Freitag, 9. Dezember 2011

OVG NRW: Untersagungsverfügung rechtswidrig

OVG NRW: Untersagungsverfügungen sind auch gegen drittstaatenangehörigen Sportwettenvermittlern rechtswidrig

Der 4. Senat des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen hat ein einem durch die Bielefelder Kanzlei KARTAL Rechtsanwälte geführten Verfahren nach der mündlichen Verhandlung vom 08. Dezember 2011 (Az. 4 A 250/08) die Rechtswidrigkeit einer Untersagungsverfügung der Stadt Wuppertal gegen einen privaten Sportwettenvermittler festgestellt. Die Besonderheit ist, dass der Kläger nicht EU-Staatsbürger ist.

Der Senat stellte klar, dass Drittstaatenangehörige in den Sportwettenverfahren ein Rechtsschutzinteresse haben. Ziel der Untersagungsverfügung sei es gewesen, das (rechtswidrige) Staatsmonopol für Sportwetten durchzusetzen. Auf die Staatsbürgerschaft des Vermittlers käme es hingegen nicht an.

Nach dem VGH Baden-Württemberg (wie bereits am 24.10.2011 berichtet) liegt nunmehr eine weitere zweitinstanzliche Entscheidung vor, wodurch die Rechtswidrigkeit von Untersagungsverfügungen gegen drittstaatenangehörige Vermittler bestätigt wird.

Die Urteilsgründe werden in den kommenden Tagen zugestellt.
Kontakt:
KARTAL Rechtsanwälte
Rechtsanwalt Jusuf Kartal
Friedenstr. 36 (Ecke Jöllenbecker Str.)
D - 33602 Bielefeld


Urteil - weiter unten
weitere Urteile des OVG NRW (13 B 1331/11) vom 30.11.2011 und (Az.: 4 A 17/08) vom 30.09.2011

Grundrechtsberechtigte
Auf die im Teil II des Verfassungsvertrags verankerten Grundrechte der Charta können sich prinzipiell alle Menschen und nicht nur die Angehörigen der Mitgliedstaaten, also die Unionsbürger, berufen. Die klassischen Freiheits-, Gleichheits- und Verfahrensgrundrechte sowie die sozialen Grundrechte stehen damit auch Drittstaatsangehörigen zu. Die Notwendigkeit einer Ausgestaltung dieser Grundrechte als „Jedermann-Rechte“ ergab sich aus den internationalen menschenrechtlichen Verpflichtungen der Mitgliedstaaten. Nach dem Beschluss des Europäischen Rates von Köln sollte der Grundrechte-Konvent die gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten bei der Erarbeitung einer Grundrechtscharta berücksichtigen.
Diese werden aber wiederum nicht nur durch die nationalen Grundrechtskataloge, sondern auch durch die internationalen Verpflichtungen der Mitgliedstaaten beeinflusst. (Bernsdorff, NdsVBl. 2001, 177 (181)
Nur ganz bestimmte Chartarechte bleiben ausnahmsweise Unionsbürgern vorbehalten. Dazu zählen die politischen Mitwirkungsrechte (Art. II-99, II-100) sowie die in den Art. II-102 bis II-106 enthaltenen anderen „Bürgerrechte“ im Titel V. (Quelle: Sven Schulze; „Die Verfassung der Europäischen Union“ bei PD Dr. Thomas Schmitz WS 2004/05 Die Charta der Grundrechte als Teil der Verfassung der Europäischen Union)


Insofern geht das Bundesverwaltungsgericht in dem Verfahren BVerwG 8 C 13.09 von völlig verfehlten Grundlagen aus, indem es noch am 24.11.2010 feststellte:
"Der Kläger wird durch die Untersagung auch nicht in seinen durch das Grundgesetz geschützten Grundrechten verletzt. Auf eine Verletzung der unionsrechtlich garantierten Dienstleistungs- oder Niederlassungsfreiheit kann er sich als türkischer Staatsangehöriger -n i c h t- berufen.“ weiterlesen

Mit dem Urteil vom 14.02.2011 entschied das VG Stuttgart: Türke darf weiter Sportwetten vermitteln. weiterlesen

