Samstag, 29. November 2014

EuGH zum Umsatzsteuersatz für Hörbücher und E-Books

Urteil vom 11. September 2014, Rechtssache C-219/13

Anwendung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes nur auf gedruckte Bücher – Geltung des normalen Mehrwertsteuersatzes für Bücher auf anderen physischen Trägern – Steuerliche Neutralität
SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS
PAOLO MENGOZZI
vom 14. Mai 2014 s.u.

Einheitlicher Steuersatz für Bücher und E-Books ist keine Verpflichtung
Wenn EU-Länder gedruckte und digitale Bücher bei der Umsatzsteuer unterschiedlich behandeln, dann verstoßen sie mit dieser Regelung nicht gegen den Grundsatz der steuerlichen Neutralität. Zu diesem Ergebnis kommt der Europäische Gerichtshof in einem lange erwarteten Urteil − das aus Sicht des Börsenvereins allerdings wenig überraschend ausfällt.
Weiter zum vollständigen Artikel ...

_________________________________________


Europäische Kommission  - Pressemitteilung
Brüssel, den 3. Juli 2012 (Auszug)

Die Europäische Kommission hat ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Frankreich und Luxemburg eingeleitet, da diese Länder für digitale Bücher ermäßigte Mehrwertsteuersätze anwenden, die unter Umständen nicht mit dem EU-Recht vereinbar sind.

Nach den Rechtsvorschriften der EU können die Mitgliedstaaten ermäßigte Mehrwertsteuersätze für eine begrenzte Anzahl von Gegenständen und Dienstleistungen anwenden, die in Anhang III der Mehrwertsteuerrichtlinie  aufgelistet sind. Das Herunterladen digitaler Bücher gilt als eine auf elektronischem Wege erbrachte Dienstleistung, die in dieser Liste nicht aufgeführt ist und daher auch nicht zum ermäßigten Satz besteuert werden kann.

In ihrer Mitteilung zur Zukunft der Mehrwertsteuer vom Dezember 2011 hat die Kommission die Möglichkeit erwogen, die Mehrwertsteuersätze für traditionelle und für digitale Bücher aneinander anzupassen. Die Kommission wird dazu bis Ende 2013 Vorschläge vorlegen. Eine Anpassung in Richtung der derzeit für traditionelle Bücher geltenden ermäßigten Steuersätze ist jedoch ohne eine Änderung der Mehrwertsteuerrichtlinie nicht möglich.

Hintergrund

Für Pressemitteilungen zu Vertragsverletzungsverfahren in den Bereichen Steuern und Zoll siehe: http://ec.europa.eu/taxation_customs/common/infringements/infringement_cases/index_de.htm.

Für aktuelle allgemeine Informationen über Vertragsverletzungsverfahren gegen Mitgliedstaaten siehe: http://ec.europa.eu/eu_law/infringements/infringements_de.htm.

Weiter zum vollständigen Artikel ...

_________________________________________

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Vierte Kammer)
„Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats – Steuerwesen – Mehrwertsteuer – Anwendung eines ermäßigten Steuersatzes – Lieferung von digitalen und elektronischen Büchern“

 5. März 2015       C-479/13
 5. März 2015       C-502/13


URTEIL DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer)

11. September 2014(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem – Richtlinie 2006/112/EG – Art. 98 Abs. 2 – Anhang III Nr. 6 – Anwendung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes nur auf gedruckte Bücher – Geltung des normalen Mehrwertsteuersatzes für Bücher auf anderen physischen Trägern – Steuerliche Neutralität“

In der Rechtssache C-219/13

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Korkein hallinto-oikeus (Finnland) mit Entscheidung vom 22. April 2013, beim Gerichtshof eingegangen am 25. April 2013, in dem auf Antrag der

K Oy

eingeleiteten Verfahren

erlässt

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Ilešič, der Richter C. G. Fernlund (Berichterstatter) und A. Ó Caoimh, der Richterin C. Toader sowie des Richters E. Jarašiūnas,

Generalanwalt: P. Mengozzi,

Kanzler: C. Strömholm, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 13. März 2014,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        der finnischen Regierung, vertreten durch H. Leppo als Bevollmächtigte,

–        der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und K. Petersen als Bevollmächtigte,

–        der estnischen Regierung, vertreten durch K. Kraavi-Käerdi und N. Grünberg als Bevollmächtigte,

–        der griechischen Regierung, vertreten durch I. Bakopoulos als Bevollmächtigten,

–        der irischen Regierung, vertreten durch A. Joyce als Bevollmächtigten und C. Toland, BL, beauftragt von L. Williams, Solicitor,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch C. Soulay und I. Koskinen als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 14. Mai 2014

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 98 Abs. 2 Unterabs. 1 und von Anhang III Nr. 6 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. L 347, S. 1) in der durch die Richtlinie 2009/47/EG des Rates vom 5. Mai 2009 (ABl. L 116, S. 18) geänderten Fassung (im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie).

2        Es ergeht im Rahmen eines von der K Oy (im Folgenden: K) eingeleiteten Verfahrens gegen die Entscheidung des Keskusverolautakunta (Zentraler Steuerausschuss), wonach der für die Lieferung gedruckter Bücher geltende ermäßigte Mehrwertsteuersatz nicht auf die Lieferung von auf anderen physischen Trägern als Papier gespeicherten Büchern angewandt werden kann.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

3        Art. 96 der Mehrwertsteuerrichtlinie bestimmt:

„Die Mitgliedstaaten wenden einen Mehrwertsteuer-Normalsatz an, den jeder Mitgliedstaat als Prozentsatz der Bemessungsgrundlage festsetzt und der für die Lieferungen von Gegenständen und für Dienstleistungen gleich ist.“

4        Art. 98 Abs. 1 und 2 dieser Richtlinie sieht vor:

„(1) Die Mitgliedstaaten können einen oder zwei ermäßigte Steuersätze anwenden.

(2) Die ermäßigten Steuersätze sind nur auf die Lieferungen von Gegenständen und die Dienstleistungen der in Anhang III genannten Kategorien anwendbar.

Die ermäßigten Steuersätze sind nicht anwendbar auf elektronisch erbrachte Dienstleistungen.“

5        Vor der Änderung des Anhangs III der Mehrwertsteuerrichtlinie durch die Richtlinie 2009/47 waren in Nr. 6 dieses Anhangs, der das Verzeichnis der Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen enthält, auf die ermäßigte Mehrwertsteuersätze gemäß Art. 98 dieser Richtlinie angewandt werden können, aufgeführt:

„Lieferung von Büchern, einschließlich des Verleihs durch Büchereien (einschließlich Broschüren, Prospekte und ähnliche Drucksachen, Bilder-, Zeichen- oder Malbücher für Kinder, Notenhefte oder -manuskripte, Landkarten und hydrografische oder sonstige Karten), Zeitungen und Zeitschriften, mit Ausnahme von Druckerzeugnissen, die vollständig oder im Wesentlichen Werbezwecken dienen“.

6        Der vierte Erwägungsgrund der Richtlinie 2009/47 lautet:

„Die [Mehrwertsteuerrichtlinie] sollte ferner geändert werden, um die Anwendung ermäßigter Mehrwertsteuersätze oder aber Steuerbefreiungen in einer begrenzten Zahl bestimmter Fälle aus sozial- oder gesundheitspolitischen Gründen zu ermöglichen und um die Bezugnahme auf Bücher in Anhang III klarer zu fassen und dem technischen Fortschritt Rechnung zu tragen.“

7        Seit dem 1. Juni 2009 hat Anhang III Nr. 6 der Mehrwertsteuerrichtlinie folgenden Wortlaut:

„Lieferung von Büchern auf jeglichen physischen Trägern, einschließlich des Verleihs durch Büchereien (einschließlich Broschüren, Prospekte und ähnliche Drucksachen, Bilder-, Zeichen- oder Malbücher für Kinder, Notenhefte oder Manuskripte, Landkarten und hydrografische oder sonstige Karten), Zeitungen und Zeitschriften, mit Ausnahme von Druckerzeugnissen, die vollständig oder im Wesentlichen Werbezwecken dienen“.

 Finnisches Recht

8        § 1 Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes 1501/1993 vom 30. Dezember 1993 über die Mehrwertsteuer (Arvonlisäverolaki [1501/1993]) in seiner für die Steuerjahre 2011 und 2012 geltenden Fassung (im Folgenden: Mehrwertsteuergesetz) sieht vor:

„An den Staat ist gemäß den Regelungen dieses Gesetzes Mehrwertsteuer zu entrichten

1. für den Verkauf von Gegenständen und die Erbringung von Dienstleistungen in Finnland im Rahmen einer geschäftlichen Tätigkeit“.

