern anmelde- oder registrierungspflichtig seien.

21      Zweitens möchte das vorlegende Gericht mit seinen Fragen 1, 2, 4 und 6 im Kern wissen, ob Art. 56 AEUV dahin auszulegen ist, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, aufgrund deren gegen in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Dienstleister, die einer Pflicht zur Anmeldung für die Zwecke ihrer Besteuerung mit einer Werbesteuer nicht nachgekommen sind, innerhalb weniger Tage eine Reihe von Geldbußen verhängt wird, deren Betrag ab der zweiten Geldbuße bei jeder neuen Feststellung der Nichterfüllung dieser Pflicht im Verhältnis zum Betrag der vorherigen Geldbuße verdreifacht wird und sich letztlich auf einen kumulierten Betrag von mehreren Millionen Euro beläuft, ohne dass diese Dienstleister in der Lage gewesen wären, die Anmeldepflicht vor Erhalt der Entscheidung, mit der der kumulierte Betrag dieser Geldbußen endgültig festgesetzt wird, zu erfüllen, wohingegen der Betrag der Geldbuße, die gegebenenfalls gegen einen im Mitgliedstaat der Besteuerung ansässigen Dienstleister verhängt wird, der einer ähnlichen Anmelde- oder Registrierungspflicht unter Verstoß gegen die allgemeinen Vorschriften des nationalen Steuerrechts nicht nachgekommen ist, wesentlich geringer ist und bei fortgesetzter Nichterfüllung einer solchen Pflicht weder im gleichen Verhältnis noch zwingend innerhalb so kurzer Fristen erhöht wird.

22      Drittens möchte das vorlegende Gericht mit seinen Fragen 5 und 7 im Kern wissen, ob Art. 56 AEUV im Licht der Art. 41 und 47 der Charta dahin auszulegen ist, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, wonach Entscheidungen der Steuerverwaltung, mit denen Sanktionen gegen einen in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Dienstleister verhängt werden, der die nach dieser Regelung vorgeschriebene Anmeldepflicht nicht erfüllt hat, mit einem gerichtlichen Rechtsbehelf anfechtbar sind, in dessen Rahmen das angerufene nationale Gericht im Gegensatz zum gewöhnlichen Einspruchsverfahren in Steuersachen ausschließlich auf der Grundlage von Urkunden entscheidet, ohne über die Möglichkeit zu verfügen, eine mündliche Verhandlung durchzuführen.

23      Diese Fragen sind in der vorstehenden Reihenfolge zu prüfen.

 Zur dritten Frage

24      Zunächst ist festzuhalten, dass das vorlegende Gericht den Gerichtshof zu einer möglichen Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs im Sinne von Art. 56 AEUV befragt, die nicht etwa darin liegen soll, dass Werbedienstleister einer Steuer auf Online-Werbung wie der in Ungarn geltenden unterliegen, sondern allein darin, dass diesen Dienstleistern in diesem Mitgliedstaat aufgrund dessen, dass sie dieser Steuer unterliegen, eine Anmeldepflicht auferlegt wird.

25      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass Art. 56 AEUV jeder nationalen Regelung entgegensteht, die die Erbringung von Dienstleistungen zwischen Mitgliedstaaten gegenüber der Erbringung von Dienstleistungen allein innerhalb eines Mitgliedstaats erschwert (Urteil vom 18. Juni 2019, Österreich/Deutschland, C‑591/17, EU:C:2019:504, Rn. 135 und die dort angeführte Rechtsprechung). Art. 56 AEUV verlangt nämlich die Aufhebung aller Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs, die darauf beruhen, dass der Dienstleistungserbringer in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen niedergelassen ist, in dem die Leistung erbracht wird (vgl. u. a. Urteil vom 22. November 2018, Vorarlberger Landes- und Hypothekenbank, C‑625/17, EU:C:2018:939, Rn. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung).