VGH Baden-Württemberg entscheidet zugunsten eines drittstaatsangehörigen Sportwettenvermittlers Beschluss vom 18. Oktober 2011 (Az. 6 S 1726/11)

Durch den Gleichheitsgrundsatz sind inländische Anbieter den Anbietern aus anderen Mitgliedstaaten gleichzustellen. Zum Europarecht betonte der Senat am 8.11.2005 in Karlsruhe, da sich die Berufsfreiheit länderübergreifend auswirke, seien die europarechtlichen Erwägungen bei der zu fällenden Entscheidung mit zu berücksichtigen. Eine andere Beurteilung würde über den "Umweg" des Art. 3 GG (Gleichheitsgrundsatz) gegen das sogenannte Willkürgebot verstoßen. Quelle Gleiches ergibt sich aus den Gemeinschaftsgrundrechten (vgl. Kapitel III Gleichheit, Art. 20ff Charta der Grundrechte)

Gebot der Inländergleichbehandlung (vgl. Kluth in: Calließ/Ruffert, Art. 50 Rn 36) Die Regelungen müssen unterschiedslos anwendbar sein, d. h. diese gelten in gleicher Weise und mit den gleichen Kriterien für in Deutschland ansässige Wirtschaftsteilnehmer wie für solche aus anderen Mitgliedstaaten (EuGH-Gambelli Rn. 70; s.u.a. Art. 9 EUV Gleichheit, Unionsbürgerschaft)

Wenn die nationalen Verfassungen oder die EMRK höhere Anforderungen bei einem Grundrecht stellen als die Charta, sind diese Ansprüche zu beachten. Dies ergibt sich aus Art. II-113, der anordnet, dass die Bestimmungen der Charta das in anderen Quellen anerkannte Schutzniveau der Menschenrechte unangetastet lassen. Daher haben sich die Staatsorgane bei der Durchführung des Unionsrechts im Rahmen des Handlungsspielraums, den der durchzuführende Rechtsakt ihnen lässt, an die höheren Anforderungen von nationalen Grundrechten oder EMRK-Rechten zu halten. (Schmitz, JZ 2001, 833 (836)

Die Reichweite der Grundrechte wird aus der Charta nicht unmittelbar ersichtlich. Diese geht bezüglich der Gewährung von Schutzrechten teilweise über das deutsche Grundgesetz hinaus. Ihre Grenzen ergeben sich aus der Europäischen Menschenrechtskonvention, auf die verwiesen wird. Quelle

Schutz der Grundrechte in der EU nach dem Vertrag von Lissabon. Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste, Analysen 8/08 vom 20. Februar 2008. mehr

Der Tenor des EuGH-Urteils vom 9. September 2010 in der Rechtssache Ernst Engelmann (C-64/08) lautet:

Art. 43 EG ist dahin auszulegen, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, die den Betrieb von Glücksspielen in Spielbanken ausschließlich Wirtschaftsteilnehmern mit Sitz im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats vorbehält.

Das Transparenzgebot, das sich aus den Art. 43 EG und 49 EG sowie dem Gleichbehandlungsgrundsatz und dem Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit ergibt, steht einer Vergabe sämtlicher Konzessionen für den Betrieb von Spielbanken im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats, die ohne Ausschreibung erfolgt, entgegen.

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Oberverwaltungsgericht NRW, 4 A 250/08

Datum:
08.12.2011
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
4. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
4 A 250/08
Tenor:

Das angefochtene Urteil wird geändert.

Es wird festgestellt, dass die Ordnungsverfügung der Beklagten vom 26. April 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Bezirksregie¬rung E. vom 26. Juli 2006 bei Eintritt des erledigenden Ereignisses im Jahr 2008 rechts¬widrig war.

Es wird festgestellt, dass die Ordnungsverfügung der Beklagten vom 26. April 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Bezirksregie¬rung E. vom 26. Juli 2006 bis zum 31. Dezember 2007 rechtswidrig war.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens beider Instanzen.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreck¬bar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn der Kläger nicht vor der Vollstreckung Sicher¬heit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

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