Freitag, 31. August 2012

BayVGH: Internetwerbeverbot für Glücksspiele rechtswidrig

Glücksspielrecht: Internetwerbeverbot des alten Glücksspielstaatsvertrags war mit Unionsrecht nicht vereinbar

§ 1, § 3, § 5 Abs. 1, § 5 Abs. 2, § 5 Abs. 3, § 9 Abs. 1 Satz 1, § 9 Abs. 1 Satz 2, § 28 Abs. 1 Satz 1 GlüStV a.F.; Art. 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, Art. 10 Abs. 2 AGGlüStV a.F.; Art. 3 Abs. 1 GG; Art. 19 Abs. 1 UAbs. 2 EUV; Art. 51, Art. 52, Art. 54, Art. 56 Abs. 1, Art. 57, Art. 62 AEUV; Art. 8 RL 34/98/EG

Untersagung von Glücksspielwerbung im Internet
Klageänderung
Internetwerbeverbot: Vereinbarkeit mit der Dienstleistungsfreiheit, Kohärenzgebot
Grenzen des Ermessens
Gleichbehandlungsgebot
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 26. Juni 2012, Az. 10 BV 09.2259  s.u.

Bayerischer Verwaltungsgerichthof: Internetwerbeverbot für Glücksspiele rechtswidrig

von Rechtsanwalt Martin Arendts, M.B.L.-HSG
Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (BayVGH) hat in einem jetzt veröffentlichten Berufungsurteil das in § 5 Abs. 3 GlüStV festgelegte Internetwerbeverbot als rechtswidrig beurteilt und eine Untersagungsverfügung des Freistaats Bayern aufgehoben (Urteil vom 26. Juni 2012, Az. 10 BV 09.2259).

Der BayVGH weist darauf hin, dass es ein gravierendes „strukturelles Vollzugsdefizit“ gebe. Gehäufte oder gar systematische Verstöße gegen das Internetwerbeverbot würden nicht konsequent geahndet und unterbunden (S. 29). So verstießen der Deutsche Lotto- und Totoblock und sämtliche Landeslotteriegesellschaften systematisch gegen den § 5 Abs. 3 GlüStV. Diese Verstöße würden von den zuständigen Aufsichtsbehörden nicht konsequent unterbunden. § 5 Abs. 3 GlüStV sei deshalb mit dem Kohärenzgebot unvereinbar. Im Übrigen sei das Verbot auch unverhältnismäßig. Der Freistaat Bayern benachteilige Private gegenüber der Staatlichen Lotterieverwaltung, da er gegen deren Internetwerbung nicht einschreite.
Der Freistaat Bayern kann gegen dieses Urteil noch Revision einlegen.
Quelle
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Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 26. Juni 2012, Az. 10 BV 09.2259 (pdf-download)


Leitsatz:
Das Internetwerbeverbot des § 5 Abs. 3 GlüStV a.F. ist eine unionsrechtlich unzulässige Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit nach  Art. 56 AEUV. Es verletzt das unionsrechtliche Kohärenzgebot und ist unverhältnismäßig. Im Hinblick auf den Anwendungsvorrang des Unionsrechts ist es deshalb unanwendbar.

Hinweis: 

Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat nun seine zum staatlichen Sportwettenmonopol entwickelte Rechtsprechung auf das Internetwerbeverbot nach § 5 Abs. 3 GlüStV a.F. erweitert. Auch dieses verstößt nach seiner Ansicht gegen das unionsrechtliche Kohärenzgebot, da hinsichtlich des Werbeverhaltens des Deutschen Lotto- und Totoblocks sowie der Landeslotteriegesellschaften ein strukturelles Vollzugsdefizit festzustellen sei.

Damit weicht der Bayerische Verwaltungsgerichtshof vom Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 01.06.2011 (Az.: 8 C 5.10) ab, weshalb er auch die Revision gegen das Urteil zugelassen hat. Offengelassen hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof die Frage, ob die in Art. 10 Abs. 2 AGGlüStV a.F. geregelte Fortgeltung des GlüStV a.F. über den 31.12.2011 hinaus gegen die Notifizierungspflicht gemäß Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 34/98/EG verstößt.

Hervorzuheben ist, dass das Urteil sich nur auf die bis zum 01.07.2011 gültige Rechtslage bezieht und keine Aussage über die Zulässigkeit von Internetwerbung nach dem durch den 1. GlüStÄndV neugefassten GlüStV trifft.

