Mittwoch, 14. Juni 2017

Besprechung der Rs. Online Games (C-685/15) zum Spielhallenrecht

Zum Urteil vom 14. Juni 2017
SCHLUSSANTRÄGE vom 9. März 2017

Spielhallen: EuGH präzisiert Darlegungs- und Beweislast der Behörden für die zwingende Erforderlichkeit staatlicher Eingriffe im Bereich des Glücksspiels

Gerichte sind keine „Reparaturbetriebe“ der Verwaltung: EuGH C-685/15 vom 14.6.2017

Ein Beitrag von Rechtsanwalt Rolf Karpenstein


Beschränkungen und Verbote im Bereich der Sportwetten und des Glücksspiels sind an den Grundfreiheiten zu messen.

Der Gerichtshof bestätigte nun mit klaren Worten die Systematik des EU-Rechts, demnach die Grundfreiheiten an die Behörden der Mitgliedstaaten gerichtete höherrangige Verbotsnormen sind. Daraus folgt, dass die Behörde, die in die Grundfreiheiten eines Sportwetten- oder Glücksspielanbieters eingreift, darlegungs- und beweisbelastet dafür ist, dass der von ihr ausgehende Eingriff nicht nur auf einer Rechtsgrundlage im nationalen Recht beruht, sondern auch zwingend erforderlich und verhältnismäßig sowie Ausdruck einer systematischen und kohärenten Regulierung und Behördenpraxis ist, um ausnahmsweise die Verletzung der höherrangigen Verbotsnormen zu legitimieren. Es ist nicht Aufgabe des Wirtschaftsbeteiligten, die fehlende Legitimation des Eingriffs darzulegen und zu beweisen.

Diese Systematik des höherrangigen EU-Rechts wird häufig nicht nur „übersehen“, sondern auf den Kopf gestellt. So sind richterliche Entscheidungen ergangen, in denen die Behörde ihrer Darlegungs- und Beweislast nicht nachgekommen ist (weil sie auch keine Legitimation ihres Eingriffes darlegen und nachweisen könnte), der Eingriff in Grundfreiheiten dennoch als unionsrechtskonform beurteilt wurde. Dieser Praxis hat der EuGH einen Riegel vorgeschoben, obwohl seine bisherige Rechtsprechung keinen Anlass für Zweifel hinsichtlich der Darlegungslast und der Beweislast geben konnte.

Der in Gesetzeskraft erwachsene Tenor der EuGH-Entscheidung lautet zusammengefasst:
„Die Art. 49 und 56 AEUV, wie sie insbesondere im Pfleger-Urteil ausgelegt wurden, sind im Licht des Art. 47 der Charta dahin auszulegen, dass sie einer Regelung oder Praxis entgegenstehen, die zur Folge hat, dass das Gericht an die Stelle der zuständigen Behörden des betreffenden Mitgliedstaates zu treten hat, denen es obliegt, die Beweise vorzulegen, die erforderlich sind, damit das Gericht prüfen kann, ob die Beschränkung gerechtfertigt ist.“
Damit ist die Praxis nicht vereinbar, dass sich die Behörden zur Begründung von Beschränkungen im Bereich des Glücksspiels schlicht auf ihre Interpretation der nationalen Rechtslage stützen, ohne darzulegen und zu beweisen, weshalb es im Lichte der konkreten Anwendungsmodalitäten, insbesondere der omnipräsenten anreizenden und ermunternden Werbung der Bundesländer für ihre eigenen Glücksspiele, zwingend notwendig sein soll, die jeweilige Beschränkung oder das jeweilige vollständige Verbot durchzusetzen. Die Behörden haben eine „Bringschuld“, die ihnen die Gerichte nicht abnehmen können und nicht abnehmen dürfen. Trägt z.B. in einem Gerichtsverfahren die Behörde nicht substantiiert vor, weshalb der von ihr ausgehende Eingriff in Grundfreiheiten zwingend erforderlich sowie Ausdruck einer bundesweiten systematischen und kohärenten Glücksspielpolitik ist, obwohl z.B. die anreizende und ermunternde Werbung der staatlichen Lotterieunternehmen von vornherein der Annahme einer solchen systematischen und kohärenten Glücksspielpolitik entgegensteht, ist es den nationalen Gerichten unionsrechtlich untersagt, den Behörden unter die Arme zu greifen und Versäumnisse der Behörde zu reparieren. Der EuGH führt aus:
„Diese Gerichte können nach den nationalen Verfahrensregeln zwar verpflichtet sein, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die Vorlage solcher Beweise zu fördern, doch können sie – wie die Generalanwältin in den Nrn. 51 bis 56 und 68 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat – nicht verpflichtet sein, anstelle der genannten Behörden die Rechtfertigungsgründe vorzubringen, die nach dem Urteil vom 30. April 2014, Pfleger u. a. (C390/12, EU:C:2014:281), diese Behörden vorzubringen haben. Werden diese Rechtfertigungsgründe wegen der Abwesenheit oder der Passivität dieser Behörden nicht vorgebracht, müssen die nationalen Gerichte alle Konsequenzen ziehen dürfen, die sich aus einem solchen Mangel ergeben.“
Der EuGH sagt damit nichts spektakulär Neues, aber er präzisiert Altes mit spektakulär klaren Worten. Er stellt klar, wie das EU-Recht in glücksspielrechtlichen Konstellationen, die per se Binnenmarktrelevanz haben und sich an den Grundfreiheiten messen lassen müssen, in der Vergangenheit richtig anzuwenden gewesen wäre und in Zukunft richtig anzuwenden ist. Die Darlegungslast und die Beweislast für die Legitimation des behördlichen Eingriffs liegt bei der Behörde. Sie kann weder auf das Gericht übergewälzt werden noch darf das Gericht diese Last der Behörde abnehmen.

