Donnerstag, 23. April 2015

FG Münster: 19% Mehrwertsteuer auf Sondennahrung - 5 K 3876/11 U

Finanzgericht Münster, 5 K 3876/11 U
Datum: 05.03.2015
Gericht: Finanzgericht Münster
Spruchkörper: 5. Senat
Entscheidungsart: Urteil
Aktenzeichen: 5 K 3876/11 U

Sachgebiet: Finanz- und Abgaberecht

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Revision wird zugelassen.

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Tatbestand:
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Streitig ist, ob der ermäßigte Umsatzsteuersatz für die Lieferung von Sondennahrung gewährt werden kann.
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Der Kläger ist als Apotheker selbstständig tätig. In den Streitjahren 2004 bis 2010 lieferte er unter anderem an Versicherte von Krankenkassen spezielle Sondennahrung. Dabei handelte es sich um eine Flüssigkeit, die über eine Magen- oder Darmsonde an solche Patienten verabreicht wird, die krankheitsbedingt Nahrung nicht in fester Form zu sich nehmen können. In den Streitjahren handelte es sich um folgende Produkte:
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alte Bezeichnung:              neue Bezeichnung:
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aaa              AAA
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bbb              BBB
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ccc              CCC
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ddd              DDD
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eee              EEE
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fff              FFF.
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Die Mittel wurden in Plastikflaschen zu 500 ml oder als Pack zu 1.500 ml abgegeben. 500 ml entsprachen einer Tagesdosis für ergänzende und 1.500 ml einer Tagesdosis für ausschließliche Ernährung. Eine Rezeptpflicht bestand nicht. Die Mittel stellten keine Arznei im Sinne des deutschen Arzneimittelgesetzes dar. Die Produkte waren jedoch verordnungsfähig und durften ausweislich der Produktblätter der Hersteller, auf die wegen der Einzelheiten verwiesen wird (Gerichtsakte Blatt 102-124), nur unter ärztlicher Aufsicht verwendet werden.
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In seinen Umsatzsteuererklärungen für die Streitjahre erklärte der Kläger die Sondennahrungsumsätze zum Regelsteuersatz. Die Umsatzsteuererklärungen standen gemäß § 168 AO Steuerfestsetzungen unter Vorbehalt der Nachprüfung gleich. Mit Anträgen vom 16.12.2009 (für 2004), 3.12.2010 (für 2005) und 5.10.2011 (für 2006-2010) beantragte der Kläger die Änderung der Umsatzsteuerfestsetzungen dergestalt, dass die Sondennahrungsumsätze zum ermäßigten Umsatzsteuersatz besteuert werden. Der Beklagte lehnte die Änderungsanträge mit Bescheiden vom 13.10.2011 (für 2004-2009) und 8.11.2011 (für 2010) ab.
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Dagegen hat der Kläger Sprungklage erhoben, der der Beklagte zugestimmt hat.
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Während des Klageverfahrens sind nach einer Betriebsprüfung Änderungsbescheide für 2008 bis 2010 jeweils vom 3.2.2012 ergangen, die gemäß § 68 FGO zum Gegenstand des Verfahrens geworden sind. Die Änderungen betreffen nicht die hier streitigen Umsätze mit Sondennahrung.
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Die Beteiligten wurden vom Gericht auf die Entscheidungen des EuGH vom 30.4.2014 C-267/13 und des BFH vom 24.9.2014 VII R 54/11, BFH/NV 2015, 139 hingewiesen.
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Der Kläger meint unter Bezugnahme auf das Urteil des erkennenden Senats vom 16.12.2010, 5 K 1462/09 U, die Sondennahrung sei als Lebensmittelzubereitung ermäßigt zu besteuern. Das Urteil des EuGH vom 30.4.2014, C-267/13 finde keine Anwendung, weil es sich bei der vom Kläger gelieferten Sondennahrung um ein Nahrung ersetzendes Produkt und nicht um ein Arzneimittel im Sinne des deutschen Arzneimittelgesetzes handele.
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Der Kläger beantragt,
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den Beklagten unter Aufhebung der ablehnenden Bescheide vom 13.10.2011 (für 2004-2009) und 8.11.2011 (für 2010) zu verpflichten, die Umsatzsteuerfestsetzungen für die Streitjahre zu ändern, indem sie wie folgt herabgesetzt werden: 2004 um 3.062,37 €,
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2005 um 783,99 €,
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2006 um 655,50 €,
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2007 um 886,20 €,
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2008 um 1.585,69 €,
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2009 um 1.491,90 €,
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2010 um 1.363,33 €,
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hilfsweise für den Unterliegensfall, die Revision zuzulassen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er meint, die Sondennahrung sei zolltariflich unter die Position 2202 der Kombinierten Nomenklatur (KN) einzureihen und unterliege dem Regelsteuersatz.
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Es wurde die Gerichtsakte 5 K 1462/09 U beigezogen.
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Entscheidungsgründe:
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Der Senat entscheidet gemäß § 90 Abs. 2 FGO mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung.
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Die Klage ist unbegründet.
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Die Ablehnung der Änderung der Umsatzsteuerfestsetzungen für die Streitjahre durch den Beklagten ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 101 FGO).
