Sonntag, 22. März 2015

BVerfG zum unionsrechtswidrigen Sportwettmonopol vom 09.09.2014

Analyse von RA Karpenstein s.u.


BUNDESVERFASSUNGSGERICHT


- 1 BvL 2/14 -

In dem Verfahren
zur verfassungsrechtlichen Prüfung,

ob § 10 Abs. 2 des Glücksspielstaatsvertrags vom 30. Januar 2007 (Anlage zu Art. I § 1 Abs. 2 des Berliner Landesgesetzes über das öffentliche Glücksspiel vom 15. Dezember 2007 ) in Verbindung mit § 5 Satz 1 des Berliner Ausführungsgesetzes zum Glücksspielstaatsvertrag (Art. II des Berliner Landesgesetzes über das öffentliche Glücksspiel) insoweit mit Art. 2 Abs. 1 des Grundgesetzes unvereinbar ist, als Sportwetten im Sinne von § 21 des Berliner Ausführungsgesetzes zum Glücksspielstaatsvertrag im Land Berlin nur von diesem veranstaltet werden dürfen

- Aussetzungs- und Vorlagebeschluss des Landgerichts Berlin
vom 14. März 2014 (526 Qs 8/11) -

hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch

die Richter Gaier,

Schluckebier,

Paulus

gemäß § 81a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom
11. August 1993 (BGBl I S. 1473)

am 9. September 2014 einstimmig beschlossen:

Die Vorlage ist unzulässig.


G r ü n d e :
I.

1
1. Die Vorlage betrifft das Sportwettmonopol des Landes Berlin, das durch § 10 Abs. 2 des Glücksspielstaatsvertrags in der bis zum 30. Juni 2012 anwendbaren Fassung (GlüStV a.F.) in Verbindung mit § 5 Satz 1 des Berliner Ausführungsgesetzes zum Glücksspielstaatsvertrag in der bis zum 28. Juni 2012 anwendbaren Fassung (AG GlüStV BE a.F.) begründet wurde. Mit Beschluss vom 3. September 2013 gemäß § 81a BVerfGG hatte die Kammer festgestellt, dass eine erste Vorlage des Landgerichts im selben Ausgangsverfahren unzulässig war (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 3. September 2013 - 1 BvL 7/12 -, juris).

2
Im Ausgangsverfahren wurde der Angeschuldigte wegen unerlaubten Glücksspiels nach § 284 Abs. 1 StGB angeklagt, da er in Berlin als Vermittler von Sportwetten für einen österreichischen Wettanbieter tätig geworden sei, obwohl ihm aufgrund des Sportwettmonopols des Landes die Erlaubnis dafür gefehlt habe. Das Amtsgericht lehnte die Eröffnung des Hauptverfahrens ab, wogegen die Staatsanwaltschaft sofortige Beschwerde einlegte, über die das vorlegende Landgericht zu entscheiden hat.

3
Dieses sieht in dem Verbot der Veranstaltung und Vermittlung von Sportwetten aufgrund § 10 Abs. 2 GlüStV a.F. und § 5 Satz 1 AG GlüStV BE a.F. einen Verstoß gegen die allgemeine Handlungsfreiheit des Angeschuldigten gemäß Art. 2 Abs. 1 GG. Aus diesem Grund hatte es schon einmal die Frage der Vereinbarkeit der betreffenden Vorschriften mit Art. 2 Abs. 1 GG im Hinblick auf das Sportwettmonopol des Landes gemäß Art. 100 Abs. 1 GG dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorgelegt (1 BvL 7/12). Zwar ging das Landgericht in dem ursprünglichen Vorlagebeschluss von der Unionsrechtswidrigkeit des Sportwettmonopols aus. Dies führe im konkreten Fall jedoch nicht zur Unanwendbarkeit der Vorschriften über das Sportwettmonopol, da der Angeschuldigte sich als türkischer Staatsangehöriger nicht auf die Grundfreiheiten des Unionsrechts berufen könne. Deshalb sei die Frage der Verfassungswidrigkeit der Vorschriften entscheidungserheblich.