Auch betont der EuGH erneut (Rn. 53), dass die Prüfung des nationalen Gerichts (und auch die Prüfung ihres Eingriffs in Grundfreiheiten durch die Behörde) „dynamisch“ sein muss und sich an der Entwicklung der Umstände nach dem Erlass des staatlichen Eingriffs zu orientieren hat. Konkret: Behörden, die Eingriffe im Glücksspielbereich vornehmen, wie z.B. die Schließung einer Spielhalle, müssen „dynamisch“ darlegen und beweisen, dass damit die angeblich beabsichtigte Bekämpfung von Suchtgefahren auch tatsächlich systematisch und kohärent erreicht wird.

Kontakt:
Blume Ritscher Nguyen Rega Rechtsanwälte
Rechtsanwalt Rolf Karpenstein
Gerhofstraße 38
20354 Hamburg
Tel.: 0171/8503528
eMail: karpenstein@raeblume.de
Online: www.raeblume.de



In den Schlussanträgen vom 9. März 2017 legte die Generalanwältin E. SHARPSTON unter dem Kapitel „Anwendbarkeit der Charta und der Menschenrechtskonvention“ dar, dass Verwaltungsübertretungen als strafbare Handlung zu werten wären.

31. Nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte findet Art. 6 Abs. 1 EMRK auf österreichische Verwaltungsübertretungen und auf das entsprechende Verwaltungsstrafverfahrensrecht Anwendung(15).

Daraus ergibt sich, dass derartigen Übertretungen eine „strafrechtliche“ Natur im Sinne dieser Bestimmung(16) und somit auch des Art. 47 EGRC zuzuerkennen ist.
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Der EuGH hat entschieden!

Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat wie berichtet Ende 2015 einen Vorlageantrag an den EuGH gestellt, mit dem es vor allem wissen wollte, ob das Amtswegigkeitsprinzip dem Recht auf ein faires Verfahren entsrpicht.

In seinem heute ergangenen Urteil äußerte sich der EuGH insbesondere zur Rollenverteilung zwischen Staat und Gericht, wenn es um die Frage geht, wer die Rechtfertigungsgründe für den Eingriff in die Dienstleistungsfreiheit zu ermitteln hat.