9        § 84 des Mehrwertsteuergesetzes bestimmt:

„Die zu entrichtende Steuer beträgt 23 % der Steuerbemessungsgrundlage, soweit in den §§ 85 oder 85a nichts anderes bestimmt ist.“

10      In § 85a dieses Gesetzes heißt es:

„Die Steuer, die auf die Erbringung folgender Dienstleistungen und auf den Verkauf, den innergemeinschaftlichen Erwerb, die Entnahme aus dem Zolllager und die Einfuhr folgender Gegenstände zu entrichten ist, beträgt 9 % der Bemessungsgrundlage:



7. Bücher,



Nicht als Buch im Sinne von Abs. 1 Nr. 7 gelten:

1.      auf andere Weise als durch Druck oder vergleichbare Weise hergestellte Veröffentlichungen,

2.      periodisch erscheinende Veröffentlichungen oder

3.      Veröffentlichungen, die im Wesentlichen Werbung enthalten.“

 Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

11      K ist eine Gesellschaft, die im Verlagswesen tätig ist. Sie verlegt Bücher der allgemeinen Literatur und Lehrbücher sowie Hör- und E-Bücher.

12      Aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten geht hervor, dass die von K verlegten Hör- und E-Bücher als elektronische Dateien verfügbar sind, die auf einem physischen Träger wie einer CD, einer CD-ROM, einem USB-Stick oder einem entsprechenden Träger gespeichert sind und Bücher wiedergeben, die ursprünglich in gedruckter Form erschienen sind. In einem Hörbuch, das zum Anhören bestimmt ist, wird der Inhalt des geschriebenen Textes eines gedruckten Buchs, der vorgelesen wird, auf einem physischen Träger wie einer CD oder einer CD-ROM wiedergegeben. Ein E-Buch gibt im Wesentlichen den Inhalt eines ursprünglich in gedruckter Form vorliegenden Buchs, dem es in der äußeren Gestaltung und Struktur überwiegend gleicht, auf einem physischen Träger wie einer CD oder einem USB-Stick wieder und kann auf einen Computer oder ein geeignetes Lesegerät geladen werden. Die elektronischen Versionen können jedoch in ihrem Inhalt und ihrer Struktur von gedruckten Büchern abweichen.

13      K beantragte beim Keskusverolautakunta einen Vorbescheid, um zu klären, ob auf anderen physischen Trägern als Papier gespeicherte Bücher, die den geschriebenen Text eines gedruckten Buchs wiedergeben, als „Bücher“ im Sinne von § 85a Abs. 1 Nr. 7 des Mehrwertsteuergesetzes angesehen werden können, deren Verkauf einem ermäßigten Mehrwertsteuersatz unterliegt.

14      Mit Vorbescheid vom 25. Mai 2011 stellte der Keskusverolautakunta fest, dass nur gedruckte oder in vergleichbarer Weise hergestellte Veröffentlichungen als Bücher gälten, so dass auf einem physischen Träger wie einer CD, einer CD-ROM oder einem USB-Stick gespeicherte Hör- und E-Bücher nicht als „Bücher“ im Sinne von § 85a Abs. 1 Nr. 7 des Mehrwertsteuergesetzes angesehen werden könnten.

15      Der Keskusverolautakunta führte zudem aus, dass Art. 98 Abs. 2 Unterabs. 1 in Verbindung mit Anhang III Nr. 6 der Mehrwertsteuerrichtlinie und der Grundsatz der steuerlichen Neutralität es nicht verböten, auf den Verkauf von auf einem anderen physischen Träger als Papier gespeicherten Büchern den normalen Mehrwertsteuersatz statt den für gedruckte Bücher geltenden ermäßigten Steuersatz anzuwenden.

16      K reichte Beschwerde beim Korkein hallinto-oikeus (Oberstes Verwaltungsgericht) ein mit dem Antrag, den Vorbescheid des Keskusverolautakunta aufzuheben und in einem neuen Vorbescheid festzustellen, dass Bücher, die auf anderen physischen Trägern als Papier, etwa einer CD, einer CD-ROM, einem USB-Stick oder anderen ähnlichen Trägern gespeichert sind, als „Bücher“ im Sinne von § 85a Abs. 1 Nr. 7 des Mehrwertsteuergesetzes anzusehen sind, deren Verkauf einem ermäßigten Mehrwertsteuersatz unterliegt.

17      Nach Ansicht der K verstößt es gegen den Grundsatz der steuerlichen Neutralität, dass ein Mitgliedstaat einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz nur auf gedruckte Bücher anwende, nicht aber auf Bücher, die auf anderen physischen Trägern gespeichert seien.

18      Das Korkein hallinto-oikeus holte eine Stellungnahme des Valtiovarainministeriö (Finanzministerium) ein. Dieses stellte fest, dass die steuerliche Behandlung von auf einem anderen physischen Träger als Papier gespeicherten Büchern in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union unterschiedlich sei. Die Mitgliedstaaten könnten den ermäßigten Mehrwertsteuersatz selektiv auf die in Anhang III der Mehrwertsteuerrichtlinie aufgeführten Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen anwenden. Sie verfügten in dieser Hinsicht über ein weites Ermessen. In diesem Zusammenhang seien sie berechtigt, den ermäßigten Steuersatz auf gedruckte Bücher und den Normalsatz auf Bücher, die auf einem anderen physischen Datenträger gespeichert seien, anzuwenden.

19      Unter diesen Umständen hat das Korkein hallinto-oikeus beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Stehen Art. 98 Abs. 2 Unterabs. 1 und Anhang III Nr. 6 der Mehrwertsteuerrichtlinie unter Berücksichtigung des Grundsatzes der steuerlichen Neutralität einer nationalen Regelung entgegen, nach der auf gedruckte Bücher ein ermäßigter Mehrwertsteuersatz angewandt wird, auf Bücher, die auf anderen physischen Trägern wie einer CD oder CD-ROM oder USB-Sticks gespeichert sind, jedoch der normale Steuersatz?

2.      Spielt es für die Beantwortung der vorstehenden Frage eine Rolle,

–        ob ein Buch zum Lesen oder zum Anhören (Hörbuch) bestimmt ist,

–        ob es von dem auf einer CD oder CD-ROM, einem USB-Stick oder einem entsprechenden anderen physischen Träger gespeicherten Buch oder Hörbuch ein gedrucktes Buch gleichen Inhalts gibt,

–        ob bei einem auf einem anderen physischen Träger als Papier gespeicherten Buch technische Eigenschaften dieses Trägers, wie etwa Suchfunktionen, benutzt werden können?

 Zu den Vorlagefragen

20      Mit seinen Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 98 Abs. 2 Unterabs. 1 und Anhang III Nr. 6 der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegenstehen, wonach für gedruckte Bücher ein ermäßigter Mehrwertsteuersatz gilt, während Bücher, die auf anderen physischen Trägern wie einer CD, einer CD-ROM oder USB-Sticks gespeichert sind, dem normalen Mehrwertsteuersatz unterliegen, und ob für die Beantwortung dieser Frage die Art des verwendeten physischen Trägers, der Inhalt des betreffenden Buchs oder die technischen Eigenschaften des betreffenden physischen Trägers eine Rolle spielen.

21      Nach Art. 96 der Mehrwertsteuerrichtlinie gilt der gleiche Mehrwertsteuersatz, der Normalsatz, für die Lieferungen von Gegenständen und für Dienstleistungen.

22      Abweichend von diesem Grundsatz räumt Art. 98 Abs. 1 dieser Richtlinie den Mitgliedstaaten die Möglichkeit ein, einen oder zwei ermäßigte Steuersätze anzuwenden. Nach Art. 98 Abs. 2 Unterabs. 1 sind die ermäßigten Steuersätze nur auf die Lieferungen von Gegenständen und die Dienstleistungen der in Anhang III der Mehrwertsteuerrichtlinie genannten Kategorien anwendbar.

23      Hinsichtlich der Anwendung von ermäßigten Mehrwertsteuersätzen auf diese Kategorien ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass es Sache der Mitgliedstaaten ist, sofern der dem gemeinsamen Mehrwertsteuersystem zugrunde liegende Grundsatz der steuerlichen Neutralität beachtet wird, genauer zu bestimmen, auf welche der in den Kategorien des Anhangs III der Mehrwertsteuerrichtlinie enthaltenen Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen der ermäßigte Steuersatz Anwendung findet (vgl. in diesem Sinne Urteile Zweckverband zur Trinkwasserversorgung und Abwasserbeseitigung Torgau-Westelbien C-442/05, EU:C:2008:184, Rn. 42 und 43, und Pro Med Logistik, C-454/12 und C-455/12, EU:C:2014:111, Rn. 44).