4
2. Im Beschluss vom 3. September 2013 stellte die Kammer die Unzulässigkeit der Vorlage fest, da das Landgericht in seinem Vorlagebeschluss die Entscheidungserheblichkeit der Verfassungswidrigkeit der betreffenden Vorschriften nicht in einer den Begründungsanforderungen nach § 80 Abs. 2 BVerfGG genügenden Weise dargelegt hatte (vgl. BVerfG, a.a.O., Rn. 13 ff.). Das Landgericht hatte sich im Zusammenhang mit der Feststellung, dass sich der angeschuldigte Wettvermittler nicht auf die Dienstleistungsfreiheit berufen könne, nicht mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zum Anwendungsbereich der Dienstleistungsfreiheit gerade im Bereich der Sportwetten auseinandergesetzt (insbesondere EuGH, Urteil vom 6. November 2003 - C-243/01, Gambelli -, Slg. 2003, S. I-13076).

5
3. Das Landgericht beschloss daraufhin erneut, eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Verfassungsmäßigkeit der Vorschriften des § 10 Abs. 2 GlüStV a.F. und des § 5 Satz 1 AG GlüStV BE a.F. einzuholen. Es hält aufgrund einer ergänzenden rechtlichen Würdigung eine erneute Vorlage für erforderlich. Auch nach Auseinandersetzung mit dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union in der Rechtssache „Gambelli“ und dem unionsrechtlichen Effektivitätsprinzip komme eine Einbeziehung türkischer Staatsangehöriger in den persönlichen Anwendungsbereich der unionsrechtlichen Dienstleistungsfreiheit nicht in Frage.

II.

6
Die Vorlage ist unzulässig. Auch die ergänzende rechtliche Würdigung in dem neuen Vorlagebeschluss vermag nicht, die Entscheidungserheblichkeit der Vereinbarkeit der betreffenden Normen mit dem Grundgesetz in einer den Begründungserfordernissen des § 80 Abs. 2 BVerfGG genügenden Weise darzulegen.

7
1. Dem vorlegenden Gericht obliegt es gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG in Verbindung mit § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG, in seinem Vorlagebeschluss umfassend darzutun, weshalb es von der Verfassungswidrigkeit der zur Überprüfung gestellten Norm überzeugt und inwiefern die Entscheidung des Gerichts von ihrer Gültigkeit abhängig ist (vgl. BVerfGE 77, 259 <261>; 97, 49 <60>; 98, 169 <199>; 105, 61 <67>; stRspr). Dabei muss es insbesondere verdeutlichen, dass die Beantwortung der gestellten Verfassungsfrage sich als unerlässlich darstellt, damit es das Ausgangsverfahren fortführen und abschließend entscheiden kann (vgl. BVerfGE 11, 330 <334 f.="">; 42, 42 <50>; 50, 108 <113>; 63, 1 <22>). Dies ist der Fall, wenn das Gericht im Ausgangsverfahren bei Ungültigkeit der Norm anders entscheiden müsste als bei deren Gültigkeit (vgl. BVerfGE 22, 175 <176 f.="">; 84, 233 <236 f.="">).

8
Für die Beurteilung der Entscheidungserheblichkeit im Verfahren der konkreten Normenkontrolle ist grundsätzlich die Rechtsauffassung des vorlegenden Gerichts maßgebend. Dies gilt jedoch nicht, sofern diese offensichtlich unhaltbar ist (vgl. BVerfGE 2, 181 <190 f.="">; 105, 61 <67>).