26      Solche Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs liegen in nationalen Maßnahmen, die die Ausübung dieser Freiheit verbieten, behindern oder weniger attraktiv machen. Dagegen erfasst das in Art. 56 AEUV geregelte Verbot solche Maßnahmen nicht, deren einzige Wirkung es ist, zusätzliche Kosten für die betreffende Leistung zu verursachen, und die die Erbringung von Dienstleistungen zwischen Mitgliedstaaten in gleicher Weise wie ihre Erbringung innerhalb eines Mitgliedstaats berühren (vgl. u. a. Urteil vom 18. Juni 2019, Österreich/Deutschland, C‑591/17, EU:C:2019:504, Rn. 136 und 137 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

27      Im vorliegenden Fall ist gemäß § 7/B Abs. 1 des Werbesteuergesetzes jeder Werbesteuerpflichtige, der von der Steuerverwaltung nicht als zu irgendeiner Steuerart veranlagt registriert ist, verpflichtet, sich binnen 15 Tagen nach Aufnahme der steuerpflichtigen Tätigkeit mittels eines Vordrucks bei der Steuerverwaltung anzumelden.

28      Daraus folgt, dass zum einen die Anmeldepflicht nach § 7/B Abs. 1 dieses Gesetzes keine Bedingung für die Ausübung der Tätigkeit der Verbreitung von Werbung auf ungarischem Hoheitsgebiet ist und dass zum anderen dieser Pflicht solche Werbedienstleister unterliegen, die in Ungarn vor der Aufnahme ihrer steuerpflichtigen Werbetätigkeit nicht steuerlich registriert sind, während Werbedienstleister, die in diesem Mitgliedstaat bereits für irgendeine Steuerart registriert sind, von dieser Pflicht befreit sind, wobei es nicht darauf ankommt, wo alle diese Dienstleister ansässig sind.

29      Diese Anmeldepflicht, bei der es sich um eine Verwaltungsformalität handelt, stellt als solche kein Hindernis für den freien Dienstleistungsverkehr dar.

30      Es ist nämlich in keiner Weise ersichtlich, dass die in § 7/B Abs. 1 des Werbesteuergesetzes vorgesehene Anmeldepflicht für die nicht in Ungarn ansässigen Werbedienstleister einen zusätzlichen Verwaltungsaufwand im Vergleich zu dem bedeutet, dem die dort ansässigen Werbedienstleister unterliegen.

31      Zwar sind in Ungarn ansässige Werbedienstleister von dieser Pflicht ausgenommen. Wie das vorlegende Gericht ausführt, wird nämlich nach nationalem Steuerrecht angenommen, dass sie diese Pflicht automatisch erfüllen.

32      Der Umstand, dass diese Dienstleister von dieser Anmeldepflicht befreit sind, begründet jedoch im Verhältnis zu den in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Werbedienstleistern keine Ungleichbehandlung, die eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs darstellen könnte.

33      Zunächst einmal steht nämlich fest, dass die letztgenannten Dienstleister ebenfalls von der Anmeldepflicht gemäß § 7/B Abs. 1 des Werbesteuergesetzes befreit sind, wenn sie sich bereits für irgendeine andere in Ungarn erhobene direkte oder indirekte Steuer bei der Steuerverwaltung angemeldet oder registriert haben.

34      Sodann hat die Befreiung von dieser Anmeldepflicht, auch wenn sie überwiegend in Ungarn ansässigen Dienstleistern zugutekommt, nicht die Wirkung, von der grenzüberschreitenden Erbringung von Werbedienstleistungen abzuschrecken, sondern den bereits bei der Steuerverwaltung registrierten Dienstleistern die Erledigung einer Verwaltungsformalität zu ersparen, die überflüssig ist, da der Zweck dieser Anmeldepflicht gerade darin besteht, der Steuerverwaltung die Identifizierung der Werbesteuerpflichtigen zu ermöglichen. Insbesondere geht aus den dem Gerichtshof vorliegenden Angaben hervor, dass ein in Ungarn ansässiger Dienstleister verpflichtet ist, einen Antrag auf Eintragung in das Handelsregister und Zuteilung einer Steuernummer zu stellen.