Lesen Sie hier die wesentlichen Auszüge aus dem Erkenntnis des EuGH "Online Games ua", RS C-685/15:

"Hierzu hat der Gerichtshof entschieden, dass den zuständigen Stellen des Mitgliedsstaates, der sich auf ein Ziel berufen möchte, mit dem sich eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs rechtfertigen lässt, obliegt, dem nationalen Gericht, das über diese Frage entschieden hat, alle Umstände darzulegen, anhand deren dieses Gericht sich vergewissern kann, dass die Maßnahme tatsächlich den vom Gerichtshof aufgestellten Anforderungen genügt, damit sie gerechtfetigt angesehen werden kann(vgl. in diesem Sinne Urteil vom 30. April 2014, Pfleger u.a., C-390/12, EU:C:2014:281, Rn 50 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Das nationale Gericht hat sodann zu prüfen, welche Ziele mit der betreffenden Regelung tatsächlich verfolgt werden und ob die durch die Regelung auferlegten Beschränkungen den sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes ergebenden Anforderungen an ihre Verhältnismäßigkeit genügen. Insbesondere muss es sich im Licht der konkreten Anwendungsmodalitäten der betreffenden restriktiven Regelung vergewissern, dass sie tatsächlich dem Anliegen entspricht, in kohärenter und systematischer Weise die Gelegenheiten zum Spiel zu verringern, die Tätigkeiten in diesem Bereich zu begrenzen und die mit diesen Spielen verbundene Kriminalität zu bekämpfen (Urteil vom 30. April 2014, Pfleger u.a., C-390/12, EU:C:2014:281, Rn 47 bis 49 und die dort angeführte Rechtsprechung).

[...]

Was das Zusammenspiel zwischen der den nationalen Gerichten nach dem nationalen Recht obliegenden Pflicht, in den bei ihnen anhängigen Rechtssachen von Amts wegen zu ermitteln und dem Urteil vom 30. April 2014, Pfleger ua (C-390/12, EU:C:2014:281), anbelangt, ist in den Rn 50 bis 52 des vorliegenden Urteils darauf hingewiesen worden, dass die nationalen Gerichte nach dem Unionsrecht eine Gesamtwürdigung der Umstände, unter denen eine restriktive Regelung erlassen worden ist und durchgeführt wird, auf der Grundlage der Beweise vornehmen müssen, die die zuständigen Behörden des Mitgliedsstaats vorgelegt haben, um das Vorliegen von Zielen, mit denen sich eine Beschränkung einer vom AEU-Vertrag gewährleisteten Grundfreiheit rechtfetigen lässt, und deren Verhältnismäßigkeit darzutun.

Diese Gerichte können nach den nationalen Verfahrensregeln zwar verpflichtet sein, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die Vorlage solcher Beweise zu fördern, doch können sie - wie die Generalanwältin in den Nrn. 51 bis 56 und 68 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat - nicht verpflichtet sein, anstelle der genannten Behörden die Rechtfertigungsgründe vorzubringen, die nach dem Urteil vom 30. April 2014, Pfleger ua (C-390/12, EU C:2014:281), diese Behörden vorzubringen haben. Werden diese Rechtfertigungsgründe wegen der Abwesenheit oder der Passivität dieser Behörden nicht vorgebracht, müssen die nationalen Gerichte alle Konsequenzen ziehen dürfen, die sich aus einem solchen Mangel ergeben."

Fazit:

In den österreichischen Verwaltungsverfahren nimmt die Behörde für den seltenen Fall, dass sie an einer Verhandlung teilnimmt, eine sehr passive Rolle ein. Rechtfertigungsgründe für die Notwendigkeit oder Verhältnismäßigkeit einer restriktiven Regelung wie sie in Österreich besteht, werden quasi nie vorgebracht. Diese Verfahrensführung hat zur Folge, dass das Gericht nach der Rechtsprechung des EuGH die höherrangige Dienstleistungsfreiheit anzuwenden und die Monopolbestimmungen unangewendet zu lassen hat. Es darf jedoch nicht - wie dies derzeit die gängige Praxis der Verwaltungsgerichte in Österreich ist - von sich aus Rechtfertigungsgründe für den Eingriff in die Dienstleistungsfreiheit ermitteln und seinem Urteil zugrunde legen.

Quelle: glücksspielinfo