Sonntag, 15. Januar 2017

BVerwG: Urteile vom 16. Dezember 2016

Pressemitteilung  Nr. 108/2016 s.u.
Landesrechtliche Einschränkungen für Spielhallen in Berlin sind rechtmäßig – Urteilsbegründung des BVerwG
Veröffentlicht am 15. März 2017

Leitsätze:

1. Der Kompetenztitel für das Recht der Spielhallen in Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG ermächtigt die Länder zur Regelung sämtlicher Voraussetzungen für die Erlaubnis von Spielhallen und die Art und Weise ihres Betriebes einschließlich der räumlichen Bezüge in ihrem Umfeld. Für die Regelung der produktbezogenen, nicht vom Aufstellungsort abhängigen Anforderungen an die Beschaffenheit, die Vermarktung und die Aufstellung von Spielgeräten und der Voraussetzungen für die ortsübergreifende Aufstellererlaubnis ist dagegen weiterhin der Bund unter dem Kompetenztitel „Recht der Wirtschaft (Gewerbe)“ zuständig.

2. Außerhalb des Monopolbereiches unterliegen glücksspielrechtliche Regelungen keinem verfassungsrechtlichen Konsistenz- oder Kohärenzerfordernis.

3. Die vom Automatenspiel in Spielhallen, Spielbanken und Gaststätten jeweils ausgehenden Suchtgefahren unterscheiden sich im Hinblick auf die Verfügbarkeit des Angebots und die Prägung der Einrichtungen. Sie können daher in Einklang mit Art. 3 Abs. 1 GG mit unterschiedlichen Mitteln bekämpft werden.

4. Das sachneutrale Losverfahren ist jedenfalls insoweit zulässig, als zwischen konkurrierenden Erlaubnisanträgen keine Auswahl nach sachbezogenen Kriterien mehr erfolgen kann, weil die Erlaubnisvoraussetzungen in gleicher Weise erfüllt werden.

5. Eine Verwendungsbeschränkung stellt nur dann eine nach Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 98/34/EG notifizierungspflichtige „sonstige Vorschrift“ i.S.d. Art. 1 Nr. 4 dieser Richtlinie dar, wenn sie jedem einzelnen Erzeugnis anhaftet. Das ist etwa der Fall bei einem Verbot der Verwendung von Spielgeräten außerhalb bestimmter Einrichtungen, nicht jedoch bei einer einrichtungsbezogenen Beschränkung der Anzahl solcher Geräte.

Quelle: Bundesverwaltungsgericht
Zu den Urteilen
BVerwG 8 C 6.15 (pdf-download)

Ist es vorgreiflich, wenn das BVerwG über das Verfassungsrecht urteilt, statt auszusetzen um auf die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zu warten ?

Ohne Berechtigung bestätigt das BVerwG Unionsgrundrechtseingriffe!

update:
EU-Kommission: Reform der Glücksspielgesetze nicht tragfähig
Seit Jahren hält die EU-Kommission den Staatsvertrag in Teilen für EU-rechtswidrig.
Schlussanträge Rs. Online Games (C-685/15)

Einig waren sich die Teilnehmer im Ausgangspunkt, dass der GlüStV in der aktuellen Fassung gescheitert ist, weil er mit zentralen Vorgaben des Verfassungs- und Unionsrechts unvereinbar ist.
Quelle: 4. Symposium zum Glücksspielrecht vom 6. Oktober 2016

Zu einer eigenen Entscheidung über die Gültigkeit von Gemeinschaftsrecht sind nationale Behörden und Gerichte - gleich welcher Instanz - und somit auch das Bundesverwaltungsgericht - nicht befugt. EuGH 22.10.1987, Rs 314/85, Foto-Frost, Slg. 1987, 4199. s.u.a. EuGH-Urteil vom 18. Juli 2007 (AZ: C-119/05) Das VG Arnsberg (Az.: 1 L 700/10) spricht in seinem Urteil vom 15.10.2010 sogar von einer Missachtung des europäischen Anwendungsvorranges.

Nationalen Gerichten kommt – ungeachtet ihrer Stellung im Instanzenzug – keine Kompetenz zur bindenden Auslegung des Unionsrechts zu. (BVerfG vom 16.12.2014, 1 BvR 2142/11 (= EuGRZ 2015, 239 ff), zur Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter bei Missachtung der Letztentscheidungskompetenz.)

Das Unterlassen einer Richtervorlage aufgrund unvertretbarer unionsrechtskonformer Gesetzesauslegung verletzt die Garantie des gesetzlichen Richters

Alle mitgliedstaatlichen Organe sind verpflichtet, den Anwendungsvorrang des Unionsrechts praktisch wirksam ("effet utile") in vollem Umfang zu realisieren. (vgl. Winner-Wetten Rs. C-409/06 u.a. Rn 53ff und Rn 61 ff.; Stoß C-316/07)

Nationale Gerichte dürfen sich nach dem Richterspruch nicht über EU-Recht hinwegsetzen und müssen gegebenenfalls heimische Gesetze und Vorschriften außer acht lassen (AZ: C-119/05). Der EuGH unterstrich, dass nationale Gerichte zwar das Recht hätten, die Gültigkeit von Rechtsakten der EU prüfen zu lassen.

Sie seien aber nicht befugt, deren Ungültigkeit selbst festzustellen.

Nur mit der Einhaltung der Vorgaben des EuGH wird gewährleistet, dass Europarecht in allen EU-Ländern einheitlich ausgelegt wird. Damit wahrt der Gerichtshof auch die Grundrechte des Bürgers gegenüber der Hoheitsgewalt der Gemeinschaft und schützt ihn gegen Missbrauch.
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Die Kommission hält die deutschen Glücksspielregelungen für Europarechtswidrig und verweist auf die Einhaltung der Vorgaben aus dem Urteil Pfleger vom 30. April 2014 (C-390/12, Randnr. 43), dass das Spielhallenrecht zum Inhalt hatte.

