Mittwoch, 30. September 2015

Regelungen des Glücksspielstaatsvertrags verfassungswidrig


Pressemitteilung und Link zur Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs s.u.


Arendts Anwälte: Bayerischer Verfassungsgerichtshof erklärt Regelungen des Glücksspielstaatsvertrags für verfassungswidrig

Rechtsanwalt Martin Arendts, M.B.L.-HSG

Arendts Rechtsanwälte
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Grünwald, den 30. September 2015 – Mit seiner heute zugestellten Entscheidung vom 25. September 2015 hat der Bayerische Verfassungsgerichtshof über drei Popularklagen entschieden und Reglungen des Glücksspielstaatsvertrags 2012 (GlüStV) für nicht mit der Bayerischen Verfassung vereinbar erklärt (Az. Vf. 9-VII-13, Vf. 4-VII-14 und Vf. 10-VII-14).

So verstößt die Regelung, dass die in dem GlüStV bestimmte Zahl der Wettkonzessionen im Nachhinein durch einen Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz (§ 4 a Abs. 3 Satz 2 GlüStV) abgeändert werden kann, gegen Verfassungsrecht. Diese Ermächtigung der Ministerpräsidentenkonferenz zu einer verbindlichen (Neu-)Festlegung der Zahl der zu vergebenden Konzessionen für Sportwetten verstoße gegen das bundes- und landesverfassungsrechtliche Gebot, dass es auch bei föderalem Zusammenwirken der Bundesländer möglich bleiben muss, einen außenwirksamen Hoheitsakt dem jeweiligen Land zuzurechnen, und ist daher mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV) nicht vereinbar.

Die von der hessischen Landesregierung kürzlich vorgeschlagene Abschaffung der Maximalanzahl von 20 Sportwettenkonzessionen kann daher nicht durch einen Beschluss der Ministerpräsidenten erfolgen. Statt dieser Änderung „light“ wäre vielmehr eine Änderung des Glücksspielstaatsvertrags erforderlich (der alle Länderparlamente zustimmen müssten).

Die vom Verfassungsgerichtshof festgestellte Verfassungswidrigkeit des § 4 a Abs. 3 Satz 2 GlüStV erfasst auch Art. 8 Nr. 5 Alt. 2 AGGlüStV, wonach die Zahl der Wettvermittlungsstellen durch Rechtsverordnung des Staatsministeriums des Innern, für Bau und Verkehr erhöht oder gesenkt werden kann. Denn diese Regelung habe allein den Zweck, für den Fall eines Abänderungsbeschlusses der Ministerpräsidentenkonferenz im Hinblick auf die Konzessionen eine unverzügliche Anpassung der Zahl der Wettvermittlungsstellen zu ermöglichen.

Ungeklärt bleibt dabei, ob die erhebliche sachliche Ungleichbehandlung mit den Vertriebsmöglichkeiten der bisherigen staatlichen Monopol-Glücksspielanbieter mit deutschem Verfassungsrecht und Unionsrecht vereinbar ist.

Auch die Ermächtigung des § 5 Abs. 4 GlüStV zum Erlass einer Werberichtlinie ist mit dem Rechtsstaatsprinzip nicht vereinbar. Die Regelung verstößt – wie schon die Vorschrift des § 4 a Abs. 3 Satz 2 GlüStV – gegen das aus dem Grundgesetz und aus der Bayerischen Verfassung abzuleitende Gebot, dass es auch bei föderaler Kooperation möglich sein muss, die von den Bundesländern im Bereich der unmittelbaren Staatsverwaltung erlassenen Hoheitsakte, soweit ihnen Außenwirkung zukommt, einem einzelnen Land und nicht bloß einer Ländergesamtheit zuzurechnen. Die im Amtsblatt veröffentlichte Werberichtlinie vom 17. Januar 2013 darf von bayerischen Organen nicht mehr angewandt werden.

Die mit den Popularklagen als grundsätzlich problematisch angegriffene Institution des Glücksspielkollegiums wurde vom Verfassungsgerichtshof dagegen als verfassungskonform beurteilt. Es sei verfassungsrechtlich hinnehmbar, dass ein einzelnes Bundesland gegenüber den (Mehrheits-)Entscheidungen des Glücksspielkollegiums kein Vetorecht besitze, weil es dabei nur um den administrativen Vollzug eines staatsvertraglichen Regelwerks gehe, bei dem keine Entscheidungen von erheblichem politischem Gewicht zu treffen seien. Diese Argumentation überrascht angesichts der erheblichen Entscheidungsbefugnis des Glücksspielkollegiums bei der Konzessionsvergabe (u.a. Rücksetzung des Verfahrens auf „Null“ im Herbst 2013 und Entscheidung über die weitere Teilnahme des staatlichen Anbieters ODS Oddset Deutschland Sportwetten GmbH) und bei der Ausgestaltung der Konzessionsbedingungen. Angesichts dessen kann nicht davon ausgegangen werden, dass das Glücksspielkollegium „keinen glücksspielpolitischen Regulierungs- und Gestaltungsspielraum“ habe (so jedoch die Entscheidungsgründe, S. 86).

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Hinweis:
Die insbesondere auf Glücksspiel- und Wettrecht spezialisierte Rechtsanwaltskanzlei Arendts Anwälte vertrat zwei der Popularkläger.
Rechtsanwalt Martin Arendts vertritt in der EuGH-Vorlagesache Ince (Rs. C-336/14) die Angeklagte. In dieser Rechtssache wird der Generalanwalt des EuGH seine Schlussanträge in drei Wochen am 22. Oktober 2015 verkünden.
Quelle


Bayerischer Verfassungsgerichtshof bestätigt Verfassungswidrigkeit des GlüÄndStV und des Glücksspielkollegiums

Ra. Rolf Karpenstein zum wirklichen Inhalt des Urteils vom 15. September 2015
Der Bayerische Verfassungsgerichtshof hat in seinem oft zitierten aber selten zu Ende gelesenen Urteil vom 15.9.2015 – über seine wohlformulierten acht Leitsätze hinausgehend – in Rn. 150 den GlüÄndStV und das Kollegium für verfassungswidrig erklärt. Wie der BayVerfGH klarstellt, fehlt die demokratische Legitimation des allmächtigen Glücksspielkollegiums, wenn die vom Gericht vorgeschlagene verfassungskonforme Lesart des § 9 a Abs. 6 S. 1 und 2 GlüÄndStV, demnach nur diejenigen Bundesländer im Kollegium über andere Bundesländer mitregieren dürfen, die dem Staatsvertrag beigetreten sind, nicht möglich ist. Und diese, vom BayVerfGH in Rn. 150 vorgeschlagene verfassungskonforme Lesart ist nicht möglich, weil die Bundesländer schon im Mai 2012 vertraglich geregelt haben, dass jedes Bundesland über seinen Vertreter im Kollegium selbst dann über andere Bundesländer mitregieren soll, wenn es den Staatsvertrag nicht ratifiziert hat.