9
2. Vorliegend ist die Rechtsauffassung des Landgerichts, der Angeschuldigte könne sich nicht auf eine Verletzung der Dienstleistungsfreiheit berufen, offensichtlich unhaltbar, da sie nicht mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union in der Rechtssache „Gambelli“ vereinbar ist. Dort hat der Gerichtshof ausgeführt, ein strafbewehrtes Verbot der Teilnahme an Wetten, die in anderen Mitgliedstaaten als dem organisiert würden, in dessen Gebiet der Wettende ansässig sei, stelle eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs dar. Das Gleiche gelte für das an Vermittler wie die Beschuldigten des dortigen Ausgangsverfahrens gerichtete strafbewehrte Verbot, die Erbringung von Wettdienstleistungen bei Sportereignissen, die von einem Leistungserbringer organisiert würden, der seinen Sitz in einem anderen Mitgliedstaat als dem habe, in dem diese Vermittler ihre Tätigkeit ausübten, zu erleichtern, da ein solches Verbot eine Beschränkung des Rechts des Buchmachers auf freien Dienstleistungsverkehr darstelle (vgl. EuGH, Urteil vom 6. November 2003 - C-243/01, Gambelli -, Slg. 2003, S. I-13076 ).

10
Der Gerichtshof stellt damit unmissverständlich klar, dass ein an den Wettvermittler gerichtetes strafbewehrtes Verbot von Sportwetten die Dienstleistungsfreiheit des Buchmachers, das heißt des Wettanbieters beschränkt. Die Ausführungen des Landgerichts, der persönliche Anwendungsbereich der Dienstleistungsfreiheit sei im Hinblick auf den Angeschuldigten als Wettvermittler nicht eröffnet, gehen damit an der Sache vorbei. Da eine Verletzung der Dienstleistungsfreiheit des Wettanbieters in Frage steht, sind der persönliche und der sachliche Anwendungsbereich der Dienstleistungsfreiheit allein in Bezug auf den Wettanbieter zu prüfen. Die Unzulässigkeit eines an den Wettvermittler gerichteten strafbewehrten Verbots leitet sich von der Dienstleistungsfreiheit des Wettanbieters ab. Allein für diesen muss - wie hier - daher der persönliche Anwendungsbereich des Unionsrechts eröffnet sein. Auch in der Rechtssache „Gambelli“ handelte es sich bei dem Ausgangsverfahren um ein Strafverfahren gegen die betreffenden Wettvermittler (vgl. EuGH, Urteil vom 6. November 2003 - C-243/01, Gambelli -, Slg. 2003, S. I-13076 ). Eine gesonderte Prüfung, ob das strafbewehrte Verbot auch eine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit des Wettvermittlers darstellt - und nur in diesem Fall käme es darauf an, ob der Vermittler vom persönlichen Anwendungsbereich der Dienstleistungsfreiheit erfasst wird -, kann der Rechtsprechung des Gerichtshofs dagegen nicht entnommen werden.

11
Diese Rechtsprechung des Gerichtshofs erscheint im Hinblick auf das unionsrechtliche Effektivitätsprinzip zutreffend, um der Dienstleistungsfreiheit des Wettanbieters zur Geltung zu verhelfen. Der Wettanbieter ist in dem Strafverfahren nicht beteiligt und hat deshalb keine verfahrensrechtliche Möglichkeit, selbst auf die Verhinderung der Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit hinzuwirken. Es ist daher kein anderer Weg ersichtlich, als die Unionsrechtswidrigkeit im Rahmen des strafrechtlichen Verfahrens gegen den Angeschuldigten von Amts wegen zu berücksichtigen. Ansonsten würde dem Wettanbieter entgegen dem unionsrechtlichen Effektivitätsprinzip (vgl. dazu EuGH, Urteil vom 19. September 2006 - C-392/04 und C-422/04, i-21 Germany GmbH u. a. -, Slg. 2006, S. I-8591 ) die Ausübung seiner Dienstleistungsfreiheit übermäßig erschwert (ebenso hinsichtlich des Prüfungsumfangs im Rahmen der Anfechtungsklage gegen eine ordnungsrechtliche Untersagungsverfügung Bayer. VGH, Urteil vom 18. April 2012 - 10 BV 10.2506 -, juris, Rn. 59-61).

12
3. Bei Zugrundelegung dieser Rechtsprechung des Gerichtshofs hätte das Landgericht folgerichtig davon ausgehen müssen, dass die Annahme eines Verstoßes des Wettmonopols gegen Unionsrecht die Strafbarkeit des Angeschuldigten wegen unerlaubten Glücksspiels entfallen lässt. Wenn feststeht, dass ein Gesetz dem Unionsrecht widerspricht und deshalb aufgrund des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts nicht angewandt werden darf, ist das Gesetz nicht mehr entscheidungserheblich im Sinne von Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG (vgl. BVerfGE 85, 191 <203 ff.="">; 106, 275 <295>; 116, 202 <214>).