Auch das Spielhallenrecht wird durch das Unionsrecht überlagert - wie es auszulegen ist, bestimmt der EuGH (C-462/02, Fortuna C-213/11, Costa/Cifone C-72/10 und C 77/10, Pfleger C-390/12, Berlington C-98/14, Admiral  C-464/15 etc.) und nicht die nationalen Behörden oder nationalen Gerichte! Gem. Art. 267 AEUV sind die Vorgaben des EuGH einzuhalten (Rs. C-581/14, Rn 31ff). Nach Art. 4 Abs, 3 S. 3 EUV sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, das Unionsrecht, inbegriffen die Grundfreiheiten und die Grundrechtecharta, zu wahren und bei der Auslegung des nationalen Rechts zu beachten.

Zur Reichweite des Unionsrechts und der im AEU‑Vertrag garantierten Grundfreiheiten hat der EuGH in der Rs Admiral (C‑464/15) unter der Rn 22 entschieden:
„.....es lässt sich jedoch keineswegs ausschließen, dass Unternehmer, die in anderen Mitgliedstaaten als der Republik Österreich ansässig sind, Interesse daran hatten oder haben, in diesem Mitgliedstaat Glücksspielautomaten zu betreiben (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 19. Juli 2012, Garkalns, C‑470/11, EU:C:2012:505, Rn. 21, und vom 13. Februar 2014, Sokoll-Seebacher, C‑367/12, EU:C:2014:68, Rn. 10).
Nimmt ein Mitgliedsstaat Ausnahmen des Unionsrechts in Anspruch, um Beschränkungen der Grundfreiheiten zu rechtfertigen, so ist dies als "Durchführung des Rechts der Union" im Sinne von Art. 51 Abs. 1 der Charta anzusehen. (vgl. EuGH Urteile: Pfleger (C-390/12) Rn 36; C-42/02, Rn. 25ff; C-67/98; C-72/10, Rn 81; C‑464/15)
Mit der Anwendung der Ausnahmeregelung wird eine Rechtswahl getroffen, die das anwendende Land und seine Institutionen einschließlich der Gerichte bindet ausschließlich das Unionsrecht anzuwenden und das nationale Recht unangewandt zu lassen. Der Fall muß anhand der unionsrechtlichen Regelung entschieden werden.

Dem Automatenaufsteller erwachsen subjektive Rechte unmittelbar aus dem Unionsrecht (grundrechtsgleiche Rechte). Schutzobjekt ist nicht mehr ausschließlich die Freiheit des Marktes (Grundfreiheiten) für Glücksspiele, sondern das Individualinteresse in Form von grundrechtlichen Abwehrrechten. (Grundrechtecharta)
(vgl. Pfleger (C-390/12) Rn 36; Hakenberg, Europarecht, 6 Aufl. 2012)

Alles was der Staat, die Behörden und Gerichte machen, muß sich dem Unionsrecht unterordnen!

Zusammenfassend ergibt sich aus diesen Entscheidungen, dass die frühere Grenzziehung zwischen der Anwendbarkeit der unionsrechtlichen Grundfreiheiten, im Besonderen der Dienstleistungs- und der Niederlassungsfreiheit, und der Zuständigkeit des EuGH in Vorabentscheidungsverfahren gemäß Art. 267 AEUV zunehmend aufgelöst wird. Unionsrecht, insbesondere die im AEUV normierten Grundfreiheiten und die Garantien der EGRC kommen daher nicht nur in Fällen mit einem unmittelbaren Auslandsbezug zum Tragen.

Vielmehr reicht ein auch nur hypothetischer Auslandsbezug, dann nämlich, wenn sich – so der EuGH – „keineswegs ausschließen“ lässt, dass auch im Ausland ansässige Unternehmer ein Interesse an der Erlangung einer durch nationale Rechtsvorschriften eingeschränkten Erlaubniserteilung haben könnten. (vgl. EuGH vom 30. Juni 2016, C-464/15 [Admiral Casinos & Entertainment AG, EU:C:2016:500], RN 22; vom 13. Februar 2014, C-367/12  [Sokoll-Seebacher, EU:C:2014:68], RN 10; und vom 19. Juli 2012, C-470/11 [Garkalns, EU:C:2012:505], RN 20).

Das EG-Recht legt den Mitgliedstaaten eine Untersuchungspflicht und die Beweislast auf. (EuGH, Rs.C-42/02, Lindman, Slg. 2003, I-13519, Rn. 25 und 26; EuGH, Rs. C-67/98, Zenatti, Schlußanträge von GA Fenelly, Slg. 1999, I-7301, Rn. 29.)

Nach ständiger Rechtsprechung sind Beschränkungen nur statthaft, wenn sie durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt sind. Sie müssen dann aber außerdem geeignet sein, die Erreichung des fraglichen Ziels zu gewährleisten, und dürfen nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist (Urteil vom 29. November 2011, National Grid Indus, C-371/10, Slg. 2011, I-12273, Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Eine unionsrechtswidrig in Grundrechte und Grundfreiheiten (Art. 49 bzw. 56 AEUV) eingreifende Monopolstruktur darf auch nicht über das Verwaltungsrecht, durch juristische Konstruktionen, wie das Medien- , das Strafrecht oder eine unabhängige Anwendung eines Internetverbotes (§ 4 Abs. 4 und § 5 Abs. 3 GlüStV) oder einer zusätzlichen Erlaubnispflicht aufrechterhalten werden. In seinem Urteil vom 08.09.2010 (Winner Wetten C- 409/06, Rn. 62-69, GewArch 2010, 442 = NVwZ 2010, 1419) hat der Europäische Gerichtshof gerade ausgeschlossen, dass unionsrechtswidrige Zustände akzeptiert werden dürfen.