Das ging zu schnell? Nunmehr zum Mitschreiben:
Das Bayerische Ministerium des Innern hat mit dem „Glücksspielkollegium“ ein bemerkenswertes Konstrukt geschaffen, dessen verfassungsrechtliche Legitimation heftig umstritten ist, weil ein Bundesland über ein anderes bestimmt und damit seine verfassungsrechtliche Selbstbestimmung in Frage stellt. Z. B. muss sich Hessen dieses Kollegiums „als Organ“ im Rahmen des Konzessionsverfahrens und bei der Glücksspielaufsicht bedienen und kann nicht unabhängig nur nach Recht und Gesetz agieren.
Nach seiner Geschäftsordnung führt das Kollegium „seine Geschäfte nach Maßgabe der Vorschriften des GlüÄndStV sowie der Verwaltungsvereinbarung über die Zusammenarbeit der Länder bei der Glücksspielaufsicht nach § 9 Abs. 3 und die ländereinheitlichen Verfahren nach § 9 Buchst. a GlüÄndStV“. Diese Verwaltungsvereinbarung hat es in sich. Sie wird daher vom BayVerfGH nicht erwähnt. Aber dazu später.
Wer im Kollegium mitbestimmt, ist im GlüÄndStV in § 9a Abs. 6 S. 1 und 2 geregelt. Demnach besteht das Kollegium aus 16 Mitgliedern. Weiter heißt es, dass jedes Land je ein Mitglied benennt. Nimmt man diese Regelung beim Wort, können Vertreter von Bundesländern, die dem Staatsvertrag nicht beigetreten sind, im hessischen Konzessionsverfahren oder bei der Bayerischen Glücksspielaufsicht mitregieren. Bekanntlich hatten das aufrechte VG Wiesbaden und der VGH Kassel deshalb Bedenken angemeldet. Zu Recht? Ja, befindet auch der BayVerfGH! Die im GlüÄndStV geschriebene Regelung ist verfassungswidrig. Im Kollegium dürften nur diejenigen Repräsentanten aus Bundesländern mitbestimmen, die sich dem Joch des GlüÄndStV unterworfen haben. In Rn. 150 des Urteils vom 15.09.2015 heißt es daher:
„Das Glücksspielkollegium ist ein von den vertragsschließenden Ländern gebildetes Kollegialorgan, das einen ländereinheitlichen Vollzug bestimmter staatsvertraglicher Vorschriften gewährleisten soll. Diese interne Koordinationsfunktion kann nur von Vertretern solcher Länder erfüllt werden, die an den Vertrag gebunden sind.“
Regieren also im Glücksspielkollegium Vertreter solcher Bundesländer mit, die nicht oder nicht mehr an den Staatsvertrag gebunden sind, fehlen die verfassungsrechtliche Legitimation des Kollegiums und des GlüÄndStV. Deshalb ist eine Regelung im GlüÄndStV, die vorsieht, dass das Glücksspielkollegium „immer“ aus 16 Mitgliedern besteht, so zu Recht der BayVerfGH, verfassungswidrig. Der Freistaat heißt Freistaat, weil er frei ist – mia san mia. Würde die Sportwetten- und Glückspielpolitik des Freistaates durch ein Gremium bestimmt, in dem der Vertreter eines Bundeslandes sitzt, das sich nicht der Knechtschaft des GlüÄndStV unterwirft, sondern ein Las Vegas des Nordens betreibt, ist dies inakzeptabel und verfassungswidrig.
Der BayVerfGH sieht mithin, dass die Verfassungswidrigkeit in der Konstruktion des Staatsvertrages selbst angelegt ist. Der Staatsvertrag regelt gerade nicht, dass die „Koordinationsfunktion“ des Kollegiums nur von Vertretern derjenigen Länder erfüllt werden darf, die an den Vertrag gebunden sind. Der Staatsvertrag regelt in § 9 a Abs. 6 S. 1 und 2 ganz im Gegenteil, dass „das Kollegium aus 16 Mitgliedern besteht“ und dass „*jedes* Land je ein Mitglied“ in das Kollegium entsendet und mit „jedes“ Land kann nur jedes der 16 Bundesländer gemeint sein.
Der BayVerfGH stand daher vor der Frage, ob sich dieser zur Verfassungswidrigkeit des Staatsvertrags führende Konstruktionsfehler beheben lässt.
Ja, meint der BayVerfGH. Man müsse die Regelung in § 9a Abs. 6 S. 1 GlüÄndStV verfassungskonform dahin lesen, dass das Kollegium aus „bis zu“ 16 Mitgliedern besteht. Dann wäre die demokratische Legitimationskette gewahrt und über den Freistaat könnte nicht durch Vertreter von Bundesländern mitregiert werden, die sich nicht dem Staatsvertrag unterworfen haben. § 9 a Abs. 6 S. 1 GlüÄndStV müsse „so gelesen werden, dass das Glücksspielkollegium je nach Anzahl der aktuell am Vertrag beteiligten Bundesländer – aus „bis zu 16 Mitgliedern“ besteht“ heißt es deshalb beim BayVerfGH in Rn. 150 wörtlich.
Diese verfassungskonforme Lesart ist brillant, und nichts anderes erwartet man von bayerischen Verfassungsrichtern. Die Richter erkennen die den Staatsvertrag prägende konstruktive Verfassungswidrigkeit und liefern einen Ausweg, der auf den ersten Blick jedenfalls nicht unvertretbar erscheint, gleich mit.
Wäre da nicht der zweite Blick.
Die verfassungskonforme Lesart des BayVerfGH widerspricht dem in der Verwaltungsvereinbarung vom 28.5.2012 vereinbarten Willen und Interesse aller 16 Bundesländer.
Weil sich die „verfassungskonforme Lesart“ eines Staatsvertrages nicht über eine entgegenstehende vertragliche Vereinbarung hinwegsetzen kann, muss sich der BayVerfGH eingestehen, die Verfassungswidrigkeit des GlüÄndStV in seiner Gesamtheit bestätigt zu haben.
Der BayVerfGH hat sogar gleich zwei Tatsachen übersehen, die seiner verfassungskonformen Lesart entgegenstehen:
  • Es besteht eine vertragliche Vereinbarung zwischen allen 16 Bundesländern, die seiner verfassungskonformen Lesart widerspricht (1)
  • Es gibt eine Praxis aller 16 Bundesländer, die seiner verfassungskonformen Lesart widerspricht (2).
    1. Alle 16 Bundesländer haben in der VwVGlüStV vom 23.5.2012 vereinbart, dass die Mitbestimmung im Kollegium unabhängig vom Beitritt zum Staatsvertrag ist. Die Verwaltungsvereinbarung vom 23.5.2012 regelt die Arbeitsweise des Glücksspielkollegiums und die Zusammenarbeit der Glücksspielaufsichtsbehörden aller 16 Bundesländer. In § 1 ist geregelt, dass dem Glücksspielkollegium die Beurteilung aller Anträge auf Erlaubnisse und Konzessionen sowie aller Fragen der Glücksspielaufsicht („von nicht unerheblicher Bedeutung“) obliegt. In § 21 ist entgegen der Lesart des § 9a Abs. 6 S. 1 und 2 GlüÄndStV durch den BayVerfGH geregelt, dass jedes Bundesland einen Repräsentanten ins Glücksspielkollegium entsendet, der unabhängig von der Beteiligung seines Bundesandes am GlüÄndStV über die anderen Bundesländer mitregiert. Die demokratische Legitimationskette, die der BayVerfGH in Rn. 148 ff. verlangt, wird also von allen 16 Bundesländern einvernehmlich durchbrochen. Wörtlich heißt es in § 21 VwVGlüStV:
      „Länder, die dem Glücksspielstaatsvertrag nicht beigetreten sind, können gleichwohl im Rahmen ihrer glücksspielrechtlichen Regelungen an der Zusammenarbeit nach dieser Verwaltungsvereinbarung teilnehmen.“
    2. Ebenso wie § 2 der Verwaltungsvereinbarung, demnach jedes Land – und nicht, entsprechend der verfassungskonformen Leseart des BayVerfGH, lediglich die aktuell am Staatsvertrag beteiligten Länder – gegenüber der Geschäftsstelle des Kollegiums ein Mitglied für die Mitbestimmung und Beschlussfassung im Kollegium benennt, ist die Regelung in § 21 vollkommen eindeutig. Alle 16 Länder wollen, dass alle 16 Länder über alle am Staatsvertrag aktuell beteiligten Länder – einschließlich des Freistaates, sollte dieser nicht kündigen – im Rahmen der allumfassenden Befugnisse des Glücksspielkollegiums unabhängig davon mitbestimmen, ob sie sich den Beschränkungen des Staatsvertrages unterworfen haben oder ein unionsrechtskonformes Regime betreiben. Alle 16 Länder haben einvernehmlich geregelt, dass § 9a Abs. 6 S. 1 und S. 2 GlüÄndStV so gemeint sind, wie sie geschrieben stehen: „Das Kollegium hat 16 Mitglieder – und mitnichten lediglich „bis zu“ 16 Mitglieder – und jedes der 16 Bundesländer entsendet ein Mitglied ins Kollegium“.
    3. Sollte also ein rechtsstaatlich orientiertes Bundesland, nehmen wir als fiktives Beispiel das Saarland, seine Mitgliedschaft im Staatsvertrag kündigen und ohne Internetjäger ein Las Vegas des Westens errichten, kann jenes Bundesland nach dem Willen aller 16 Bundesländer weiterhin über das Schicksal der am GlüÄndStV beteiligten Bundesländer mitregieren, ohne selbst den Beschränkungen des GlüÄndStV unterworfen zu sein. Und dies – so auch der BayVerfGH – ist eine nicht heilbare verfassungswidrige Konstruktion des GlüÄndStV.
    4. Diese für die Monopolisten tragische Tragweite der Verwaltungsvereinbarung wird durch die vom bayerischen Verfassungsgerichtshof ebenfalls „übersehene“ Praxis im Kollegium vor dem Beitritt von Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein zum GlüÄndStV bestätigt. Alle Bundesländer haben diese Verwaltungsvereinbarung so praktiziert wie sie geschrieben steht, bevor Schleswig-Holstein und NRW dem Staatsvertrag beigetreten sind. Alle 16 Bundesländer waren damit einverstanden, dass die Vertreter von Schleswig Holstein und NRW im Kollegium über die am Staatsvertrag beteiligten Länder mitregieren, bevor NRW und Schleswig-Holstein dem Staatsvertrag beigetreten sind.
    5. Die Vertreter aller 16 Bundesländer trafen sich z. B. am 11. Juli 2012 im Kollegium, um sich zu konstituieren. Dabei regierte in Schleswig Holstein noch das sog. Glücksspielgesetz und es wurden bis in den Januar 2013 hinein Genehmigungen für Online-Casino und Sportwetten vergeben.
    6. Mit bindender Wirkung für den Freistaat wurde im Juli 2012 im Kollegium u.a. auch beschlossen, dass Hessen zu einem Fachgespräch am 2.8.2012 nachmittags in Wiesbaden einladen soll. Mit dabei waren Vertreter aus NRW und SH, obwohl jene Bundesländer dem Staatsvertrag nicht beigetreten waren. 16 Vertreter der Bundesländer legten dann im Rahmen ihrer Zusammenarbeit im Glücksspielkollegium im Juli 2012 die Grundzüge des Konzessionsverfahrens fest und verdeutlichten, dass die verfassungskonforme Lesart des § 9a Abs. 6 S. 1 GlüÄndStV durch den BayVerfGH gerade nicht gewollt ist.
Ob den bayerischen Verfassungsrichtern die Verwaltungsvereinbarung der 16 Bundesländer vom 23.5.2012 und die seiner verfassungskonformen Lesart entgegenstehende Praxis der 16 Bundesländer im Kollegium bekannt waren, mag man glauben oder nicht. Fest steht jedenfalls, dass das Urteil des BayVerfGH im Unterschied zur EuGH-Entscheidung in der Rs. C-336/14 auf einem unvollständig ermittelten Sachverhalt beruht und um den Leitsatz ergänzt werden muss, dass die gesamte Konstruktion des Staatsvertrages um das Kollegium herum verfassungswidrig und damit nichtig ist. Die verfassungskonforme Lesart der für den Staatsvertrag maßgeblichen Regelung in § 9a Abs. 6 S. 1 und 2 GlüÄndStV widerspricht nämlich dem schriftlich niedergelegten Willen sowie der in Protokollen manifestierten Praxis der Bundesländer im Kollegium.

