Die Bundesländer klammern sich an die in der Glücksspielregulierung und -praxis verbliebene, letzte ertragreiche Bastion des Lotteriemonopols. Freilich geht es gerade in diesem Glückspielbereich kaum um Spielsuchtprävention, sondern eher um die Sicherung der Millionengewinne der staatlichen Lotterien. Mit entsprechender Vehemenz geht die staatliche Glücksspielaufsicht der profitierenden Bundesländer gegen unliebsame Glücksspielanbieter im Ausland vor, welche unter EU-Lizenz Wetten auf den Ausgang von Lottoziehungen anbieten. Flankiert werden die Bemühungen zunehmend durch Aussagen von Anwälten und anderen Interessenvertretern der staatlichen Lotterien, dass selbst Teilnahme an und Gewinn bei EU-ausländischen Glücksspielangeboten „beim Staatsanwalt landen“ müssten. Bei allem Verständnis für interessengesteuerte strategische Kommunikation bedarf es eines Abgleichs solcher Aussagen mit den Gegebenheiten und Grundlagen des Glücksspielstrafrechts – auch um Irreführung und Kreditgefährdung zu vermeiden.
Ungeachtet der Irrungen und Wirrungen des deutschen Glückspielrechts mit heterogenen Regulierungsintentionen der Bundesländer und kaum zu überblickender Judikatur zur Unions- und Verfassungsrechtskonformität zeigen die letzten 20 Jahre jedenfalls mit Gewissheit: Sowohl in der Anwendungspraxis als auch hinsichtlich der Auslegungsanforderungen könnten Glücksspielverwaltungsrecht einerseits und Glücksspielstrafrecht andererseits kaum divergenter sein.
1. Dies findet seine Ursache nicht einmal zuerst in gescheiterten Konzessionsverfahren – insbesondere im Sportwettenbereich oder in landesrechtlichen Sonderwegen wie dem schleswig-holsteinischen Glücksspielrecht, sondern zunächst in der Rechtsprechung des EuGH. Hiernach ist eine strafrechtliche Sanktionierung zum Schutze eines Betriebsmonopols für Glücksspiele durch nationale Strafvorschriften unzulässig, wenn dieses Betriebsmonopol – etwa mangels Kohärenz und Systematik – seinerseits nicht mit Europarecht vereinbar ist.
Solange deutsche Verwaltungsgerichte in aktuellen Entscheidungen das deutsche Lotteriemonopol wegen Verstoßes gegen Unionsrecht bei grenzüberschreitenden Sachverhalten für unanwendbar halten (vgl. VG München, Urt. v. 25.7.2017 – M 16 K 12.1915 unter Verweis auf HessVGH, Beschl. v. 29.5.2017 – 8 B 2744/16), kommt schon deshalb eine Strafbarkeit EU-ausländischer Glücksspielanbieter in Bezug auf Lottoangebote nicht in Betracht.
2. Von den nach dem Staatsanwalt rufenden Staatsmonopolisten und ihren Interessenvertretern kaum in den Blick genommen worden sind zudem die tatbestandlichen Anforderungen an eine Strafbarkeit nach § 284 Abs. 1 StGB, welche namentlich eine „Veranstaltung“ eines Glücksspiels „ohne behördliche Erlaubnis“ voraussetzen. Ist schon angesichts der BGH-Rechtsprechung zum Erfolgsort nach § 9 StGB bei abstrakten Gefährdungsdelikten fraglich, ob im EU-Ausland handelnde Online-Glücksspielanbieter überhaupt in Deutschland „veranstalten“ und deutschem Strafrecht unterfallen, so ist mit Blick auf Art. 103 Abs. 2 GG zur Kenntnis zu nehmen, dass der Tatbestand nicht das Fehlen einer „inländischen“ behördlichen Erlaubnis, sondern generell eine Absenz einer behördlichen Lizenz voraussetzt. Mag in diesem Zusammenhang auch als geklärt angesehen werden, dass nach dem Glücksspielverwaltungsrecht (insbesondere § 4 Abs. 1 und 4 GlüStV) eine inländische Erlaubnis erforderlich ist, so kommt man im Glücksspielstrafrecht an den erhöhten Anforderungen des Bestimmtheitsgebotes nicht vorbei.
Dies umso mehr, als das deutsche Strafgesetzbuch die Zulänglichkeit von EU-behördlichen Erlaubnissen anderweit ausdrücklich normiert. Beispielsweise sieht das Umweltstrafrecht gerade eine weitgehende Gleichstellung EU-ausländischer Genehmigungen mit deutschen behördlichen Genehmigungen in § 330d Abs. 2 StGB vor. Selbst soweit die Gleichstellung bestimmte Tatbestände wie §§ 324, 325 a und 329 StGB nach dem Wortlaut nicht erfasst, wird überwiegend davon ausgegangen, dass auch ausländische Gestattungsakte (und zwar auch solche von Nicht-EU-Staaten) ein unbefugtes Handeln im strafrechtlichen Sinne ausschließen.
Aus den Gesetzesmaterialien zum Glücksspielstrafrecht der §§ 284-287 StGB ergeben sich keine Hinweise darauf, ob behördliche Genehmigungen anderer EU-Mitgliedstaaten die Strafbarkeit ausschließen sollen oder nicht.