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Damit hatte der BayVGH als dritte Gewalt, zweifelsfrei erkannt, dass die Gewaltenteilung als Verfassungsprinzip in verfassungswidriger Weise nicht eingehalten wurde, weil die beklagte Aufsichtsbehörde in Personalunion als vollziehende Gewalt der zweiten Gewalt zugehörig, und gleichzeitig als Vertreter der ersten Gewalt des Landesgesetzgebers gegen den Anwendungsvorrang des Unionsrechts verstieß. Die Kontrollinstanzen werden von den zu Kontrollierenden besetzt und haben sich dadurch jeder Kontrolle entzogen.

Der Träger eines öffentlichen Amtes ist wegen seiner besonderen Macht- und Vertrauensstellung zur unparteiischen Wahrnehmung der ihm übertragenen hoheitlichen und öffentlich-rechtlichen Aufgaben verpflichtet. Ihm obliegt eine besondere Sorgfalts- und Neutralitätspflicht. Entsprechend dieser regelmäßigen beruflichen Aufgabe von Amtsträgern im Sinne der öffentlichen und rechtlichen Ordnung ergibt sich eine besondere Gefährdung für Handlungen, die im rechtlichen Sinn in einem weiten Spektrum von der Fahrlässigkeit bis zur Selbstjustiz liegen können.

Die wissentliche und vorsätzliche Duldung von Rechtsverstößen der Monopolbetriebe durch die Aufsichtsbehörden stellen somit selbständige Rechtsverstöße dar, weil auch staatliche Monopole wirksam von staatlicher Seite beaufsichtigt werden müssen (1, 2) ! Mit einer "unrichtigen Rechtsanwendung" und "Begünstigung" verstoßen die Aufsichtsbehörden somit selbst gegen gesetzliche Vorgaben.
So stellte der BGH (I ZR 156/07) am 18.11.2010 fest: "Westlotto hatte ohne gesetzliche Grundlage und ohne selbst eine Erlaubnis für Sportwetten oder gar für Casinospiele inne zu haben, einfach ein umfassendes Glücksspielmonopol behauptet”. Dies wurde von den Aufsichtsbehörden einfach hingenommen.
Die Aufsichtsbehörden, die entsprechend den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts (Beschl. v. 28.03.2006, Rn 151 f. – zit. nach juris) neutral und ”mit ausreichend Distanz zu den fiskalischen Interessen des Staates” eingerichtet werden sollten, gibt es demnach faktisch nicht.  Ausweislich des Erlasses legt das Innenministerium der Überprüfung von Werbemaßnahmen der WestLotto die für die Glücksspielanbieter verbindlichen Werberichtlinien der Glücksspielaufsichtsbehörden der Länder (aktueller Stand: 23. Mai 2011) zugrunde. Die Werberichtlinien werden allerdings den unions- und verfassungsrechtlichen Anforderungen an zulässige Glücksspielwerbung nicht gerecht, weil sie zum einen Imagewerbung für allgemein zulässig (unter 5.2.1.d) und zum anderen lediglich die "gezielte" Aufforderung, Anreizung oder Ermunterung zur Teilnahme am Glücksspiel für unzulässig (unter 5.2.2) erklären. Diese Bestimmungen stehen nicht im Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung. (OVG NRW, 13 B 1331/11, Rn 33)

Aus der hinlänglich bekannten Wirklichkeit geht aus den Urteilen des EuGH vom 8.9.2010, mehreren Urteilen des BGH, und den Urteilen des BVerwG vom 24.11.2010, wie bereits dem Urteil vom 28.03.2006 des BVerfG hervor, dass die staatliche Praxis seit langem auf Gewinnmaximierung ausgerichtet ist, die legitimen Ziele nur vorgeschoben werden, und die fiskalischen Gründe im Vordergrund stehen. (vgl. Fischer, 57. Aufl. § 284 Rn 2a). Dadurch handelt es sich beim GlüStV in Wahrheit um ein gemeinschaftsrechts- und verfassungs-widriges Finanzmonopol in Form eines Kartells, zu dem die Länder nicht berechtigt waren. (vgl. Art. 105 Abs. 1, Art. 106 Abs. 1, Art. 108 Abs. 1 GG; BVerfGE 14, 105, 111ff; Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 12 Rn. 114, 259, 413, 417 m.w.N.)