Fazit: Das Glücksspielkollegium hat sich nicht nur verfassungswidrig unter Beteiligung zweier Fremdkörper konstituiert, sondern hat auch in der Folge verfassungswidrig über das Konzessionsverfahren und andere Dinge entschieden. Damit nicht genug. Der GlüÄndStV weist einen nicht behebbaren Konstruktionsfehler auf, weil das Kollegium nach dem vertraglich niedergelegten Willen aller 16 Bundesländer „immer“ aus 16 Repräsentanten aller 16 Bundesländer besteht, so dass der Freistaat ohne demokratische Legitimationskette durch andere Bundesländer, die sich nicht dem Joch des GlüÄndStV unterworfen haben, fremdbestimmt werden kann.
Mit dem Urteil des BayVerfGH bricht der Staatsvertrag einmal mehr auseinander. Mit der Unions- und Verfassungswidrigkeit der Experimentierklausel und des Konzessionsverfahrens bleibt das verfassungs- und unionsrechtswidrige Wettmonopol mit den Restriktionen übrig, die sich nur an die nicht grundrechtsfähigen staatlichen Lotterieunternehmen wenden. Unter dem Joch des Staatsvertrages stöhnen somit auch aus Sicht des BayVerfGH nur die fiskalisch ausgerichteten staatlichen Lotterieunternehmen.

Private Anbieter von Sportwetten oder Glücksspielen hingegen dürfen sich auf der Grundlage ihrer Genehmigung im EU-Ausland ohne deutsche Erlaubnis – im Rahmen der EU-konformen öffentlich-rechtlichen deutschen Regelungen – betätigen. Sie sind angesichts der Regelungswut des deutschen und des EU-Gesetzgebers zwar alles andere als frei in ihrer Betätigung; sie müssen zum Beispiel das Bundesjugendschutzgesetz beachten und die EU-Regelungen über Arbeitszeiten und den Arbeitsschutz. Im Schutzbereich des Artikels 56 AEUV brauchen private Anbieter aber nicht die spezifischen Beschränkungen des GlüÄndStV einzuhalten. Diese fachspezifischen Beschränkungen richten sich, auch wenn dies Verwaltungsträger nicht gerne lesen, nur an die wenigen in Deutschland nach dem GlüÄndStV oder den Ausführungsgesetzen der Länder erlaubten Anbieter. Das sind derzeit nur die staatlichen Lotterieunternehmen. Die zahlreichen Beschränkungen des GlüStV und des GlüÄndStV wurden nämlich geschaffen, um zu legitimieren, dass nach dem Genehmigungsregime des Staatsvertrages nur staatliche Wettanbieter und allenfalls – dies aber nur in der grauen Theorie – einige wenige sog. Konzessionäre (vgl. § 10 a GlüÄndStV, „Experimentierklausel“) Sportwetten anbieten dürfen.

Wie der EuGH – auch unter Berücksichtigung der schriftlichen Stellungnahme der Bundesregierung – in der Rechtssache C-336/14 bestätigt, dürfen die unionsrechtswidrig von einer deutschen Erlaubnis ausgeschlossenen privaten Glücksspiel- und Wettanbieter nicht in einem – so die Worte des EuGH (vgl. Rn. 29) – „fiktiven Erlaubnisverfahren“ verpflichtet werden, die zur Legitimation des Monopols/Oligopols geschaffenen Vermarktungsbeschränkungen einzuhalten. So meinte das vom vorlegenden AG Sonthofen benannte BVerwG in einem Urteil vom 16.5.2013, eine Untersagung dürfe „präventiv“ darauf gestützt werden, dass die Einhaltung der im GlüStV bestimmten „ordnungsrechtlichen Anforderungen insbesondere des Jugend- und des Spielerschutzes“ nicht (jedenfalls nicht für die Untersagungsbehörde „erkennbar“) eingehalten sind. Dieser bedenklichen richterlichen Praxis ist der EuGH in Beantwortung der ersten Vorlagefrage entgegengetreten und hat verdeutlicht, dass die materiell-rechtlichen Beschränkungen des Staatsvertrages selbstverständlich nicht zur Grundlage staatlicher Eingriffe gemacht werden dürfen.