Wenn die Zahl der Wirtschaftsteilnehmer beschränkt wird mit dem Ziel, die Gelegenheit zum Glücksspiel zu vermindern, muss die Beschränkung aus Gründen der Verhältnismäßigkeit in jedem Fall dem Anliegen gerecht werden, die Gelegenheiten zum Spiel wirklich zu vermindern und die Tätigkeiten in diesem Bereich kohärent und systematisch zu begrenzen. (EuGH, Urteil vom 06.03.2007 - C-338/04, C-359/04 und C-360/04 Plancanica u.a.- Rdnr. 58.; Empirisch mit Sicherheit festzustellende Auswirkungen. Admiral, C‑464/15)

Demnach reicht eine mögliche Reduzierung von Spielsüchtigen nicht als Rechtfertigung von Grundrechtseingriffen aus!

Suchtpräventive Maßnahmen sind wirkungslos und widersprüchlich
Prof. Dr. Tilman Becker, Forschungsstelle Glückspiel der Universität Hohenheim:
Beitrag des Verbots der Mehrfachkonzessionen und der Mindestabstandsregel
zu den Zielen des Glücksspielstaatsvertrags vermutlich im Ergebnis negativ
  • Baurecht: Spielhallen gehören in Kerngebiete
  • Suchtprävention: Spielhallen gehören nicht in Kerngebiete
Quelle

Unstimmigkeit im Ordnungsrecht

Ein Problem besteht darin, dass die ABSTANDSREGELUNGEN dem Kanalisierungsauftrag des Glücksspielstaatsvertrags zuwiderläuft. Es werden SPIELHALLEN vom Markt verdrängt, die dem Schwarzmarkt eigentlich ein legales Angebot entgegensetzen sollen.

Es besteht ein Wertungswiderspruch zwischen den finanziellen Interssen des Staates (öffentliches veranstaltetes Glücksspiel) und dem Ordnungsrecht, das nach den Feststellungen des EuGH auch für staatliche Angebote gilt, jedoch nur für die privaten Anbieter angewandt wird. 

Wenn der Staat die privaten Glücksspielangebote reduziert, dann ist er verpflichtet das staatliche Angebot gleichfalls zu reduzieren.

Mit der Rs Fortuna (C-213/11) entschied der EuGH, dass das nationale Gericht prüfen muss, ob die Verringerung der Stätten für Automatenspiele auch mit einer Begrenzung der Höchstzahl der Spielkasinos und der dort benutzbaren Spielautomaten einhergeht. (Rn 38) Nach der Entscheidung in den verbundenen Rechtssachen Fortuna C-213/11, Grand C-214/11 und Forta C-217/11, ist die Anzahl der benutzbaren Spielautomaten in staatlichen Spielkasinos entsprechend zu reduzieren!

Statt das Angebot der staatlich konzessionierten Spielbanken (auch in privater Hand) zu reduzieren, wird auch im Bereich der Geldspielautomaten das Angebot weiter ausgeweitet. Selbst mitten in Köln entsteht ein neues Casino. In den letzten Jahren haben die staatlich konzessionierten Spielbanken mit der Schaffung von Dependancen, im Bereich der Innenstädte Automatensäle eröffnet und zielen damit auf neue Kunden mit dem ”kleinen Geldbeutel”.  Mit der Abstandsregelung werden die staatlichen Angebote bevorzugt, die nicht unter diese Regelung fallen. DERWESTEN vom 14.06.2016: "Westlotto versucht zunehmend, junge Kunden zu werben"

Verstoß gegen das Kohärenzgebot - Die Ziele dürfen nicht zueinander im Widerspruch stehen.
  • Ein Mitgliedsstaat darf nicht scheinheilig legitime Ziele vorgeben, in Wahrheit aber andere – namentlich fiskalische – Ziele anstreben, die die Beschränkung nicht legitimieren können
  • Politik in einem Bereich darf nicht die Politik in anderen Glücksspielbereichen konterkarieren
Jahrzehntelang konnten die Kommunen über einen Bebauungsplan die Ansiedlung von Spielhallen steuern, jedoch hatten sie davon keinen Gebrauch gemacht. Über entsprechende Gutachten hatte auch der Gesetzgeber ausreichend Kenntnis darüber. Doch nun wird auch der gewerbliche Spielhallenmarkt zum Wohle des staatlichen Glücksspielangebotes über die im GlüStV vorgegebenen weiteren Auflagen monopolisiert, indem bestandskräftige, baurechtliche Zulassungen (Baugenehmigungen) nachträglich, sogar über Verlosungen, entwertet werden sollen.

Durch die glücksspielrechtlichen Ausführungsgesetze und sonstigen Bestimmungen, werden ausschließlich der privaten Wirtschaft Abstandsregelungen vorgegeben, die von den Spielhallen- und Wettbürobetreibern zu beachten sind, während die Lottoannahmestellen und staatlichen Spielbanken davon befreit sind.

Über die unionsrechtswidrigen (u.a. EuGH Costa) Abstandsregelungen wären nur noch eine begrenzte Anzahl von Standorten in einem Stadtgebiet überhaupt „zulassungsfähig“ wodurch ein Ausweichen auf andere Standorte unmöglich ist und sich die Regelung als Berufsverbot für die überzähligen Betriebe (rund 80-90%) darstellt.

In seinem Beschluss vom 26.09.2012 stellte sich das Verwaltungsgericht Trier die Frage, ob bei Anwendung der gesetzlich einschränkenden Regelungen überhaupt noch Raum für eine Erlaubniserteilung bleibt. Die mit den neuen glücksspielrechtlichen Regelungen eingeführte Liberalisierung und Öffnung des Marktes auch für Private muss nicht nur nach dem Gesetzestext, also auf dem Papier, sondern auch in ihrer tatsächlichen Umsetzung zu einer Freigabe des Marktes führen. Sollten die gesetzlichen Regelungen dazu führen, dass faktisch eine Erlaubniserteilung fast flächendeckend ausscheidet, verstoßen die gesetzlichen Regelungen gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Dies nicht nur in Bezug auf Art. 12 GG, sondern insbesondere auch im Hinblick auf die grundrechtsgleichen Rechte nach dem Unionsrecht.