Dass die Monopolbetriebe nicht wirksam kontrolliert, und die Rechtsverstöße durch die Aufsichtsbehörden nicht geahndet werden, ist kein Geheimnis.
Insofern begünstigen die Aufsichtsbehörden die staatlichen Monopolbetriebe und verstoßen damit selbst gegen höheres Recht.  Das VG Berlin (VG 35 L 395.10) hat ab Seite Seite 9 eine unvollständige Auflistung der Vergehen der staatlichen Lottogesellschaften vorgenommen.
Funktionaler Unternehmensbegriff nach EuGH-Rechtsprechung
jede organisatorisch selbstständige Einheit, die eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt; die Rechtspersönlichkeit nach deutschem Recht ist nicht entscheidend (z.B. Verbände, Vereine, Regiebetriebe); das Bestehen einer Gewinnerzielungsabsicht ist nicht maßgeblich - Einstufung erfolgt tätigkeitsbezogen (Markt- und Wettbewerbsbezug); vgl. AWO SANO Stellungnahme der KOM auf eine Wettbewerbsbeschwerde, Staatsbeihilfen CP 65/2004)

Dem Ausführungsgesetz Bayern lässt sich unter Art. 5, Staatliche Lotterieverwaltung entnehmen:
1) Die Staatliche Lotterieverwaltung ist eine staatliche Einrichtung ohne Rechtspersönlichkeit im Geschäftsbereich des Staatsministeriums der Finanzen
Quelle: Ausführungsgesetz Drucksache

Damit kontrolliert der verlängerte Arm des Ministeriums des Inneren einen Geschäftsbereich des Staatsministeriums der Finanzen. Somit kontrolliert sich der staatliche Glücksspielanbieter selbst – nicht!

Grünen-MdL Ulrike Gote: "Bisher agiert der Staat hier gleichzeitig als Dealer und Kontrolleur. So etwas kann nicht gut gehen."

Deshalb muss ein Kontrolleur (Aufsichtsbehörde) von dem Kontrollierten unabhängig sein - wodurch dieser nicht gleichzeitig sein Arbeitgeber sein kann.

Dieses in allen Lebensbereichen gültige Prinzip wird nicht eingehalten wenn die ”Gewaltenteilung als Verfassungsprinzip nicht gewahrt wird. Die Aufsichtsbehörde als Vertreter des Gesetzgebers soll den Gesetzgeber der gleichzeitig als Glücksspielanbieter auftritt, beaufsichtigen. Es liegt auf der Hand, dass so etwas nicht funktionieren kann.
(s. Urteile des BayVGH 10 BV 10.2665 / M 22 K 07.3782 vom 24. Jan. 2012 unter Punkt 1.2.4.3 auf Seite 18)

Es wird noch zu prüfen sein, ob durch das Unterlassen der Verfolgung von Rechtsverstößen der Monopolbetriebe, neben der Amtspflichtverletzung, u.a. eine Straftat im Amt (Begünstigung) vorliegen könnte, und gegen § 24 Verwaltungsverfahrensgesetz, gegen § 839 BGB (Haftung für die Amtspflichtverletzung i. V. m. Art. 34 GG) sowie gegen das Gemeinschafts- und Beamtenrecht verstoßen wurde.


Im Art. 3 Abs. 1 des Bonner Grundgesetzes steht:
 ”Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.”

Und in der Grundrechtecharta der Europäischen Union vom 01.12.2009 heißt es im Art. 20 verbindlich: ”Alle Personen sind vor dem Gesetz gleich.”

Etwas ausführlicher noch klingt es im Art. 7 UN – Resolution 217 a vom 10.12.1948, dort heißt es bis heute ebenfalls verbindlich: ”Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich und haben ohne Unterschied Anspruch auf gleichen Schutz durch das Gesetz. Alle haben Anspruch auf gleichen Schutz gegen jede Diskriminierung, die gegen diese Erklärung verstößt, und gegen jede Aufhetzung zu einer derartigen Diskriminierung.”

Der Staat hat es im Laufe der Jahre fertig gebracht, sich als Institution geradezu perfekt gegen den Bürger zu schützen, indem Beamtenschaft und Justiz das Grundgesetz bedarfsweise außer Kraft gesetzt haben.
Heute lebt der Staat als Institution gleichsam mit und für sich selbst, nachdem Art 20 Abs 3 Grundgesetz bedarfsweise unbeachtet bleibt und sich Artikel  97 GG ohnehin als bloßes Feigenblatt dieses 'Rechtsstaats' erweist. Rechtsbeugung und Amtsmissbrauch scheinen mir nach dem Echo auf den hier vorgelegten Artikel allerorten an der Tagesordnung, denn jeder Beamte kann sich im Prinzip offenbar darauf verlassen, loyal von den Kollegen gedeckt zu werden, da Fach- und Dienstaufsicht längst nur noch auf dem Papier bestehen. Wichtiger als die strikte Beachtung etwa des so wichtigen Art 20 Abs 3 GG scheint in Beamtenkreisen die willige Unterwerfung unter Vorgesetzte und der nicht selten sogar vorauseilende Gehorsam gegenüber Parteien und ihren Vertretern. Schuld daran ist m.E. maßgeblich der Parteienstaat, zu dem sich die BRD grundrechtswidrig entwickelte. Quelle