Auch das Bundesverwaltungsgericht hatte in seinen beiden Urteilen vom 24.11.2010 (8 C 14.09, 15.9, Rn. 26 – 35) bestätigt, dass sich die materiell-rechtlichen Beschränkungen im GlüStV selbstredend nur an die nicht durch die Grundfreiheiten des AEUV begünstigten staatlichen Lotterieunternehmen und allenfalls (gäbe es ein verfassungskonformes rechtskräftig abgeschlossenes Konzessionsverfahren) an die Konzessionäre richten. Diese Systematik des GlüStV wurde durch die Experimentierklausel im GlüÄndStV nicht geändert. Die Vermarktungsbeschränkungen sollen weiterhin legitimieren, dass entweder nur staatliche Anbieter oder – temporär – nur ein geschlossener Kreis von Konzessionären Sportwetten in Deutschland legalisiert anbieten darf.

Wer also meint, der Staatsvertrag habe mit seinem das Monopol ergänzenden „Experiment“ seine Systematik geändert, unterliegt einem Irrtum. Dies gilt umso mehr, weil die Experimentierklausel ohnehin unrechtswidrig (EuGH, C-336/14) und verfassungswidrig (VGH Kassel, Beschl. v. 5.1.2016) ist und deshalb dem Schicksal der Nichtigkeit und der Unanwendbarkeit unterfällt.

Auch unsere Kanzlerin bestätigt, dass die Vermarktungsbeschränkungen und die Vorgaben über Art und Zuschnitt von Sportwetten nur auf die erlaubten oder konzessionierten Glücksspiel- und Sportwettanbieter angewendet werden dürfen, weil eben nur diese ihren in der – deutschen – Genehmigung liegenden Wettbewerbsvorteil gegenüber nicht genehmigten Anbietern legitimieren müssen. Wie die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme an den EuGH ausführt, müssten diejenigen Anbieter von Sportwetten oder Glücksspielen, die sich auf Artikel 56 AEUV berufen, die zu ihrem Schutze vor einem fiskalischen Monopol/Oligopol geschaffenen Vermarktungsbeschränkungen nur dann einhalten, wenn sie eine der nach dem Staatsvertrag vorgesehenen Genehmigungen erhalten.

Die Stellungnahme der Bundesregierung sei – erneut – zitiert:
„So haben die derzeit „illegal“ am Markt tätigen privaten Sportwettveranstalter ein erhebliches Interesse daran, eine rechtskräftig abgeschlossene Konzessionserteilung zu verhindern, da sie dann – (nur) im Falle eines Konzessionserhalts – den durch den Glücksspielstaatsvertrag vorgegebenen Beschränkungen unterliegen würden bzw. – (nur) im Falle einer Ablehnung – wieder ernsthaft damit rechnen müssten, dass die jeweiligen Aufsichtsbehörden gegen ihr illegales Sportwettangebot vorgehen würden.“
Auch Skeptiker werden einräumen, dass die schriftliche Stellungnahme unserer Kanzlerin an den EuGH mehr Überzeugungs- und Durchsetzungskraft hat als die von illegitimen fiskalischen Interessen geleiteten Thesen des DLTB und seiner Gesellschafter, demnach sich der GlüStV ohnehin stets bewährt hat.
Um Missverständnisse zu vermeiden, sei die Erläuterung der Systematik des GlüÄndStV durch die Kanzlerin gegenüber dem EuGH, mit ergänzenden Worten aber identischem Content, wiederholt:
„Private Wett- und Glücksspielanbieter, die in Ermangelung eines verfassungs- und unionsrechtkonformen Genehmigungsverfahrens in Deutschland ohne eine deutsche Erlaubnis legal auf der Grundlage ihrer EU-Genehmigung tätig sind, haben – nachvollziehbar – kein gesteigertes Interesse an einer Konzession für Sportwetten, „da sie dann – (nur) im Falle eines Konzessionserhalts – den durch den Glücksspielstaatsvertrag vorgegebenen Beschränkungen unterliegen würden bzw. – (nur) im Falle einer Ablehnung – wieder ernsthaft damit rechnen müssten, dass die jeweiligen Aufsichtsbehörden gegen ihr durch das Unionsrecht, das das Vorliegen einer deutschen Erlaubnis gleichsam fingiert, geschütztes, aber nach deutschem Recht illegales Sportwettangebot vorgehen würden.“
Die Bundesregierung hat ihre Stellungnahme an den EuGH übrigens mit Vertretern der Länder abgestimmt. Auch deshalb wird niemand unterstellen, die Kanzlerin habe den EuGH über die deutsche Sach- und Rechtslage falsch informiert. Wer dennoch behauptet, die zur Legitimation der restriktiven Genehmigungsvergabe geschaffenen materiell-rechtlichen Beschränkungen des Staatsvertrages dürften nach dem gewollten Scheitern eines Genehmigungsverfahrens für Wettveranstalter als Eingriffsgrundlage herangezogen werden, ignoriert nicht nur die Systematik des Staatsvertrages, die Urteile des BVerwG vom 24.11.2010 in 8 C 14.09 und 15.09 und den EuGH, sondern auch die schriftlich niedergelegten Worte unserer Bundesregierung.
Anbietern von Glücksspielen- oder Sportwetten mit Lizenz im EU-Ausland ist deshalb zu empfehlen, unverzüglich Staatshaftungsansprüche geltend zu machen, sollte es zu staatlichen Übergriffen kommen, die auf den GlüÄndStV oder auf Ausführungsgesetze gestützt sind. Zwar ist die Staatshaftung in der Praxis deutscher Gerichte mühsam durchzusetzen. Spätestens nach den Entscheidungen des BayVerfGH vom 15.09.2015 und des EuGH in C-336/14 ist aber von Vorsatz und von Schädigungsabsicht auszugehen, sollte der GlüÄndStV für staatliche Beschränkungen gegenüber EU-Anbietern von Glücksspielen oder Sportwetten herangezogen werden.
Kontakt:Blume Ritscher Nguyen Rega Rechtsanwälte
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Erneute Schlappe für den GlüStV: Bayerischer Verfassungsgerichtshof verwirft Teile als verfassungswidrig

Der Bayerische Verfassungsgerichtshof hat durch Entscheidungen vom 25.9.2015 in den anhängigen Popularklagen Vf. 9-VII-13, 4-VII-14, 10-VII-14, mit Wirkung für den Freistaat Bayern zwei wichtige Elemente des Glücksspielstaatsvertrages als verfassungswidrig verworfen und damit den politischen Handlungsdruck für die Bundesländer noch einmal erhöht.

Dem Freistaat Bayern wird untersagt, sich an Beschlussfassungen der Ministerpräsidenten zur Zahl der Konzessionen und zu den Werberichtlinien für die Zukunft zu beteiligen. Nach der bei ISA soeben veröffentlichten Pressemitteilung sind die Werberichtlinien im Freistaat Bayern unanwendbar, weil die verfassungsrechtliche Ermächtigung zur Mehrheitsentscheidung hierüber mit dem grundgesetzlichen Demokratieprinzip unvereinbar ist. Zahlreiche verfassungsrechtliche Gutachten zu dieser Frage werden damit in der Sache bestätigt.

Der Werberegulierung des Glücksspielstaatsvertrages fehlen damit künftig zumindest in Bayern die inhaltlichen Vorgaben. Politisch spannend ist die Entscheidung darüber hinaus deshalb, weil sie zugleich den Ausweg für die Länder versperrt, auf elegante Weise aus dem Desaster des Konzessionsverfahrens herauszukommen, indem sie schlicht Zahl der Konzessionen anheben.