Um einem etwaigen Ermessensmißbrauch des Gesetzgebers zu begegnen, hat der EuGH in der Rs. Costa u.a. (C-72/10 und C 77/10) zu Abstandsregelungen und zum Vergaberecht u.a. entschieden:

Eine Rechtsvorschrift, die einen Ausschluss von Wirtschaftsteilnehmern – sei es auch nur vorübergehend – vom Markt zulässt, könnte nur dann als angemessen betrachtet werden, wenn ein wirksames gerichtliches Verfahren und, falls sich der Ausschluss später als ungerechtfertigt erweisen sollte, Ersatz für den entstandenen Schaden vorgesehen sind. (Rn 81) 

Auch aus diesem Grunde ist der GlüStV unionsrechtswidrig  - er regelt die Entschädigungsfrage gem. Art. 17 der Charta, nicht. 

Der Gerichtshof hat bereits entschieden, dass der Grundsatz der Haftung eines Mitgliedstaats für Schäden, die dem Einzelnen durch dem Staat zuzurechnende Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht entstehen, aus dem Wesen des EG-Vertrags folgt.

Der Gerichtshof argumentiert, dass sich  bei Verstoß gegen eine völkerrechtliche Verpflichtung die Haftung des Staates auf alle seine Organe erstrecke und dies erst recht für die Gemeinschaftsrechtsordnung gelten müsse, da diese für alle staatlichen Instanzen einschließlich der Legislative bindend und das Gemeinschaftsrecht dazu da sei, die Situation des Einzelnen unmittelbar zu regeln. Er verweist auf die besondere Verantwortung, die letztinstanzlichen Gerichten beim Schutz der Interessen der Einzelnen zukomme, und beruft sich dabei insbesondere auf Artikel 234 Absatz 3 EG-Vertrag.

Der Gerichtshof hat deshalb für Recht erkannt, dass eine Haftung der Mitgliedstaaten auch dann möglich ist, wenn der Verstoß  gegen das Gemeinschaftsrecht in einer Entscheidung eines letztinstanzlichen Gerichts begründet ist.
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Der alleinige Schutzzweck des GlüStV ist, die Bürger vor Vermögensverlusten zu schützen, die durch eine Spielleidenschaft entstehen können. (Volksgesundheit)

Stefan Dreizehnter, Chefredakteur von games & business äußert sich zur Presseerklärung des Bundesverwaltungsgerichts, dass das Urteil mit dem "überragend wichtigen Gemeinwohlziel der Bekämpfung und Prävention von Spielsucht" begründet:
Gehen wir doch mal zusammen durch die Fußgängerzone und fragen beliebige Menschen, was denn "ein überragend wichtiges Gemeinwohlziel" ist.

Welche Antworten bekommen wir? Der Schutz von Leib und Leben? Die Wahrung von Grund- und Menschenrechten? Die Daseinsvorsorge? Sicher bekommen wir ein ziemlich buntes Meinungsbild. Und genauso sicher wird die "Bekämpfung und Prävention von Spielsucht" nicht dazugehören. Mit ihrer Einordnung sind die höchsten Verwaltungsrichter meilenweit von der Lebenswirklichkeit der Deutschen entfernt.
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Sämtliche streitgegenständlichen Regelungen dienen dem überragend wichtigen Gemeinwohlziel der Bekämpfung und Prävention von Spielsucht.- So steht es in der Presseerklärung des Bundesverwaltungsgerichts zu seinem Urteil, das im Prinzip die Landesspielhallengesetze bestätigt.

Glücksspiel aber gelte als Freizeit-Massenprodukt, für das aus Sicht der Automatenbranche der Verbraucherschutz im Vordergrund stehen sollte. „Der deutsche Glücks- und Gewinnspielmarkt ist geprägt von Wettbewerbsverzerrungen zwischen den Anbietern sowie von Defiziten im Verbraucher-, Daten- und Jugendschutz“, sagen die Branchenexperten Franz Peren und Reiner Clement.
Die Konsequenz? - Der Umsatz im regulierten Markt stagniert, unreguliertes Onlinespiel hingegen boomt. Quelle

Bis jetzt habe Deutschland keinen Nachweis für die Geeignetheit und Verhältnismäßigkeit der deutschen Glücksspielregelungen geliefert. (Rs. Ince, C-336/14
Gemäß den Dokumenten zum Urteil Ince und dem Anforderungsschreiben der Kommission fehlen auch die Nachweise, dass die Spielsucht in Deutschland ein erhebliches, einen unverzüglichen staatlichen Handlungsbedarf hinsichtlich Spielerschutzmaßnahmen begründendes gesellschaftliches Problem darstellt(e).

Auch in den vorliegenden Fällen haben weder die nationalen Behörden noch das BVerwG nachgewiesen, dass die Spielsucht im präjudiziellen Zeitraum tatsächlich ein erhebliches Problem darstellt(e).

Andererseits denken die europäischen Lottogesellschaften über neue Angebote in Europa nach (8 Zahlen aus 64  Möglichen, bei einem Höchstgewinn von 10 Millionen Euro oder in Zehnerpotenzen mehr), loten die Spielcasinogesellschaften mit der Spielautomaten-Industrie Marktsegmente und  neue Standorte aus. Von „staatlicher Zügelung des Glücksspiels“ wie es vom Bundesverfassungsgericht aufgegeben wurde, ist da nicht mehr die Rede! Quelle

Der EuGH bestätigte in seinem Urteil Ince, C-336/14, dass Deutschland noch immer nicht den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichtes nachgekommen ist und der Glücksspielstaatsvertrag bislang zu keinem Zeitpunkt im Einklang mit EU-Recht gestanden hat. 

