Dienstag, 14. Mai 2013

VG Wiesbaden: Vergabeverfahren für Sportwetten-Lizenzen rechtswidrig?

Glücksspielstaatsvertrag - Willkommen in Absurdistan

Wer das juristische Gerangel um Sportwetten die letzten Jahre mitverfolgt hat, erhält den Eindruck, dass die Bundesrepublik Deutschland „Absurdistan“ ist, so eine Pressemitteilung von Oddscompany aus dem Jahre 2007.
Daran hat sich bis heute nichts geändert!

Alle Versuche das nicht transparente, nicht diskriminierungsfrei und nicht wettbewerbsoffen konzessionierte und damit rechtswidrige Monopol in Form eines Kartells zu erhalten, scheiterten vor den Höchstgerichten.

Nach langjährigen juristischen Auseinandersetzungen, 7 Verurteilungen durch den EuGH und mehreren Vertragsverletzungsverfahren verstößt Deutschland mit dem neuen Glücksspielstaatsvertrag (2012) erneut gegen höheres Recht. Beschränkungen der Glücksspieltätigkeit muss legitime Allgemeininteressen verfolgen.

Dem gegenüber versucht die Politik mit allen Mitteln, verlustträchtige Spielbanken rentabel zu machen und die Umsätze der staatlichen Anbieter, auch durch eine Ausweitung des Angebotes (Internet-Lotto, Eurojackpot) oder auch durch eine Preiserhöhung zu steigern. (Lotto wird um 33,33% teurer)

Dabei befinden sich die Länder in einem Interessenskonflikt - sie sind Gesetzgeber und konkurrierender Unternehmer in Einem und beaufsichtigen den Markt über die landeseigenen Aufsichtsbehörden und haben über die landeseigene Justiz die Kontrolle.

Deshalb muss ein Kontrolleur (Aufsichtsbehörde) von dem Kontrollierten unabhängig sein - wodurch dieser nicht gleichzeitig sein Arbeitgeber sein kann. vgl. BVerfG 1 BvR 1054/01 (Rdnr. 151-154)

Es kann nicht rechtsstaatlichen Grundsätzen entsprechen, wenn der Gesetzgeber als Glücksspielanbieter ein unionsrechtswidriges Monopol beansprucht, dieses über die landeseigenen Aufsichtsbehörden absichert und selbst über die von ihr abhängige Justiz über die Gesetzesanwendung befindet. (1)

Die Umgehung des Unionsrechts (u.a. europäische Grundfreiheiten, Kartell- und Wettbewerbsrecht, Transparenzvorschriften) hat keinen rechtsstaatlichen Charakter mehr. Mit Raffinesse und unter Lobbyeinfluß wird der Rechtsstaat ausgehebelt und das Grundgesetz entwertet. Mehr zum Kartellrecht

De facto ist die Gewaltenteilung aufgehoben und eine echte Kontrolle des staatlichen Glücksspiels findet nicht statt. (BayVGH Urteil vom 24. Januar 2012 10 BV 10.2665/M 22 K 07.3782) Indem die Rechtsverstöße der Monopolinhaber durch die Aufsichtsbehörden zur Gewinnmaximierung geduldet werden, kommen diese ihrer Garantenpflicht nicht nach (vgl. EuGH Rs.: C-347/09 Dickinger, Rn.57).

Verfassungsrechtliche Bedenken gegen Glücksspielstaatsvertrag und Ländergesetze

Der EuGH verlangt, dass neben der Gesetzeslage auch und insbesondere die Wirklichkeit kohärent und wirksam die Ziele verfolgt, die die staatliche Beschränkung rechtfertigen sollen.

Für tatsächliche rechtfertigende Umstände aus der Praxis der staatlichen Anbieter ist der Staat darlegungs- und beweisbelastet, denn er missachtet die an ihn gerichtete höherrangige Verbotsnorm des Artikels 56 AEUV.

Die wichtigsten Grundsätze der Gemeinschaft sind:
Das Willkürverbot (EuGHE 1978,1978), Verhältnismäßigkeits- (EuGHE 1979, 677), Vertrauensschutz- (EuGHE 1978, 169), und das Rechtssicherheitsprinzip (EuGHE 1983, 2633), das gebietet, dass Rechtsvorschriften vor allem dann, wenn sie nachteilige Folgen für Einzelne und Unternehmen haben können, klar, bestimmt und in ihren Auswirkungen voraussehbar sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 7. Juni 2005, VEMW u. a., C 17/03, Slg. 2005, I 4983, Randnr. 80 und die dort angeführte Rechtsprechung).

