Sonntag, 22. September 2013

BFH: Leistungen von Berufsbetreuern sind Umsatzsteuerfrei

Gerichtlich bestellte Berufsbetreuer unterliegen mit ihren Leistungen nicht der Umsatzsteuer.
Sie handeln als anerkannte Einrichtung i.S.v. Art. 13 Teil A Abs. 1g der Richtlinie 77/388/EWG und Art. 132 Abs. 1g MwStSystRL und können sich für die Steuerfreiheit der aufgrund dieser Bestellung erbrachten Betreuungsleistungen auf das Unionsrecht berufen.
Die Klägerin behandelte die nach § 1896 BGB erbrachten Betreuungsleistungen zunächst als umsatzsteuerpflichtig, beantragte aber später, gem. § 164 Abs. 2 AO die Steuerfestsetzungen für die Streitjahre 2005 bis 2008 dahingehend zu ändern, dass die Leistungen umsatzsteuerfrei sind. Das Finanzamt lehnte den Antrag ab. Die Klägerin hielt dagegen, ihre Leistungen seien nach dem vorrangig zu beachtenden Recht der EU umsatzsteuerfrei.

Das FG wies die Klage ab. Auf die Revision der Klägerin hat der BFH das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt. Dort ist die Rechtssache C-174/11 (Zimmermann) mit Urteil vom 15.11.2012 entschieden worden. Daraufhin hat der BFH das Urteil der ersten Instanz aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen.

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 25.4.2013, V R 7/11
Steuerfreiheit für Berufsbetreuer - Unmittelbare Berufung auf das Unionsrecht

Leitsätze

Wird ein Berufsbetreuer gemäß § 1896 BGB gerichtlich zur Erbringung von Betreuungsleistungen bestellt, handelt er als anerkannte Einrichtung i.S. von Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 77/388/EWG und Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL und kann sich für die Steuerfreiheit der aufgrund dieser Bestellung erbrachten Betreuungsleistungen auf das Unionsrecht berufen.

Rn 21
Dabei kann sich ein Steuerpflichtiger auf die in Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 77/388/EWG vorgesehene Steuerbefreiung berufen, um sich einer nationalen Regelung zu widersetzen, die mit dieser Bestimmung unvereinbar ist. Es ist dann Sache des nationalen Gerichts, anhand aller maßgeblichen Umstände zu bestimmen, ob der Steuerpflichtige eine als Einrichtung mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtung im Sinne dieser Bestimmung ist. Insoweit haben die nationalen Gerichte zu prüfen, ob die zuständigen Behörden die Grenzen des ihnen eingeräumten Ermessens unter Beachtung der Grundsätze des Unionsrechts eingehalten haben, zu denen insbesondere der Grundsatz der Gleichbehandlung gehört, der im Mehrwertsteuerbereich im Grundsatz der steuerlichen Neutralität zum Ausdruck kommt (EuGH-Urteil Zimmermann in UR 2013, 35 Rdnrn. 32 f.). Nichts anderes gilt für Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL.

Rn 30
aa) Die Ermächtigung in Art. 13 Teil A Abs. 2 Buchst. a erster Gedankenstrich der Richtlinie 77/388/EWG bzw. Art. 133 Buchst. d erster Gedankenstrich MwStSystRL berechtigt nicht zu einer Differenzierung zwischen den Betreuungsleistungen der Betreuungsvereine und der Vereinsbetreuer einerseits sowie der durch Berufsbetreuer erbrachten Betreuungsleistungen andererseits.

Rn 36
a) Beruft sich der Steuerpflichtige --wie im Streitfall-- auf das für ihn günstigere Unionsrecht, kommt dem Umstand, dass nach nationalem Recht Berufsbetreuer anders als Vereinsbetreuer mit ihren Betreuungsleistungen steuerpflichtig sind, keine Bedeutung zu. Soweit der nationale Gesetzgeber daher beabsichtigt hatte, den Betreuungsvereinen "eine gezielte Förderung" zuzuwenden, in dem die Betreuungsvereine "eine niedrigere Umsatzsteuer als ein freiberuflicher Betreuer zu entrichten" haben (BTDrucks 15/4874, S. 31 zu § 4 Abs. 2 VBVG) steht diese umsatzsteuerrechtliche Ungleichbehandlung im Widerspruch zum EuGH-Urteil Zimmermann in UR 2013, 35 Rdnr. 53, nach dem die Umsatzsteuerfreiheit nicht von sachlich unterschiedlichen Bedingungen für Einheiten mit Gewinnerzielungsabsicht wie z.B. Berufsbetreuern einerseits und die z.B. unter § 4 Nr. 18 UStG fallenden Betreuungsvereine ohne Gewinnerzielungsabsicht abhängig gemacht werden kann. Dass die Ungleichbehandlung beabsichtigt war, steht einer Berufung auf das Unionsrecht auch nicht entgegen.
BFH 25.4.2013, V R 7/11
zum Urteil


EuGH
Finanzamt Steglitz gegen Ines Zimmermann.