24      Was den Grundsatz der steuerlichen Neutralität betrifft, ist darauf hinzuweisen, dass dieser es nicht zulässt, gleichartige Gegenstände oder Dienstleistungen, die miteinander in Wettbewerb stehen, hinsichtlich der Mehrwertsteuer unterschiedlich zu behandeln (vgl. Urteile Kommission/Frankreich, C-384/01, EU:C:2003:264, Rn. 25, und The Rank Group, C-259/10 und C-260/10, EU:C:2011:719, Rn. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung).

25      Bei der Beantwortung der Frage, ob Gegenstände oder Dienstleistungen gleichartig sind, ist in erster Linie auf die Sicht des Durchschnittsverbrauchers abzustellen. Gegenstände oder Dienstleistungen sind gleichartig, wenn sie ähnliche Eigenschaften haben und beim Verbraucher nach einem Kriterium der Vergleichbarkeit in der Verwendung denselben Bedürfnissen dienen und wenn die bestehenden Unterschiede die Entscheidung des Durchschnittsverbrauchers zwischen diesen Gegenständen oder Dienstleistungen nicht erheblich beeinflussen (vgl. in diesem Sinne Urteil The Rank Group, EU:C:2011:719, Rn. 43 und 44).

26      Vor der durch die Richtlinie 2009/47 eingeführten Änderung war in Anhang III Nr. 6 der Mehrwertsteuerrichtlinie die „Lieferung von Büchern“ aufgeführt. Durch die Richtlinie 2009/47 wurde der Wortlaut von Anhang III Nr. 6 dahin geändert, dass nunmehr die „Lieferung von Büchern auf jeglichen physischen Trägern“ im Verzeichnis der Gegenstände und Dienstleistungen, auf die ermäßigte Mehrwertsteuersätze angewandt werden können, enthalten ist.

27      Daher stellt sich die Frage, ob ein Mitgliedstaat, der sich dafür entschieden hat, auf gedruckte Bücher einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz anzuwenden, wegen dieser Änderung verpflichtet ist, die Anwendung dieses ermäßigten Satzes auch auf die Lieferung von Büchern auf jeglichen anderen physischen Trägern als Papier auszuweiten.

28      Wie auch die Europäische Kommission in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat, ergibt sich insoweit weder aus dem Wortlaut der Richtlinie 2009/47 noch aus den Vorarbeiten zu ihr, dass der Unionsgesetzgeber mit der Änderung von Anhang III Nr. 6 der Mehrwertsteuerrichtlinie die Mitgliedstaaten verpflichten wollte, auf alle Bücher, unabhängig davon, auf welchem physischen Träger sie gespeichert sind, einen identischen ermäßigten Mehrwertsteuersatz anzuwenden.

29      Jedenfalls ist es im Licht der in Rn. 23 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung des Gerichtshofs, da in Anhang III Nr. 6 der Mehrwertsteuerrichtlinie lediglich die Lieferung von Büchern auf jeglichen physischen Trägern genannt ist, Sache der Mitgliedstaaten, unter Beachtung des dem gemeinsamen Mehrwertsteuersystem zugrunde liegenden Grundsatzes der steuerlichen Neutralität die physischen Träger zu bestimmen, auf die der ermäßigte Mehrwertsteuersatz angewandt wird.

30      In diesem Zusammenhang ist, wie die irische Regierung vorgetragen und der Generalanwalt in Nr. 54 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens auf den Durchschnittsverbraucher des jeweiligen Mitgliedstaats abzustellen, da die Beurteilung des Durchschnittsverbrauchers davon abhängig sein kann, in welchem Ausmaß die neuen Technologien sich im jeweiligen nationalen Markt durchgesetzt haben und die technischen Vorrichtungen verfügbar sind, die es ihm ermöglichen, auf Bücher zuzugreifen, die auf anderen physischen Trägern als Papier gespeichert sind.

31      Unter diesen Umständen ist es Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob, wie in Rn. 25 des vorliegenden Urteils ausgeführt, gedruckte Bücher und auf anderen physischen Trägern gespeicherte Bücher Erzeugnisse sind, die vom Durchschnittsverbraucher als gleichartig angesehen werden können. Zu diesem Zweck hat es zu bewerten, ob diese Bücher ähnliche Eigenschaften haben und nach einem Kriterium der Vergleichbarkeit in der Verwendung denselben Bedürfnissen dienen, um zu ermitteln, ob die bestehenden Unterschiede die Entscheidung des Durchschnittsverbrauchers, das eine oder das andere dieser Bücher zu wählen, erheblich oder spürbar beeinflussen.

32      Für die Beantwortung dieser Frage spielen die Art des verwendeten physischen Trägers, der Inhalt des betreffenden Buchs oder die technischen Eigenschaften des betreffenden physischen Trägers keine Rolle, da es sich neben anderen um die Umstände handelt, die das vorlegende Gericht bei der Beurteilung zu berücksichtigen hat, ob gedruckte Bücher und auf anderen physischen Trägern gespeicherte Bücher Erzeugnisse sind, die vom Durchschnittsverbraucher als gleichartig angesehen werden können.

33      Wie der Generalanwalt in Nr. 62 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, ist es, wenn diese Umstände aus der Sicht des Durchschnittsverbrauchers des betreffenden Mitgliedstaats entscheidend sind, gerechtfertigt, dass die nationale Regelung für die Lieferung von Büchern auf anderen Trägern als Papier nicht den für die Lieferung gedruckter Bücher geltenden ermäßigten Mehrwertsteuersatz gewährt. Kommt es dem Verbraucher dagegen vor allem auf den gleichartigen Inhalt all dieser Bücher unabhängig von ihrem Trägermaterial oder ihren Eigenschaften an, ist die selektive Anwendung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes nicht gerechtfertigt.

34      Nach alledem ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass Art. 98 Abs. 2 Unterabs. 1 und Anhang III Nr. 6 der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen sind, dass sie, sofern der dem gemeinsamen Mehrwertsteuersystem zugrunde liegende Grundsatz der steuerlichen Neutralität beachtet wird, was zu prüfen Aufgabe des vorlegenden Gerichts ist, einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen nicht entgegenstehen, wonach für gedruckte Bücher ein ermäßigter Mehrwertsteuersatz gilt, während Bücher, die auf anderen physischen Trägern wie einer CD oder CD-ROM oder USB-Sticks gespeichert sind, dem normalen Mehrwertsteuersatz unterliegen.

 Kosten

35      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt:

Art. 98 Abs. 2 Unterabs. 1 und Anhang III Nr. 6 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem in der durch die Richtlinie 2009/47/EG des Rates vom 5. Mai 2009 geänderten Fassung sind dahin auszulegen, dass sie, sofern der dem gemeinsamen Mehrwertsteuersystem zugrunde liegende Grundsatz der steuerlichen Neutralität beachtet wird, was zu prüfen Aufgabe des vorlegenden Gerichts ist, einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen nicht entgegenstehen, wonach für gedruckte Bücher ein ermäßigter Mehrwertsteuersatz gilt, während Bücher, die auf anderen physischen Trägern wie einer CD oder CD-ROM oder USB-Sticks gespeichert sind, dem normalen Mehrwertsteuersatz unterliegen.

Unterschriften

* Verfahrenssprache: Finnisch.


SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS
PAOLO MENGOZZI

vom 14. Mai 2014(1)
Rechtssache C-219/13

K Oy
(Vorabentscheidungsersuchen des Korkein hallinto-oikeus [Finnland])
„Gemeinsames Mehrwertsteuersystem – Richtlinie 2006/112/EG – Richtlinie 2009/47/EG – Anwendung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes nur auf gedruckte Bücher unter Ausschluss von Büchern auf anderen physischen Informationsträgern (CD, CD-ROM, USB-Stick) – Konkrete und spezifische Aspekte – Steuerliche Neutralität“





I –    Einleitung

1.        Stehen die Bestimmungen der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem(2) (im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie) und der Grundsatz der steuerlichen Neutralität einer nationalen Regelung entgegen, nach der nur gedruckte Bücher, nicht aber Bücher auf anderen physischen Trägern wie CDs, CD-ROM oder USB-Sticks einem ermäßigten Mehrwertsteuersatz unterliegen?

2.        So lautet im Wesentlichen die Frage, die der Korkein hallinto-oikeus (Finnland) dem Gerichtshof im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Gesellschaft K Oy (im Folgenden: K) und dem Veronsaajien oikeudenvalvontayksikkö, der finnischen Finanzverwaltung, vorgelegt hat, nachdem der Keskusverolautakunta (Zentraler Steuerausschuss) den Antrag von K zurückgewiesen hatte, für die Steuerjahre 2011 und 2012 festzustellen, dass der für gedruckte Bücher geltende ermäßigte Mehrwertsteuersatz von 9 % auch auf die von dieser Gesellschaft verlegten Hörbücher und E-Bücher auf physischen Informationsträgern anzuwenden sei, die den schriftlichen Text eines gedruckten Buches wiedergeben.