35      Schließlich deutet nichts von dem, was dem Gerichtshof im vorliegenden Verfahren zur Kenntnis gebracht worden ist, darauf hin, dass die Schritte, die zur Erfüllung der fraglichen Anmeldepflicht zu unternehmen sind, aufwändiger wären als die Schritte, die sowohl für die Registrierung bei der Steuerverwaltung wegen einer anderen Steuer als auch für die Eintragung in das nationale Handelsregister zu vollziehen sind.

36      Nach alledem ist auf die dritte Frage zu antworten, dass Art. 56 AEUV dahin auszulegen ist, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaats, wonach in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Werbedienstleister für die Zwecke ihrer Besteuerung mit einer Werbesteuer anmeldepflichtig sind, während die im Mitgliedstaat der Besteuerung ansässigen Werbedienstleister von dieser Pflicht mit der Begründung befreit sind, dass sie wegen ihrer Steuerpflicht bezüglich anderer im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats geltender Steuern anmelde- oder registrierungspflichtig seien, nicht entgegensteht.

 Zu den Fragen 1, 2, 4 und 6

37      Es ist darauf hinzuweisen, dass Sanktionsregelungen auf steuerlichem Gebiet zwar mangels unionsrechtlicher Harmonisierung in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fallen, aber nicht dazu führen dürfen, dass die im AEU-Vertrag vorgesehenen Freiheiten beeinträchtigt werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 25. Februar 1988, Drexl, 299/86, EU:C:1988:103, Rn. 17).

38      Daher ist, wie die Generalanwältin in Nr. 63 ihrer Schlussanträge im Kern ausgeführt hat, zu prüfen, ob die Sanktionen, mit denen die Unterlassung der in § 7/B Abs. 1 des Werbesteuergesetzes vorgeschriebenen Anmeldung bewehrt ist, gegen die Dienstleistungsfreiheit nach Art. 56 AEUV verstoßen.

39      Aus den dem Gerichtshof unterbreiteten Angaben geht hervor, dass nach § 7/B Abs. 2 und 3 des Werbesteuergesetzes jeder Werbesteuerpflichtige, der noch nicht für eine andere Besteuerung bei der staatlichen Steuerverwaltung als Steuerpflichtiger registriert ist und seine Anmeldepflicht nicht erfüllt, sich der Zahlung einer Reihe von Geldbußen aussetzt, bei denen der Betrag der ersten, die auf 10 Mio. HUF (ca. 31 000 Euro) festgesetzt ist, bei jeder neuen Feststellung der Nichterfüllung dieser Pflicht täglich verdreifacht wird, bis er gemäß § 7/D des Gesetzes innerhalb weniger Tage die Höchstsumme von 1 Mrd. HUF (ca. 3,1 Mio. Euro) erreicht.

40      Formal gesehen gilt dieses Sanktionssystem unterschiedslos für alle Steuerpflichtigen, die ihre Anmeldepflicht nach dem Werbesteuergesetz nicht erfüllen, unabhängig davon, in welchem Mitgliedstaat sie ansässig sind.

41      Wie jedoch die Generalanwältin in Nr. 77 ihrer Schlussanträge im Kern ausgeführt hat, laufen nur Personen, die nicht in Ungarn steuerlich ansässig sind, tatsächlich Gefahr, nach § 7/B Abs. 2 und 3 sowie § 7/D des Werbesteuergesetzes sanktioniert zu werden, da in Anbetracht des persönlichen Geltungsbereichs von § 7/B Abs. 1 dieses Gesetzes Dienstleister, die von der staatlichen Steuerverwaltung als Steuerzahler für irgendeine Steuer in Ungarn registriert wurden, von der Anmeldepflicht befreit sind.

42      Zwar können in Ungarn ansässige Werbedienstleister sanktioniert werden, wenn sie ähnliche Anmelde- und Registrierungspflichten, denen sie nach den allgemeinen Vorschriften des nationalen Steuerrechts unterliegen, nicht erfüllen.

