Donnerstag, 16. April 2015

Keine Schadenersatzansprüche wegen Untersagung der Sportwettenvermittlung nach dem Lotteriestaatsvertrag

Sehr geehrte Damen und Herren,

der unter anderem für Ersatzansprüche gegen die öffentliche Hand zuständige III. Zivilsenat des Bundesgerichtshof hat heute die Abweisung der Klagen zweier Gewerbetreibender im Revisionsverfahren bestätigt, denen in den Jahren 2006 und 2007 auf der Grundlage des seinerzeit geltenden Lotteriestaatsvertrages die Vermittlung von Sportwetten untersagt worden war (Az: III 2 R 204/13, III 2 R 333/13). Dies hat der Bundesgerichtshof heute in einer Pressemitteilung verlautbaren lassen. Beklagte waren zwei nordrhein-westfälische Städte, die die Verbote ausgesprochen hatten, sowie das Land Nordrhein-Westfalen, dessen Innenministerium in einem Erlass um die konsequente Durchsetzung des seinerzeitigen staatlichen Sportwettmonopols ersucht hatte. Die Kläger hatten Schadenersatzansprüche mit der Begründung geltend gemacht, das Monopol habe gegen europäisches Recht verstoßen.
Der Zivilsenat entschied nunmehr, dass die Klagen unbegründet seien, da sich die Verfügungen zwar als rechtswidrig herausstellten, jedoch die Rechtslage bis zum Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 08. September 2010 unklar war. Erst aus dieser Entscheidung habe sich die Unzulässigkeit des deutschen staatlichen Sportwettmonopols zweifelsfrei ergeben. Nach Auffassung des Gerichts  fiel den Behörden folglich kein Verschulden zur Last, was notwendig ist, um Schadenersatz zu erlangen.
Der Bundesgerichtshof bleibt damit seiner stringenten Linie im Staatshaftungsrecht treu. Diese Auffassung wird zumindest in Teilen der Literatur anders vertreten und wird zukünftig Gegenstand weiterer juristischer Diskussionen sein.
Mit freundlichen Grüßen
RA Stephan Burger
Justitiar

Quelle: baberlin


s.a.

BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 1 BvR 2571/12 -
- 1 BvR 2622/12 -
In den Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerden

der D… Ltd.,

- Bevollmächtigter:

Rechtsanwalt Rolf Karpenstein
in Sozietät Rechtsanwälte Blume, Ritscher, Nguyen, Rega,
Gerhofstraße 38, 20354 Hamburg -

gegen


1.     das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 18. Oktober 2012 - III ZR 196/11 -



- 1 BvR 2571/12 -,


2.     das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 18. Oktober 2012 - III ZR 197/11 -



- 1 BvR 2622/12 -



hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch

die Richter Gaier,
Schluckebier,
Paulus

gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473 ) am 7. Januar 2014 einstimmig beschlossen:

Die Verfassungsbeschwerden werden nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe:
I.

1

In den Verfassungsbeschwerden wird eine Verletzung der Beschwerdeführerin in ihrem Recht auf den gesetzlichen Richter aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG dadurch geltend gemacht, dass der Bundesgerichtshof eine Auslegungsfrage hinsichtlich des unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruchs nicht dem Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorgelegt habe.
II.

2

Die Verfassungsbeschwerden werden nicht zur Entscheidung angenommen. Die Voraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG sind nicht erfüllt. Den Verfassungsbeschwerden kommt keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu. Ihre Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung der Rechte der Beschwerdeführerin angezeigt, denn die Verfassungsbeschwerden genügen nicht den Begründungsanforderungen der § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG und sind damit unzulässig.

3

1. Die Nichtvorlage an den Gerichtshof entgegen einer gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV bestehenden Vorlagepflicht hat nur dann eine Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter zur Folge, wenn die Auslegung und Anwendung der Zuständigkeitsregel des Art. 267 Abs. 3 AEUV bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz bestimmenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist (vgl. BVerfGE 126, 286 <315>; 128, 157 <187>; 129, 78 <106> m.w.N.). Eine solche unhaltbare Auslegung und Anwendung von Art. 267 Abs. 3 AEUV liegt insbesondere in den Fallgruppen der grundsätzlichen Verkennung der Vorlagepflicht, des bewussten Abweichens von der Rechtsprechung des Gerichtshofs ohne Vorlagebereitschaft und der unvertretbaren Überschreitung des Beurteilungsrahmens in Fällen der Unvollständigkeit der Rechtsprechung des Gerichtshofs vor (vgl. BVerfGE 126, 286 <316 f.="">; 129, 78 <106 f.=""> ).

4

2. Zu keiner dieser Fallgruppen trägt die Beschwerdeführerin hinreichend vor.

5

a) Insbesondere kann die Beschwerdeführerin einen Verstoß gegen das Recht auf den gesetzlichen Richter nicht bereits mit der Darlegung begründen, dass die Auslegung des Merkmals „hinreichend qualifiziert“ durch den Bundesgerichtshof angesichts der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs fern liege. Denn für die Prüfung einer Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG kommt es nicht in erster Linie auf die Vertretbarkeit der fachgerichtlichen Auslegung des für den Streitfall maßgeblichen materiellen Unionsrechts an, sondern auf die Vertretbarkeit der Handhabung der Vorlagepflicht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV (vgl. BVerfGE 128, 157 <188>; 129, 78 <107> m.w.N.).

