Donnerstag, 12. Februar 2015

BGH: Digibet u.a. (I ZR 171/10 und I ZR 4/12) Verhandlungstermin: 12. Februar 2015

Verhandlungstermin: 12. Februar 2015

I ZR 171/10 und I ZR 4/12

I ZR 171/10

LG Köln - Urteil vom 22. Oktober 2009 - 31 O 552/08
BeckRS 2010, 05174
OLG Köln - Urteil vom 3. September 2010 - 6 U 196/09
BeckRS 2011, 01038
BGH - Beschluss vom 24. Januar 2013 - I ZR 171/10
GRUR 2013, 527 = WRP 2013, 515 - digibet
EuGH - Urteil vom 12. Juni 2014 - C-156/13
GRUR 2014, 876 = WRP 2014, 1172 - Digibet u.a./Westdeutsche Lotterie

I ZR 4/12

LG Bremen - Urteil vom 11. November 2010 - 12 O 399/09
BeckRS 2011, 09644
OLG Bremen - Urteil vom 9. Dezember 2012 - 2 U 149/10
BeckRS 2013, 05573
BGH - Beschluss vom 13. März 2013 - I ZR 4/12
BeckRS 2013, 05545

In den zur Verhandlung anstehenden Parallelverfahren hat der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs über die Frage zu entscheiden, ob das Angebot von Glücksspielen und Sportwetten im Internet nach einer Neuregelung des Glückspielrechtes auch mit Blick auf das Unionsrecht als wettbewerbswidrig anzusehen ist.

Die Beklagte bietet im Internet Glücksspiele und Sportwetten an. Die Klägerin im Verfahren I ZR 171/10, die staatliche Lottogesellschaft von Nordrhein-Westfalen, hält dieses Angebot für wettbewerbswidrig. Ihre Unterlassungsklage hatte in beiden Vorinstanzen Erfolg. Im Verfahren I ZR 4/12 wird die Beklagte von der Bremer Toto und Lotto GmbH auf Unterlassung in Anspruch genommen. Auch diese Klage hatte in den Vorinstanzen überwiegend Erfolg.

In der Zeit vom 1. Januar 2012 bis zum 08. Februar 2013 galt in Schleswig-Holstein ein liberalisiertes Glücksspielrecht. Danach waren Vertrieb und Werbung für Glücksspiele im Internet grundsätzlich zulässig; unter bestimmten objektiven Voraussetzungen war die Genehmigung für den Vertrieb öffentlicher Wetten jedem Antragsteller aus der EU zu erteilen. Nach dem in den übrigen Bundesländern seit dem 1. Juli 2012 geltenden neuen Glücksspielstaatsvertrag (1. Glücksspieländerungsstaatsvertrag GlüStV 2012), der weiterhin Vertriebs- und Werbeverbote für Glücksspiel im Internet enthält, kann die Verwendung des Internets zu diesen Zwecken demgegenüber unter bestimmten Voraussetzungen zwar erlaubt werden. Auf die Erlaubniserteilung besteht jedoch kein Rechtsanspruch. Diesem Vertrag ist Schleswig-Holstein erst mit Wirkung zum 09. Februar 2013 beigetreten, wobei unter der Geltung des liberalisierten Glücksspielrechtes in Schleswig-Holstein erteilte Genehmigungen für das Angebot von Glücksspielen im Internet, auch nach dem Beitritt Schleswig-Holsteins zum GlüStV 2012 während einer Übergangszeit weiter gelten.

Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union sind Beschränkungen der Glücksspieltätigkeit nur dann mit der Dienstleistungsfreiheit vereinbar, wenn ihre Eignung, legitime Allgemeininteressen zu verfolgen, nicht durch Ausnahmen und Einschränkungen beseitigt wird (Kohärenzgebot). Die - vorübergehende - Liberalisierung von Internetvertrieb und -werbung für Glücksspiele in Schleswig-Holstein könnte die Eignung der entsprechenden Verbote in den anderen Bundesländern zur Erreichung der mit dem Glücksspielstaatsvertrag 2012 verfolgten legitimen Allgemeininteressen erheblich beeinträchtigen, mit der möglichen Folge, dass die Vertriebs- und Werbebeschränkungen im Internet für Glücksspiele in den übrigen Bundesländern wegen Verstoßes gegen Unionsrecht unanwendbar sind.

Der Bundesgerichtshof hat deshalb das Verfahren I ZR 171/10 ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Union Fragen zur unionsrechtlichen Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 AEUV) vorgelegt (vgl. Pressemitteilung Nr. 12/2013). Das Verfahren I ZR 4/12 hat er bis zur Entscheidung über den Vorlagebeschluss ausgesetzt.

Der Gerichtshof der Europäischen Union hat die Vorlagefragen dahin beantwortet, dass Art. 56 AEUV dahin auszulegen sei, dass er einer der Mehrheit der Gliedstaaten eines föderal strukturierten Mitgliedstaats gemeinsamen Regelung, die die Veranstaltung und die Vermittlung von Glücksspielen im Internet grundsätzlich verbietet, während ein einzelner Gliedstaat für einen begrenzten Zeitraum neben den restriktiven Rechtsvorschriften der übrigen Gliedstaaten bestehende weniger strenge Rechtsvorschriften beibehalten hat, dann nicht entgegensteht, wenn diese gemeinsame Regelung den in der Rechtsprechung des Gerichtshofs aufgestellten Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit genügt. Ob dies der Fall sei, sei durch das das vorlegende Gericht zu prüfen.

Mit ihren Revisionen erstrebt die Beklagte weiterhin die Abweisung der Klagen.
Quelle



Unterschiedliche Interpretation

An dieser Stelle gehen die Meinungen stark auseinander. Die Westdeutsche Lotterie GmbH & Co OHG, die den Prozess mit einer Unterlassungsklage gegen den privaten Glücksspielanbieter digibet angestoßen hatte, sieht sich in dem Urteil bestätigt.

Die Entscheidung sei ein Meilenstein und "ein schwerer Schlag für die privaten illegalen Wettanbieter", kommentierte Theo Goßner, Sprecher der Geschäftsführung von WestLotto. "Nach den bisherigen Ausführungen des Bundesgerichtshofs dürfen wir nun auch eine abschließende positive Entscheidung von dort erwarten".

Anders sieht das hingegen Hans-Jörn Arp, einer der Väter des liberalen Kieler Gesetzes. Sämtliche Vorwürfe gegen das schleswig-holsteinische Regulierungsmodell seien durch das Urteil entkräftet worden. Es sei nur noch eine Frage der Zeit, bis die EU-Ebene den Vertrag endgültig kippt.

Brief an die Ministerpräsidenten
Auch die schleswig-holsteinischen Grünen nutzten das Urteil, um erneut über die Regulierung nachzudenken. Der Glücksspielvertrag sei eine realitätsferne Lösung. Auch wenn es richtig gewesen sei, dem Staatsvertrag beizutreten, müssen man zu einer "liberaleren, realitätsnahen Lösung" kommen. "Das Komplettverbot im Onlinebereich ist und bleibt falsch."

Gleichzeitig zu diesem Urteil bezeichnete eine "Allianz digitaler Wett-, Poker- und Lotterieanbieter" den Staatsvertrag als gescheitert. In einem Brief an die Ministerpräsidenten fordern sie eine öffentliche Diskussion der aktuellen Zustände auf dem deutschen Glücksspielmarkt. Von Rechtssicherheit könne keine Rede sein. Eine Prozesswelle habe Deutschland erfasst.
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s.a.:
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