43      Das in den §§ 7/B und 7/D des Werbesteuergesetzes vorgesehene Sanktionssystem ermöglicht jedoch die Verhängung von Geldbußen, die wesentlich höher sind als die, die sich aus der Anwendung von § 172 der Besteuerungsordnung für den Fall ergeben, dass ein in Ungarn ansässiger Werbedienstleister die in § 17 Abs. 1 Buchst. b der Besteuerungsordnung vorgeschriebene Registrierungspflicht nicht erfüllt. Zudem werden die nach letzterer Regelung verhängten Geldbußen bei fortgesetzter Nichterfüllung der betreffenden Registrierungspflicht weder in gleich hohem Maße noch zwingend innerhalb ebenso kurzer Fristen erhöht, wie sie im Rahmen des im Werbesteuergesetz vorgesehenen Sanktionssystems gelten.

44      Angesichts der Ungleichbehandlung, die es zwischen Werbedienstleistern einführt, je nachdem, ob sie bereits in Ungarn steuerlich registriert sind oder nicht, stellt das im Ausgangsverfahren in Rede stehende Sanktionssystem eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs dar, die nach Art. 56 AEUV grundsätzlich verboten ist.

45      Eine solche Beschränkung kann jedoch zulässig sein, wenn sie durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist und soweit ihre Anwendung in einem solchen Fall geeignet ist, die Erreichung des verfolgten Ziels zu gewährleisten, und nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist (vgl. in diesem Sinne etwa Urteile vom 26. Mai 2016, NN [L] International, C‑48/15, EU:C:2016:356, Rn. 58, und vom 25. Juli 2018, TTL, C‑553/16, EU:C:2018:604, Rn. 52).

46      Im vorliegenden Fall beruft sich die ungarische Regierung zur Rechtfertigung dieser Beschränkung formal auf die Notwendigkeit, die Kohärenz ihres Steuersystems zu wahren, macht aber hauptsächlich Gründe geltend, die mit der Gewährleistung der Wirksamkeit der Steuerkontrollen und der Steuererhebung zusammenhängen.

47      Insoweit hat der Gerichtshof bereits anerkannt, dass die Notwendigkeit, die Wirksamkeit der Steuerkontrollen zu gewährleisten, sowie die Notwendigkeit, die Beitreibung der Steuer sicherzustellen, zwingende Gründe des Allgemeininteresses darstellen können, die eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs rechtfertigen können. Außerdem hat der Gerichtshof entschieden, dass die Verhängung von Sanktionen einschließlich solcher strafrechtlicher Art als erforderlich angesehen werden kann, um die wirksame Einhaltung einer nationalen Regelung zu gewährleisten, allerdings unter der Voraussetzung, dass Art und Höhe der verhängten Sanktion gemessen an der Schwere der mit ihr geahndeten Zuwiderhandlung in jedem Einzelfall verhältnismäßig sind (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 26. Mai 2016, NN [L] International, C‑48/15, EU:C:2016:356, Rn. 59, und vom 25. Juli 2018, TTL, C‑553/16, EU:C:2018:604, Rn. 57).

48      Was erstens die Geeignetheit des durch die §§ 7/B und 7/D des Werbesteuergesetzes eingeführten Sanktionssystems im Hinblick auf die von der ungarischen Regierung angeführten Ziele betrifft, ist festzustellen, dass die Verhängung von Geldbußen, die ausreichend hoch sind, um die Nichterfüllung der Anmeldepflicht nach § 7/B Abs. 1 dieses Gesetzes zu ahnden, geeignet ist, die Werbedienstleister, die einer solchen Pflicht unterliegen, von deren Verletzung abzuhalten und so zu verhindern, dass dem Mitgliedstaat der Besteuerung die Möglichkeit genommen wird, die Voraussetzungen für die Anwendung der betreffenden Steuer und die Befreiung von ihr wirksam zu kontrollieren.

