Freitag, 16. Mai 2014

Fall Peggy: LG Bayreuth spricht Ulvi K. frei

Ohne Beweise wurde der Angeklagte Ulvi K., wegen Mordes, rechtsfehlerfrei durch das LG Hof zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. (vgl. Beschluß v. 25.01.2005, BGH/Nack-Senat s.u.)

RA Euler hat laut einem Zeitungsartikel 1000 Stunden in diesen Fall investiert, 14 000 Seiten Ermittlungsakten durchgearbeitet und dabei sehr viele Ungereimtheiten gefunden mit denen letztlich die Wiederaufnahme erreicht werden konnte.

Wie erwartet, hat das LG Bayreuth im Wiederaufnahmeverfahren den Angeklagten Ulvi K. freigesprochen.

MICHAEL EULER: Ich gehe davon aus, dass das Gericht Herrn Kulaçs Unschuld als erwiesen ansieht und ihn nicht nur aus Mangel an Beweisen freispricht. Alles andere wäre eine Überraschung. Allerdings hat sich der Polizeibeamte, der die seit 2012 fortgeführten Ermittlungen leitet, auch in diesem Verfahren seltsam geäußert: Er könne nicht ausschließen, dass Ulvi Kulaç die Tat begangen habe – auch wenn es bestimmt nicht so gewesen sei, wie Kulaç es gestanden hat. Andere Tat-Szenarien hielt er für denkbar, aber plausibel erklären konnte er sie nicht.

Sie haben nachgewiesen, dass vor allem die Polizei viele Fehler gemacht hat. Haben Sie den Eindruck, dass die Polizei oder die Staatsanwaltschaft das einsehen?

EULER: Nein. Die Staatsanwaltschaft hat in ihrem Plädoyer nochmals versucht, die Arbeit der Ermittlungsbehörden zu beschönigen. Auf die wesentlichen Punkte ist sie aber nicht eingegangen.....

EULEL zum V-Mann der Polizei: Wörtlich heißt es in dem Protokoll: „Man hat mir gesagt, dass ich aussagen soll, er hat sie umgebracht, gedrosselt, bis sie tot war. Am schlimmsten war der Chefermittler.“ Der Ermittlungsrichter von 2010 hat die Aussage des Zeugen als glaubhaft erachtet. Es steht daher der Vorwurf der Anstiftung zur Falschaussage durch Polizeibeamte im Raum.
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"Er ist aus tatsächlichen Gründen freizusprechen; ein Tatnachweis ist nicht möglich", sagte der Vorsitzende Richter Michael Eckstein. Zahlreiche Zuschauer im Gerichtssaal applaudierten. Unterstützer von Ulvi K. organisierten vor dem Gebäude einen Sektempfang.
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"Das Geständnis mit Divergenzen und Ungereimtheiten kann keine Grundlage für eine Verurteilung sein", sagte Eckstein. "Hinzu kommt noch, dass dieses Geständnis mit keinem einzigen Sachbeweis zu belegen ist."

"Ich bin mit dem Urteil sehr zufrieden", sagte Verteidiger Michael Euler. Er bewertete den Richterspruch als Freispruch erster Klasse: "Es gibt nichts; es gibt keinen einzigen Beweis, dass Ulvi K. Peggy getötet hat."
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Wie das Landgericht Bayreuth gestern in der Begründung seines Freispruchs betonte, gibt es keine Grundlage für eine Verurteilung von Ulvi K. Er hätte aufgrund des fragwürdigen Geständnisses und der Beweislage 2004 niemals wegen Mordes an der neunjährigen Peggy verurteilt werden dürfen. Doch der geistig Behinderte war offenbar ein geeigneter Sündenbock – und das kam den Ermittlern, die auch politisch unter Druck gesetzt wurden, zupass. Der bayerische Innenminister Günther Beckstein hatte schließlich 2002 eine zweite Sonderkommission eingesetzt, die endlich ein Ergebnis präsentieren sollte.

