Mittwoch, 27. November 2013

Offener Brief an das Finanzgericht Hamburg vom 27.11.13

Betreff: 
Metropol Spielstätten Unternehmergesellschaft
gegen
Finanzamt Hamburg-Bergedorf
Bezug:    
Beschluss vom 21.9.2012 (Az. 3 K 104/11
EuGH-Urteil vom 24.10.2013 (Rs. C-440/12)
hier:       
Unionsrechtswidriger Vorsteuerabzug bei Spielbanken,
Spielhallen und Gaststätten
Verstoß gegen die steuerliche Neutralität
Verstoß gegen das Dispensverfahren gem. Art. 395, 1
Verstoß gegen den Notifizierungszwang nach der InformationsverfahrensRL 98/34/EG
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Sehr geehrte Damen und Herren,

mit Interesse habe ich die bisherigen Aufsätze und Kommentierungen zu der Entscheidung des EuGH in der Rs. C-440/12, auch in Bezug zum Wettbewerbsrecht und den Transparenzvorschriften der Union gelesen.

Ich interessiere mich für dieses Verfahren, da aus meiner Sicht die Abweichung von der Mehrwertsteuerrichtlinie, die Steuergeldverschwendung durch unzulässige Subventionierung staatlicher Casinos unzulässig ist und sich eine Ungleichbehandlung mit Griechenland in Bezug zu den laufenden Beihilfeverfahren [(IP/11/635 und SA.35602 (2012/CP)] verbietet.

Rettungsschirme für Spielbanken passen absolut nicht in die Landschaft,“ sagte SPD-Fraktionschef Andreas Dressel.

Quelle:
http://www.mopo.de/politik/steuergeschenk-spielbankabgabe--senat-entlastet-casinos,5067150,24835356.html

Hiermit erlaube ich mir, Sie als Tatsacheninstanz in der Rs. Metropol auf die unionsrechtliche Rechtslage hinzuweisen, die durch die unmittelbar gültige DurchführungsVO zur MwSystRL  2006/112/EG vom 23. März 2011 vorgegeben ist.

MwStSystRL:
http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CELEX:32006L0112:DE:NOT

Die Kompetenz zum Erlass einer DurchführungsVO liegt gem. Art. 397 MwStSystRL (allein) beim Rat ............

Unter der Rn. 4 des Amtsblattes der Europäischen Union, L 77 vom 23. März 2011 wird wie folgt vorgegeben:

„Da sie in allen Mitgliedstaaten verbindlich ist und unmittelbar gilt, wird die Einheitlichkeit der Anwendung am besten durch eine Verordnung gewährleistet.“

und auf Seite L 77/14:

“Diese Verordnung ist in allen ihren Teilen verbindlich und gilt unmittelbar in jedem Mitgliedstaat.“

Quelle:
http://eur-lex.europa.eu/JOHtml.do?uri=OJ%3AL%3A2011%3A077%3ASOM%3ADE%3AHTML
    
Mit dem Amtsblatt Nr. C 188  vom 28/06/2012 wurde erneut auf die Rechtslage hingewiesen und unter S. 0002 – 0003 vorgegeben:

"Die EU-Organe haben nach Artikel 113 des Vertrags für die Harmonisierung der Rechtsvorschriften über die Umsatzsteuern wie z. B. die Mehrwertsteuer (MwSt) zu sorgen, um das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes zu gewährleisten." 

Quelle:
http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:C:2012:188:0002:0003:DE:PDF

Das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (die „Mehrwertsteuerrichtlinie“) ist unter Zusammenfassung der EU-Gesetzgebung veröffentlicht und für jedermann unter folgendem Link einsehbar:

http://europa.eu/legislation_summaries/taxation/l31057_de.htm

Unter Mehrwertsteuerbefreiungen ohne Recht auf Vorsteuerabzug wurden Steuerbefreiungen für folgende Tätigkeiten vorgesehen:

“bestimmte Umsätze, die unter anderem Versicherungen, die Gewährung von Krediten, bestimmte Bankdienstleistungen, die Lieferung von Postwertzeichen, Glücks- oder Geldspiele sowie bestimmte Immobilienlieferungen einschließen.“

Hieraus ergibt sich eine zwingende Mehrwertsteuerbefreiung für Glücksspielumsätze.

Die im EuGH-Urteil (Rs 440/12) vom 24.10.2013 angegebene Rechtslage ist insofern unvollständig, da sich diese nur auf das beschränkt was durch die Vorlagefragen vorgegeben wurde, weshalb in den bisherigen Verfahren die ebenfalls maßgeblichen Art. 137 und Art. 395, 1 der MwStSystRL  unberücksichtigt blieben.

Die Steuerbefreiung für Glücksspielumsätze ist durch Art. 135, 1 Buchstabe ”i”, dem Art. 401, der zwingend vorgibt, dass eine Umsatzsteuer oder eine damit vergleichbare Steuer weder “beibehalten“ noch "neu" ein-geführt werden darf, und durch Art. 137 vorgegeben, der explizit eine Mehrwertsteueroption ausschließt, weshalb sich auch ein Vorsteuerabzug verbietet.