Mit der 5. Verordnung zur Änderung der Spielverordnung wurden die rechtlichen Rahmenbedingungen für den Betrieb und die Zulassung von gewerblich betriebenen Geldspielgeräten liberalisiert, um für ein ausreichendes legales Spielangebot zu sorgen. vgl. BR Drs 655/05

Jahresreport 2014 der Glücksspielaufsichtsbehörde Hessen

Der GlüStV bildet die rechtliche Grundlage zur Regulierung des deutschen Glücksspielmarktes

Die Geldspielgeräte (GSG) in gewerblichen Spielhallen und Gaststätten sind ein Teil des regulierten Glücksspielmarktes um mit hoheitlichem Auftrag durch ein begrenztes, eine geeignete Alternative zum nicht erlaubten Glücksspiel darstellendes Glücksspielangebot den natürlichen Spieltrieb der Bevölkerung in geordnete und überwachte Bahnen zu lenken sowie der Entwicklung und Ausbreitung von unerlaubten Glücksspielen in Schwarzmärkten entgegenzuwirken.
Quelle

Der Gesetzgeber hat bei Geldspielgeräten definiert, dass von „unangemessen hohen Verlusten in kurzer Zeit“ nicht die Rede sein kann, wenn der Einsatz pro Stunde auf € 80,00 limitiert ist.
D. h., ein Geldspielgerät i. S. d. § 33 c GewO und nach § 284 StGB dann kein Glückspiel, wenn pro Stunde ein höherer Verlust als € 80,00 nicht möglich ist. (auf Grundlage des § 33f Abs.1 GewO erlassenen SpielV (BGBl. I. 2006, 280) mit Wirkung vom 01.01.2006) Der max. Stundenverlust soll zukünftig nur noch 60,-- € betragen.

Da der durchschnittliche Stundenverlust in Höhe von ca. 10,-- € den durchschnittlichen Stundenlohn eines Arbeitnehmers unterschreitet steht der Unterhaltungszweck im Vordergrund.
Der GlüStV (Stand 11. Juli 2016) sieht Spielverluste von 1.000,-- € / mtl. vor, demnach wird das Spielen am gewerblichen Geldspielautomaten bis zu ca.100 Stunden im Monat als unbedenklich angesehen. Das verspielen großer Vermögen ist daher im Gegensatz zu den Automatensälen der Spielbanken in gewerblichen Spielhallen praktisch unmöglich.
Dagegen kann man noch immer in einer Lottoannahmestelle 500,--€ in einen einzigen Spielschein investieren oder an einem „einarmigen Banditen“ in einem Automatensaal einer staatlichen Spielbank Haus und Hof verspielen.

Nach empirischen Studien setzt ein pathologischer Spieler monatlich durchschnittlich insgesamt 121,40 € für Glücksspiele ein, während es bei einem Spieler ohne oder mit geringen Spielproblemen nur 31,40 € sind.
Quelle: (S. Buth, H. Stöver: Glücksspielteilnahme und Glücksspielprobleme in Deutschland: Ergebnisse einer bundesdeutschen Repräsentativbefragung. In: Suchttherapie, Band 9, 2008, S. 3–11, Tabelle 6)
Landesstelle für Glücksspielsucht in Bayern, Glücksspielproblematik in Deutschland und Bayern, 2013, 12; Becker, Soziale Kosten des Glücksspiels in Deutschland, 2011.


Die Gesamtzahl der pathologischen Spieler in Deutschland wird in Erhebungen, u.a. durch die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), mit 100.000 angegeben, die sich zu gleichen Teilen auf Sportwetten, Casinospiele und Geldspielgeräte in Spielhallen (je etwa 25.000 bis 30.000) sowie auf Lottospiele verteilen.
Quelle: Bayerischer Landtag, 16. Wahlperiode, Drucksache 16/5171

Widersprüchliche Rechtsfindung


Die Eindämmung von Spielmöglichkeiten durch die Reduzierung von Spielhallen und die Umsatzeinschränkung durch Verringerung der Geräteanzahl und Öffnungszeiten ist nicht nur unionsrechtswidrig sondern widerspricht auch der höchstrichterlichen Rechtsprechung, die sogar eine Umsatzsteigerung fordert.

Mit der Entscheidung vom 4. Februar 2009 (1 BvL 8/05),  hält das Bundesverfassungsgericht eine Umsatzsteigerung, auch durch eine entsprechende Gestaltung der Spielhallen für verfassungskonform und führt wie folgt aus:
Vielmehr blieb den Unternehmern auch unter der Geltung von § 4 Abs. 1 SpStG die Möglichkeit, etwa durch die Auswahl geeigneter Standorte sowie durch eine entsprechende Gestaltung und Ausstattung der Spielhallen auf eine Umsatzsteigerung hinzuwirken ......
Das BVerwG verlangt in seinem Urteil (9 C 22.14) vom 14.10.2015, die Spieler sollen schneller mehr Geld verspielen als derzeit von den Geräten vorgesehen.

so auch:
BVerwG 9 BN 5.15 (Rn 6) vom 10.12.2015
Bundesverfassungsgericht vom 04.02.2009, 1 BvL 8/05, Rn 61
Bundesverwaltungsgericht vom 10.12.2009, 9 C 12/08, Rn. 28 und 30
BFH, Beschluss vom 21.11.2009 - II B 75/09 Rn 41ccc
BFH, Urt. v. 29.03.2006, Az.: II R 59/04 Rn 31

Mit den Urteilen vom 16.12.2016 widerspricht das BVerwG auch seinen eigenen Entscheidungen!
Niemand würde auf die Idee kommen das staatliche Glücksspiel, auf das die Hälfte der o.a. Spielsüchtgen entfällt, derart zu beschränken wie das stationäre Automatenspiel.
Die Auslegung des BVerwG entspricht nicht den Vorgaben der Charta s.: Rechtlicher Rahmen / Unionsrecht / Charta Schlussanträge, Rs. Pfleger (C-390/12)