3.        Der Zentrale Steuerausschuss vertrat erstens die Auffassung, allein gedruckte oder auf ähnliche Weise hergestellte Veröffentlichungen seien als Bücher im Sinne des § 85a Abs. 1 Nr. 7 und Abs. 3 des Gesetzes Nr. 1265/1997 über die Mehrwertsteuer (arvonlisäverolaki 1265/1997) anzusehen.

4.        Zweitens entschied dieser Ausschuss, weder Art. 98 Abs. 2 Unterabs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie und deren Anhang III Nr. 6 in der Fassung der Richtlinie 2009/47/EG des Rates vom 5. Mai 2009 in Bezug auf den ermäßigten Mehrwertsteuersatz(3) noch der Grundsatz der steuerlichen Neutralität stünden der Anwendung des Normalsatzes – nämlich im vorliegenden Fall 23 % der Bemessungsgrundlage, anstelle des für gedruckte Bücher geltenden ermäßigten Satzes von 9 % – auf den Verkauf von Büchern entgegen, die auf einem anderen physischen Träger als Papier gespeichert sind. Auf einem anderen physischen Träger als Papier gespeicherte Hörbücher und E-Bücher seien nämlich aufgrund ihrer Art, ihrer Eigenschaften und ihrer Verwendung entsprechenden in elektronischer Form verfügbaren Büchern gleichzustellen, auf die der ermäßigte Steuersatz nach Art. 98 Abs. 2 Unterabs. 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie nicht anzuwenden sei.

5.        Gegen diese Entscheidung des Zentralen Steuerausschusses legte K Rechtsmittel zum Korkein hallinto-oikeus mit dem Antrag ein, diese Entscheidung aufzuheben und festzustellen, dass die von ihr verlegten, auf physischen Trägern wie CDs, CD-ROM oder USB-Sticks und sonstige entsprechende Erzeugnisse im Sinne des Antrags gespeicherten Hörbücher und E-Bücher wie gedruckte Bücher zu behandeln seien, deren Verkauf einem ermäßigten Mehrwertsteuersatz unterliege.

6.        Nach Einholung der Stellungnahme des Valtiovarainministeriö (Finanzministerium), das sich im Wesentlichen dem Standpunkt des Zentralen Steuerausschusses anschloss, hat das Korkein hallinto-oikeus das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof die folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Stehen Art. 98 Abs. 2 Unterabs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie und deren Anhang III Nr. 6, Letztere in der durch die Richtlinie 2009/47 geänderten Fassung, unter Berücksichtigung des Grundsatzes der steuerlichen Neutralität einer nationalen Regelung entgegen, nach der auf gedruckte Bücher ein ermäßigter Mehrwertsteuersatz angewandt wird, auf Bücher, die auf anderen physischen Trägern wie CDs, CD-ROM oder USB-Sticks gespeichert sind, jedoch der normale Steuersatz?

Spielt es für die Beantwortung der vorstehenden Frage eine Rolle,

–      ob ein Buch zum Lesen oder zum Anhören (Hörbuch) bestimmt ist,

–      ob es von dem auf einer CD oder CD-ROM, einem USB-Stick oder einem entsprechenden anderen physischen Träger gespeicherten Buch oder Hörbuch ein gedrucktes Buch gleichen Inhalts gibt,

–      ob bei einem auf einem anderen physischen Träger als Papier gespeicherten Buch technische Eigenschaften dieses Trägers, wie etwa Suchfunktionen, benutzt werden können?

7.        Diese Frage ist Gegenstand schriftlicher Erklärungen der finnischen, der deutschen, der estnischen, der griechischen und der irischen Regierung sowie der Europäischen Kommission gewesen.

8.        Diese Verfahrensbeteiligten sind darüber hinaus in der Sitzung vom 13. März 2014 angehört worden, mit Ausnahme der deutschen und der estnischen Regierung, die in dieser Sitzung nicht vertreten waren.

II – Würdigung

9.        Art. 96 der Mehrwertsteuerrichtlinie bestimmt, dass auf Lieferungen von Gegenständen und auf Dienstleistungen der gleiche, als Normalsatz bezeichnete Mehrwertsteuersatz anzuwenden ist.

10.      Abweichend von diesem Grundsatz können die Mitgliedstaaten nach Art. 98 Abs. 2 Unterabs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie ermäßigte Steuersätze nur auf Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen der in Anhang III dieser Richtlinie genannten Kategorien anwenden.

11.      Während Nr. 6 dieses Anhangs vor seiner Änderung durch die Richtlinie 2009/47 die „Lieferung von Büchern …“ zum Inhalt hatte, hat diese Richtlinie den Wortlaut der Nr. 6 des Anhangs III dahin gehend geändert, dass nunmehr die „Lieferung von Büchern auf jeglichen physischen Trägern …“ erfasst wird(4).

12.      Da die Republik Finnland sich, wie die große Mehrheit der Mitgliedstaaten(5), wirksam für die Anwendung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes auf die Lieferung von gedruckten Büchern entschieden hat – übrigens schon unter der Geltung des Art. 12 Abs. 3 Buchst. a und des Anhangs H Nr. 6 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG(6), die Art. 98 Abs. 1 und Anhang III der Mehrwertsteuerrichtlinie vorausgegangen waren –, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die durch die Richtlinie 2009/47 eingeführte Änderung einen Mitgliedstaat dazu zwingt, die Anwendung eines solchen ermäßigten Mehrwertsteuersatzes auf die Lieferung von Büchern auf anderen physischen Trägern als Papier, wie etwa auf CDs, CD-ROM oder USB-Sticks, auszuweiten.

13.      Die am Verfahren beteiligten Regierungen schlagen vor, diese Frage zu verneinen. Sie stützen ihre Argumentation im Wesentlichen auf die Freiwilligkeit der Anwendung der ermäßigten Mehrwertsteuersätze, auf den rein redaktionellen Charakter der Änderung durch die Richtlinie 2009/47 sowie auf die fehlende Vergleichbarkeit zwischen der Lieferung gedruckter Bücher und solcher auf anderen physischen Trägern. Die Anwendung des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes allein auf die Lieferung von gedruckten Büchern verstoße daher nicht gegen den Grundsatz der steuerlichen Neutralität. Jedenfalls sei es Aufgabe der Mitgliedstaaten sowie der nationalen Gerichte, konkret zu beurteilen, in welchem Wettbewerbsverhältnis diese unterschiedlichen Kategorien von Büchern stehen.

14.      Im Gegensatz dazu vertritt die Kommission die Auffassung, die selektive Anwendung des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes allein auf gedruckte Bücher widerspreche dem Ziel, das die Kommission und der Unionsgesetzgeber beim Erlass der Richtlinie 2009/47 mit der Änderung des Anhangs III Nr. 6 der Mehrwertsteuerrichtlinie verfolgt hätten, nämlich die Einhaltung des Grundsatzes der steuerlichen Neutralität in Bezug auf sämtliche Bücher mit im Wesentlichen gleichem Informationsgehalt, unabhängig von ihrem physischen Trägermaterial, sicherzustellen.

15.      Allerdings hat die Kommission nach Lektüre der Stellungnahmen der anderen Verfahrensbeteiligten in der mündlichen Verhandlung eine „differenziertere“ Position eingenommen. Da der Unionsgesetzgeber beim Erlass der Richtlinie 2009/47 möglicherweise vom Richtlinienvorschlag der Kommission vom 7. Juli 2008, der zum Erlass der Richtlinie 2009/47 geführt habe(7), habe abweichen und den ermäßigten Mehrwertsteuersatz für die Lieferung aller Bücher unabhängig von ihrem physischen Träger nicht zwingend habe vorschreiben wollen, macht die Kommission nunmehr geltend, Art. 98 Abs. 2 Unterabs. 1 und Anhang III Nr. 6 der Mehrwertsteuerrichtlinie in der Fassung der Richtlinie 2009/47 stünden nicht notwendigerweise einer nationalen Regelung entgegen, die einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz nur für gedruckte Bücher vorsehe, nicht aber für Bücher mit im Wesentlichen gleichem Informationsgehalt, die auf anderen physischen Trägern beruhen, solange der Grundsatz der steuerlichen Neutralität gewahrt bleibe.