49      Was zweitens die Frage anbelangt, ob die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Regelung, was die Höhe der bei Verletzung der Anmeldepflicht drohenden Geldbußen betrifft, nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung der von Ungarn geltend gemachten Ziele erforderlich ist, ist festzustellen, dass diese Regelung ein Sanktionssystem einführt, nach dem ein Dienstleister, der diese Verwaltungsformalität nicht erfüllt hat, innerhalb weniger Tage, im Abstand von jeweils nur einem Tag, mit Geldbußen belegt werden kann, deren Betrag ab der zweiten Geldbuße bei jeder neuen Feststellung der Nichterfüllung dieser Pflicht im Verhältnis zur vorherigen Geldbuße verdreifacht wird, bis hin zu einem kumulierten Betrag von 1 Mrd. HUF (ca. 3,1 Mio. Euro), ohne dass die zuständige Behörde diesem Dienstleister die zur Erfüllung seiner Pflichten erforderliche Zeit gewährt, ihm Gelegenheit zur Stellungnahme gibt und selbst die Schwere des Verstoßes prüft. Unter diesen Umständen ist diese Regelung unverhältnismäßig.

50      Zum einen besteht nämlich keine Korrelation zwischen der exponentiellen, innerhalb besonders kurzer Fristen erfolgenden Erhöhung des kumulierten Betrags der Geldbußen, der sich auf mehrere Millionen Euro belaufen kann, und der Schwere des Versäumnisses, innerhalb dieser Fristen die Verwaltungsformalität zu erfüllen, die in der Anmeldepflicht gemäß § 7/B Abs. 1 des Werbesteuergesetzes besteht. So wird die Höhe der verhängten Geldbußen offenbar ohne Berücksichtigung des Umsatzes festgesetzt, der die Bemessungsgrundlage für die zu erhebende Steuer darstellt. Unter diesen Umständen ist es durchaus möglich, dass der kumulierte Betrag der nach § 7/B Abs. 2 und 3 des Werbesteuergesetzes verhängten Sanktionen den Umsatz des Steuerpflichtigen übersteigt.

51      Zum anderen liegen, da die fragliche Regelung den automatischen und „täglichen“ Erlass von Sanktionsentscheidungen wie den im Ausgangsverfahren getroffenen durch die Steuerverwaltung vorsieht, zwischen auf der einen Seite dem Erlass und der Zustellung der ersten Sanktionsentscheidung, mit der dem Steuerpflichtigen eine Geldbuße von 10 Mio. HUF (ca. 31 000 Euro) auferlegt wird, und auf der anderen Seite der Zustellung der letzten Sanktionsentscheidung, aus der sich ergibt, dass der kumulierte Betrag der Geldbußen die gesetzliche Obergrenze von 1 Mrd. HUF (ca. 3,1 Mio. Euro) erreicht, nur wenige Tage. Selbst unter Aufbietung aller gebotenen Sorgfalt wäre der Steuerpflichtige daher in jedem Fall praktisch außerstande, seine Anmeldepflicht im Mitgliedstaat der Besteuerung vor dem Erhalt der letztgenannten Entscheidung in seinem Niederlassungsmitgliedstaat zu erfüllen, und könnte daher die erheblichen Erhöhungen des Betrags der vorhergehenden Geldbußen nicht vermeiden. Dies zeigt auch, dass die in der fraglichen nationalen Regelung vorgesehene Methode zur Berechnung der Geldbußen die Schwere des Fehlverhaltens der Werbedienstleister, die ihre Anmeldepflicht nicht erfüllt haben, nicht berücksichtigt.

52      Zwar kann die Steuerverwaltung, wie die ungarische Regierung in ihren schriftlichen Erklärungen geltend gemacht hat, gemäß § 7/B Abs. 5 des Werbesteuergesetzes die in § 7/B Abs. 2 und 3 dieses Gesetzes vorgesehenen Geldbußen „unbeschränkt“ herabsetzen, wenn der Steuerpflichtige auf die erstmalige Aufforderung durch die Steuerverwaltung seiner Anmeldepflicht nachkommt.

53      Schon aus dem Wortlaut dieser Vorschrift ergibt sich jedoch, vorbehaltlich der Überprüfung durch das vorlegende Gericht, dass die Steuerverwaltung insoweit über eine bloße Möglichkeit verfügt. Eine unverhältnismäßige Geldbuße wird aber nicht allein dadurch verhältnismäßig, dass mitgliedstaatliche Behörden sie nach freiem Ermessen herabsetzen können.