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Pressemitteilung
Nr. 108/2016

BVerwG 8 C 6.15; BVerwG 8 C 7.15; BVerwG 8 C 8.15; BVerwG 8 C 4.16; BVerwG 8 C 5.16; BVerwG 8 C 8.16

16.12.2016

Landesrechtliche Einschränkungen für Spielhallen in Berlin und Rheinland-Pfalz sind rechtmäßig

Die vom Berliner Landesgesetzgeber eingeführten Beschränkungen für die Erlaubnis und den Betrieb von Spielhallen verstoßen nicht gegen Verfassungs- oder Unionsrecht. Das hat heute das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig entschieden. Auch eine in Rheinland-Pfalz für Spielhallen geschaffene Abstandsregelung zu Einrichtungen für Minderjährige ist verfassungskonform.

Seit 2006 sind die Länder nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG zum Erlass von Gesetzen im Bereich des „Rechts der Spielhallen“ befugt. Die Betreiberinnen von Spielhallen an vier bestehenden und einem geplanten Standort in Berlin haben - in verschiedenen Fallkonstellationen - gegen Einschränkungen geklagt, die das Land Berlin mit seinem Spielhallengesetz und dem ergänzenden Mindestabstandsumsetzungsgesetz neu eingeführt hat. Diese betreffen insbesondere Mindestabstände zu anderen Spielhallen sowie zu überwiegend von Minderjährigen genutzten Einrichtungen, das Verbot mehrerer Spielhallen an einem Standort, das Auslaufen bestehender Erlaubnisse verbunden mit einem Auswahlverfahren zwischen Bestandsspielhallen, die Verminderung der Höchstzahl von Geldspielautomaten und einen Mindestabstand zwischen ihnen innerhalb der Spielhalle sowie eine verlängerte Sperrzeit und Werbebeschränkungen für Spielhallen, deren Vereinbarkeit mit Verfassungs- und Unionsrecht von den Klägerinnen bestritten wird. Das rheinland-pfälzische Verfahren betrifft die Ablehnung eines Antrages auf Erteilung einer Spielhallenerlaubnis wegen einer nahe gelegenen Jugendfreizeiteinrichtung.

Sämtliche Klagen waren in den beiden Vorinstanzen abgewiesen worden. Die Revisionen der Klägerinnen blieben ohne Erfolg. Das Bundesverwaltungsgericht hat entschieden, dass die Länder auf Grundlage von Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG sämtliche Voraussetzungen für die Erlaubnis von Spielhallen und die Art und Weise ihres Betriebs regeln dürfen. Bezüglich der Spielgeräte ist dem Bund im Rahmen des Kompetenztitels „Recht der Wirtschaft“ die Befugnis zur Regelung der für die Handelbarkeit relevanten produktbezogenen Anforderungen verblieben. Für diese Auslegung spricht die Entstehungsgeschichte. Im Rahmen der Föderalismusreform I wurde das „Recht der Spielhallen“ als ein überwiegend auf regionale Sachverhalte bezogener Bereich identifiziert, der deshalb von den Ländern ohne Beeinträchtigung der Wirtschaftseinheit des  Bundesgebiets eigenständig gestaltet werden kann. Der Wortlaut, die Systematik sowie Sinn und Zweck des Kompetenztitels bestätigen diese entstehungsgeschichtliche Auslegung. Sämtliche der in den anhängigen Verfahren angegriffenen Spielhallenregelungen lassen sich danach dem „Recht der Spielhallen“ als ausschließliche Gesetzgebungsmaterie der Länder zuordnen. Die Abstandsgebote zu anderen Spielhallen sind nicht Teil des „Bodenrechts“ nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG, da sie nicht auf einen Ausgleich der verschiedenen Nutzungsinteressen am Grund und Boden ausgerichtet sind. Die Abstandsgebote zu Einrichtungen für Minderjährige unterfallen nicht der „öffentlichen Fürsorge“ i.S.d. Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG, sondern regeln den Schutz von Minderjährigen im Zusammenhang mit den auf die Prävention und Bekämpfung der Spielsucht ausgerichteten landesrechtlichen Regelungen zur Zulassung und zum Betrieb von Spielhallen.

Die angegriffenen Spielhallenregelungen sind mit der Berufsfreiheit der klagenden Spielhallenbetreiber vereinbar. Sie schränken nicht die Berufswahl, sondern nur die Berufsausübung ein, da nach den tatrichterlichen Feststellungen innerhalb des Regelungsbereichs des Spielhallengesetzes im Rahmen des baurechtlich Zulässigen auf andere Standorte ausgewichen werden kann und ein wirtschaftlicher Betrieb einer Spielhalle auch unter den neuen rechtlichen Anforderungen nicht ausgeschlossen ist. Im Übrigen wären selbst die für Berufszugangsregelungen geltenden verfassungsrechtlichen Maßstäbe eingehalten. Sämtliche streitgegenständlichen Regelungen dienen dem überragend wichtigen Gemeinwohlziel der Bekämpfung und Prävention von Spielsucht. Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat festgestellt, dass die meisten Spieler mit problematischem oder pathologischem Spielverhalten an gewerblich zugelassenen Automaten spielen und daher ein erhebliches Suchtpotenzial besteht.

