Mittwoch, 20. Juli 2011

Brüssel verwirft Vorschlag der der Ministerpräsidenten

Armutszeugnis, Blamage, Klatsche: Verheerendes Urteil für den Entwurf des deutschen Glücksspielstaatsvertrages - Brüssel verwirft Vorschlag der Ministerpräsidenten

Von Andreas Schultheis
Brüssel/Kiel/München, Juli 2011 - Es kam wie es kommen musste: Auf elf Seiten zerpflückt die Europäische Kommission den Vorschlag der 15 Bundesländer (E 15) - mit Ausnahme Schleswig-Holsteins - für einen Glücksspielstaatsvertrag (GlüStV). Insbesondere kritisiert Brüssel den E 15-Entwurf, weil hier ab 2012 sieben zeitlich befristete bundesweite Lizenzen vorgesehen sind, womit der Sportwettenmarkt bestenfalls bedingt geöffnet werde.

Worauf sich die Anzahl von sieben Lizenzen gründet, ist bis heute ein wohl gehütetes Geheimnis der Ministerpräsidentenkonferenz und ihrer Glücksspielreferenten. Außerdem sieht der Entwurf eine nicht wettbewerbsfähige Konzessionsabgabe von 16,66 Prozent des Spieleinsatzes zusätzlich zur normalen Umsatzsteuer vor.

Nun heißt es erst einmal „Nachsitzen“ für 15 von 16 Bundesländern, was Experten jedoch kaum überrascht. „Die Warnsignale waren nicht zu übersehen und zu überhören. Alle Ampeln standen auf Dunkelrot“, erinnert der Münchener Rechtsanwalt Dr. Wulf Hambach von Hambach & Hambach Rechtsanwälte http://www.timelaw.de an die Stellungnahmen von Branchen- und Rechtsexperten sowie Sportverbänden in den letzten Monaten. Zudem habe das bereits von der EU akzeptierte Modell Schleswig-Holsteins den Weg gewiesen. Stattdessen hätten 15 Bundesländer sehenden Auges den Schiffbruch in Kauf genommen und sich auf die Argumentation von Suchtbekämpfung und Spielerschutz zurückgezogen.

Verzockt: Zeitspiel wird bestraft

Als „EU-Klatsche für die Glücksspiel-Pläne“ der Länder bezeichnet nun beispielsweise das Handelsblatt http://www.handelsblatt.de die Ablehnung aus Brüssel, von einer „Schlappe“ spricht die Tageszeitung DIE WELT http://www.welt.de, das Sportmagazin Kicker http://www.kicker.de wertet den Rüffel gar als „Rote Karte“, seit Jahren habe die deutsche Politik auf Zeit gespielt. Das Ergebnis: „Die EU-Kommission kommt nun zu dem Schluss, dass die Restriktionen des Länderentwurfs den privaten Anbietern keine faire Chance zur Wirtschaftlichkeit geben würden. Wollen die Bundesländer Klagen vermeiden, müssen sie den Entwurf überarbeiten.“ Und dazu bleibt offensichtlich wenig Zeit. Bis zum 18. August soll nachgebessert werden. Gelingt dies nicht in überzeugendem Maß, droht der Bundesrepublik ein Vertragsverletzungsverfahren. Doch soweit hätte es nach Ansicht des Karlsruher Rechtsanwaltes und Branchenkenners Dieter Pawlik nicht kommen müssen, der in einem Beitrag für das Fachmagazin Isa-Casinos die jahrelangen Verhandlungen der Länder kritisiert und diese nun blamiert sieht: „Es ist mehr als peinlich, dass die Glücksspielreferenten der Länder auch nach über zehnjähriger Auseinandersetzung mit der Materie wieder einmal ein Ergebnis vorgelegt haben, das wegen unverständlich zahlreichen rechtswidrigen Regelungen erneut zum Desaster geriet.
Es bleibt hier die ernste Frage, wie es möglich ist, dass mit erheblichen Steuergeldern bezahlte ‚Spezialisten’ nichts als wertlose Machwerke produzieren und hierdurch ihren
Regierungen wie auch dem Ansehen Deutschlands eine Blamage nach der anderen bereiten.“