13
Die Klärung zwingender europarechtlicher Vorgaben - gegebenenfalls über eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union gemäß Art. 267 AEUV - ist grundsätzlich Voraussetzung einer Vorlage an das Bundesverfassungsgericht (vgl. BVerfGE 129, 186 <198 ff.="">). Soweit das Landgericht von der insofern eindeutigen Rechtsprechung des Gerichtshofs abweichen will, müsste es diesem gemäß Art. 267 Abs. 1 und 3 AEUV die Frage vorlegen, ob Art. 56 AEUV so auszulegen ist, dass sich ein Wettvermittler türkischer Staatsangehörigkeit in einem Strafverfahren wegen unerlaubten Glücksspiels nicht darauf berufen kann, dass das dem Strafverfahren zugrunde liegende Wettverbot die Dienstleistungsfreiheit des Wettanbieters in nicht gerechtfertigter Weise beschränkt.

Gaier    Schluckebier    Paulus

Quelle
 
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
Beschluss - 1 BvL 7/12 – vom  3. September 2013


Immer wieder Gambelli

Rechtsanwalt Rolf Karpenstein zu 1 BvL 2/14 (BVerfG, Beschluss vom 09.09.2014)

Weitgehend unbemerkt hat sich die 2. Kammer des 1. Senats beim BVerfG mit dem Beschluss vom 09.09.2014 zum unionsrechtswidrigen Sportwettmonopol der Bundesländer positioniert. Die erneute Richtervorlage des LG Berlin sei erneut unzulässig.

Nur eine weitere Standard-Entscheidung der 2. Kammer? Ein klares Nein. Der Beschluss ist erstens begründet und zweitens richtig. Das gibt Anlass, ihn genau zu betrachten.

Wie im Jahre 2006 (BVerfG 1 BvR 1054/01) greift das höchste deutsche Gericht auf Gambelli zurück. Das ist vorbildlich (http://www.isa-guide.de/isa-law/articles/77392.html). Entgegen dem Berliner Vorlagegericht könne sich der nach § 284 StGB angeschuldigte türkische Vermittler selbstverständlich auf die an den Staat gerichtete höherrangige Verbotsnorm des Artikels 56 AEUV berufen, die dem Veranstalter das Recht auf freien Dienstleistungsverkehr (dazu http://www.isa-guide.de/isa-law/articles/123184.html) garantiert. Die Ansicht des Berliner Vorlagegerichts, die der Sicht des 8. Senats beim Bundesverwaltungsgericht in 8 C 13.09 (Urt. vom 24.11.2010) entspricht, sei „offensichtlich unhaltbar, da sie nicht mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union in der Rechtssache „Gambelli“ vereinbar ist.“

Scharfe Geschütze aus Karlsruhe: „Offensichtlich unhaltbar“ argumentiere das Vorlagegericht, das eigentlich gem. Art. 100 GG vorlegte, um effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten: „Die Ausführungen des Landgerichts, der persönliche Anwendungsbereich der Dienstleistungsfreiheit sei im Hinblick auf den Angeschuldigten als Wettvermittler nicht eröffnet, gehen damit an der Sache vorbei“ watscht das BVerfG weiter ab. Die bemühten Berliner Richter dürften sich gefühlt haben wie einst ein bemühter Abwehrspieler bei seiner Auswechselung in der 32. Spielminute.