EGBA: Deutsches Glücksspielrecht ist illegal!

Mit dem Beschluss vom 24. Januar 2013 - I ZR 171/10 äußerte nun auch der BGH Zweifel an Vereinbarkeit des deutschen Glücksspielrechts mit EU-Recht

VG Trier: einschränkende Regelungen des GlüÄndStV verstoßen gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, nicht nur in Bezug auf Art. 12 GG, sondern insbesondere auch im Hinblick auf die grundrechtsgleichen Rechte nach Unionsrecht. vgl. VG Hamburg vom 29.4.2013 (4 E 331/12)

Das Ausloten unionsrechtlicher Grenzen durch den Gesetzgeber, insbesondere der seit 1970 geltenden Verbotsnorm des Art. 56 AEUV (Dienstleistungsfreiheit),  ist im Hinblick auf das verfassungsrechtliche Gebot der Normenklarkeit unzulässig!

Der Gesetzgeber ist verpflichtet für eine unionskonforme Gesetzgebung zu sorgen, die den verfassungsrechtlichen Grundlagen entspricht. 

Auch das Vergabeverfahren dürfte nicht den Anforderungen entsprechen.

Entsprechend der bisherigen EuGH-Rechtsprechung muss die Konzessionsvergabe transparent sein, d.h. "auf objektiven, nicht diskriminierenden und im Voraus bekannten Kriterien beruhen, damit der Ermessensausübung durch die nationalen Behörden Grenzen gesetzt werden". Eine Vergabe "unter der Hand" ist unzulässig. Alle interessierten Wirtschaftsteilnehmer müssen "auf der Grundlage sämtlicher einschlägiger Informationen an Ausschreibungen teilnehmen können". Bedingungen und Modalitäten des Vergabeverfahrens müssen "klar, genau und eindeutig formuliert" sein. Negative Auswirkungen müssen für die Bewerber bestimmt und vorhersehbar sein.

BETVICTOR klagt vor dem VG Wiesbaden
gegen die bundesweite Sportwetten Lizenzvergabe

Bereits seit geraumer Zeit läuft der Vergabeprozess für die 20 bundesweiten Sportwetten Lizenzen auf Hochtouren. Bislang sind laut Medienberichten zufolge beim hessischen Innenministerium 149 Bewerbungen eingegangen, aber nur 14 Anbieter wurden zu einer ersten Anhörungsrunde geladen. Viele Wettanbieter unter den Bewerbern wurden allerdings nicht berücksichtigt, obwohl diese bereits über eine gültige Sportwetten Lizenz in Schleswig-Holstein verfügen.

BETVICTOR holt sich Sportwetten-Lizenz in Schleswig-Holstein  

Inhalt der Klage ist vor allem die Unberechenbarkeit des Vergabeverfahrens.
Keiner hatte auch nur irgend einen Einblick in das Thema, weder die Beteiligten noch die Öffentlichkeit. Vielleicht nicht einmal die beteiligten Beamten und Verwalter.

Da die Sportwetten Lizenzen für Gesamtdeutschland in Hessen vergeben werden ist das VG in Wiesbaden zuständig.

Laut dem Gericht könne es nicht sein, dass ein Anbieter von der Kieler Regierung in Schleswig-Holstein eine Sportwetten Lizenz erhalten habe, aber dann keine bundesweite bekomme. 

Das Problem ist, dass in Schleswig-Holstein bereits über 20 Lizenzen alleine für Sportwetten vergeben wurden und für das gesamte Bundesgebiet nur maximal 20 vorgesehen sind.