Nun müssen sich die Länder den Realitäten stellen, wie es die Frankfurter Rundschau http://www.fr-online.de fordert. Sie tituliert die verfahrene Situation auch der Detaile Opinion der EU schlicht als „Armutszeugnis“ und Realitätsverweigerung: „Schlimmer als das Verfahrensmikado der EU ist die Unfähigkeit der Länder, sich bei der Regulierung und Liberalisierung des hart umkämpften Glücksspielmarktes auf die Realität einzustellen“, heißt es dort. Für die Überarbeitung des E 15-Entwurfs bedeutet das beispielsweise auch, dass Millionen von Online-Pokerspielern nicht länger ausgegrenzt und kriminalisiert werden. Denn während der E 15-GlüStV die Schwarzmarktbekämpfung als eines seiner Ziele definiert, werden genau mit diesem Gesetz Online-Pokerspieler direkt in die Illegalität gedrängt.

Kieler Grüne: Schleswig-Holstein als Vorbild

Immerhin zeichnet sich Bewegung bei den bisher vehement für den E 15-Entwurf eingetreten Akteuren ab. Monika Heinold, finanzpolitische Sprecherin der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen im Landtag von Schleswig-Holstein, hat ihre Haltung bereits formuliert: „Es ist mehr als peinlich, dass 15 Staatskanzleien es erneut nicht geschafft haben, einen EU-konformen Vorschlag vorzulegen. Es bleibt keine Zeit. Deshalb heißt es nun ‚Zurück auf Los’.“ Es müsse eine verfassungskonforme Lösung erarbeitet werden, die sich am Vorschlag aus Schleswig-Holstein orientiert. Nach der „Ehrenrunde“ der Ministerpräsidenten darf nun spekuliert werden, ob die 15 Bundesländer zum Musterschüler aus dem Norden aufschließen oder ob Schleswig-Holstein ab Herbst als einziges Bundesland über ein international wettbewerbsfähiges und europarechtskonformes Glücksspielgesetz verfügt.

Dass Eile geboten ist, konstatieren auch CDU und FDP im Kieler Landtag, deren eigener Entwurf eines Glücksspielstaatsvertrages eine kontrollierte Marktöffnung, Werbemöglichkeiten sowie Online-Vertrieb bei hohem Spielerschutz vorsieht. „Die 15 Ministerpräsidenten haben sich hoffnungslos verzockt. Obwohl die europarechtlichen Rahmenbedingungen seit Jahren klar sind, wollten sie mit fadenscheinigen Begründungen die Öffnung und Regulierung des Online-Glücksspiels verhindern“, kommentiert FDP-Fraktionschef Wolfgang Kubicki. Und Hans-Jörn Arp, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Union, sieht dem weiteren Procedere äußerst skeptisch entgegen: „Die gescheiterte Vorgehensweise der 15 anderen Bundesländer kann jetzt sogar dazu führen, dass es in Deutschland ab dem 1. Januar 2012 kein Veranstaltungsmonopol für Lotterien mehr geben wird. Unser gesamtes Glücksspielwesen droht zusammenzubrechen.“ Bereits jetzt zeichne sich ab, dass Lotterien aus dem europäischen Ausland mit ihren erheblichen Jackpots auf den deutschen Markt drängen werden. Gleiches gelte für Wettanbieter.

Auch Dr. Wulf Hambach und sein Kollege Maximlian Riege bezweifeln, dass es den 15 Bundesländern gelingt, innerhalb weniger Wochen einen europarechtsfesten Vertragsentwurf vorlegen und bis zum Jahresende umsetzen zu können. Der neue Glücksspielstaatsvertrag dürfte demnach „kaum vor Ablauf der aktuell geltenden Regelung in den Länderparlamenten ratifiziert werden. Dies würde aber bedeuten, dass es in den betroffenen Bundesländern ab dem 1. Januar 2012 keine geltende Glücksspielregulierung mehr gibt“, schreiben sie für Legal Tribune Online http://www.lto.de. Als Gewinner sehen sie dann Schleswig-Holstein. Hier „könnten sich alle an einem legalen Glückspielangebot interessierten Bewerber im Norden der Republik um eine Lizenz bewerben.“ Entsprechende Absichten hatten führende europäische Wettanbieter wie Pokerstars bereits im April öffentlich erklärt.
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