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zweite Kammer)
15. November 2012(*)  Rechtssache C-174/11
 „Sechste Mehrwertsteuerrichtlinie – Befreiungen – Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g und Abs. 2 – Mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit eng verbundene Leistungen durch Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder andere als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen – Anerkennung – Bedingungen, die auf Einrichtungen, die keine Einrichtungen des öffentlichen Rechts sind, nicht anwendbar sind – Ermessen der Mitgliedstaaten – Grenzen – Grundsatz der steuerlichen Neutralität
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Der Bundesfinanzhof (XI R 21/09) entschied bereits am 2.3.2011:
Golfvereine können sich hinsichtlich der Umsatzsteuerfreiheit für Einzelunterricht unmittelbar auf Art. 13 Teil A Abs. 1 m der Richtlinie 77/388/EWG berufen

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 2.3.2011, XI R 21/09
Umsatzsteuerfreiheit von Golfeinzelunterricht nach Unionsrecht - Sportliche Veranstaltung - Unmittelbare Wirkung einer Richtlinie

Leitsätze
Ein gemeinnütziger Golfverein kann sich für die Inanspruchnahme einer Steuerbefreiung für Golfeinzelunterricht, den er durch angestellte Golflehrer gegenüber seinen Mitgliedern gegen Entgelt erbringt, unmittelbar auf Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. m der Richtlinie 77/388/EWG berufen.

Rn 20
3. Die Leistungen des Klägers sind nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. m der Richtlinie 77/388/EWG steuerfrei.

Rn 21
a) Gemäß Art. 13 Teil A Abs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG befreien die Mitgliedstaaten "unter den Bedingungen, die sie zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der nachstehenden Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Missbräuchen festsetzen", von der Umsatzsteuer:

Rn 22
"m) bestimmte in engem Zusammenhang mit Sport und Körperertüchtigung stehende Dienstleistungen, die Einrichtungen ohne Gewinnstreben an Personen erbringen, die Sport oder Körperertüchtigung ausüben;"

Rn 23
Art. 13 Teil A Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG bestimmt:

Rn 24
"Von der in Absatz 1 Buchstaben ... m) ... vorgesehenen Steuerbefreiung sind Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen ausgeschlossen, wenn
- sie zur Ausübung der Tätigkeiten, für die Steuerbefreiung
gewährt wird, nicht unerlässlich sind;
- sie im Wesentlichen dazu bestimmt sind, der Einrichtung zusätzliche Einnahmen durch Tätigkeiten zu verschaffen, die in unmittelbarem Wettbewerb mit Tätigkeiten von der Mehrwertsteuer unterliegenden gewerblichen Unternehmen durchgeführt werden."

Rn 26
b) Ein Einzelner kann sich in Ermangelung fristgemäß erlassener Umsetzungsmaßnahmen auf Bestimmungen einer Richtlinie, die inhaltlich als unbedingt und hinreichend genau erscheinen, gegenüber allen nicht richtlinienkonformen innerstaatlichen Vorschriften berufen (ständige Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union --EuGH--, vgl. z.B. Urteil vom 10. September 2002 Rs. C-141/00 --Kügler--, Slg. 2002, I-6833, BFH/NV Beilage 2003, 30, Rz 51).

Rn 32
Nach der Rechtsprechung des EuGH bestimmt sich die Steuerbefreiung "insbesondere nach der Natur der erbrachten Dienstleistung und nach dem Verhältnis der Dienstleistung zur Ausübung von Sport oder Körperertüchtigung" (Urteil vom 16. Oktober 2008 Rs. C-253/07 --Canterbury Hockey Club--, Slg. 2008, I-7821, BFH/NV 2009, 108, Rz 23); die Dienstleistungen müssen mit dem Sport in engem Zusammenhang stehen und "für seine Ausübung unerlässlich" sein (Rz 32). Als Beispiele hierfür nennt der EuGH die Überlassung von Sportstätten oder die Zurverfügungstellung eines Schiedsrichters (Rz 28); als Beispiel für Leistungen, die die genannten Voraussetzungen nicht erfüllen, nennt er Beratungen im Bereich des Marketings und der Gewinnung von Sponsoren (vgl. hierzu BFH-Urteil vom 5. August 2010 V R 54/09, BFHE 231, 289, BStBl II 2011, 191, unter II.2.b cc).