Geht man aufgrund der Weite der Formulierung „ohne behördliche Erlaubnis“ davon aus, dass eine Unklarheit darüber besteht, ob es insoweit auf eine Erlaubnis einer Behörde eines Bundeslandes (z.B. Schleswig-Holstein) für das Landesgebiet, auf eine bundesweit geltende behördliche Erlaubnis oder auf eine von einer Behörde eines EU-Mitgliedstaates erteilte Lizenz ankommt, so verlangt das BVerfG im Lichte des Art. 103 Abs. 2 GG „ein gefestigtes Verständnis eines Tatbestandsmerkmals“, das namentlich durch eine gefestigte Rechtsprechung eine zuverlässige Grundlage für die Auslegung und Anwendung gewährleistet (BVerfGE 26, 41, 43 = NJW 1969, 1759; BVerfGE 45, 363, 371 f. = NJW 1977, 1815). Eine solche gefestigte Rechtsprechung ist aber in Bezug auf die Anforderungen an die „behördliche Erlaubnis“ gerade nicht ersichtlich. Insbesondere die strafgerichtliche Rechtsprechung geht z.T. davon aus, dass jedenfalls im Falle der Europarechtswidrigkeit des nationalen deutschen Glücksspielmonopols eine in einem anderen EU-Mitgliedstaat erteilte Glücksspiellizenz ihre Wirksamkeit auch auf deutschem Gebiet entfaltet und somit die Tätigkeit nicht „ohne behördliche Erlaubnis“ im Sinne des § 284 Abs. 1 StGB erfolgt (vgl. OLG München NJW 2006, 3588, 3592; OLG München NJW 2008, 3151, 3152 f. u.a. unter Verweis auf die Rspr. des 4. Strafsenat des BGH NJW 2007, 3078, 3081 Rn. 22).
Im Lichte des Art. 103 Abs. 2 GG und der vom BVerfG für die strafgerichtliche Auslegung zu berücksichtigenden Grundsätze darf daher keine extensive Tatbestandserweiterung erfolgen, indem das negative Tatbestandsmerkmal „ohne behördliche Erlaubnis“ über den Wortlaut hinaus auf „innerdeutsche“ behördliche Erlaubnisse beschränkt wird. Dies wäre nach dem BVerfG allenfalls dann im Lichte des Art. 103 Abs. 2 GG verfassungskonform, wenn die Rechtsprechung nach dem Präzisierungsgebot (BVerfG NJW 2010, 3209, 3211) auf Grund einer gefestigten Rechtsprechung eine zuverlässige Grundlage für die Auslegung und Anwendung der Norm geschaffen hätte. Dies ist in Bezug auf die strafgerichtliche Auslegung des Merkmals „ohne behördliche Erlaubnis“ schon deshalb nicht der Fall, da – wie dargelegt – strafrechtliche Obergerichte EU-Lizenzen zum Teil als hinreichend erachtet und eine Strafbarkeit verneint haben.
So erklärt sich, dass deutsche Strafverfolgungsbehörden bislang nahezu keine Strafverfahren gegen Glücksspielanbieter mit EU-Lizenz eröffnet haben. Dies gilt auch für solche Online-Anbieter, die mit Lizenz der Behörde eines EU-Mitgliedstaates Wetten auf den Ausgang von Lotterieziehungen anbieten.
3. Ebenso fragwürdig ist die von Interessenvertretern der Staatsmonopolisten geäußerte Behauptung einer vermeintlich klar gegebenen Strafbarkeit von Teilnehmern an Lotto-Glücksspielen unter EU-Lizenz. Teilweise ist von einer Beteiligung am Glücksspiel nach § 285 StGB, teilweise von einer „Geldwäsche“ im Falle einer Gewinnauszahlung die Rede, welche den Staatsanwalt auf den Plan zu rufen geeignet sei.
Auch dies entbehrt in Ansehung der geschilderten Gegebenheiten im Glücksspielstrafrecht jeder Grundlage. Denn die Geldwäsche nach § 261 StGB erfordert eine rechtswidrige Bezugstat. Hierfür sind Verstöße gegen das Glücksspielverwaltungsrecht nicht ausreichend. Es bedarf wiederum eines Vergehens des § 284 Abs. 1 StGB, das aus den geschilderten Gründen von EU-lizenzierten Anbietern de lege lata nicht verwirklicht wird.
4. Je stärker sich Staatsmonopolisten und ihre Interessenvertreter in öffentlichen Äußerungen hierüber hinwegsetzen und je stärker durch ihre öffentliche Aussagen der Eindruck erweckt wird, Online-Lotto-Anbieter unter EU-Lizenz seien „eindeutig“ Straftäter und würden sich – ebenso wie gewinnende Spielteilnehmer – auch der Geldwäsche schuldig machen, umso eher könnten betroffene Anbieter in Erwägung ziehen, ihre hieraus entstehenden Vermögensschäden mit Blick auf Schadensersatzforderungen z.B. bei Vorliegen einer Kreditgefährdung i.S.d. § 824 BGB zu dokumentieren.