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Die Umsatzsteuerermäßigung gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG i.V.m. Anl. 2 kann nicht gewährt werden. Die Voraussetzungen für die im Streitfall allein in Betracht kommende Steuerermäßigung gemäß Nr. 33 der Anl. 2 UStG i.V.m. Kapitel 21 KN sind nicht erfüllt.
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Nach neuerer Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 30.4.2014 C-267/13 - Nutricia -, juris), der der Senat folgt, sind die streitbefangenen Sondennahrungsumsätze nicht als „Lebensmittelzubereitung“, sondern als Arzneiwaren im Sinne der Position 3004 KN einzuordnen. Für Arzneiwaren gibt es in Deutschland keine Umsatzsteuerermäßigung.
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Nach Auffassung des EuGH, der der Senat folgt, gehören zu den „Arzneiwaren“ im Sinne der Position 3004 KN Erzeugnisse, die eindeutig bestimmbare therapeutische und prophylaktische Eigenschaften aufweisen und die zur Verhütung einer Krankheit oder eines Leidens angewandt werden können. Auch wenn das betroffene Erzeugnis keine eigene therapeutische Wirkung hat, aber bei der Verhütung oder Behandlung einer Krankheit oder eines Leidens Anwendung findet, ist es als zu therapeutischen Zwecken zubereitet anzusehen, sofern es eigens für diese Verwendung bestimmt ist (EuGH – Urteil vom 30.4.2014 C – 267/13 – Nutricia -, juris, Rn. 20). Die Darbietung der Erzeugnisse muss des Weiteren in dosierter Form erfolgen oder ihrer Aufmachung nach für den Einzelverkauf bestimmt sein. Aus dem Umstand, dass die Erzeugnisse in einem therapeutischen Umfeld unter ärztlicher Aufsicht mittels einer Magensonde zu Verhütung oder Behandlung einer Krankheit oder leidensbedingten Unterernährung verabreicht werden, schließt der EuGH in Rn. 30, dass die Erzeugnisse zu therapeutischen oder prophylaktischen Zwecken im Sinne der Tarifposition 3004 KN hergestellt wurden.
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Die vorgenannten Voraussetzungen liegen im Streitfall sämtlich vor. Die streitbefangenen Sondennahrungsmittel dürfen an kranke Patienten nur dosiert abgegeben und unter ärztlicher Aufsicht mittels einer Magen- und Darmsonde verabreicht werden. Die streitbefangenen Mittel sind aufgrund ihrer objektiven Merkmale und Eigenschaften zu medizinischen Verwendung bestimmt gewesen.
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Der Auffassung des Klägers, eine Einordnung unter 3004 KN scheide aus, weil die Sondennahrung keine Arznei im Sinne von § 2 des Gesetzes über den Verkehr mit Arzneimitteln (AMG) ist, folgt der Senat nicht. Das deutsche Arzneimittelgesetz hat andere Ziele und Zwecke als das Steuerrecht. Gemäß § 1 AMG besteht der Zweck des Gesetzes darin, im Interesse einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung von Mensch und Tier für die Sicherheit im Verkehr mit Arzneimitteln, insbesondere für die Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit der Arzneimittel zu sorgen. Das AMG bezweckt daher Sicherheit und Ordnung. Im Steuerrecht und insbesondere der KN werden demgegenüber verkehrspolitische und fiskalische Zwecke verfolgt. Die Definition dessen, was als „Arznei“ im Sinne der Position 3004 KN zu fassen ist, richtet sich ausschließlich nach steuerrechtlichen Vorschriften. Die arzneimittelrechtliche Einordnung ist unerheblich.
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Zwar haben das Hessische Finanzgericht mit Urteil vom 25.11.2010 7 K 3205/08, juris, und ihm folgend der BFH mit Beschluss vom 24.9.2014 VII R 54/11, BFH/NV 2015, 139 entschieden, dass Sondennahrung als „andere Getränke“ in Position 2202 KN einzuordnen ist. Der dort entschiedene Sachverhalt ist jedoch nicht deckungsgleich mit dem Sachverhalt im Streitfall, denn die dort zu beurteilende Sondennahrung ist in den Produktblättern als „Sonden- und Trinknahrung“ bezeichnet worden. Im Streitfall ist nach dem unbestrittenen Vortrag der Klägerseite eine Aufnahme durch „Trinken“ jedoch ausgeschlossen. Letztlich kann der Senat aber dahinstehen lassen, ob die Sondennahrung als Arznei im Sinne von Position 3004 KN oder als Getränk im Sinne von Position 2202 KN einzuordnen ist, denn für beide Produkte gibt es keine Umsatzsteuerermäßigung.
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Selbst wenn die streitbefangene Sondennahrung – wie der Kläger meint und der erkennende Senat mit Urteil vom 16.12.2010 5 K 1462/09 U, EFG 2011, 1027 (Revision des Beklagten wurde als unzulässig verworfen, VII R 11/11 n.v.) auch entschieden hat – (auch) unter den Wortlaut der Position 2106 KN fällt, kann die Sondennahrung nicht als „Lebensmittelzubereitungen“ eingeordnet werden. Unter Position 2106 KN fallen nämlich nur solche Waren, die anderweitig weder genannt noch inbegriffen sind. Die Einordnung unter Position 2106 KN ist subsidiär (siehe dazu EuGH-Urteil vom 17.12.2009 C-410/08, Slg 2009, I - 11991; HFR 2010, 312). Die streitbefangene Sondennahrung ist nach der Rechtsprechung des EuGH vom 30.4.2014 C - 267/13 -Nutricia-,  juris, als Arzneiware (Position 3004 KN) einzuordnen, was dazu führt, dass eine Einordnung unter die Position 2106 KN ausscheidet.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
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Die Revision ist gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 FGO zuzulassen. Eine BFH-Entscheidung zur Einordnung von Sondennahrung in der hier streitbefangenen Art liegt bislang nicht vor. Der BFH-Beschluss vom 24.9.2014 VII R 54/11, BFH/NV 2015, 139 betrifft „Sonden- und Trinknahrung“. Im vorliegenden Fall ist demgegenüber die Sondennahrung nicht trinkbar. In den BFH-Beschlüssen vom 20.6.2011 VII R 11/11 n.v. und VII R 10/11, BFH/NV 2011, 2074, sind keine materiell-rechtlichen Entscheidungen ergangen. Dem EuGH - Urteil vom 30.4.2014 C- 267/13, -Nutricia-, juris, folgt der BFH in seinem Beschluss vom 24.9.2014 VII R 54/11, BFH/NV 2015, 139, Rn. 20 nicht uneingeschränkt.
Quelle