In Gambelli steht also auch, dass sich ein türkischer Vermittler auf den freien Dienstleistungsverkehr berufen kann. Aber wieso hat das Bundesverwaltungsgericht dies in 8 C 13.09 (Rn. 84 f.) ausgeblendet? Lassen wir das. Drei Herren mit Verfassungsrang räumen ja nunmehr auf: In Rn. 58 von Gambelli habe der Gerichtshof ausgeführt, dass ein an den Vermittler gerichtetes Verbot „eine Beschränkung des Rechts des Buchmachers auf freien Dienstleistungsverkehr darstellt“. Diese Aussage des EuGH sei „unmissverständlich“: „Der Gerichtshof stellt damit unmissverständlich klar, dass ein an den Wettvermittler gerichtetes strafbewehrtes Verbot von Sportwetten die Dienstleistungsfreiheit des Buchmachers, das heißt des Wettanbieters beschränkt.“ Bei einem staatlichen Eingriff gegen einen Vermittler, stehe „eine Verletzung der Dienstleistungsfreiheit des Wettanbieters infrage“, so das BVerfG. Es sei „der persönliche und der sachliche Anwendungsbereich der Dienstleistungsfreiheit allein in Bezug auf den Wettanbieter zu prüfen“.

Weiter das BVerfG: „Die Unzulässigkeit eines an den Wettvermittler gerichteten strafbewehrten Verbots leitet sich von der Dienstleistungsfreiheit des Wettanbieters ab.“ Diese unmissverständliche EuGH-Rechtsprechung, klärt uns Karlsruhe auf, sei im Hinblick auf das unionsrechtliche Effektivitätsprinzip sogar zutreffend, „um der Dienstleistungsfreiheit des Wettanbieters zur Geltung zu verhelfen“.

Mit dieser unmissverständlichen Bestätigung, dass staatliche Übergriffe gegen einen Wettvermittler unmittelbare Eingriffe in das Recht des Wettveranstalters auf freien Dienstleistungsverkehr sind, offenbart die 2. Kammer drei korrekturbedürftige und „offensichtlich unhaltbare“ Defizite der deutschen Gerichts- und Verwaltungspraxis, die es spätestens seit Gambelli nicht geben dürfte:

  • Die Sicht des 8. Senats beim BVerwG in 8 C 13.09 (Rn. 84 ff.), ein türkischer Vermittler könne sich nicht auf den freien Dienstleistungsverkehr gegenüber staatlichen Eingriffen berufen, ist „offensichtlich unhaltbar“. Dies sieht auch die Kommission in ihrer schriftlichen Stellungnahme an den EuGH in der Rechtssache C-336/14 ebenso und pflichtet dem vorlegenden Amtsgericht Sonthofen bei. Dem Vermittler steht das Recht auf freien Dienstleistungsverkehr des mit ihm assoziierten Wettveranstalters zur Seite, um Eingriffe der Exekutive, Legislative und Judikative abzuwehren.

  • Die reflexartige richterliche Weigerung, EU-Wettveranstalter in gerichtlichen Verfahren von Vermittlern gegen Behörden beizuladen und den Erkenntnisgewinn, den diese Beiladung vermittelt, zu schmähen, ist „offensichtlich unhaltbar“. Ein gegen den Vermittler gerichtetes Verbot stellt – so EuGH und BVerfG in vollkommener Harmonie – „eine Beschränkung des Rechts des Buchmachers auf freien Dienstleistungsverkehr dar“ (Gambelli, Rn. 58). Die Verwaltungsgerichte müssen also den Wettveranstalter gem. § 64 Abs. 2 VwGO notwendig beiladen, weil sie gleichzeitig und unmittelbar in seine Rechte eingreifen.