16.      Meinerseits möchte ich zunächst darauf hinweisen, dass der Gerichtshof sowohl im Hinblick auf Anhang H der Sechsten Richtlinie 77/388 als auch auf Anhang III der Mehrwertsteuerrichtlinie entschieden hat, dass es den Mitgliedstaaten nicht verwehrt ist, den ermäßigten Steuersatz innerhalb derselben Kategorie von Dienstleistungen selektiv anzuwenden, vorausgesetzt, dass dies keine Gefahr von Wettbewerbsverzerrungen nach sich zieht(8), der dem gemeinsamen Mehrwertsteuersystem zugrunde liegende Grundsatz der steuerlichen Neutralität also beachtet wird(9).

17.      Daraus hat der Gerichtshof vor Kurzem den Schluss gezogen, die den Mitgliedstaaten eingeräumte Möglichkeit, den ermäßigten Mehrwertsteuersatz selektiv anzuwenden, unterliege „der zweifachen Bedingung, dass zum einen für die Zwecke der Anwendung des ermäßigten Satzes nur auf konkrete und spezifische Aspekte der in Rede stehenden Kategorie von Leistungen abgestellt und zum anderen der Grundsatz der steuerlichen Neutralität beachtet wird“(10).

18.      Dass diese zweifache Bedingung gestellt wird, ist relativ neu.

19.      Während der Gerichtshof nämlich bis zum Erlass des Urteils Kommission/Frankreich (EU:C:2010:253) die Beschränkung der Anwendung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes auf „konkrete und spezifische Aspekte“ ein und derselben Kategorie von Leistungen noch als eine Gestaltungsmöglichkeit bezeichnet hatte, die die Mehrwertsteuerrichtlinie den Mitgliedstaaten vorbehaltlich der Einhaltung des Grundsatzes der steuerlichen Neutralität einräumt(11), macht dieses Urteil, das durch das Urteil Pro Med Logistik und Pongratz (EU:C:2014:111) bestätigt wurde, daraus eine echte, dem Grundsatz der steuerlichen Neutralität gegenüber eigenständige Bedingung, von der die selektive Anwendung eines ermäßigten Steuersatzes innerhalb ein und derselben Kategorie von Leistungen abhängig ist(12).

20.      Diese beiden Bedingungen sollen dem Gerichtshof zufolge sicherstellen, dass die Mitgliedstaaten von dieser Möglichkeit nur unter Umständen Gebrauch machen, die die einfache und korrekte Anwendung des gewählten ermäßigten Satzes gewährleisten und jede Form von Steuerhinterziehung, Steuerumgehung oder Missbrauch verhindern(13).

21.      Die Umwandlung der „konkreten und spezifischen Aspekte“ in eine selbständige Bedingung für die Anwendung eines selektiven ermäßigten Mehrwertsteuersatzes innerhalb derselben in Anhang III der Mehrwertsteuerrichtlinie aufgeführten Kategorie gibt der Prüfung, die der Gerichtshof vorzunehmen hat, einen etwas engeren Rahmen vor. Diese Prüfung erfolgt nämlich nunmehr systematisch und geht derjenigen der Beachtung des Grundsatzes der steuerlichen Neutralität voraus. Seit ihrer Umwandlung in eine echte Bedingung für die selektive Anwendung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes hat der Gerichtshof zwar stets anerkannt, dass die Voraussetzung der „konkreten und spezifischen Aspekte“ erfüllt sein könne; die Anerkennung dieses neuen Status impliziert jedoch, dass sie gegebenenfalls auch nicht erfüllt ist und der Gerichtshof und die nationalen Gerichte die weitere Voraussetzung der Beachtung des Grundsatzes der steuerlichen Neutralität folglich nicht mehr in jedem Fall zu prüfen brauchen.

22.      Hier sind allerdings beide Bedingungen für die selektive Anwendung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes innerhalb derselben in Anhang III der Mehrwertsteuerrichtlinie aufgeführten Kategorie zu prüfen.

A –    Zu den „konkreten und spezifischen Aspekten“ innerhalb derselben Kategorie der Lieferung von Gegenständen

23.      In der vorliegenden Rechtssache wird die Erfüllung der ersten Bedingung von keinem der Verfahrensbeteiligten in Zweifel gezogen. Vielmehr gehen offenbar alle Beteiligten zumindest stillschweigend davon aus, dass innerhalb der Kategorie der Lieferung von Büchern auf jeglichen physischen Trägern diejenigen Bücher, die auf anderen Trägern als Papier basieren, „konkrete und spezifische Aspekte“ dieser Kategorie darstellen können.

24.      Ich erinnere daran, dass die Fälle, in denen der Gerichtshof derartige „konkrete und spezifische Aspekte“ innerhalb derselben Kategorie gemäß den Bestimmungen der Sechsten Richtlinie 77/388 (insbesondere ihres Anhangs H) oder später gemäß Anhang III der Mehrwertsteuerrichtlinie zu entwickeln und über ihr Vorliegen zu befinden hatte, sowohl Vorgänge betrafen, die als Lieferung von Gegenständen anzusehen waren, als auch solche, die Dienstleistungen betrafen.

25.      So hat der Gerichtshof, was die Lieferung von Waren betrifft, die Französische Republik für berechtigt erklärt, einen ermäßigten Steuersatz allein auf die Anschlussgrundgebühr anzuwenden, die die Abonnenten zum Bezug einer geringfügigen Energiemenge berechtigt, da sich diese Ausnahmeregelung auf konkrete und spezifische Aspekte der Erdgas- und Elektrizitätslieferung beschränkt(14).

26.      Ebenso hat der Gerichtshof hinsichtlich der Erbringung von Leistungen entschieden, dass die Mitgliedstaaten berechtigt sind, konkrete und spezifische Aspekte der Lieferung von Wasser im Sinne des Anhangs H Kategorie 2 der Sechsten Richtlinie 77/388, wie etwa den Hausanschluss, mit einem ermäßigten Mehrwertsteuersatz zu belegen(15), dass die Beförderung von Leichnamen mit einem Fahrzeug einen konkreten und spezifischen Bestandteil der Dienstleistungen darstellt, die von Bestattungsinstituten erbracht werden(16), oder dass innerhalb der Dienstleistungskategorie der Beförderung von Personen und des mitgeführten Gepäcks gemäß Anhang III Nr. 5 der Mehrwertsteuerrichtlinie die Beförderung von Personen im Nahverkehr per Taxi einen konkreten und spezifischen Aspekt dieser Kategorie darstellen kann, weil sie getrennt von den übrigen Leistungen der betreffenden Kategorie als solche bestimmbar ist(17).

27.      Es ist nicht verwunderlich, dass der Gerichtshof das für die selektive Anwendung eines ermäßigten Steuersatzes maßgebliche Kriterium der „konkreten und spezifischen Aspekte“ vor allem im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen entwickelt hat. Denn Kategorien von Dienstleistungen, die häufig allgemein bezeichnet werden, wie die „Lieferung von Wasser“ oder die „Beförderung von Personen und des mitgeführten Gepäcks“, weisen üblicherweise eine Vielzahl miteinander verketteter Tätigkeiten oder Dienstleistungen unterschiedlicher Art auf.

28.      Wie das Urteil Kommission/Frankreich (EU:C:2003:264) zeigt, das die Lieferung von Elektrizität und Gas betraf, lässt sich diese Rechtsprechung aber auch auf die Lieferung von Gegenständen anwenden.

29.      Allerdings bleibt zu fragen, was unter „konkreten und spezifischen Aspekten“ ein und derselben Kategorie in Anhang III der Mehrwertsteuerrichtlinie zu verstehen ist, und zu bestimmen, wie die Prüfung, die der Feststellung solcher „konkreten und spezifischen Aspekte“ dienen soll, zu erfolgen hat.

30.      Insoweit ergibt sich aus den Urteilen Kommission/Frankreich (EU:C:2010:253) sowie Pro Med Logistik und Pongratz (EU:C:2014:111), die sich beide auf die Erbringung komplexer Dienstleistungen beziehen, dass der Gerichtshof prüft, ob die fragliche Leistung „getrennt von den anderen Dienstleistungen“ dieser Unternehmen(18) oder der betreffenden Kategorie(19) „als solche bestimmbar“ ist.

31.      Im Gegensatz zu dem, was man hätte erwarten können, untersucht der Gerichtshof den als solchen bestimmbaren Charakter einer Leistung nicht unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten. In seinem Urteil Kommission/Frankreich (EU:C:2010:253), das die Beförderung von Leichnamen mit Fahrzeugen von Bestattungsunternehmen betraf, wies der Gerichtshof nämlich die von der Kommission vertretene Auffassung zurück, die „als solche bestimmbare“ Eigenart einer Leistung sei anhand der Erwartung des Durchschnittsverbrauchers und unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu beurteilen und darauf hin zu prüfen, ob eine aus mehreren Elementen bestehende Tätigkeit sich in Wirklichkeit als eine einzige, steuerlich einheitlich zu behandelnde Leistung darstelle oder vielmehr als zwei oder mehrere gesonderte Leistungen, die unterschiedlich besteuert werden können.