54      Nach alledem ist auf die Fragen 1, 2, 4 und 6 zu antworten, dass Art. 56 AEUV dahin auszulegen ist, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, aufgrund deren gegen in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Dienstleister, die einer Pflicht zur Anmeldung für die Zwecke ihrer Besteuerung mit einer Werbesteuer nicht nachgekommen sind, innerhalb weniger Tage eine Reihe von Geldbußen verhängt wird, deren Betrag ab der zweiten Geldbuße bei jeder neuen Feststellung der Nichterfüllung dieser Pflicht im Verhältnis zum Betrag der vorherigen Geldbuße verdreifacht wird und sich letztlich auf einen kumulierten Betrag von mehreren Millionen Euro beläuft, ohne dass die zuständige Behörde vor dem Erlass der Entscheidung, mit der der kumulierte Betrag dieser Geldbußen endgültig festgesetzt wird, diesen Dienstleistern die zur Erfüllung ihrer Pflichten erforderliche Zeit gewährt, ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme gibt und die Schwere des Verstoßes selbst prüft, wohingegen der Betrag der Geldbuße, die gegebenenfalls gegen einen im Mitgliedstaat der Besteuerung ansässigen Dienstleister verhängt wird, der einer ähnlichen Anmelde- oder Registrierungspflicht unter Verstoß gegen die allgemeinen Vorschriften des nationalen Steuerrechts nicht nachgekommen ist, wesentlich geringer ist und bei fortgesetzter Nichterfüllung einer solchen Pflicht weder im gleichen Verhältnis noch zwingend innerhalb so kurzer Fristen erhöht wird.

 Zur fünften und zur siebten Frage

55      Aus der Antwort auf die Fragen 1, 2, 4 und 6 ergibt sich, dass eine nationale Regelung, die ein Bußgeldsystem wie dasjenige vorsieht, das im Fall der Nichterfüllung der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Anmeldepflicht gilt, mit Art. 56 AEUV unvereinbar ist. Damit erübrigt sich eine Antwort auf die fünfte und die siebte Frage.

 Kosten

56      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt:

1.      Art. 56 AEUV ist dahin auszulegen, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaats, wonach in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Werbedienstleister für die Zwecke ihrer Besteuerung mit einer Werbesteuer anmeldepflichtig sind, während die im Mitgliedstaat der Besteuerung ansässigen Werbedienstleister von dieser Pflicht mit der Begründung befreit sind, dass sie wegen ihrer Steuerpflicht bezüglich anderer im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats geltender Steuern anmelde- oder registrierungspflichtig seien, nicht entgegensteht.

2.      Art. 56 AEUV ist dahin auszulegen, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, aufgrund deren gegen in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Dienstleister, die einer Pflicht zur Anmeldung für die Zwecke ihrer Besteuerung mit einer Werbesteuer nicht nachgekommen sind, innerhalb weniger Tage eine Reihe von Geldbußen verhängt wird, deren Betrag ab der zweiten Geldbuße bei jeder neuen Feststellung der Nichterfüllung dieser Pflicht im Verhältnis zum Betrag der vorherigen Geldbuße verdreifacht wird und sich letztlich auf einen kumulierten Betrag von mehreren Millionen Euro beläuft, ohne dass die zuständige Behörde vor dem Erlass der Entscheidung, mit der der kumulierte Betrag dieser Geldbußen endgültig festgesetzt wird, diesen Dienstleistern die zur Erfüllung ihrer Pflichten erforderliche Zeit gewährt, ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme gibt und die Schwere des Verstoßes selbst prüft, wohingegen der Betrag der Geldbuße, die gegebenenfalls gegen einen im Mitgliedstaat der Besteuerung ansässigen Dienstleister verhängt wird, der einer ähnlichen Anmelde- oder Registrierungspflicht unter Verstoß gegen die allgemeinen Vorschriften des nationalen Steuerrechts nicht nachgekommen ist, wesentlich geringer ist und bei fortgesetzter Nichterfüllung einer solchen Pflicht weder im gleichen Verhältnis noch zwingend innerhalb so kurzer Fristen erhöht wird.

Unterschriften