Freitag, 24. April 2015

Financial Blocking und der Glücksspielstaatsvertrag

Ohne Aussicht auf Erfolg: Financial Blocking und der Glücksspielstaatsvertrag

Nationale Zahlungssperren können unlizenziertes Glücksspiel nicht verhindern – Datenschützer: Maßnahme praktisch unmöglich und unverhältnismäßig

Berlin, April 2015. Drei Glücksspielstaatsverträge (GlüStV) in zehn Jahren, zwei unterschiedliche Gesetzgebungen innerhalb Deutschlands, das Damoklesschwert der EU-Rechtswidrigkeit permanent in der Schwebe, in diesen Tagen der Rücktritt des Sportbeirates des Glücksspiel-Kollegiums aus Protest gegen das Lizenzvergabeverfahren: „Made in Germany“ kann derzeit nicht als Gütesiegel für Glücksspielgesetze im Rest der Welt gelten. Und es kündigt sich weiteres Ungemach an: Gemäß geltendem Glücksspielstaatsvertrag droht der Gesetzgeber zur Unterbindung von Online-Angeboten mit Financial oder Payment Blocking-Maßnahmen und beabsichtigt, „insbesondere den Kredit- und Finanzdienstleistungsinstituten die Mitwirkung an Zahlungen für unerlaubtes Glücksspiel“ zu untersagen. Im Klartext: Wer keinen Spieleinsatz einzahlen kann, kann auch nicht spielen. Soweit die Theorie, die sich jedoch nach Einschätzung vieler Praktiker nicht realisieren lässt, bräuchte es doch unter anderem eine Kehrtwende bei der Vorratsdatenspeicherung. Dieser erteilt etwa der Verband der deutschen Internetwirtschaft (eco) eine klare Absage: Auf einer Fachtagung des Verbandes in Berlin machte eine Expertenrunde die Vielzahl der Hürden für Financial Blocking deutlich, darunter Sebastian A. Fairhurst, Head of Public Policy Germany bei der Santander Consumer Bank AG, Christian Chmiel, Experte für Zahlungssicherheit und CEO der Web Shield Ltd., Justin Franssen, Partner bei Kalff Katz & Franssen Attorneys at Law aus Amsterdam, und Joakim Marstrander, Partner bei Deloitte Tax & Legal in Norwegen. Ihre Analyse: Financial Blocking zur Durchsetzung des Glücksspielstaatsvertrages ist unverhältnismäßig, verletzt europäische Grundfreiheiten und erfordert eine umfassende Vorratsdatenspeicherung (vgl.: https://politik-recht.eco.de/2015/events…).

Bankkunden unter Generalverdacht

Da ist zunächst die Standort-Komponente: Wo hält sich ein Spieler bei der Einzahlung auf und von wo aus spielt er dann tatsächlich, für welches Territorium besitzt der Anbieter eine Lizenz? Eine Frage, die angesichts des gesetzgeberischen Flickenteppichs in Deutschland und Europa alles andere als unwichtig ist: Wie also kann eine Bank, noch bevor eine Spielteilnahme stattfindet, entscheiden, ob sie eine Transaktion zu einem Glücksspielanbieter unterbinden muss, obwohl der Anbieter in vielen Ländern Europas und möglicherweise auch in Teilen Deutschlands über eine Lizenz verfügt? Immerhin hat Schleswig-Holstein auf Grundlage seines von der Europäischen Kommission goutierten Gesetzes, das europaweit als eines der modernsten seiner Art gilt, rund 50 Lizenzen sowohl für Anbieter von Sportwetten als auch von Online-Poker und Online-Casino-Spielen erteilt, die weiterhin Gültigkeit haben, während für den Rest der Republik nur 20 Sportwetten-Lizenzen gelten sollen, deren Vergabe Michael Endes „Unendlicher Geschichte“ Ehre macht. Und wie kann die Bank zudem in Erfahrung bringen, ob es sich überhaupt um einen Spieleinsatz handelt oder einen vermeintlich „legalen“ Zahlungszweck? Die Banken müssten daher selbst versuchen, den Aufenthaltsort des Kunden zum Zeitpunkt der Zahlung, ggfs. sogar zum Zeitpunkt der Spielteilnahme herauszufinden, mehr oder weniger ein Bewegungsprofil erstellen und Kunden damit unter Generalverdacht stellen.