Auf der Grundlage der weiteren Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg und des dem Landesgesetzgeber eingeräumten Spielraums bei der Einschätzung der Suchtgefährdung sowie der Eignung und Erforderlichkeit suchtbekämpfender Maßnahmen ist auch von der Verhältnismäßigkeit aller angegriffenen Regelungen auszugehen. Das Gebot eines Mindestabstands zu anderen Spielhallen und das Verbot mehrerer Spielhallen an einem Standort verringern die Spielanreize und damit das Suchtpotenzial durch Reduzierung der Anzahl und Dichte von Spielhallen sowie Spielgeräten. Das insoweit im Mindestabstandsumsetzungsgesetz von Berlin vorgesehene Auswahl- („Sonder“-)verfahren zwischen Bestandsspielhallen begegnet in dem - hier allein zur Prüfung gestellten - Fall eines Verbunds mehrerer Spielhallen eines Betreibers keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Es orientiert sich zunächst an den gesetzlich vorgegebenen qualitativen Kriterien, ermittelt grundrechtsschonend die maximale Zahl verbleibender Standorte von Bestandsspielhallen und sieht einen Losentscheid erst zwischen den hiernach auf gleicher Stufe stehenden Bestandsstandorten vor. Der Mindestabstand zu Einrichtungen für Minderjährige schützt die Kinder und Jugendlichen im Interesse der Suchtprävention vor einer Gewöhnung an Spielhallen als Teil ihres täglichen Lebensumfeldes um Bildungs- und Freizeiteinrichtungen. Soweit eine Gefährdung von Minderjährigen wegen der räumlichen Verhältnisse im konkreten Fall nicht besteht, sehen die Landesgesetze von Berlin und Rheinland-Pfalz Ausnahmemöglichkeiten vor. Die verschiedenen Anforderungen an die Aufstellung von Spielautomaten in den Spielhallen und deren Betrieb dienen ebenfalls der Rückführung von Spielanreizen zur Bekämpfung der Spielsucht.

Die Eignung der angegriffenen Regelungen wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass auch in Gaststätten Spielautomaten aufgestellt werden dürfen (in Berlin bis zu drei, ab November 2019 zwei). Gegen entsprechende Ausweichbewegungen der Spieler spricht das unterschiedliche Gepräge von Spielhallen und Gaststätten, da bei Letzteren die Verabreichung von Speisen und Getränken im Vordergrund steht und regelmäßig eine Sozialkontrolle durch Nichtspieler stattfindet. Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat zu Recht angenommen, dass die Eignung auch nicht deshalb entfällt, weil illegale Formen des Spiels an Spielautomaten in der Scheingastronomie selbst dann nicht vollständig unterbunden werden können, wenn - wie hier - kein im Spielhallenrecht angelegtes Vollzugsdefizit vorliegt. Die Zumutbarkeit der Regelungen kann nicht mit dem Einwand verneint werden, dass es an einem konsequenten Vorgehen des Gesetzgebers gegen die durch das Spielen an Spielautomaten hervorgerufene Spielsucht in Gaststätten und Spielbanken fehle. Das verfassungsrechtliche Konsistenzgebot wurde für das staatliche Wettmonopol entwickelt und ist nicht ohne weiteres auf nicht monopolisierte Bereiche wie das Spielhallenrecht übertragbar. Unabhängig davon unterscheiden sich die verschiedenen Regelungsbereiche nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg deutlich. Von Spielautomaten in Gaststätten geht wegen des unterschiedlichen Gepräges kein vergleichbar intensiver Spielanreiz aus wie von Spielhallen. Spielbanken sind im täglichen Lebensumfeld nicht annähernd gleich zugänglich wie Spielhallen; außerdem unterliegen die Spieler dort intensiveren Zugangs- und Verhaltenskontrollen. Angesichts dieser Unterschiede sind die Einschränkungen für Spielhallen auch mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz vereinbar.

Soweit die Klägerinnen sich auf die grundrechtliche Gewährleistung des Eigentums berufen können, wird dieses durch die angegriffenen Regelungen als verhältnismäßige Inhalts- und Schrankenbestimmungen ausgestaltet. Die Alterlaubnisse, die nach § 33i Gewerbeordnung erteilt wurden und in Berlin spätestens sechs Monate nach Bekanntgabe der Auswahlentscheidungen im sog. Sonderverfahren erlöschen, genießen als solche keinen eigentumsrechtlichen Schutz. Einzelfällen unzumutbarer Grundrechtsbeeinträchtigungen tragen Härtefallregelungen Rechnung. Solche Beeinträchtigungen wurden hier nicht festgestellt.

Die Anwendbarkeit der angegriffenen Spielhallenregelungen wird auch nicht durch Unionsrecht ausgeschlossen. Das Spielhallengesetz Berlin war nicht nach Art. 8 der Richtlinie 98/34/EG an die EU-Kommission zu notifizieren, da es keine „technische Vorschrift“ im Sinne der Richtlinie enthält. Es schließt die Verwendung von Spielgeräten in Spielhallen nicht aus und verringert damit nicht ihre „Nutzungskanäle“. Das unionsrechtliche Kohärenzgebot steht der Anwendbarkeit der streitgegenständlichen Regelungen nicht entgegen, weil nach den tatrichterlichen Feststellungen keine der Klägerinnen selbst in ihrer Dienstleistungs- oder Niederlassungsfreiheit verletzt ist. Im Übrigen steht das Kohärenzgebot, selbst wenn es im Glücksspielrecht außerhalb des Monopolbereiches zu beachten wäre, lediglich „scheinheiligen“ Regelungen mit einem tatsächlich nicht auf Suchtbekämpfung gerichtetem Ziel sowie solchen Regelungen entgegen, die wegen einer gegenläufigen Glücksspielpolitik in Bereichen mit gleichem oder höherem Suchtpotenzial keine Wirksamkeit entfalten können. Das ist hier nicht zu erkennen.