In der Summe dieser beiden Aspekte liegt die politische Sprengkraft der Entscheidung: Die Kastration der Werberegulierung verbunden mit der Verlängerung der Agonie des Konzessionsverfahrens dürfte und sollte die Politik noch einmal auf den Plan rufen. Denn nicht nur die Gerichte, allen voran das Verwaltungsgericht Wiesbaden, sondern vor allem die hessische Politik dürften sich bestätigt fühlen. Schon seit längerem mahnt diese eine Neuauflage des Glücksspielstaatsvertrages an. Sie ist im schwarz-grünen Koalitionsvertrag der Landesregierung für die laufende Legislaturperiode sogar vereinbart.

Die nun vorliegende Entscheidung liefert hierfür eine Steilvorlage. Das Anliegen erhält aber auch über Hessen hinaus einen wichtigen Neuanstoß. Wenn nämlich gleich mehrere Regulierungsfelder des Glücksspielstaatsvertrages künftig nicht mehr gelebt werden können, verliert das entsprechende Regelwerk seine politische Daseinsberechtigung. Es muss dann über eine Neuauflage nachgedacht werden.

Bei dieser stellt sich dann auch die Frage nach der Aufrechterhaltung der bisherigen Deckelung. Der Bayerische Verfassungsgerichtshof hat diese verfassungsrechtlich an sich nicht beanstandet. Warum er sich insoweit zurückgehalten hat, lässt sich dem bislang nur vorliegenden Tenor nicht entnehmen. An sich wäre zu erwarten gewesen, dass schon diese beanstandet wird. Das gilt umso mehr, als schon vor Inkrafttreten der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts Papier diese Deckelung in einer Monographie als verfassungswidrig verworfen hat. Zwischenzeitlich dürfte dies in der Fachwelt sogar überwiegender Beurteilung entsprechen. Die Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs zu dieser zentralen Frage liest sich vergleichsweise wenig überzeugend. Manches spricht daher dafür, dass die Verwerfung der Deckelung insoweit am Quorum gescheitert ist.

Ebenfalls nicht ganz konsequent erscheint das Urteil in der Beurteilung der Frage länderübergreifend wirkender Erlaubnisse und Konzessionen im ländereinheitlichen Verfahren. Die Argumentationen, mit der der Bayerische Verfassungsgerichtshof die Entscheidungsrolle des Glücksspielkollegiums gegen das Votum eines Bundeslandes verwirft, müssten an sich gleichermaßen für Entscheidungen einer Behörde eines anderen Bundeslandes mit Wirkung für den Freistaat Bayern gelten, soweit diese dabei ein Ermessen oder einen Beurteilungsspielraum ausübt. Für diesen kann nämlich gerade nicht damit argumentiert werden, dass die Entscheidung als solche durch den vom Bayerischen Staatsvolk über den Landtag verabschiedeten Glücksspielstaatsvertrag gewissermaßen vorentschieden ist. Denn es werden gerade Entscheidungsspielräume ausgeübt, mit denen Grundrechtseingriffe vorgenomen werden, welche die bayerische Staatsgewalt rechtfertigen muss. Das Kriterium, ob „Entscheidungen von erheblichem politischem Gewicht“ zu treffen sind, spielt für diese grundrechtliche Dimension der Frage des demokratischen Legitimationszusammenhangs überhaupt keine Rolle. Es bleibt das Problem , dass die Behörde eines anderen Bundeslandes Ermessen und Beurteilungsspielräume ausübt, hinsichtlich derer sich eine Legitimationskette vom bayerischen Staatsvolk über die Verantwortlichkeit der Regierung gegenüber dem Parlament und der Weisungsbefugnis gegenüber der Verwaltung nicht bilden lässt, weil die Entscheidung jemand trifft, der bayerischen Weisungen nicht unterliegt. Für diese Unterbrechung dieser Legitimationskette spielt es keine Rolle, ob es sich um eine politisch bedeutsame Entscheidung handelt oder nicht.
Vor diesem Hintergrund ist rein (verfassungs)rechtlich gesprochen, es geradezu zu erwarten, dass andere Gerichte und Verfassungsgerichte hier weitergehen. Die Entwicklung bleibt abzuwarten.
Quelle:
Rechtsanwalt Dr. Ronald Reichert
Fachanwalt für Verwaltungsrecht
Sozietät Redeker Sellner Dahs
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Bayerischer Verfassungsgerichtshof bringt Glücksspielkollegium ins Wanken
DSWV
30. September 2015
Neufassung des Glücksspielstaatsvertrags unausweichlich

Der Bayerische Verfassungsgerichtshofs hat mit einer heute veröffentlichten Entscheidung zentrale Bestandteile des Glücksspielstaatsvertrags in Frage gestellt. Durch die Entscheidung gerät insbesondere das zentrale Gremium der Glückspielaufsichtsbehörden, das sog. Glücksspielkollegium, ins Wanken. Da durch die Regelungsbefugnisse des Kollegiums das Rechtsstaatsprinzip verletzt wird, darf das Glücksspielkollegium keine Rechtsnormen über Glücksspielwerbung oder Entscheidungen über die Anzahl der zu vergebenden Sportwettenkonzessionen erlassen.

Zuvor hatten bereits zahlreiche Rechtsexperten, wie Professor Gregor Kirchhof und Professor Thomas Würtenberger Zweifel erhoben, ob das Glücksspielkollegium verfassungskonform sei. Auch das Verwaltungsgericht Wiesbaden hat bereits in einer Entscheidung die Verfassungskonformität des Gremiums in Frage gestellt.
Sportwettenkonzessionsverfahren

Durch die Entscheidung wird auch die Zukunft des seit über drei Jahren ergebnislos laufenden Sportwettenkonzessionsverfahrens weiter in Frage gestellt. Der Verfassungsgerichtshof erklärte hierzu:

    “Die zahlenmäßige Beschränkung der Sportwettenkonzessionen und der Erlaubnisse für Wettvermittlungsstellen genügt […] nicht in vollem Umfang den aus dem Rechtsstaatsprinzip sich ergebenden Anforderungen.“

Folge dürfte sein, dass die Ministerpräsidenten die Anzahl der Sportwettenkonzessionen nicht wie im Vertrag vorgesehen durch einen einfachen Beschluss erhöhen können. Sollte das Konzessionsverfahren scheitern, steht damit zwingend eine Neufassung des Staatsvertrags an.
Werberichtlinie unanwendbar

Mit der Entscheidung des Gerichts ist die vom Glücksspielkollegium erlassene Werberichtlinie zudem nicht mehr anwendbar:

    “Auch die allgemeinen Vorschriften über die Zulässigkeit von Glücksspielwerbung entsprechen teilweise nicht den rechtsstaatlichen Anforderungen.“

Mittels der Werberegulierung sollte eigentlich die Erreichung der Ziele des Glücksspielstaatsvertrags, insbesondere der Kanalisierung hin zu lizenzierten Anbietern, gesteuert werden.