  • Eingriffe gegen Vermittler von Konzessionsnehmern durch Aufsichtsbehörden außerhalb der hessischen Aufsicht sind „offensichtlich unhaltbar“. Nach § 9a Abs. 3 GlüÄndStV übt Hessen gegenüber den Konzessionsnehmern (dies sind in Abgrenzung zum Konzessionsinhaber alle Konzessionsbewerber; vgl. § 4a Abs. 4 GlüÄndStV) die Aufsicht „mit Wirkung für alle Länder“ aus. Weil aber ein Übergriff der Verwaltung gegen einen Vermittler nach höchstrichterlicher Rechtsprechung aus Luxemburg und Karlsruhe einen durch Artikel 56 AEUV grundsätzlich verbotenen Eingriff in die Rechte des Veranstalters darstellt, ist allein Hessen zuständig.
Erfahrungsgemäß könnte es Jahre dauern, bis diese unmissverständlichen Vorgaben des EuGH und des BVerfG Eingang in die Verwaltungs- und Gerichtspraxis finden. Das könnte fatal sein, nicht nur wegen der Staatshaftung. Die absichtliche Missachtung höchstrichterlicher Vorgaben ist kein Kavaliersdelikt. Und wer möchte sich schon von der aufrechten Staatsanwaltschaft z. B. aus Kempten oder Augsburg vorwerfen lassen, Gambelli zu missachten und Entscheidungen zu treffen, die auch aus Sicht der Verfassungsrichter Schluckebier, Paulus und Gaier „offensichtlich unhaltbar“ sind?

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Blume Ritscher Nguyen Rega Rechtsanwälte

Rechtsanwalt Rolf Karpenstein
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Rs. C-243/01 (Gambelli) Rn 58 (pdf-download)

Das Gleiche gilt für das an Vermittler wie die Beschuldigten des Ausgangsverfahrens gerichtete ebenfalls strafbewehrte Verbot, die Erbringung von Wettdienstleistungen bei Sportereignissen, die von einem Leistungserbringer organisiert werden, der wie Stanley seinen Sitz in einem anderen Mitgliedstaat als dem hat, in dem diese Vermittler ihre Tätigkeit ausüben, zu erleichtern, da ein solches Verbot eine Beschränkung des Rechts des Buchmachers auf freien Dienstleistungsverkehr darstellt, und zwar auch dann, wenn die Vermittler in demselben Mitgliedstaat ansässig sind wie die Empfänger dieser Dienstleistungen.

Hintergrund:

Glücksspielrecht seit 1999 rechtswidrig?

Dass der Mitgliedstaat legitime Ziele verfolgt, genügt allein nicht, um Beschränkungen der Grundfreiheiten zu rechtfertigen. Die Beschränkungen müssen, so die Rechtsprechung seit der grundlegenden Entscheidung in Sachen Gambelli, außerdem “geeignet sein, die Verwirklichung dieser Ziele in dem Sinne zu gewährleisten, dass sie kohärent und systematisch zur Begrenzung der Wetttätigkeiten beiträgt“ (EuGH, Urteile vom 6. November 2003 - Rs. C-243/01, Gambelli u.a. - Slg. 2003, I-13031 Rn. 67, vom 3. Juni 2010 - Rs. C-258/08,

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 115, 276 (317) entschied in einer zitierten Entscheidung aus dem Jahr 2006, dass ein landesrechtlich begründetes staatliches Monopol für Sportwetten mit dem Grundrecht der Berufsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG nur vereinbar ist, wenn es konsequent am Ziel der Bekämpfung von Suchtgefahren ausgerichtet ist.

Dem entsprach die Praxis der staatlichen Glücksspielveranstalter nicht.
Mit dem zum 1. Januar 2008 (Dietlein in Dietlein/Hecker/Ruttig (Hrsg.), Glücksspielrecht, 2008, § 29 GlüStV Rn. 6) in Kraft getretenen (Glücksspielstaatsvertrag - GlüStV) sollte das Glücksspielmonopol der Länder aufrecht erhalten werden.

Mit dem Glücksspielstaatsvertrag sollten die staatlichen Glücksspielveranstalter die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts, insbesondere zur effektiven Suchtprävention, verwirklichen; zugleich wurde der Zutritt zum Markt der Glücksspiele für private Anbieter und Veranstalter massiv erschwert.
(Zu den verfassungs- und europarechtlichen Bedenken hiergegen, vgl. Hermes/Horn/Pieroth, Der Glücksspielstaatsvertrag 2007) 