Der nächste Aspekt: Die Regulierungsebenen unterscheiden sich. Das deutsche Glücksspielrecht auf der einen, die internationale Banken- und Zahlungsregulierung sowie die weltweiten Möglichkeiten des Internets auf der anderen Seite. Deutsche Banken und Zahlungsdienstleister wären im Zweifel benachteiligt, müssten sie die Financial Blocking-Maßnahmen nur für Deutschland umsetzen. Der Spieler jedoch wandert – Europa und seiner Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit sei Dank – zu einem im Ausland ansässigen Zahlungsdienstleister, der online bekanntlich nur ein paar Klicks entfernt ist. Dass dies keine graue Theorie, sondern praktische Erfahrung ist, lässt sich unter anderem in Norwegen beobachten, wo der Financial Blocking-Versuch als gescheitert gilt.

Financial Blocking nicht durchsetzbar

Angesichts dieser Gemengelage verwundert es nicht, dass Datenschützer vor den geplanten Zahlungsblockaden warnen, sie gar für unmöglich halten, insbesondere, weil damit lediglich die Schwächen der bestehenden Glücksspielgesetzgebung kaschiert werden sollen.
Die anlasslose und verdachtsunabhängige Speicherung der Verkehrsdaten im Rahmen elektronischer Kommunikation erzeuge beim Bürger das ständige und diffuse Gefühl des Überwachtseins, hatte eco-Vorstandsvorsitzender Michael Rotert im Rahmen seiner Eröffnungsrede in Berlin gemahnt. Thilo Weichert, Leiter des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz und Landedatenschutzbeauftragter in Schleswig-Holstein (ULD), hat in seiner umfangreichen „Datenschutzrechtlichen Bewertung der Regelungen zum ‚Financial Blocking‘ zur Verhinderung illegalen Glücksspiels im Internet“ die Pläne hierzu analysiert und die Einwände von Industrie- und Rechtsexperten abgewogen. Er beurteilt die geplanten Financial Blocking-Maßnahmen als „weitgehend praktisch unmöglich“ und befürchtet zugleich eine „unzulässige Vorratsdatenerhebung“ zulasten aller Kunden von deutschen Banken und Zahlungsdienstleistern.

Zwar könnten Banken oder Kreditkartenunternehmen gemäß GlüStV Daten für Financial Blocking entgegen nehmen, um mögliche Zahlungen zu sperren, weitere Daten dürften jedoch nicht erhoben bzw. verarbeitet werden. „Insbesondere besteht keine Befugnis zum Datenaustausch mit anderen an einer Finanztransaktion beteiligten Stellen und keine Befugnis zur Erhebung von Daten, die zur Identifizierung unzulässiger Glücksspieltransaktionen geeignet sein können. Ebenso wenig besteht eine Befugnis für Internetservicebetreiber, Identifizierungsdaten an Finanzdienstleister oder auch an andere Stellen herauszugeben“, so Weicherts Urteil in seiner Stellungnahme. Er sagt Financial Blocking keinen Erfolg voraus: „Da Finanzdienstleister regelmäßig nicht die Daten verfügbar haben, mit denen Finanztransaktionen zu unzulässigem Glücksspiel identifiziert werden können, dürfte der praktische Versuch, Finanzdienstleister zum Financial Blocking zu verpflichten, ohne die beabsichtigte Wirkung bleiben.“ Wegen der praktischen Unmöglichkeit, Financial Blocking tatsächlich umzusetzen, stellt er zudem die Frage, „inwieweit der sämtliches staatliches Handeln bindende Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt bleibt.“