Verfassungsrechtler Univ.- Prof. Dr. Hans Herbert von Arnim "Das System"
Jeder Deutsche hat die Freiheit, Gesetzen zu gehorchen, denen er niemals zugestimmt hat; er darf die Erhabenheit des Grundgesetzes bewundern, dessen Geltung er nie legitimiert hat; er ist frei, Politikern zu huldigen, die kein Bürger je gewählt hat, und sie üppig zu versorgen – mit seinen Steuergeldern, über deren Verwendung er niemals befragt wurde. Insgesamt sind Staat und Politik in einem Zustand, von dem nur noch Berufsoptimisten oder Heuchler behaupten können, er sei aus dem Willen der Bürger hervorgegangen.
Schon in seinen bisherigen Schriften hat Hans Herbert von Arnim der herrschenden Klasse dieses Landes keine guten Zensuren erteilt. Nun zieht der bekannte Politikwissenschaftler eine schockierende Gesamtbilanz: Hinter der demokratischen Fassade wurde ein System installiert, in dem völlig andere Regeln gelten als die des Grundgesetzes.
Das »System« ist undemokratisch und korrupt, es missbraucht die Macht und betrügt die Bürger skrupellos.
Wer dieses Buch gelesen hat, macht sich keine Illusionen mehr über den Charakter derer, die uns regieren.  ISBN-13: 978-3426272220   Weiter zum vollständigen Artikel ...
 

Staatliches Handeln genügt, wenn es subjektive Rechte der Bürger beeinträchtigt, nur dann dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, wenn es geeignet, erforderlich und im Einzelfall angemessen ist, um den verfolgten öffentlichen Zwecken zum Erfolg zu verhelfen. Zweck und Mittel müssen in einem vernünftigen Verhältnis zueinander stehen (BVerfGE 65,1 [54]; 76,.1 [51]; 92, 262 [273]).

Der Gleichheitssatz, das Verbot einer Widersprüchlichkeit und das Gebot der Verhältnismäßigkeit gelten als immanente Bestandteile eines jeden Rechts.
Auf der Ebene der Europäischen Gemeinschaften ist der Gleichheitssatz in den Art. 18 Absatz 1 und Art. 157 des AEU-Vertrags verankert. Zudem enthält Titel III der EU-Grundrechtecharta („Gleichheit“) mehrere Artikel (insbesondere Art. 20) zur Gewährleistung des Gleichheitssatzes.

Richtlinienkonforme Auslegung:
Im Zuge einer immer stärker werdenden Europäisierung des Rechts basieren viele Rechtsvorschriften auf einer EU-Richtlinie bzw. EU-Verordnung. Die nationalen Gerichte sind nach ständiger Rechtsprechung des EuGH aufgrund des Umsetzungsgebots gemäß Art. 288 AEUV verpflichtet, zur Durchführung einer EU-Richtlinie erlassene Gesetze unter voller Ausschöpfung des Beurteilungsspielraums, den ihnen das nationale Recht einräumt, im Lichte des Wortlauts und des Zwecks der Richtlinie auszulegen (BGH 09.04.2002 - XI ZR 91/99). Quelle


1) EuGH: Der Staat muss detailliert nachweisen, dass Monopole erforderlich sind und diese streng überwachen. (C-347/09 Dickinger/Ömer Rn 57,  C-212/08 Zeturf Rn 47, 48, 54, Stoß u. a., Rn. 71, 83; Ladbrokes)

2) Zeturf, C-212/08, Rn 58. Wie der Gerichtshof bereits entschieden hat, muss eine so restriktive Maßnahme wie die Schaffung eines Monopols mit der Errichtung eines normativen Rahmens einhergehen, mit dem sich gewährleisten lässt, dass der Inhaber des Monopols tatsächlich in der Lage sein wird, das festgelegte Ziel mit einem Angebot, das nach Maßgabe dieses Ziels quantitativ bemessen und qualitativ ausgestaltet ist und einer strikten behördlichen Kontrolle unterliegt, in kohärenter und systematischer Weise zu verfolgen (Urteil Stoß u. a., Randnr. 83).