In dem Beschluß Az 5 L 90/13. WI vom 30. April 2013 führt das VG Wiesbaden weiter aus:
Die Antragsstellerin hat auch einen Anordnungsanspruch aus Art. 3 Abs. 1 GG sowie Art. 49 und 56 AEUV.
Auch wenn die Konzessionsvergabe nach der Ausschreibung ausdrücklich nicht den Regelungen des GWB-Vergaberechts unterfällt und Dienstleistungskonzessionen von keiner besonderen Richtlinie erfasst werden, mit der der Unionsgesetzgeber den Bereich des öffentlichen Auftragswesens gestaltet hat, so haben doch die öffentlichen Stellen, die Konzessionen vergeben, die Grundregeln der Art. 49 und 56 AEUV und das daraus folgende Transparenzgebot zu beachten (so EuGH, Urteil vom 09.09.2010, Rs. C-64/08). Dasselbe gilt für den Gleichheitsgrundsatz, der es insbesondere bei mengenmäßig und zeitlich begrenzten Konzessionen gebietet, ein geordnetes und transparentes Auswahlverfahren mit gleichen Chancen für alle Bewerber einzuhalten. 
Beschluß vom 30. April 2013   pdf-download

Dieses Urteil dürfte sich auch als richtungsweisend für andere Wettanbieter erweisen, die bereits über eine gültige Lizenz in SH verfügen. Hier ist quasi ein Präzedenzfall für andere Sportwetten Anbieter entstanden.

Da Lizenzinhaber aus Schleswig-Holstein nicht zur Anhörungsrunde geladen wurden, könnte der Verdacht aufkommen, dass sie durch das hessische Innenministerium von der Vergabe ausgeschlossen wurden und für das gesamte Bundesgebiet keine Sportwetten Lizenz erhalten sollen.

Europäischer Gerichtshof verschärfte die Anforderungen an die Vergabe von Glücksspielkonzessionen

"Eine Rechtsvorschrift, die einen Ausschluss von Wirtschaftsteilnehmern – sei es auch nur vorübergehend – vom Markt zulässt, könnte nur dann als angemessen betrachtet werden, wenn ein wirksames gerichtliches Verfahren und, falls sich der Ausschluss später als ungerechtfertigt erweisen sollte, Ersatz für den entstandenen Schaden vorgesehen sind." ( Urteil Rs. C-72/10 und C 77/10 Costa u.a. Rn 81) 

Staatshaftung direkt aus Artikel 34 GG
"Verletzt jemand in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so trifft die Verantwortlichkeit grundsätzlich den Staat oder die Körperschaft, in deren Dienst er steht. Bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit bleibt der Rückgriff vorbehalten. Für den Anspruch auf Schadensersatz und für den Rückgriff darf der ordentliche Rechtsweg nicht ausgeschlossen werden."

Auch im GlüÄndStV ist erneut keine Schadenersatzpflicht für einen ungerechtfertigten Ausschluß von Marktteilnehmern vorgesehen! vgl. BVerwG vom 16.05.2013

Die Begrenzung auf 20 Lizenzen stellt nicht nur einen Verstoß gegen die europäischen Grundfreiheiten dar, sondern ist auch nach deutschem Verfassungsrecht als nicht gerechtfertigter Eingriff in die Berufsfreiheit gemäß Art. 12 Grundgesetz zu werten, wie der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts Hans-Jürgen Papier erst kürzlich in einem Gutachten zum neuen Glücksspielstaatsvertrag festgestellt hat. Gleiches gilt für die vorgesehene Besteuerung.

Schließlich bedeutet die nicht begründete Ungleichbehandlung von Glücksspielen mit ähnlichem Suchtpotential, wie etwa Online-Sportwetten und Online-Poker, auch einen Verstoß gegen den Grundsatz einer konsistenten und kohärenten Glücksspielregulierung. Entsprechend kritisiert die EU-Kommission vor allem, dass die Gesetzgeber ihre Hauptaufgabe nicht erfüllt hätten, nämlich Belege und Daten für die Rechtfertigung von Verboten zu liefern. Tatsächlich reicht ein gebetsmühlenartig und ohne Beweise vorgetragenes Suchtargument weder zur Rechtfertigung des Lottomonopols noch zur Rechtfertigung des Online Casino- und Pokerverbotes aus.

Der niedersächsische Wirtschaftsminister Jörg Bode (FDP) ließ unmittelbar nach der Stellungnahme der Kommission verlauten: "Der Vertrag ist in der jetzigen Form gescheitert".
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Noch am 21.12.2012 entschied das VG Wiesbaden, unter Missachtung der Rechtsvorgaben des EuGH (2), des Anwendungsvorrangs des Gemeinschaftsrechts (Gemeinschaftsgrundrechte und der Dienstleistungsfreiheit) und, der Rechtsauslegung des BGH vom 28.09.2011 (I ZR 93/10), der von einer grundsätzlichen Zulässigkeit von 50-Cent-Gewinnspielen, auch wenn sie zufallsabhängig sind und im Internet angeboten werden ausging, in der Rs. Nr. 16/2012:
Gewinnspiele unter „www.digibet.tv“ sind illegale Glücksspiele