Neufassung des Umsatzsteuergesetzes unanwendbar

Nach den Unionsrechtlichen Vorgaben verstößt schon die Neufassung von § 4 Nr. 9 Buchst. B, des deutschen Umsatzsteuergesetzes vom 28. April 2006 (BGBl. I S. 1095) aus “zwei“ Gründen gegen höheres Recht und ist entspr.  § 1 AO unanwendbar.

Die Rechtsänderung wurde weder notifiziert noch über ein Dispensverfahren durch den Rat genehmigt. Damit fehlt der Neufassung des deutschen Umsatzsteuergesetzes (BGBl. I S. 1095) die Rechtsgrundlage.

1. Dispensverfahren nach Art. 395, 1

Entsprechend den verbindlichen Vorgaben, dürfen Abweichungen von der MwStSystRL 2006/112/EG ausschließlich über ein Dispensverfahren gem. Art. 395, 1 durch den Rat der Union genehmigt werden.

Eine Ermächtigung zur Einführung einer Mehrwertsteuer auf Glücksspielumsätze (Sondermaßnahme in Bezug zu Art. 135,1,i; Art. 137 und Art. 401) konnte nicht festgestellt werden, wodurch sich die Neufassung des § 4 Nr. 9 Buchst. b UstG vom 28. April 2006 (BGBl. I S. 1095) als unionsrechtswidrig und damit als unanwendbar darstellt.

Die Kompetenz, eine Abweichung von der DurchführungsVO zur MwStSystRL zu genehmigen, liegt gemäß Artikel 395 Absatz 1 allein beim Rat. Nur der Unionsgesetzgeber kann das harmonisierte Mehrwertsteuersystem ändern oder Ausnahmen über ein Dispensverfahren zulassen.

2. Notifizierungszwang

Entsprechend der InformationsverfahrensRL 98/34/EG, müssen Gesetzesänderungen gegenüber der Europäischen Kommission vorab notifiziert (d.h. im Entwurf mitgeteilt) werden. (vgl. EuGH Fortuna C-213/11, Grand C-214/11 und Forta C-217/11).

Nach diesseitigem Kenntnisstand wurde die Neufassung von § 4 Nr. 9 Buchst. B, des deutschen Umsatzsteuergesetzes vom 28. April 2006 (BGBl. I S. 1095) und der damit verbundene Vorsteuerabzug und die Umsatzsteuererstattung durch Verrechnung mit der Spielbankenabgabe der öffentlichen Spielbanken, weder notifiziert noch über ein Dispens-verfahren durch den Rat genehmigt.

Entsprechend der Entscheidung Fortuna u.a. fehlt somit die Rechtsgrundlage zur Erhebung einer Umsatzsteuer auf Glücksspielumsätze und der damit verbundene Vorsteuerabzug.

Im Hinblick auf die fehlende Notifizierung möchte ich noch auf den beigefügten Artikel aus der DStZ, Ausgabe 8/2013:

Steuerzahlungen ............... ohne Rechtsgrund?
Prof. Dr. Joachim E n g l i s c h /Rechtsanwalt Maximilian R i e g e

hinweisen, in dem die Autoren zu dem Ergebnis kommen, dass ohne eine ordnungsgemäße Notifizierung nach der InformationsverfahrensRL 98/34/EG, die Regelung unanwendbar ist und insofern zurzeit keine anwendbare Rechtsgrundlage für staatliche Steueransprüche darstellt. Bisher geleistete Steuerzahlungen erfolgten dementsprechend ohne Rechtsgrund.
Download:
http://www.timelaw.de/cms/upload/pdf/Seiten_aus_dstz_2013_08_Heftzusammenstellung.pdf

Ich hoffe mit diesen Zeilen zur Rechtsfindung beigetragen zu haben und bitte um Beachtung der Hinweise, insbesondere zum Notifizierungszwang und zum Dispensverfahren nach Art. 395, 1 der MwStSystRL.

Mit freundlichen Grüßen

Volker Stiny

Anlage: Auszug aus der Zeitschrift „Deutsche Steuer-Zeitung“ (DStZ), Ausgabe 8/2013, Stollfuß Medien


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Hintergrund:

Wettbewerbsverzerrung durch Steuerstundung und Erlass

Kritische Anmerkungen zur EuGH-Entscheidung vom 24.10.2013 (Rs. C-440/12)

EuGH-Urteil vom 24.10.2013 (Rs. C-440/12)

Kommentar zum EuGH-Urteil vom 26.09.2013 (Rs. C-189/11)

Bereits mehrfach habe ich darauf hingewiesen, dass staatliche Spielbanken seit Jahren vom Steuerzahler subventioniert werden, wodurch u.a. gegen die Beihilfevorschriften, die Wettbewerbsvorschriften und gegen den Neutralitätsgrundsatz der Union verstoßen wird.

Elektronisches Amtsblatt rechtsverbindlich
Aufgrund der Verordnung (EU) Nr. 216/2013 besitzt die elektronische Fassung des EU-Amtsblatts ab dem 1. Juli 2013 Echtheit und entfaltet Rechtswirkung. Sie können mehr darüber lesen im neuen EUR-Lex.
Quelle