Pressemitteilung Nr: 78/10 des Europäischen Gerichtshofs zu den Urteilen vom 08.09.2010
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Das BVerwG stellte am 01.06.2011 fest:
(Az: 8 C 2.10 Rn. 45)
Eine Monopolregelung, die auf diese zwingenden Gründe des Allgemeininteresses gestützt wird, muss ebenso wie ihre Anwendung in der Praxis geeignet sein, die Verwirklichung dieser Ziele in dem Sinne zu gewährleisten, dass sie kohärent und systematisch zur Begrenzung der Wetttätigkeiten beiträgt (EuGH, Urteile vom 6. November 2003 - Rs. C-243/01, Gambelli u.a. - Slg. 2003, I-13031 Rn. 67, vom 3. Juni 2010 - Rs. C-258/08, Ladbrokes - NVwZ 2010, 1081 Rn. 21 sowie vom 8. September 2010, Markus Stoß u.a., a.a.O. Rn. 88 ff. und Carmen Media, a.a.O. Rn. 55, 64 ff.). Innerhalb dieses sog. Kohärenzgebots lassen sich zwei Anforderungen unterscheiden. Zum einen muss der Mitgliedstaat die Gemeinwohlziele, denen die beschränkende Regelung dienen soll und die diese legitimieren sollen, im Anwendungsbereich der Regelung auch tatsächlich verfolgen; er darf nicht in Wahrheit andere Ziele - namentlich solche finanzieller Art - anstreben, welche die Beschränkung nicht legitimieren könnten (EuGH, Urteile vom 21. Oktober 1999 - Rs. C-67/98, Zenatti - Slg. 1999, I-7289 Rn. 35 ff., vom 6. November 2003, Gambelli, a.a.O. Rn. 67 ff. und vom 8. September 2010, Carmen Media, a.a.O. Rn. 65; vgl. BVerwG, Urteil vom 24. November 2010 a.a.O. Rn. 77, 80). Zum anderen darf die in Rede stehende Regelung nicht durch die Politik in anderen Glücksspielsektoren konterkariert werden.
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Am 1. Juli 2012 trat der 1. GlüStV/GlüÄndStV in Kraft mit dem das staatliche Glücksspielmonopol erneut fortgeführt werden soll.

Gleichzeitig wurde das Spielhallenrecht in den Glücksspielstaatsvertrag aufgenommen, um „eine deutliche Verbesserung bei den notwendigen Regulierungen der Spielhallen“ zu erreichen und „deren Zahl zu begrenzen und den Spieler- und Jugendschutz zu gewährleisten“. (vgl. A II. 7. Der Erläuterungen zum 1. GlüÄndStV)


Mit dem
GlüÄndStV werden die Vorgaben aus dem Urteil Gambelli nicht eingehalten. Das Spielhallenrecht entspricht nicht den Vorgaben aus dem Urteil Pfleger.

Mit dem neuen Staatsvertrag wollen die Länder ein weitreichendes Monopol auf Lotterien und Glücksspiel aufrechterhalten - und damit auch auf die Einnahmen.
Sie argumentieren dabei mit dem Schutz vor Sucht und Kriminalität.
Lotto-Gesellschaften erwarten durch Staatsvertrag Mehreinnahmen
Staatsrechtler halten den "neuen" Glücksspielstaatsvertrag für rechtswidrig !
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Österreich möchte mit 3 neuen Spielcasinos die Spielsucht bekämpfen ???

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Ungarn: Nach Automatenverbot 5 neue Vollcasinos
Das Gesetz erlaubt die Vergabe von bis zu elf Casinokonzessionen
Regierungsnahe Kreise beherrschen Casino-Szene

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Nicht zur Eindämmung von Gefahren dient auch die neue Spielbank für Köln.
In jedem Fall wird das staatlich legitimierte Spieleangebot ausgeweitet und nicht verringert!

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Der EuGH hat in den verbundenen Rechtssachen (Fortuna C-213/11, Grand C-214/11 und Forta C-217/11), entschieden, dass Einschränkungen auch für staatliche Angebote zu gelten haben. Nach Auffassung des EuGH muss dann das nationale Gericht prüfen, ob die Verringerung der Stätten für Automatenspiele auch mit einer Begrenzung der Höchstzahl der Spielkasinos und der dort benutzbaren Spielautomaten einhergeht. (Rn 38)

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