DSWV-Präsident Mathias Dahms kommentiert die Entscheidung:

    “Angesichts der Tatsache, dass das Glücksspielkollegium nun teilweise handlungsunfähig ist und entscheidende Bestandteile des Glücksspielstaatsvertrags in Frage stehen, ist ein politischer Neuanfang unausweichlich. Der Glücksspielstaatsvertrag hat sich in der Praxis und vor den Gerichten als untauglich erwiesen. Die Ministerpräsidenten müssen nun endlich über eine rechtssichere Neufassung diskutieren.“

Einen Ausweg aus dem Debakel hat der Verfassungsgerichtshof dem bayerischen Ministerpräsidenten bereits aufgezeigt. Dieser sei „zumindest verpflichtet, eine einvernehmliche Lösung des Konflikts zu suchen und notfalls eine gerichtliche Klärung auf bundesrechtlicher Ebene herbeizuführen oder von dem in § 35 Abs. 3 GlüStV vereinbarten Kündigungsrecht Gebrauch zu machen.“
Quelle: DSWV



Pressemitteilung zur Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs über drei Popularklagen auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit des Glücksspielstaatsvertrags
Veröffentlicht am 30. September 2015
Pressemitteilung zur Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs vom 25. September 2015

über drei Popularklagen

auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit
1. von § 4 a Abs. 3, § 5 Abs. 3 und 4, §§ 9 a, 10 a Abs. 3 und 5, § 19 Abs. 2, § 26 Abs. 1 und § 27 Abs. 2 Satz 2 des Staatsvertrags zum Glücksspielwesen in Deutschland (Glücksspielstaatsvertrag – GlüStV) vom 30. Juni 2012 (GVBl S. 318, 319, BayRS 2187-4-I),
2. des Art. 7 Abs. 1 des Gesetzes zur Ausführung des Staatsvertrages zum Glücksspielwesen in Deutschland (AGGlüStV) vom 20. Dezember 2007 (GVBl S. 922, BayRS 2187-3-I), zuletzt geändert durch § 1 Nr. 205 der Verordnung vom 22. Juli 2014 (GVBl S. 286),
3. der Werberichtlinie vom 17. Januar 2013 (AllMBl S. 3)

I.

Dem Verfahren liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Die zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen Popularklagen betreffen die Frage, ob der Zustimmungsbeschluss des Bayerischen Landtags vom 14. Juni 2012 (GVBl S. 318, BayRS 2187-4-I) zu einer Reihe von Bestimmungen des mit Wirkung vom 1. Juli 2012 geänderten Glücksspielstaatsvertrags sowie einige zu diesem Vertrag ergangene Ausführungsbestimmungen gegen die Bayerische Verfassung (BV) verstoßen.

1. Im Glücksspielstaatsvertrag regeln die Bundesländer die Veranstaltung, die Durchführung und die Vermittlung von öffentlichen Glücksspielen (§ 2 Abs. 1) mit Ausnahme der Gewinnspiele im Rundfunk (§ 2 Abs. 6), wobei für Spielbanken, bestimmte Spielhallen, Gaststätten, bestimmte Wettannahmestellen der Buchmacher und Pferdewetten nur einzelne Vorschriften des Vertrags gelten (§ 2 Abs. 2 bis 5). Öffentliche Glücksspiele bedürfen der Erlaubnis (§ 4 Abs. 1). Das Veranstalten und das Vermitteln öffentlicher Glücksspiele im Internet ist grundsätzlich verboten und kann nur unter besonderen Voraussetzungen erlaubt werden (§ 4 Abs. 4 bis 6). Werbung für öffentliches Glücksspiel ist nur in eingeschränkter Form erlaubt (§ 5). Der Vertrag enthält ferner Regelungen über das ländereinheitliche Verfahren bei der Erteilung glücksspielrechtlicher Erlaubnisse bzw. Konzessionen und der Ausübung der Glücksspielaufsicht (§ 9 a) sowie über die Bündelung der Erlaubnisverfahren für gewerbliche Spielvermittler, die in allen oder mehreren Bundesländern tätig werden wollen (§ 19 Abs. 2).

2. Nach dem Gesetz zur Ausführung des Staatsvertrags nimmt der Freistaat Bayern die Glücksspielaufsicht, die Sicherstellung eines ausreichenden Glücksspielangebots und die Sicherstellung der wissenschaftlichen Forschung zur Vermeidung und Abwehr von Suchtgefahren durch Glücksspiele als öffentliche Aufgaben wahr (Art. 1 Abs. 1). Die dazu ergangenen Einzelbestimmungen wurden an die geänderten staatsvertraglichen Regelungen angepasst.

3. Zur Konkretisierung von Art und Umfang der erlaubten Werbung für öffentliches Glücksspiel beschloss das Glücksspielkollegium der Länder am 7. Dezember 2012 die Werberichtlinie (WerbeRL).

II.

1. Die Antragsteller erheben u. a. folgende Rügen:

a) In dem Erlass überregionaler, bundesweit wirksamer Verwaltungsakte durch Aufsichtsbehörden einzelner Bundesländer im ländereinheitlichen Verfahren nach § 9 a GlüStV und in der Erteilung gebündelter Verwaltungsakte im Rahmen des § 19 Abs. 2 GlüStV liege ein Eingriff in die bundesstaatliche Kompetenzordnung. Ein Bundesland müsse auch Entscheidungen vollziehen, denen es nicht zugestimmt habe. Dadurch werde die Eigenstaatlichkeit der Bundesländer unterminiert; die demokratischen Verantwortungszusammenhänge seien nicht gewahrt. Die Mehrheitsentscheidungen des aus 16 Ländervertretern bestehenden Glücksspielkollegiums dürften keine Bindungswirkung entfalten. Dass der Glücksspielstaatsvertrag erst nach neun Jahren gekündigt werden könne, verstoße ebenfalls gegen das Demokratieprinzip.

b) Die Beschränkung der Konzessionen für Sportwetten auf höchstens 20 und der Zahl der Wettvermittlungsstellen auf höchstens 400 sei unionsrechtswidrig und verletze als objektive Berufswahlregelung u. a. das Grundrecht des Art. 101 BV. Als milderes Mittel komme eine nicht von vornherein zahlenmäßig begrenzte kontrollierte Zulassung privater Anbieter in Betracht, wie der Bereich der Pferdewetten bestätige.

c) Sowohl die allgemeinen Werbebeschränkungen im Glücksspielstaatsvertrag als auch die speziell für die Werbung an Spielhallen geltenden Regelungen verletzten in mehrfacher Hinsicht die Bayerische Verfassung. Die vom Glücksspielkollegium erlassene Werberichtlinie sei als normkonkretisierende Verwaltungsvorschrift wegen Verstoßes gegen den Gesetzesvorbehalt verfassungswidrig und nicht geeignet, die Berufsfreiheit wirksam zu beschränken.

2. Der Bayerische Landtag und die Bayerische Staatsregierung äußern Zweifel an der Zulässigkeit der Popularklagen und halten diese jedenfalls für unbegründet.

III.

1. Der Bayerische Verfassungsgerichtshof sieht die Popularklagen im Hinblick auf zwei Regelungen des Glücksspielstaatsvertrags als begründet an:

a) Die Ermächtigung der Ministerpräsidentenkonferenz zu einer verbindlichen (Neu-)Festlegung der Zahl der zu vergebenden Konzessionen für Sportwetten in § 4 a Abs. 3 Satz 2 GlüStV verstößt gegen das bundes- und landesverfassungsrechtliche Gebot, dass es auch bei föderalem Zusammenwirken der Bundesländer möglich bleiben muss, einen außenwirksamen Hoheitsakt dem jeweiligen Land zuzurechnen.

b) Aus dem gleichen Grund ist auch die dem Glücksspielkollegium durch § 5 Abs. 4 GlüStV erteilte Ermächtigung zum Erlass einer Werberichtlinie mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV) nicht vereinbar.

2. Im Übrigen haben die Popularklagen keinen Erfolg.

a) Insbesondere ist die im Glücksspielstaatsvertrag und im Ausführungsgesetz hierzu bereits enthaltene Beschränkung der Konzessionen für Sportwetten auf höchstens 20 (§ 4 a Abs. 3 Satz 1 i. V. m. § 10 a Abs. 3 GlüStV) und der Zahl der Wettvermittlungsstellen auf höchstens 400 (§ 10 a Abs. 5 Satz 1 GlüStV i. V. m. Art. 7 Abs. 1 Satz 1 AGGlüStV) verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

b) Verfassungsrechtlich unbedenklich sind auch § 5 Abs. 3 GlüStV, der Regelungen zur Werbung für Glücksspiele im Fernsehen und im Internet enthält, sowie die Werbebeschränkungen für Spielhallen in § 26 Abs. 1 GlüStV.