6

b) Auch das Vorbringen der Beschwerdeführerin, der Bundesgerichtshof habe sich offensichtlich hinsichtlich des Unionsrechts nicht kundig gemacht, da er ansonsten mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs einen hinreichend qualifizierten Verstoß gegen Unionsrecht hätte annehmen müssen, ist für die Darlegung eines Verstoßes gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht ausreichend. Diese Frage ist nämlich nicht geeignet, bereits für sich genommen einen Verstoß gegen das Recht auf den gesetzlichen Richter zu begründen. Sie ist vielmehr bei der Prüfung des unvertretbaren Überschreitens des Beurteilungsspielraums im Rahmen der Fallgruppe der Unvollständigkeit der Rechtsprechung zu erörtern (vgl. BVerfGK 8, 401 <405>; 17, 108 <112>; 17, 533 <544> m.w.N.).

7

Um insofern ein unvertretbares Überschreiten des Beurteilungsspielraums zu begründen, hätte die Beschwerdeführerin zunächst die Unvollständigkeit der Rechtsprechung des Gerichtshofs darlegen müssen. Dabei hätte sie sich mit den zahlreichen Urteilen des Gerichtshofs zum Begriff des hinreichend qualifizierten Rechtsverstoßes, auf die der Bundesgerichtshof in seinen Urteilen ausführlich eingeht, auseinandersetzen und im Einzelnen darlegen müssen, dass für eine in den vorliegenden Verfahren relevante Auslegungsfrage keine einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofs besteht, auf die sich der Bundesgerichtshof in seinen Urteilen stützen könnte, oder eine bestehende Rechtsprechung die Frage möglicherweise nicht erschöpfend beantwortet oder eine Fortentwicklung der Rechtsprechung nicht nur als entfernte Möglichkeit erscheint.

8

Diesen Anforderungen werden die Verfassungsbeschwerden jedoch nicht gerecht. Die nicht näher erläuterte Behauptung, der Europäische Gerichtshof habe noch nicht in einem auch nur annähernd vergleichbaren Sachverhalt entschieden, ist dafür jedenfalls nicht ausreichend. Denn die Anwendung auf den konkreten Sachverhalt ist gerade nicht Teil der dem Gerichtshof obliegenden Auslegung des Unionsrechts, sondern Aufgabe der mitgliedstaatlichen Gerichte. Daran ändert auch nichts, dass der Europäische Gerichtshof in zahlreichen Fällen die Frage des hinreichend qualifizierten Rechtsverstoßes anhand der ihm vorgetragenen Informationen durchentscheidet. Er nimmt eine entsprechende Bewertung nur dann selbst vor, wenn ihm konkret alle für die Beurteilung der Frage erforderlichen Informationen vorliegen (vgl. EuGH, Urteil vom 17. Oktober 1996 - verb. Rs. C-283/94, C-291/94 und C-292/94, Denkavit - Slg. 1996, S. I-5085 ).

9

Eine inhaltliche Auseinandersetzung wäre insbesondere mit dem Urteil in der Rechtssache „Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation“ (vgl. EuGH, Urteil vom 13. März 2007 - C-524/04 -, Slg. 2007, S. I-2157 ) erforderlich gewesen, dessen Wertung sich ohne weiteres auf den Bereich des Glücksspielrechts übertragen lässt. Demnach muss ein nationales Gericht berücksichtigen, dass die Anforderungen der Verkehrsfreiheiten im Bereich der direkten Besteuerung in der Rechtsprechung des Gerichtshofs erst nach und nach deutlich geworden sind.

10

c) Auch hinsichtlich der Fallgruppe des bewussten Abweichens von der Rechtsprechung des Gerichtshofs genügen die Verfassungsbeschwerden nicht den Begründungsanforderungen der § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG. Für das Vorliegen dieser Fallgruppe müsste die Beschwerdeführerin vortragen, dass sich aus den Entscheidungsgründen selbst oder aufgrund anderer Anhaltspunkte ergibt, dass sich das Gericht bewusst über die ihm bekannte Rechtsprechung des Gerichtshofs hinwegsetzte (vgl. BVerfGE 75, 223 <245> ). Die ausführlichen Darlegungen der Beschwerdeführerin, dass im vorliegenden Fall nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs offensichtlich ein hinreichend qualifizierter Verstoß anzunehmen sei, sind dafür nicht ausreichend. Aus den angegriffenen Urteilen ergibt sich vielmehr, dass sich der Bundesgerichtshof in Einklang mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs sah und dessen Maßstäbe auf die ihm vorliegenden Fälle anwandte.

11

d) Für die Darlegung der Beschwerdeführerin, die Äußerung des Bundesgerichtshofs, er lege das Unionsrecht nicht aus, sondern wende es nur an, lege Zweifel des Bundesgerichtshofs über die Auslegung des Unionsrechts nahe, fehlt eine nachvollziehbare Begründung. Dessen Äußerung, er wende das Unionsrecht nur an, kann jedenfalls nicht als Ausdruck solcher Zweifel verstanden werden, da bei Zweifeln über die Auslegung eines Merkmals dieses auch nicht angewandt werden kann. Der Bundesgerichtshof bezog aber in seinen Urteilen insofern eindeutig Stellung, als nach seiner Rechtsauffassung ein hinreichend qualifizierter Verstoß nicht vorliegt. Den Urteilen sind auch ansonsten an keiner Stelle entsprechende Auslegungszweifel zu entnehmen.

12

Inwieweit in der Revisionsverhandlung Zweifel geäußert wurden, legt die Beschwerdeführerin ebenfalls nicht dar.

13

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

14

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.


Gaier     Schluckebier     Paulus


Quelle