BVerwG 8 C 6.15 - Urteil vom 16. Dezember 2016

Vorinstanzen:
OVG Berlin-Brandenburg 1 B 5.13 - Urteil vom 11. Juni 2015
VG Berlin 4 K 336.12 - Urteil vom 01. März 2013

BVerwG 8 C 7.15 - Urteil vom 16. Dezember 2016

Vorinstanzen:
OVG Berlin-Brandenburg 1 B 13.13 - Urteil vom 11. Juni 2015
VG Berlin 4 K 24.13 - Urteil vom 12. April 2013

BVerwG 8 C 8.15 - Urteil vom 16. Dezember 2016

Vorinstanzen:
OVG Berlin-Brandenburg 1 B 23.14 - Urteil vom 11. Juni 2015
VG Berlin 4 K 357.12 - Urteil vom 29. November 2013

BVerwG 8 C 4.16 - Urteil vom 16. Dezember 2016

Vorinstanzen:
OVG Koblenz 6 A 10788/14 - Urteil vom 10. März 2015
VG Neustadt/Weinstraße 5 K 782/13.NW - Urteil vom 20. Mai 2014

BVerwG 8 C 5.16 - Urteil vom 16. Dezember 2016

Vorinstanzen:
OVG Berlin-Brandenburg 1 B 19.13 - Beschluss vom 12. Januar 2016
VG Berlin 4 K 26.13 - Urteil vom 05. Juli 2013

BVerwG 8 C 8.16 - Urteil vom 16. Dezember 2016

Vorinstanzen:
OVG Berlin-Brandenburg 1 B 41.14 - Urteil vom 10. März 2016
VG Berlin 4 K 344.12 - Urteil vom 15. Februar 2013

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BVerwG 8 C 8.16 - Urteil
16.12.2016

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Pressemitteilungen
Nr. 108/2016
BVerwG 8 C 6.15; BVerwG 8 C 7.15; BVerwG 8 C 8.15; BVerwG 8 C 4.16; BVerwG 8 C 5.16; BVerwG 8 C 8.16 
16.12.2016

Landesrechtliche Einschränkungen für Spielhallen in Berlin und Rheinland-Pfalz sind rechtmäßig

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Termine
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15.12.2016
10:00 Uhr

C. GmbH - RA Gleiss Lutz, Stuttgart - ./. Land Berlin - RA GÖRG Partnerschaft von Rechtsanwälten mbB, Berlin -

M. GmbH - RA Meyer, Berlin - ./. Land Berlin - RA GÖRG Partnerschaft von Rechtsanwälten mbB, Berlin -

M. GmbH - RA Gaßner, Groth, Siederer & Coll., Partnerschaft von Rechtsanwälten mbB, Berlin - ./. Land Berlin - RA GÖRG Partnerschaft von Rechtsanwälten mbB, Berlin -

M. GmbH - RA Lamadé PartG mbB, Neckargemünd - ./. Verbandsgemeinde Kirchheimbolanden - RA Meiborg Rechtsanwälte, Mainz -

R. GmbH - RA Meyer, Berlin - ./. Land Berlin - RA GÖRG Partnerschaft von Rechtsanwälten mbB, Berlin -

L. GmbH - RA Neumann und Dickersbach, Berlin - ./. Land Berlin - RA GÖRG Partnerschaft von Rechtsanwälten mbB, Berlin -

Gegenstand der Revisionsverfahren sind Klagen von Spielhallenbetreibern in Berlin und in Rheinland-Pfalz gegen strengere Anforderungen an Spielhallen durch landesrechtliche Regelungen, die seit 2011 eingeführt worden sind. Bis 2006 waren die Anforderungen an den Betrieb einer Spielhalle bundeseinheitlich in der Gewerbeordnung und der auf ihrer Grundlage ergangenen Spielverordnung geregelt.

Die Klägerinnen wenden sich zum Teil mit Feststellungsklagen, teilweise mit Verpflichtungsklagen auf Erlaubniserteilung bzw. mit der Anfechtung einer ergangenen Ordnungsverfügung dagegen, mit ihren bestehenden bzw. geplanten Betrieben den Vorschriften des neuen Spielhallenrechts zu unterliegen. Ihre Klagen hatten weder vor den Verwaltungsgerichten noch in der Berufungsinstanz Erfolg.

In den Revisionsverfahren machen die Klägerinnen weiterhin geltend, den Ländern habe es an der Gesetzgebungskompetenz für Regelungen u.a. über den Mindestabstand von Spielhallen untereinander und zu anderen Einrichtungen, die Höchstzahl und den Mindestabstand zwischen Spielgeräten gefehlt. Die Neuregelungen, mit denen außerdem mehrere Spielhallen an einem Standort unterbunden werden, die Sperrzeit ausgeweitet, Einschränkungen der Ausgabe von Speisen und Getränken sowie der Werbung und Verpflichtungen zur Stellung von Aufsichtspersonal und Einhaltung von Identitätskontrollen zum Ausschluss von Minderjährigen und sich selbst für den Spielbetrieb sperrenden Personen vorgesehen werden, griffen unverhältnismäßig in ihre Berufs- und Eigentumsfreiheit ein. Außerdem würden Spielhallen gegenüber Gaststätten und Spielbanken ungerechtfertigt benachteiligt.

Die mündliche Verhandlung wird am Freitag, den 16. Dezember 2016, 10.00 Uhr fortgesetzt.
BVerwG 8 C 6.15; (OVG Berlin-Brandenburg 1 B 5.13; VG Berlin 4 K 336.12) BVerwG 8 C 7.15; (OVG Berlin-Brandenburg 1 B 13.13; VG Berlin 4 K 24.13) BVerwG 8 C 8.15; (OVG Berlin-Brandenburg 1 B 23.14; VG Berlin 4 K 357.12) BVerwG 8 C 4.16; (OVG Koblenz 6 A 10788/14; VG Neustadt/Weinstraße 5 K 782/13.NW) BVerwG 8 C 5.16; (OVG Berlin-Brandenburg 1 B 19.13; VG Berlin 4 K 26.13) BVerwG 8 C 8.16 (OVG Berlin-Brandenburg 1 B 41.14; VG Berlin 4 K 344.12)
16.12.2016
10:00 Uhr

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Fortsetzung der mündlichen Verhandlung vom 15. Dezember 2016.

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