Mittwoch, 19. Juni 2013

Angebotsdichte und pathologisches Spiel – Eine zweifelhafte Gleichung

Mehr Automaten = mehr Spielsucht? Diese Gleichung begegnet einem immer wieder in der Öffentlichkeit. Sie ruft aber ebenso häufig Zweifel hervor, vor allem in der einschlägigen Forschung.

Eine Ausarbeitung von Petra Schulze Ising, Schmidt Gruppe, erschienen in der Juni-Ausgabe von games&business


Landauf, landab – immer der gleiche holzschnittartige Tenor, der einem aus den Tageszeitung ins Auge springt: „Zahl der Geldspielgeräte ist stark gestiegen“ (Reutlinger General-Anzeiger, 27.April 2013), „Immer mehr Geldspielautomaten in Deutschland“ (AFP, 14. April 2013), „Deutscher Städtetag fordert drastische Einschränkung im Automaten-Glücksspiel“ (Pressemeldung Deutscher Städtetag, 29.Mai 2013). Die Konsequenz, die daraus gezogen wird, ist genauso holzschnittartig. Dr. Ulrich Kemper, Landschaftsverband Westfalen-Lippe, bringt es auf den Punkt: „Wichtig ist, dass durch die vorgeschlagenen Maßnahmen die Menge an leicht anzusteuernden Automaten drastisch reduziert wird, um so schon das Entstehen von Spielsucht zu verhindern.“ (Die Glocke, 25.05.2013). Hier wird suggeriert, dass es einen unidirektionalen Zusammenhang zwischen der Anzahl von Geldspielgeräten und der Entwicklung eines pathologischen Spielverhaltens gibt. Konsequenz: Wird die Zahl der Geldspielgeräte reduziert, sinkt automatisch die Zahl pathologischer Spieler.

Einseitige Richtschnur der Politik

Diese in der wissenschaftlichen Literatur vertretene sogenannte Angebotsthese oder Stetigkeitsthese stützt diese Aussagen und die Politik hat sie zur Richtschnur ihres glücksspielrechtlichen Handelns in den letzten Jahren gemacht. Der Glücksspieländerungsstaatsvertrag, die entsprechenden Landesausführungsgesetze und die eigenständigen Landesspielhallengesetze folgen genau diesem Denkschema. Ein kritisches Abklopfen der Maßnahmen mit anderen Wissenschaftsthesen gab es nicht – warum auch? Passte doch gut zusammen!

Das gewerbliche Automatenspiel soll durch verschiedene Maßnahmen drastisch eingeschränkt, ja in letzter Konsequenz zu einer Randerscheinung im Angebotsspektrum der verschiedenen Glücksspiele werden. Die verschiedenen Maßnahmen sind bekannt. Nur noch Einfachkonzessionen mit maximal zwölf Geldspielgeräten und somit das Verbot von Mehrfachkonzessionen, Mindestabstandsregelungen zwischen Spielstätten, Mindestabstandsregelungen zu bestimmten Einrichtungen im schulischen und sozialen Bereich, verkürzte Öffnungszeiten etc. Alles unter dem Credo: Die Reduzierung des Angebotes führt zu weniger pathologischen Spielern.

Diese unidirektionale Gleichung muss gerade unter dem Aspekt der wissenschaftlichen Diskussionen nachhaltig in Frage gestellt werden. Andere Aspekte der oben genannten Gesetze wie die verstärkte Aufklärung und Information der Spieler und Mitarbeiter in Unternehmen und der aktive Schutz der Spieler bis hin zur Möglichkeit der Spielerselbstsperre sind unstrittig.

Vier völlig unterschiedliche Thesen In der Wissenschaft werden vier Thesen vertreten (Becker, 2012):
  • Unabhängigkeitsthese: Es besteht kein kausaler Zusammenhang zwischen der Verfügbarkeit und einem pathologischen Spielverhalten.
  • Stetigkeits- oder Angebotsthese: Es besteht ein positiver kausaler Zusammenhang zwischen Verfügbarkeit und einem pathologischen Spielverhalten.
  • Adaptionsthese: Es besteht der zuvor beschriebene Zusammenhang, jedoch zeigt er nur kurzzeitig Wirkung.
  • Sättigungsthese: Es besteht ein positiver kausaler Zusammenhang, jedoch nähert sich mit steigender Verfügbarkeit die Prävalenz einem konstanten Grenzwert. Ein unidirektionaler Zusammenhang wird verneint.
Es ist an der Zeit, dass sich die Anbieter von Geldspielgeräten mit den unterschiedlichen Wissenschaftsthesen auseinandersetzen und den Diskurs aufnehmen. Die Erfahrungen aus anderen Ländern gilt es auszuwerten und in die
politische Diskussion einzubringen. Unser Augenmerk gilt an dieser Stelle ausschließlich neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen hinsichtlich der Sättigungsthese. So zeigen vorliegende Studien, dass zum Beispiel die australische
Politik die Wirkung einer Reduktion von Spielgeräten auf das Spielverhalten und insbesondere ein problematisches Spielverhalten deutlich überschätzt hat. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt die Wissenschaft in Kanada.

Untersuchungen verneinen Kausalität

Uns interessiert die Frage, welche neueren Untersuchungen es zur Sättigungsthese gibt, also der Aussage, dass es eben keinen unidirektionalen Zusammenhang zwischen Verfügbarkeit und der Entwicklung eines pathologischen Spielverhaltens gibt.