Rn 35
Entgegen der Auffassung des FA kommt für Tätigkeiten, die --wie im Streitfall-- den Kernbereich der Befreiung nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. m der Richtlinie 77/388/EWG betreffen, ein Ausschluss nach Art. 13 Teil A Abs. 2 Buchst. b 2. Gedankenstrich der Richtlinie 77/388/EWG nicht in Betracht. Ansonsten liefe die Befreiung in weiten Teilen leer (vgl. BFH-Urteil in BFHE 221, 451, BFH/NV 2008, 1631, unter II.3.c aa).
zum Urteil

Bundesfinanzhof (AZ: V R 7/02)

Mit Urteil (Linneweber/Akritidis) vom 17.02.2005 (Rs. C-453/02 und 462/02) hat der EuGH zu beiden vorgelegten Fällen entschieden,
dass die Umsatzsteuerbefreiung des § 4 Nummer 9 lit. b) UStG auch auf den Betrieb von Glücksspielen außerhalb öffentlicher Spielbanken auszudehnen ist. Die Umsatzsteuerbefreiung nach der Richtlinie 77/388/EWG sei daher unmittelbar anzuwenden, ohne dass dabei die EU-rechtswidrigen Beschränkungen des deutschen Umsatzsteuergesetzes zu beachten seien.

In Folge der EuGH-Entscheidung zur Umsatzsteuerbefreiung von Glücksspielumsätzen, entschied der  BFH am 12. Mai 2005 in der Rs. Linneweber:
Artikel 13 Teil B Buchstabe f der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG hat unmittelbare Wirkung in dem Sinne, dass sich ein Veranstalter oder Betreiber von Glückspielen oder Glückspielgeräten vor den nationalen Gerichten darauf berufen kann, um die Anwendung mit dieser Bestimmung unvereinbarer innerstaatlicher Rechtsvorschriften zu verhindern. (Rn 2)
Ebenso wenig hindert der Umstand, dass die Spielbanken einer auf der Grundlage ihrer Spielerträge berechneten Spielbankabgabe unterliegen, dass der Betrieb von Glücksspielgeräten in zugelassenen öffentlichen Spielbanken und außerhalb dieser Spielbanken, „die Ausübung der gleichen Tätigkeit“ darstellt (vgl. EuGH-Urteil in Slg. 1998, I-3369, IStR 1998, 399 RandNr. 29).
Da § 4 Nr. 9 Buchst. B UStG mit der Bestimmung des Art. 13 Teil B Buchst. F der Richtlinie 77/388/EWG unvereinbar ist, kann sich die Klägerin in dem Sinne auf diese  -inhaltlich unbedingte und hinreichend genaue -  Bestimmung berufen, dass die Vorschrift des § 4 Nr. 9 buchst. B UStG keine Anwendung findet.
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Das FG Baden-Württemberg (14 K 2883/10) entschied am 28.11.2012:
Auch die Umsätze einer Privatklinik, die keine gesetzlich versicherten Patienten behandelt, können umsatzsteuerfrei sein. Zwar erfüllt die Klägerin nicht die Voraussetzungen der nationalen Steuerbefreiungsvorschriften. Sie kann sich jedoch unmittelbar auf europäisches Recht (Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuer 77/388/EWG) berufen.

Für eine Steuerbefreiung spricht ferner der Grundsatz der steuerlichen Neutralität. Dieser verbietet es, gleichartige und deshalb miteinander in Wettbewerb stehende Dienstleistungen hinsichtlich der Mehrwertsteuer unterschiedlich zu behandeln.

Quelle: FG Baden-Württemberg, Pressemitteilung v. 18.2.2013  Urteil 


Im Hinblick auf das Vorabentscheidungsverfahren Rs. C-440/12, möchte ich erneut auf das BFH-Urteil vom 16.09.2010, (V R 57/09) hinweisen, das den EU-Vorschriften widerspricht, mit der die Rückzahlung zu Unrecht gezahlter Steuern gewährleistet werden muß und nicht erschwert werden darf. (vgl. IP/10/1251) 
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Direkte Steuern: Kommission verklagt das Vereinigte Königreich, die  Erstattung von unter Verstoß gegen EU-Recht gezahlten Steuern zu gewährleisten.  (IP/12/64)
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EuGH (Rs. C-427/10) zur Erstattung zu Unrecht gezahlter Mehrwertsteuer
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