Internetwirtschaft: „Bedenkliche Eingriffe in die Internetinfrastruktur“

Die Verhältnismäßigkeit stellen auch fünf deutsche Verbände der Internet-, Medien- und Glücksspielbranche in Frage, neben dem eco der Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW), der Deutsche Verband für Telekommunikation und Medien (DVTM), der Prepaid Verband Deutschland (PVD) und die Remote Gambling Association (RGA): Sie kritisieren in einem gemeinsamen Schreiben gegenüber den Ministerpräsidenten die derzeitige Gesetzgebung, verwehren sich gegen „fragwürdige und datenschutzrechtliche bedenkliche Eingriffe in die Internetinfrastruktur“ und bescheinigen ihr „eine nicht zeitgemäße online-kritische Grundhaltung, die die Möglichketen des Internets zur Erreichung der Ziele des Glücksspielstaatsvertrages weitestgehend ausblenden.“

Neben der Kritik am Lizenzvergabeverfahren für Sportwetten, an der Ignoranz der Gesetzgebung gegenüber Online-Poker und Online-Casino-Angeboten sowie an den restriktiven Werbevorschriften, die die Kanalisierung der Kundennachfrage behindern, halten die unterzeichnenden Verbände die Aufsichtsbehörden schlicht für überfordert: „Angekündigte Vollzugsmaßnahmen wie das Financial Blocking sind (datenschutz-)rechtlich fragwürdig und praktisch nicht umsetzbar.“ Mit ihrem abschließenden Appell für eine sofortige Überarbeitung des Glücksspielstaatsvertrages, die eigentlich erst in sechs Jahren ansteht, fordern sie auch mehr Gewicht für die Lebenswirklichkeiten in Deutschland: Dabei müssten nämlich „die unterschiedlichen Interessen aller Marktbeteiligten sowie die bestehenden gesellschaftlichen Realitäten des Internet-Zeitalters berücksichtigt und vor allem vorbehaltlos bewertet und abgewogen werden.“ Bedenkt man, dass der Glücksspielstaatsvertrag einen der weltweit größten Online-Glücksspielmärkte mit ca. 20 Milliarden Euro Umsatz pro Jahr (vgl. http://www.spiegel.de/wirtschaft/service…) nicht nur nicht reguliert, sondern auch Millionen von Spielern in Deutschland unter Generalverdacht stellt, scheint dies mehr als dringend geboten. (Ansgar Lange/Andreas Schultheis)

Quelle: Andreas Schultheis


Die Kommission hält die deutschen Glücksspielregelungen für Europa-rechtswidrig
und verweist auf die Einhaltung der Vorgaben aus dem Urteil Pfleger vom 30. April 2014 (C-390/12, Randnr. 43), dass das Spielhallenrecht zum Inhalt hatte.

Das ifo-Institut (1) und auch die Monopolkommission (2) haben Zweifel an der Kohärenz der weitgehenden Regulierung des gewerblichen Glücksspiels.
Es ist offen, ob die derzeitige Überregulierung des gewerblichen Automatenglücksspiels einer Überprüfung durch den EuGH standhalten würde.
(1)  ifo-Institut (2013), S. 52
(2)  Monopolkommission (2010/2011), Ziffer 45, S. 58


In einer Entscheidung (Aktenzeichen 5 L 1448/14.WI) bestätigte das Verwaltungsgericht Wiesbaden letzte Woche die von vielen Marktteilnehmern lang geäußerte Sorge, dass das Sportwetten-Konzessionsverfahren von seiner Konzeption, seinen Anforderungen und vom Verfahrensablauf her als intransparent und fehlerhaft zu bewerten sei und die europäische Dienstleistungsfreiheit unzulässig einschränke.
weiterlesen