Was dieser Druck bewirkt hat, zeigt sich jetzt: ......
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Wer verschleppte Peggy?
Im Mordfall Peggy wird der 36-jährige Ulvi K. freigesprochen. Doch von dem Mädchen, das am 7. Mai 2001 verschwunden ist, fehlt weiter jede Spur......
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Nach dem Freispruch für Ulvi K. im Mordfall Peggy verzichtet die Mutter der Vermissten darauf, Revision einzulegen. Das kündigte die 41-Jährige in der Sendung "stern TV" an. Ein Gericht hatte zuvor eine frühere Verurteilung wegen Mordes aufgehoben.
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Vorurteil, Urteil, Fehlurteil Warum Richter irren
Am Ende kann kein einziger Sachbeweis für das Geständnis von Ulvi K. gefunden werden. Im Wiederaufnahmeverfahren wird er freigesprochen. Doch was nach einem Sieg der unabhängigen Justiz aussieht, verdeckt nur mühsam, wie häufig in deutschen Gerichtssälen Fehlurteile fallen.

Sein Fall reiht sich ein in eine Linie von spektakulären Fehlurteilen, die Menschen zum Teil viele Jahre hinter Gitter gebracht haben. Die Tatsache, dass Deutschland wenigstens keine Todesstrafe verhängt, erscheint da nur als zynischer Trost. Für Harry Wörz, der seine Frau so schwer gewürgt haben soll, dass sie seitdem schwer behindert ist, die Familie des Bauern Rupp, die den Patriarchen angeblich an die Schweine verfütterte, oder auch für Gustl Mollath, dessen Wiederaufnahmeprozess ebenfalls noch in diesem Jahr beginnt, sind die Irrtümer im Gerichtssaal persönliche Tragödien.

Hohe Fehlerquote

Selten sind solche Fälle nicht, ist sich Strafverteidiger Ulrich Sommer aus Köln absolut sicher. "Das passiert relativ häufig." Die Schätzungen schwanken zwischen 10 und 25 Prozent. Bis zu ein Viertel aller in Deutschland gefällten Urteile falsch? Das ist eine beängstigende Vorstellung.
Ist die Hauptverhandlung erst einmal eröffnet, gibt es in nur 2,9 Prozent der Fälle einen Freispruch.
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Hintergrund:

Fall Peggy – Neue Hauptverhandlung gegen Ulvi Kulac

Prof. Dr. Henning Ernst Müller:
Nach dem Fall Mollath, der im vergangenen Jahr die Öffentlichkeit beschäftigt hat, findet nun mit dem Fall Peggy erneut ein Strafverfahren bundesweit Beachtung, das geeignet ist, das Vertrauen in die bayerischen  Ermittlungsbehörden und die Justiz auf eine harte Probe zu stellen.

Soll in einem Mordfall ohne Leiche verurteilt werden, dann stellt dies an die Strafverfolgungsbehörden, an Sachverständige und das Gericht besonders hohe Anforderungen: Die Beweislage muss eindeutig sein, objektiv begründete Zweifel schon daran, dass überhaupt das angeklagte Tötungsdelikt stattgefunden hat, dürfen nicht verbleiben. Im Fall Peggy, dem vor 13 Jahren verschwundenen Mädchen, und dem Strafverfahren gegen Ulvi K., waren die Beteiligten den an sie gestellten Anforderungen nicht gewachsen. Ganz gleich, ob der Fall Peggy jemals aufgeklärt werden kann: Polizei, Staatsanwaltschaft, Gutachter, Gerichten ist multiples Versagen vorzuwerfen.

....................... Die juristische Kontrolle dieser polizeilichen Ermittlungen seitens der Staatsanwaltschaft hat versagt: Entgegen ihrer Verpflichtung, objektiv zu ermitteln und die Beweislage objektiv zu beurteilen, hat die Staatsanwaltschaft die mageren Ermittlungsergebnisse der Polizei offenbar ohne kritische Prüfung zur Anklage gebracht.