Im Unterschied zu Meyer und Hayer (2011; Die Effektivität der Spielersperre als Maßnahme des Spielerschutzes), die davon ausgehen, dass wie in anderen Suchtbereichen davon auszugehen ist, „dass das Ausmaß glücksspielbezogener Probleme … im direkten oder indirekten Zusammenhang mit der Griffnähe zu Glücksspielen steht“, betonen Kalke u.a. (2011; Glücksspiel und Spielerschutz in Österreich) auf Grund der Auswertung von Studien: „Zusammenfassend bleibt somit festzuhalten, dass die vorliegenden Studien zur Bedeutung der Angebotsdichte für das (problematische) Spielverhalten in der Bevölkerung aufgrund ihrer unterschiedlichen Befunde bisher keine eindeutige Schlussfolgerung zulassen. Zumindest deutet sich aber an, dass die in der Suchtforschung weit verbreitete Auffassung einer direkten Kausalität zwischen Glücksspielangebot und -problemen die Realität nur unzureichend widerspiegelt. Vielmehr ist die Entwicklung eines Erklärungsansatzes notwendig, welcher die mit der Ausweitung bzw. Verringerung des Glücksspielangebots verbundenen komplexen Strukturen und Prozesse detailliert beschreibt und somit Möglichkeiten aufzeigt, das Ausmaß glücksspielbezogener Probleme zukünftig zu minimieren.“ Studien über den deutschen Markt mit seinen eigenen Ausprägungen liegen nicht vor.

Professor Jörg Häfeli Stäger, Hochschule Luzern, referierte an der Sigmund-Freud-Privatuniversität, Wien, über das Thema Verfügbarkeit und Prävalenz. Ebenso wie Professor Becker, Dr. Kalke und Jens Buth ((2011; Glücksspiel und Spielerschutz in Österreich) kommt er zu dem Schluss, dass widersprüchliche Forschungsergebnisse vorliegen. Demnach weisen ältere Studien einen kontinuierlichen Anstieg von Prävalenzzahlen bei steigendem Glücksspielangebot nach. Diese Befunde werden durch die Ergebnisse jüngerer Studien allerdings nicht bestätigt. Prof. Häfeli Stäger geht sogar noch einen Schritt weiter: In Deutschland sind trotz verhältnispräventiver Maßnahmen die Prävalenzraten von 0,6 Prozent im Jahre 2007 auf 1,1 Prozent im Jahre 2011 gestiegen. Laut Angebotsthese hätte die Zahl allerdings sinken müssen. Auch die Zunahme des Beratungsbedarfs kann nicht als unidirektionaler Indikator für einen Zusammenhang zwischen Angebot und problematischen / pathologischen Spielverhalten gewertet werden. So führt die Thüringische Landesregierung (Drucksache 5/5378) aus: „Eine Erklärung für die Zunahme an Klienten [...] kann auch die bessere Information der Betroffenen und ihrer Angehörigen [...] sein.“

Keine Evaluierung politischer Maßnahmen

Problematisch ist unter anderem die Tatsache, dass eine Evaluierung der einzelnen Maßnahmen in den Landesspielhallen-und Landesausführungsgesetzen nicht geplant ist. Schlimmer noch: Das Land Berlin, selbsternannter Vorreiter eines restriktiven Spielhallengesetzes, hat keine Kenntnis über die Anzahl der problematischen und pathologischen Spieler in Berlin. In der Antwort des Berliner Senats auf die Kleine Anfrage des Abgeordneten Daniel Buchholz (Drucksache 11 / 17 847) heißt es: „Die Anzahl der Menschen in Berlin mit problematischem bzw. pathologischem Glücksspielverhalten in Berlin ist dem Senat nicht bekannt.“ Demnach kann nicht überprüft werden, ob die Maßnahmen in Berlin greifen und welche Regelungen überhaupt effektiv sind.

Allein schon diese kurzen Einblicke in die wissenschaftliche Diskussion belegen, wie wichtig es ist, den wissenschaftlichen Diskurs mit den verschiedenen Vertretern zu suchen und zu führen. Spekulationen, Vermutungen und Emotionen sind kein adäquater Maßstab für politische Entscheidungen. Wir sollten uns dieser Aufgabe stellen – vorurteilsfrei!
Quelle: Schmidt Gruppe


Novelle der Spielverordnung gefährdet Unternehmen
Meinungsaustausch mit MdB Burgbacher

Der Bundesverband Dienstleistungswirtschaft (BDWi) veranstaltete im Mai einen Meinungsaustausch mit MdB Ernst Burgbacher, FDP. Eines der Themen war dabei das gewerbliche Glücksspiel. Vertreten war die Branche beim Gespräch durch Simone Storch, Leiterin Politik und Kommunikation beim Bundesverband Automatenunternehmer (BA).

Simone Storch thematisierte den aktuellen Entwurf zur Änderung der Spielverordnung. Auch wenn der BA einige Maßnahmen zum effektiven Spielerschutz begrüße, sehe man den Abbau von drei auf ein Gerät in der Gastronomie und die gerätebezogene Spielerkarte kritisch.

Die Gefährdung der Wirtschaftlichkeit von Aufstellunternehmen und kooperierenden Gastronomiebetrieben sei durch den Abbau der Automaten vorprogrammiert. Storch führte auf, dass insbesondere kleine Gaststätten mitunter oft auf die Einnahmen aus den Geldspielgeräten angewiesen seien.

Zudem erklärte Storch, dass die im Entwurf geforderte gerätebezogene Spielerkarte unverhältnismäßige Einschränkungen für den Spielgast und ein schwer praktikables Handling für die Mitarbeiter bedeuten würde.

Burgbacher antwortete, dass es für den Gesetzgeber auf Grundlage der Ergebnisse der Evaluierung der Spielverordnung erforderlich gewesen sei, zu reagieren. Der politische Druck sei sehr groß. In der Debatte habe man aber auch die wirtschaftlichen Argumente auf den Tisch gebracht. Das Verfahren läge jetzt in den Händen der Länder.

Quelle: Bundesverband Automatenunternehmer