Rückblick:

Im Amtsblatt der Europäischen Union vom 8. August 2012 ist die Vergabe der 20 Sportwetten-Konzessionen nach dem in derzeit 14 Ländern (außer Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein) in Kraft getretenen Glücksspieländerungsstaatsvertrag veröffentlicht worden (Auftragsbekanntmachung 2012/S 151-253153). Anträge sind bis zum 4. September 2012 einzureichen, so dass für eine Bewerbung weniger als ein Monat bleibt.

Als Kontaktstelle für das Ausschreibungsverfahren ist nicht das für die Vergabe zuständige Hessische Ministerium des Innern und für Sport angegeben, sondern die Kanzlei CBH Rechtsanwälte, die seit Jahrzehnten den Deutschen Lotto- und Totoblock und deren Gesellschafter, die 16 Landeslotteriegesellschaften vertritt. Der Deutsche Lotto- und Totoblock wird sich voraussichtlich über die kürzlich gegründete ODS Oddset Deutschland Sportwetten GmbH, München, ebenfalls um eine der 20 Konzessionen bewerben. Insoweit sind Zweifel an der Unparteilichkeit der Kontaktstelle angebracht.......
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(1)

Der Deutsche Richterbund zweifelt an der Unabhängigkeit der Justiz.
Die Exekutive hält derzeit die Gerichte und Staatsanwaltschaften in vielfältiger Abhängigkeit.

Kritisch ist das im Gerichtsverfassungsgesetz (Bundesrecht) stehende Weisungsrecht.

Verfassungsrechtler Univ.- Prof. Dr. Hans Herbert von Arnim "Das System"
Hinter der demokratischen Fassade wurde ein System installiert, in dem völlig andere Regeln gelten als die des Grundgesetzes.
Das »System« ist undemokratisch und korrupt, es missbraucht die Macht und betrügt die Bürger skrupellos.

Recht/Gesetzentwurf - 15.01.2013
Berlin: (hib/VER) Die Fraktion Die Linke hat einen Gesetzentwurf „zur Herstellung der institutionellen Unabhängigkeit der Justiz“ (17/11703) in den Bundestag eingebracht. Ihrer Meinung nach „ist eine umfassende Reform der Justizstrukturen vorzunehmen“. Denn als einzige der drei Staatsgewalten, argumentiert die Linksfraktion, „ist die Justiz nicht organisatorisch unabhängig“. Sie werde nämlich von der Exekutive verwaltet, deren Einflussnahmemöglichkeiten erhebliche Bedeutung für die Justiz hätten.

Werner Kannenberg, Mitglied des Bundesvorstandes der Neuen Richtervereinigung, sprach sich hingegen für die Reformvorschläge aus. Sie wären eine Weiterentwicklung der Gewaltenteilung und verfassungsrechtlich bedenkenfrei. Die Richter und Staatsanwälte wären so eindeutig politisch unabhängig, was heute nicht der Fall sei: So hätten die Justizminister großen Einfluss auf die Karriere von Richtern und ganz direkt von Staatsanwälten.

Hartmut Bäumer, Geschäftsführer einer Public Management Consulting GmbH und vormaliger Regierungspräsident von Mittelhessen, stellte einen Vergleich zwischen öffentlicher und privater Wirtschaft an und betonte, dass es vor allem der fehlende Wettbewerb sei, der die öffentlichen Unternehmen an verkrusteten Strukturen festhalten lasse: "Im öffentlichen Bereich sind die strukturellen Kontrollmechanismen angesichts der Interessenverflechtung mit der Politik nicht ausreichend oder dysfunktional". Es sei ein Fehler der Politik, dass die Parteien sich nicht öffnen und transparenter werden in ihren Entscheidungsstrukturen.

(2)
Pressemitteilung Nr: 78/10 des Europäischen Gerichtshofs
Im Übrigen weist der Gerichtshof darauf hin, dass die dieses Monopol betreffende nationale Regelung, die gegen die Grundfreiheiten der Union verstößt, auch während der Zeit, die erforderlich ist, um sie mit dem Unionsrecht in Einklang zu bringen, nicht weiter angewandt werden darf.


Zusammengestellt von Volker Stiny