Die Strafkammer des LG Hof hat sich mit einer fragwürdigen Beweislage zufrieden gegeben ("ohne jeden Zweifel"). Es hat, um die Glaubhaftigkeit des Geständnisses zu belegen, einen Psychiater beauftragt, der über keine Expertise zur aussagepsychologischen Glaubhaftigkeitsuntersuchung verfügte. Sein Gutachten leidet unter Kardinalfehlern
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Viele fragwürdige Urteile in Bayern mit Fehlern als Methode, BGH als “Olli-Kahn-Senat” verspottet, Nähe von Richtern und Staatsanwälten zu gross

Viele Zweifel an einem zweifelsfreiem Urteil

Bundesgerichtshof
Mitteilung der Pressestelle
Nr. 37/2005
Urteil wegen Mordes an Peggy rechtskräftig

Das Landgericht Hof hatte den Angeklagten wegen Mordes an der zur Tatzeit neunjährigen Peggy zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Außerdem hatte es seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet.
Der Bundesgerichtshof hat die Revision des Angeklagten verworfen. Die Beweiswürdigung, insbesondere die Würdigung des Geständnisses des Angeklagten, ist durch das Landgericht rechtsfehlerfrei erfolgt. Das Urteil ist damit rechtskräftig.
Beschluß vom 25. Januar 2005 – 1 StR 502/04
(Landgericht Hof - 1 KLs 22 Js 12 451/01)
Karlsruhe, den 28. Februar 2005
Pressestelle des Bundesgerichtshof
76125 Karlsruhe
Telefon (0721) 159-5013
Telefax (0721) 159-5501

„Eine offenbar systematisch angelegte Uneinsichtigkeit und Unfähigkeit zur Fehlerkorrektur“ bescheinigte Henning Ernst Müller, Strafrechtsprofessor an der Uni Regensburg, der bayerischen Justiz.

Fehlerkultur Fehlanzeige
Richter ordnet „versehentlich“ Zwangseinweisung an
Fast wäre eine 72jährige grundlos in der Psychiatrie gelandet. „Ein Versehen“, heißt es dazu vom Regensburger Amtsgericht. Wie es dazu kommen konnte, will ihrem Sohn bis heute niemand erklären. Statt einer Entschuldigung hieß es: „Angelegenheit erledigt“. Jetzt hat sich Markus Bauer mit einer Petition an den Landtag gewandt.

Das eine Versehen oder das andere – irgendwie egal

So gibt es etwa zwei Stellungnahmen des Richters, der die Zwangsunterbringung anordnete.

In der einen sieht er diese Unterbringung offenbar als rechtlich notwendig an. Er habe lediglich vergessen, sie auf sechs Wochen zu begrenzen, schreibt er.

Eine Woche später liest sich das plötzlich ganz anders. Jetzt schreibt derselbe Richter, dass er vergessen habe, die Anordnung zur Zwangsunterbringung in dem entsprechenden Formblatt durchzustreichen.
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Fehlurteile – der Super-Gau in der Justiz
Schließlich begeben sich manche Richter, so Darnstädt, so verbissen auf die Suche nach der Wahrheit, dass sie sich die Realität zurechtlegen, wie sie gerade passt. Oft sind sie dabei offenbar überfordert, die Fakten richtig zu rekonstruieren, wird das doch in der Richterausbildung nicht vermittelt. Groß ist bisweilen auch die Selbstüberschätzung einiger Richter, die nur selten an ihren Urteilen zweifeln. Sie glauben, die Wahrheit gefunden zu haben - ein gleichermaßen eitles wie aussichtsloses Unterfangen. Dass es zu Fehlurteilen kommt, wäre wohl nicht so ein Gau, wenn es im Strafrecht mehr Möglichkeiten gäbe, einen Prozess neu aufzurollen. Oder wenn tatsächlich mehr Kontrollinstanzen existierten, und der Wille, nach Fehlurteilen Konsequenzen zu ziehen. Dieser ist aber auch nach spektakulären Fehlurteilen kaum zu erkennen. Bei einem Flugzeugabsturz, so Darnstädt, würden kilometerweise die Meere abgesucht, um die Ursache für den Fehler zu finden. Bei der Justiz hingegen stellt sich im Falle eines Irrtums nur selten die Frage nach dem Warum.
Darnstädt allerdings stellt die Frage und beantwortet sie ebenso vielschichtig wie klug. Herausgekommen ist dabei ein sehr lesenswertes und gut geschriebenes Buch, das ein beängstigendes Licht auf das deutsche Strafrechtssystem wirft. "Der Richter und sein Opfer. Wenn die Justiz sich irrt"
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