32.      Die Ablehnung der Argumentation der Kommission wurde mit der Beschränkung begründet, die dieser Standpunkt für die Wahrnehmung des den Mitgliedstaaten durch die Mehrwertsteuerrichtlinie belassenen Wertungsspielraums bei der Anwendung des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes bedeutet hätte, eines Wertungsspielraums, der allgemeine und objektive Kriterien erfordere(20). Auch hätte eine wirtschaftliche Beurteilung der Erfüllung dieser Voraussetzung wahrscheinlich dazu geführt, diese Prüfung mit derjenigen zu vermengen, die der Einhaltung des Grundsatzes der steuerlichen Neutralität dient.

33.      Unter diesen Umständen hat der Gerichtshof die Prüfung der „getrennt von den anderen Leistungen als solche bestimmbaren“ Eigenart einer Leistung, auf die ein Mitgliedstaat den ermäßigten Mehrwertsteuersatz anwendet, auf der Grundlage formaler und rechtlicher Kriterien vorgenommen, wie etwa des einmaligen Charakters der betreffenden Tätigkeit im Vergleich zu den anderen von den Unternehmen erbrachten Leistungen und/oder des Vorhandenseins besonderer Regelungen, die für diese Leistung oder ihre Erbringer gelten(21).

34.      Diese Kriterien sind offenbar weder abschließend noch erschöpfend.

35.      Technische Unterschiede der betreffenden Waren oder Leistungen oder objektive Unterschiede ihrer Verwendung dürften ebenfalls geeignet sein, innerhalb derselben Kategorie von Lieferungen von Gegenständen oder von Leistungen „konkrete und spezifische Aspekte“ dieser Kategorie aufzuzeigen, die die selektive Anwendung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes rechtfertigen können.

36.      So lässt sich in der vorliegenden Rechtssache durchaus der von der deutschen und der finnischen Regierung eingenommene Standpunkt vertreten, dass im Gegensatz zu gedruckten Büchern sämtliche Bücher auf anderen Trägern als Papier nur mit Hilfe einer besonderen technischen Vorrichtung lesbar sind und deshalb „konkrete und spezifische Aspekte“ der Kategorie „Lieferung von Büchern auf jeglichen physischen Trägern“ aufweisen können, was die von der Rechtsprechung des Gerichtshofs aufgestellte Bedingung erfüllen würde.

B –    Zur Beachtung des Grundsatzes der steuerlichen Neutralität

37.      Nach der Rechtsprechung lässt der dem gemeinsamen Mehrwertsteuersystem innewohnende Grundsatz der steuerlichen Neutralität es insbesondere nicht zu, gleichartige und deshalb miteinander in Wettbewerb stehende Waren oder Dienstleistungen hinsichtlich der Mehrwertsteuer unterschiedlich zu behandeln(22). Es handelt sich mithin um den Ausfluss des allgemeinen Grundsatzes der Gleichbehandlung im Bereich der Mehrwertsteuer(23).

38.      Daraus folgt, dass gleichartige Waren oder Dienstleistungen einem einheitlichen Mehrwertsteuersatz zu unterwerfen sind(24).

39.      Bei der Prüfung der Frage, ob die fraglichen Waren oder Dienstleistungen gleichartig sind, ist in erster Linie auf die Sicht des Durchschnittsverbrauchers abzustellen, um feststellen zu können, ob diese Waren oder Dienstleistungen denselben Bedürfnissen dieses Durchschnittsverbrauchers dienen, wobei auf unbedeutenden Unterschieden beruhende künstliche Unterscheidungen vermieden werden müssen(25).

40.      Der Gerichtshof hat ferner entschieden, dass zwei Dienstleistungen gleichartig sind, wenn sie ähnliche Eigenschaften haben und beim Verbraucher nach Maßgabe eines Kriteriums der Vergleichbarkeit in der Verwendung denselben Bedürfnissen dienen und wenn die bestehenden Unterschiede die Entscheidung des Durchschnittsverbrauchers, die eine oder die andere dieser Dienstleistungen zu wählen, nicht erheblich beeinflussen(26).

41.      Wie bereits ausgeführt, setzen die Verfahrensbeteiligten sich eingehend mit der Frage auseinander, ob der Unionsgesetzgeber mit dem Erlass der Richtlinie 2009/47, wodurch in Anhang III Nr. 6 der Mehrwertsteuerrichtlinie Bücher „auf jeglichen physischen Trägern“ aufgenommen wurden, die Einhaltung des Grundsatzes der steuerlichen Neutralität habe sicherstellen wollen, weil er von der Prämisse ausgegangen sei, dass sämtliche unter dieser Nr. 6 aufgeführten Bücher unabhängig von ihrem Trägermedium gleichartig seien und folglich in einem Wettbewerbsverhältnis miteinander stünden.

42.      Während die Regierungen, die schriftliche Stellungnahmen eingereicht haben, im Wesentlichen der Auffassung sind, dass es nicht die Absicht des Unionsgesetzgebers gewesen sei, den Mitgliedstaaten einschließlich der nationalen Gerichte ihren Wertungsspielraum zu entziehen, indem er sie zwinge, den ermäßigten Mehrwertsteuersatz, den sie auf gedruckte Bücher anwenden dürfen, automatisch auf Bücher auf anderen physischen Trägern auszudehnen, vertritt die Kommission einen entgegengesetzten, wenn auch in der mündlichen Verhandlung weiter differenzierten Standpunkt.

43.      Nach Ansicht der am vorliegenden Verfahren beteiligten Regierungen ist weder dem Wortlaut noch den Erwägungsgründen der Richtlinie 2009/47 zu entnehmen, dass die Änderung in Anhang III Nr. 6 der Mehrwertsteuerrichtlinie dazu dienen sollte, die Einhaltung des Grundsatzes der steuerlichen Neutralität innerhalb der unter dieser Nummer aufgeführten Kategorie sicherzustellen.

44.      Der vierte Erwägungsgrund der Richtlinie 2009/47 beschränkt sich nämlich auf den Hinweis, die Mehrwertsteuerrichtlinie solle „geändert werden …, um die Bezugnahme auf Bücher in Anhang III klarer zu fassen und dem technischen Fortschritt Rechnung zu tragen“.

45.      Gewiss ließe sich anführen, die als notwendig empfundene Anpassung dieser Bezugnahme an den technischen Fortschritt bedeute implizit, dass der Unionsgesetzgeber fortan der Auffassung sei, auf anderen Trägermedien als Papier veröffentlichte Bücher stünden zwangsläufig im Wettbewerb mit gedruckten Büchern, so dass es angebracht sei, sie ebenfalls demselben ermäßigten Mehrwertsteuersatz zu unterwerfen.

46.      Abgesehen davon, dass auch die Kommission einen solchen Standpunkt nicht vertreten hat, enthält die Richtlinie 2009/47 hierfür aber keinen objektiven Anhaltspunkt.

47.      Außerdem stützt ein Vergleich – wie ihn auch die Kommission angeregt hat – zwischen der Richtlinie 2009/47 und den Vorarbeiten, die zu ihrem Erlass geführt haben, letztlich nur die Annahme, dass der Grundsatz der steuerlichen Neutralität offenbar nicht das vom Unionsgesetzgeber verfolgte Ziel gewesen sei, auch wenn sich die Begründung des oben angeführten Kommissionsvorschlags vom 7. Juli 2008 zumindest teilweise auf diesen Grundsatz berufen hat.

48.      So wird in der Begründung des Vorschlags zwar ausgeführt, „[a]us Gründen der Neutralität“ sei es „erforderlich“, Anhang III Nr. 6 der Mehrwertsteuerrichtlinie auszuweiten, „um auch auf CD, CD-Rom oder ähnliche körperliche Datenträger gespeicherte Bücher mit einzuschließen, die überwiegend denselben Informationsinhalt haben wie gedruckte Bücher“(27); der Wortlaut des Vorschlags selbst beschränkte sich jedoch darauf, auf die Notwendigkeit hinzuweisen, bestimmte „rechtstechnische Anpassungen vorzunehmen, um … dem technischen Fortschritt Rechnung zu tragen“, und auszuführen, diese Änderungen sollten „die Möglichkeit eröffnen, … auf Hörbücher, auf CDs, auf CD-ROM oder auf andere körperliche Datenträger, auf denen überwiegend derselbe Informationsgehalt gespeichert ist wie in gedruckten Büchern, ermäßigte Steuersätze anzuwenden“(28).