Kommentar:

Volle Mehrwertsteuer auf Sondennahrung

Berlin - Ein Apotheker will vor Gericht klären lassen, ob für die Lieferung von Sondennahrung der ermäßigte Umsatzsteuersatz gewährt werden kann oder aber der volle in Ansatz zu bringen ist. Das Finanzamt lehnte die Besteuerung zum ermäßigten Satz ab – das Finanzgericht Münster gab der Behörde Recht. Die Revision hat das Gericht jedoch zugelassen.

In seinen Umsatzsteuererklärungen erklärte der Apotheker die Sondennahrungsumsätze zunächst unter Vorbehalt zum Regelsteuersatz. Später beantragte er, sie zum ermäßigten Umsatzsteuersatz zu besteuern. Das lehnte das Finanzamt ab.

Keine steuerlich begünstigte „Lebensmittelzubereitung“


Auch das Finanzgericht meint: Die Umsatzsteuerermäßigung gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG in Verbindung mit Anlage 2 kann nicht gewährt werden. In Betracht käme dies nur, fiele die Sondennahrung unter Nr. 33 – „verschiedene Lebensmittelzubereitungen“ – der in Anlage 2 aufgeführten Gegenstände, die dem ermäßigten Umsatzsteuersatz unterliegen. Dies sei jedoch nicht der Fall.
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Die Logik des Gerichts erschließt sich mir nicht.
Von irgend etwas muß man sich ja ernähren – von Arzneimitteln kann man nicht leben!
Es spielt doch keine Rolle ob sich jemand von vorgefertigter Tiefkühlpizza ernährt, oder ob er mit einer speziell hergestellten Sondennahrung ernährt wird. Nahrung ist Nahrung – Basta! Das müßten die Richter doch einsehen! vs