Zu der Entscheidung im Einzelnen:

1. Die Popularklagen sind unzulässig, soweit sie sich gegen die vom Glücksspielkollegium der Länder beschlossene Werberichtlinie wenden. Rechtsnormen, die von einer Gemeinschaftseinrichtung der Bundesländer erlassen und nicht in bayerisches Landesrecht transformiert worden sind, können nicht mit der Popularklage nach Art. 98 Satz 4 BV angegriffen werden.

2. Der Freistaat Bayern war grundsätzlich zum Abschluss des neuen Glücksspielstaatsvertrags berechtigt. Es ist nicht zu beanstanden, dass dieser Vertrag frühestens nach Ablauf von neun Jahren zum 30. Juni 2021 außer Kraft tritt und erst anschließend gekündigt werden kann.

Das Demokratieprinzip (Art. 2 BV) verlangt nicht, dass ein Staatsvertrag noch innerhalb der laufenden Legislaturperiode oder zumindest sogleich nach dem Zusammentritt eines neu gewählten Landtags kündbar sein muss. Enthält der Vertrag eine umfassende Regelung auf einem wichtigen Gebiet der Landesgesetzgebung, ist eine über fünf Jahre hinausreichende Bindung aber nur ausnahmsweise zulässig, z. B. wenn eine aufwendige Organisationsstruktur geschaffen oder ein neues Regelungsmodell erprobt werden soll und dafür eine längere Aufbau-, Versuchs- oder Beobachtungsphase vereinbart wird. Ein solcher Ausnahmefall liegt hier vor. Der Glücksspielstaatsvertrag zielt auf eine (erstmalige) Teilliberalisierung des Sportwettenmarkts und verfolgt dazu ein Regelungskonzept, das nur schrittweise über einen längeren Zeitraum hinweg umgesetzt werden kann.

3. Die Regelungen über das ländereinheitliche Verfahren bei der Erteilung glücksspielrechtlicher Erlaubnisse bzw. Konzessionen und der Ausübung der Glücksspielaufsicht (§ 9 a GlüStV) sowie über die Bündelung der Erlaubnisverfahren für gewerbliche Spielvermittler, die in allen oder mehreren Bundesländern tätig werden wollen (§ 19 Abs. 2 GlüStV), verstoßen nicht gegen zwingende verfassungsrechtliche Vorgaben.

Der auch bei einer intraföderalen Zuständigkeitskonzentration notwendige demokratische Legitimationszusammenhang bleibt gewahrt, weil die länderübergreifend tätigen Vollzugsbehörden an die Beschlüsse des Glücksspielkollegiums gebunden sind, das seinerseits aus weisungsunterworfenen Vertretern der Bundesländer besteht. Dass das einzelne Bundesland gegenüber den (Mehrheits-)Entscheidungen des Glücksspielkollegiums kein Vetorecht besitzt, ist verfassungsrechtlich hinnehmbar, weil es nur um den administrativen Vollzug eines staatsvertraglichen Regelwerks geht, bei dem keine Entscheidungen von erheblichem politischem Gewicht zu treffen sind.

4. Die Kontingentierung der Sportwettenkonzessionen und der Erlaubnisse für die zugehörigen Wettvermittlungsstellen ist mit der Bayerischen Verfassung vereinbar, soweit die jeweilige Zahl durch den Staatsvertrag auf 20 (§ 4 a Abs. 3 Satz 1 i. V. m. § 10 a Abs. 3 GlüStV) bzw. durch das Landesgesetz auf 400 (§ 10 a Abs. 5 Satz 1 GlüStV i. V. m. Art. 7 Abs. 1 Satz 1 AGGlüStV) begrenzt worden ist. Dass die vertraglich bestimmte Zahl der Wettkonzessionen im Nachhinein durch einen Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz (§ 4 a Abs. 3 Satz 2 GlüStV) abgeändert werden kann, widerspricht dagegen zwingenden verfassungsrechtlichen Vorgaben.

a) Die Kontingentierung verfolgt insbesondere mit der Verhinderung von Glücksspiel- und Wettsucht und der wirksamen Suchtbekämpfung ein besonders wichtiges Gemeinwohlziel. Die Limitierung der Wettkonzessionen und Vermittlungserlaubnisse ist auch erforderlich, weil nach der verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden Beurteilung des Gesetzgebers kein milderes Mittel zur Verfügung steht, mit dem sich die Ziele des § 1 GlüStV ebenso umfassend und effektiv erreichen ließen. Ein bloßer Genehmigungsvorbehalt ohne zahlenmäßige Begrenzung könnte auf längere Sicht zu einer erheblichen Vermehrung der Sportwettenangebote führen, sodass die Suchtgefahr ansteigen und die ordnungsbehördliche Überwachung erschwert würde. Auch die Tatsache, dass in anderen Glücksspielsektoren, z. B. bei den Pferdewetten, lediglich subjektive Berufszugangsbeschränkungen bestehen und auf eine Kontingentierung der Erlaubnisse verzichtet wird, lässt nicht den Schluss zu, dass das für Sportwetten angestrebte Schutzniveau bereits mit einer weniger restriktiven Regelung erreichbar wäre. Eine unzumutbare Belastung der privaten Anbieter ist nicht gegeben.

b) Die Ermächtigung der Ministerpräsidentenkonferenz zu einer verbindlichen (Neu-) Festlegung der Zahl der zu vergebenden Konzessionen für Sportwetten verstößt gegen das bundes- und landesverfassungsrechtliche Gebot, dass es auch bei föderalem Zusammenwirken der Bundesländer möglich bleiben muss, einen außenwirksamen Hoheitsakt dem jeweiligen Land zuzurechnen, und ist daher mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV) nicht vereinbar. Anders als beim bloßen Vollzug inhaltlich übereinstimmender Landesrechtsnormen, der in den oben aufgezeigten Grenzen durch eine für alle beteiligten Länder zuständige Behörde erfolgen kann, darf eine Gemeinschaftseinrichtung der Länder – zumindest für den Bereich der unmittelbaren Staatsverwaltung – nicht zu einer ländereinheitlichen Normsetzung ermächtigt werden. Zudem enthält der Glücksspielstaatsvertrag keine Hinweise zu den Kriterien, anhand derer die Änderungskompetenz ausgeübt werden soll.

c) Die festgestellte Verfassungswidrigkeit des § 4 a Abs. 3 Satz 2 GlüStV erfasst auch Art. 8 Nr. 5 Alt. 2 AGGlüStV, wonach die Zahl der Wettvermittlungsstellen durch Rechtsverordnung des Staatsministeriums des Innern, für Bau und Verkehr erhöht oder gesenkt werden kann. Denn diese Regelung hat allein den Zweck, für den Fall eines Abänderungsbeschlusses der Ministerpräsidentenkonferenz im Hinblick auf die Konzessionen eine unverzügliche Anpassung der Zahl der Wettvermittlungsstellen zu ermöglichen.