49.      Schon die bloße Lektüre dieses Vorschlags lässt somit erkennen, dass die Kommission zwar eine gewisse Vergleichbarkeit zwischen den verschiedenen zuvor genannten physischen Datenträgern und auf Papier gedruckten Büchern anerkannte, bei der es sich jedoch noch nicht um eine völlige Vergleichbarkeit oder Gleichartigkeit handelte.

50.      Zum einen war diese Vergleichbarkeit nämlich auf andere Träger als Papier beschränkt, auf denen „überwiegend derselbe Informationsgehalt gespeichert ist wie in gedruckten Büchern“, was zwangsläufig bedeutet, wie aus der Begründung des Vorschlags selbst hervorgeht, dass Bücher auf anderen Trägermedien als Papier, die über die Nutzungsmöglichkeiten gedruckter Bücher hinaus noch weiteres Material wie Suchfunktionen oder Links zu anderen Inhalten aufweisen, hiervon ausgenommen waren(29). Zum anderen hatte dieses Ausmaß der Vergleichbarkeit oder Ähnlichkeit im Gegensatz zu dem, was zur Einhaltung des Grundsatzes der steuerlichen Neutralität im Prinzip erforderlich gewesen wäre, nicht automatisch zur Folge, dass der zuvor nur für gedruckte Bücher geltende ermäßigte Steuersatz auf Bücher auf anderen physischen Trägern auszuweiten war, sondern veranlasste die Kommission lediglich, die Möglichkeit einer solchen Ausweitung vorzuschlagen.

51.      Dass der Unionsgesetzgeber die im Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie enthaltene Einschränkung, der zufolge die Möglichkeit einer Ausweitung des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes nur für physische Träger gelten sollte, auf denen „überwiegend derselbe Informationsgehalt gespeichert ist wie in gedruckten Büchern“, nicht übernommen hat, sondern allgemein auf Bücher „auf jeglichen physischen Trägern“ Bezug nimmt, führt mich zu der Annahme, dass es erst recht nicht sein Anliegen war, die Gleichartigkeit sämtlicher in Anhang III Nr. 6 der Mehrwertsteuerrichtlinie in der Fassung der Richtlinie 2009/47 erwähnten Bücher unabhängig von ihrem physischen Träger anzuerkennen und die Mitgliedstaaten zu verpflichten, auf diese Bücher denselben ermäßigten Mehrwertsteuersatz anzuwenden, dem sie gedruckte Bücher unterwerfen dürfen.

52.      Nach alledem hatte der Unionsgesetzgeber meines Erachtens nicht die Absicht, den Mitgliedstaaten den Wertungsspielraum in Bezug auf die gegebenenfalls selektive Anwendung des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes innerhalb der Kategorie der Lieferung von Büchern auf jeglichen physischen Trägern gemäß Anhang III Nr. 6 der Mehrwertsteuerrichtlinie in der Fassung der Richtlinie 2009/47 zu entziehen(30).

53.      Unter diesen Umständen und nach der Rechtsprechung ist es Aufgabe des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob gedruckte Bücher und Bücher auf anderen physischen Trägern aus der Sicht des Durchschnittsverbrauchers insoweit gleichartig sind, als sie denselben Bedürfnissen dieses Durchschnittsverbrauchers dienen.

54.      Wie die Verfahrensbeteiligten in der mündlichen Verhandlung zu Recht geltend gemacht haben, ist auf den Durchschnittsverbraucher des jeweiligen Mitgliedstaats abzustellen, was in der Tat verständlich ist, weil die Beurteilung des Durchschnittsverbrauchers davon abhängig sein kann, in welchem Ausmaß die neuen Technologien sich im jeweiligen nationalen Markt durchgesetzt haben und die technischen Vorrichtungen verfügbar sind, die es ihm ermöglichen, Bücher auf anderen Trägern als Papier zu lesen oder zu hören.

55.      Nach der Rechtsprechung ist es Aufgabe des vorlegenden Gerichts, unter Berücksichtigung sämtlicher ihm vorgetragener Umstände, zu prüfen, ob gedruckte Bücher und Bücher auf anderen Trägern als Papier ähnliche Eigenschaften aufweisen und denselben Bedürfnissen des Verbrauchers dienen, und zwar anhand des Kriteriums der Vergleichbarkeit ihrer Verwendung sowie anhand der bestehenden Unterschiede, um zu beurteilen, ob diese Unterschiede die Entscheidung des Durchschnittsverbrauchers für das eine oder das andere dieser Kulturgüter erheblich oder spürbar beeinflussen oder nicht.

56.      In dieser Hinsicht haben die am vorliegenden Verfahren beteiligten Regierungen – von der Kommission unwidersprochen – vorgetragen, Bücher auf anderen Trägern als Papier unterschieden sich aufgrund ihrer Eigenschaften objektiv von gedruckten Büchern. Dieser Unterschied ergebe sich nicht nur aus der Notwendigkeit, über ein technisches Lesegerät zu verfügen(31), sondern auch aus dem Umstand, dass der Durchschnittsverbraucher von Büchern auf anderen Trägern als Papier sich für diese Produkte gerade wegen der Anwendungen und Zusatzfunktionen entscheide, die sie ihm im Vergleich zu gedruckten Büchern bieten könnten.

57.      Daher wird, wie die finnische Regierung in der mündlichen Verhandlung vorgetragen hat, die Entscheidung eines Durchschnittsverbrauchers, ein Hörbuch zu kaufen, selten allein auf der schlichten Lektüre des gedruckten Textes beruhen, sondern häufiger auf der Leistung und/oder dem Bekanntheitsgrad des Sprechers sowie auf den Spezialeffekten oder der Musik, die in der Audioversion wiedergegeben werden. Soweit es sich um Bücher auf CDs, CD-ROM oder USB-Sticks handelt, wird sich der Durchschnittsverbraucher bei seiner Kaufentscheidung zudem, wie insbesondere die deutsche und die finnische Regierung ausgeführt haben, von den zusätzlichen Suchfunktionen beeinflussen lassen, die diese Bücher bieten, oder der darin integrierten Software oder sonstigen Programmen, die sie im Unterschied zu gedruckten Büchern aufweisen.

58.      Es ist daher Aufgabe des vorlegenden Gerichts, anhand der ihm vorliegenden Erkenntnisse zu prüfen, ob diese Behauptungen auf das Verhalten des Durchschnittsverbrauchers in Finnland zutreffen.

59.      Auf der Grundlage der vorstehenden Ausführungen schlage ich vor, Art. 98 Abs. 2 Unterabs. 1 und Anhang III Nr. 6 der Mehrwertsteuerrichtlinie − Nr. 6 in der Fassung der Richtlinie 2009/47 − dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung nicht entgegenstehen, nach der auf gedruckte Bücher ein ermäßigter Mehrwertsteuersatz anzuwenden ist, wohingegen Bücher auf anderen physischen Trägern wie CDs, CD-ROM oder USB-Sticks dem Normalsatz der Mehrwertsteuer unterliegen, sofern sich Letztere aus der Sicht des Durchschnittsverbrauchers des betreffenden Mitgliedstaats von gedruckten Büchern insofern unterscheiden, als sie nicht denselben Bedürfnissen dieses Verbrauchers dienen, was das vorlegende Gericht festzustellen hat.

60.      Der Vollständigkeit halber füge ich hinzu, dass diese Antwort meines Erachtens unabhängig von den drei Umständen zutrifft, die das vorlegende Gericht in seiner Vorlagefrage anführt, nämlich erstens, ob das Buch zum Lesen oder Anhören (Hörbuch) bestimmt ist, zweitens, ob es von einem Buch oder Hörbuch auf einem physischen Träger wie CD, CD-ROM, USB-Stick oder einem ähnlichen physischen Datenträger ein gedrucktes Buch gleichen Inhalts gibt, oder drittens, ob mit dem nicht aus Papier bestehenden physischen Träger verbundene technische Eigenschaften wie etwa Suchfunktionen benutzt werden können.

61.      Dabei handelt es sich nämlich exakt um die Eigenschaften von Büchern auf anderen Trägern als Papier, deren möglicherweise entscheidenden oder spürbaren Einfluss auf die Entscheidung des finnischen Durchschnittsverbrauchers, eher diese Bücher als gedruckte Bücher zu kaufen, das vorlegende Gericht zu beurteilen haben wird.

62.      Wenn es zutrifft, dass diese Eigenschaften aus der Sicht des Durchschnittsverbrauchers des betreffenden Mitgliedstaats entscheidend sind, wie insbesondere die finnische und die deutsche Regierung geltend machen, ist es gerechtfertigt, dass die nationale Regelung für die Lieferung von Büchern auf anderen Trägern als Papier nicht den ermäßigten Mehrwertsteuersatz gewährt, der für gedruckte Bücher gilt. Sollten diese Eigenschaften hingegen keinen oder nur geringen Einfluss auf die Entscheidung dieses Durchschnittsverbrauchers haben, Bücher auf anderen Trägern als Papier zu kaufen – weil es dem Verbraucher vor allem auf den vergleichbaren Inhalt all dieser Bücher unabhängig von ihrem Trägermaterial oder ihren Eigenschaften ankommt –, wäre die selektive Anwendung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes nicht gerechtfertigt.

III – Ergebnis

63.      In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die vom Korkein hallinto-oikeus vorgelegte Frage wie folgt zu antworten:

Art. 98 Abs. 2 Unterabs. 1 und Anhang III Nr. 6 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem − Nr. 6 in der Fassung der Richtlinie 2009/47/EG des Rates vom 5. Mai 2009 − sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung nicht entgegenstehen, nach der auf gedruckte Bücher ein ermäßigter Mehrwertsteuersatz anzuwenden ist, während Bücher auf anderen physischen Trägern wie CDs, CD-ROM oder USB-Sticks dem Normalsatz der Mehrwertsteuer unterliegen, sofern Letztere sich aus der Sicht des Durchschnittsverbrauchers des betreffenden Mitgliedstaats insoweit von gedruckten Büchern unterscheiden, als sie nicht denselben Bedürfnissen dieses Verbrauchers dienen, was das vorlegende Gericht festzustellen hat.

Diese Antwort gilt unabhängig davon, ob das Buch zum Lesen oder zum Anhören (Hörbuch) bestimmt ist, ob es von einem auf einer CD oder CD-ROM, einem USB-Stick oder einem ähnlichen physischen Träger gespeicherten Buch oder Hörbuch ein gedrucktes Buch gleichen Inhalts gibt, oder ob bei einem auf einem anderen physischen Träger als Papier gespeicherten Buch technische Eigenschaften dieses Trägers, wie etwa Suchfunktionen, benutzt werden können.

1 –    Originalsprache: Französisch.

2 –    ABl. L 347, S. 1.

3 –    ABl. L 116, S. 18.

4 –    Hervorhebung nur hier. Wie sämtliche Verfahrensbeteiligten vorgetragen haben, betrifft der vorliegende Fall somit nicht die steuerliche Behandlung elektronischer, d. h. auf elektronischem Wege gelieferter Bücher, sondern ausschließlich solche, die auf einem physischen Träger gleich welcher Art erhältlich sind.

5 –    Nach einem Kommissionsdokument, das die in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union am 13. Januar 2014 geltenden Mehrwertsteuersätze auflistet, wenden 26 der 28 Mitgliedstaaten einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz auf die Lieferung von gedruckten Büchern an (siehe Dokument taxud.c.1[2014] 48867, S. 4).

6 –    Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1).

7 –    Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 2006/112/EG in Bezug auf ermäßigte Mehrwertsteuersätze (KOM[2008] 428 endgültig).

8 –    Vgl. u. a. Urteile Kommission/Frankreich (C-94/09, EU:C:2010:253, Rn. 25) sowie Pro Med Logistik und Pongratz (C-454/12 und C-455/12, EU:C:2014:111, Rn. 43).

9 –    Vgl. in diesem Sinne Urteile Zweckverband zur Trinkwasserversorgung und Abwasserbeseitigung Torgau-Westelbien (C-442/05, EU:C:2008:184, Rn. 43), Kommission/Frankreich (EU:C:2010:253, Rn. 26) sowie Pro Med Logistik und Pongratz (EU:C:2014:111, Rn. 44).


10 –    Vgl. in diesem Sinne u. a. Urteile Kommission/Frankreich (EU:C:2010:253, Rn. 30) sowie Pro Med Logistik und Pongratz (EU:C:2014:111, Rn. 45).

11 –    Vgl. Urteile Kommission/Frankreich (EU:C:2003:264, Rn. 25 und 26) und Zweckverband zur Trinkwasserversorgung und Abwasserbeseitigung Torgau-Westelbien (EU:C:2008:184, Rn. 43).

12 –    Vgl. Urteile Kommission/Frankreich (EU:C:2010:253, Rn. 30) sowie Pro Med Logistik und Pongratz (EU:C:2014:111, Rn. 45).

13 –    Vgl. in diesem Sinne Urteil Pro Med Logistik und Pongratz (EU:C:2014:111, Rn. 45).

14 –    Vgl. Urteil Kommission/Frankreich (EU:C:2003:264, Rn. 28 und 29). Diese Rechtssache betraf Art. 12 Abs. 3 Buchst. b der Sechsten Richtlinie 77/388. Generell weise ich darauf hin, dass Erdgas und Elektrizität den Vorschriften des EG-Vertrags über den freien Warenverkehr unterliegen, vgl. insoweit u. a. Urteil Kommission/Frankreich (C-159/94, EU:C:1997:501, Rn. 43 bis 50).

15 –    Urteil Zweckverband zur Trinkwasserversorgung und Abwasserbeseitigung Torgau-Westelbien (EU:C:2008:184, Rn. 43).

16 –    Urteil Kommission/Frankreich (EU:C:2010:253, Rn. 39).

17 –    Urteil Pro Med Logistik und Pongratz (EU:C:2014:111, Rn. 50).

18 –    Urteil Kommission/Frankreich (EU:C:2010:253, Rn. 35).

19 –    Urteil Pro Med Logistik und Pongratz (EU:C:2014:111, Rn. 47 und 50).

20 –    Urteil Kommission/Frankreich (EU:C:2010:253, Rn. 33 und 34).

21 –    Vgl. Urteile Kommission/Frankreich (EU:C:2010:253, Rn. 35 bis 38) sowie Pro Med Logistik und Pongratz (EU:C:2014:111, Rn. 48 und 49).

22 –    Vgl. u. a. Urteile The Rank Group (C-259/10 und C-260/10, EU:C:2011:719, Rn. 32) sowie Pro Med Logistik und Pongratz (EU:C:2014:111, Rn. 52).

23 –    Vgl. hierzu Urteil NCC Construction Danmark (C-174/08, EU:C:2009:669, Rn. 41 und die dort angeführte Rechtsprechung).

24 –    Vgl. Urteil Kommission/Frankreich (C-481/98, EU:C:2001:237, Rn. 22).

25 –    Vgl. in diesem Sinne Urteile The Rank Group (EU:C:2011:719, Rn. 43) sowie Pro Med Logistik und Pongratz (EU:C:2014:111, Rn. 53).

26 –    Urteil Pro Med Logistik und Pongratz (EU:C:2014:111, Rn. 54 und die dort angeführte Rechtsprechung).

27 –    Nr. 5.3, S. 9, des oben in Fn. 7 angeführten Richtlinienvorschlags.

28 –    Sechster Erwägungsgrund dieses Richtlinienvorschlags (Hervorhebung nur hier).

29 –    Vgl. Richtlinienvorschlag, Punkt 5.3, S. 9. Dies wird auch durch die Leitlinien untermauert, die auf die 92. Sitzung des Mehrwertsteuerausschusses vom 7. und 8. Dezember 2010, DOK A – taxud.c.1(2011)157667-684, zurückgehen und in denen die Definition des Begriffs „Bücher auf jeglichen physischen Trägern“ nahezu wörtlich aus dem Richtlinienvorschlag übernommen wurde. Wie in diesem Dokument selbst angegeben ist, sind diese Leitlinien weder für die Kommission noch für die Mitgliedstaaten bindend.

30 –    Dass es nicht die Absicht des Unionsgesetzgebers war, die Mitgliedstaaten zu zwingen, den ermäßigten Mehrwertsteuersatz, den 26 von ihnen für die Lieferung gedruckter Bücher gewähren, auf Bücher auf anderen physischen Trägern als Papier auszuweiten, wird meines Erachtens durch den Umstand bestärkt, dass von diesen Mitgliedstaaten 14, das heißt einer mehr als die Hälfte, sich entschieden haben, für die Lieferung von Büchern auf anderen physischen Trägern den Normalsatz der Mehrwertsteuer beizubehalten. Siehe zu diesen Statistiken die Tabelle auf S. 4 des Dokuments taxud.c.1(2014) 48867, angeführt in Fn. 5, die den Stand der in den Mitgliedstaaten geltenden Mehrwertsteuersätze zum 13. Januar 2014 angibt.

31 –    Wie die deutsche und die estnische Regierung vorgetragen haben, kann auch der Kaufpreis eines solchen technischen Lesegeräts (Computer, Tablet usw.) eine wichtige Rolle für die Wahl des Durchschnittsverbrauchers spielen.


Quellen