5. Die allgemeinen Werbevorschriften des § 5 Abs. 3 und 4 GlüStV sind mit der Bayerischen Verfassung nicht in vollem Umfang vereinbar.

a) § 5 Abs. 3 GlüStV ist allerdings verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Vorschrift enthält ein grundsätzliches Verbot der Werbung für öffentliches Glücksspiel im Fernsehen, im Internet und über Telekommunikationsanlagen (Satz 1) verbunden mit der Ermächtigung, im ländereinheitlichen Verfahren (Satz 4) Werbung für Lotterien und

Sport- und Pferdewetten im Internet und im Fernsehen zur besseren Erreichung der Ziele des § 1 zu erlauben (Satz 2), wobei unmittelbar vor oder während der Live-Übertragung von Sportereignissen Werbung für darauf bezogene Sportwetten im Fernsehen unzulässig bleibt (Satz 3). Die in diesen Regelungen enthaltenen Differenzierungen sind sachlich gerechtfertigt. Insbesondere durfte der Gesetzgeber das totale Fernseh- und Internetwerbeverbot für Geldautomaten- und Casinospiele als erforderlich ansehen, weil diese Glücksspielformen – auch im Vergleich zu Lotterien und Sportwetten – nach bisher gewonnenen Erkenntnissen ein besonders hohes Suchtpotenzial aufweisen.

b) Die Ermächtigung des § 5 Abs. 4 GlüStV zum Erlass einer Werberichtlinie ist dagegen mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV) nicht vereinbar. Die Regelung verstößt – wie schon die Vorschrift des § 4 a Abs. 3 Satz 2 GlüStV – gegen das aus dem Grundgesetz und aus der Bayerischen Verfassung abzuleitende Gebot, dass es auch bei föderaler Kooperation möglich sein muss, die von den Bundesländern im Bereich der unmittelbaren Staatsverwaltung erlassenen Hoheitsakte, soweit ihnen Außenwirkung zukommt, einem einzelnen Land und nicht bloß einer Ländergesamtheit zuzurechnen.

6. Die in § 26 Abs. 1 GlüStV enthaltenen speziellen Werbebeschränkungen für Spielhallen verstoßen weder gegen das rechtsstaatliche Bestimmtheitsgebot noch gegen Grundrechte der Bayerischen Verfassung. Danach darf von der äußeren Gestaltung einer Spielhalle keine Werbung für den Spielbetrieb oder die in der Spielhalle angebotenen Spiele ausgehen; ebenso wenig darf durch eine besonders auffällige Gestaltung ein zusätzlicher Anreiz für den Spielbetrieb geschaffen werden. Die genaue Reichweite des Werbeverbots bei der äußeren Gestaltung von Spielhallen lässt sich durch Auslegung hinreichend bestimmen. Mit der Regelung, die der Suchtprävention dient, werden die Spielhallenbetreiber nicht in unzumutbarer Weise in ihrer wirtschaftlichen Entfaltung eingeschränkt.

7. Die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs hat zur Folge, dass sich die Vertreter des Freistaates Bayern in der Ministerpräsidentenkonferenz und im Glücksspielkollegium der Länder an keiner Beschlussfassung zu einer (Neu-)Festlegung der Zahl der zu vergebenden Konzessionen für Sportwetten bzw. zur Werberichtlinie beteiligen dürfen. Die Werberichtlinie darf von bayerischen Organen nicht mehr angewandt werden.

Quelle: Bayerischer Verfassungsgerichtshof



Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs

vom 25. September 2015
über die Popularklagen
der S. GmbH in M. u. a.

auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit

1. von § 4 a Abs. 3, § 5 Abs. 3 und 4, §§ 9 a, 10 a Abs. 3 und 5, § 19 Abs. 2, § 26 Abs. 1 und § 27 Abs. 2 Satz 2 des Staatsvertrags zum Glücksspielwesen in Deutschland (Glücksspielstaatsvertrag – GlüStV) vom 30. Juni 2012 (GVBl S. 318, 319, BayRS 2187-4-I),
2. des Art. 7 Abs. 1 des Gesetzes zur Ausführung des Staatsvertrages zum Glücksspielwesen in Deutschland (AGGlüStV) vom 20. Dezember 2007 (GVBl S. 922, BayRS 2187-3-I), zuletzt geändert durch § 1 Nr. 205 der Verordnung vom 22. Juli 2014 (GVBl S. 286),
3. der Werberichtlinie vom 17. Januar 2013 (AllMBl S. 3)

Aktenzeichen:
Vf.   9-VII-13
Vf.   4-VII-14
Vf. 10-VII-14

L e i t s ä t z e :

1. Rechtsnormen, die von einer Gemeinschaftseinrichtung der Bundesländer erlassen und nicht in bayerisches Landesrecht transformiert worden sind, können nicht mit der Popularklage nach Art. 98 Satz 4 BV angegriffen werden.
2. Das Demokratieprinzip (Art. 2 BV) verlangt nicht, dass ein Staatsvertrag noch innerhalb der laufenden Legislaturperiode oder zumindest sogleich nach dem Zusammentritt eines neu gewählten Landtags kündbar sein muss. Enthält der Vertrag eine umfassende Regelung auf einem wichtigen Gebiet der Landesgesetzgebung, ist eine über fünf Jahre hinausreichende Bindung aber nur ausnahmsweise zulässig, z. B. wenn eine aufwendige Organisationsstruktur geschaffen oder ein neues Regelungsmodell erprobt werden soll und dafür eine längere Aufbau-, Versuchs- oder Beobachtungsphase vereinbart wird.
3. Die bundesstaatliche Kompetenzordnung und das rechtsstaatliche Erfordernis der Zuständigkeits- und Verantwortungsklarheit stehen der staatsvertraglich vereinbarten Übertragung einzelner Länderaufgaben auf eine für alle Bundesländer gemeinschaftlich zuständige Landesbehörde nicht grundsätzlich entgegen.
4. Der auch bei einer intraföderalen Zuständigkeitskonzentration notwendige demokratische Legitimationszusammenhang bleibt gewahrt, wenn die länderübergreifend tätigen Vollzugsbehörden an die Beschlüsse einer gemeinschaftlichen Aufsichtsinstanz gebunden sind, die ihrerseits aus weisungsunterworfenen Vertretern der Bundesländer besteht.
5. Dass das einzelne Bundesland gegenüber den (Mehrheits-)Entscheidungen eines intraföderalen Beschlussorgans kein Vetorecht besitzt, ist jedenfalls dann verfassungsrechtlich hinnehmbar, wenn es nur um den administrativen Vollzug eines staatsvertraglichen Regelwerks geht, bei dem keine Entscheidungen von erheblichem politischen Gewicht zu treffen sind.
6. Die im Glücksspielstaatsvertrag der Länder vorgesehene Kontingentierung der Konzessionen für Sportwetten und die im bayerischen Ausführungsgesetz zum Glücksspielstaatsvertrag enthaltene zahlenmäßige Beschränkung der Erlaubnisse für Wettvermittlungsstellen verstoßen nicht gegen die Bayerische Verfassung.
7. Die Ministerpräsidentenkonferenz und das Glücksspielkollegium der Länder sind intraföderale Organisationseinheiten, für deren „landesrechtsfreies“ gemeinsames Tätigwerden kein einzelnes Bundesland rechtlich einzustehen hat. Rechtsetzungsbefugnisse dürfen solchen Stellen daher nicht übertragen werden.
8. Die im Glücksspielstaatsvertrag enthaltenen speziellen Werbebeschränkungen für Spielhallen verstoßen weder gegen das rechtsstaatliche Bestimmtheitsgebot noch gegen Grundrechte der Bayerischen Verfassung.

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Pressespiegel

Die Welt: Bayerns Verfassungsrichter
Bedenken wegen Glücksspielstaatsvertrag

Der Bayerische Verfassungsgerichtshof hat beim Glücksspielstaatsvertrag rechtliche Bedenken in Bezug auf die Konzessionen für Anbieter von Sportwetten.
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Bayerns Verfassungsrichter: Bedenken wegen Glücksspielstaatsvertrag
Wetten auf die Champions-League oder die Bundesliga sind in Deutschland seit längerem ein schwieriges Thema. Denn gegen den Glücksspielstaatsvertrag laufen viele Klagen. In Bayern gibt es nun ein Urteil - weitere stehen noch aus.

Weitere wichtige Entscheidungen im Zusammenhang mit Sportwetten stehen noch aus, so etwa vom Hessischen Verwaltungsgerichtshof und vom Europäischen Gerichtshof.
Mit dem mühsam ausgehandelten Vertrag konnten die Länder nach einer entsprechenden Vorgabe vom Europäischen Gerichtshof am staatlichen Lottomonopol festhalten, indem sie den Markt für Private öffneten.
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